Die Zeitvor 1918
500 Jahre Steuerrechtsprechung vom Reichskammergericht Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Bundesfinanzhof heute
Erste Schritte zu einer eigenständigen Steuergerichtsbarkeit

Copyright: Johann Jakob Dorner der Jüngere (1775–1852)
Bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts hatte das Reichskammergericht die Kompetenz zur Schlichtung von Finanzstreitigkeiten über die erste allgemeine Reichssteuer. Nach Auflösung des alten Reichs im Jahre 1806 kam es im Zuge der konstitutionellen Veränderungen allmählich zur getrennten Entwicklung der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dies führte in den meisten Ländern zur grundsätzlichen Steuerkompetenz der Verwaltungsgerichte. Auch wurde seitdem eine Verselbständigung der Finanzgerichtsbarkeit angestrebt.
Wussten Sie schon, dass...
... in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Gedanke einer eigenständigen Steuergerichtsbarkeit erstmals in Baden gesetzlich verwirklicht wurde?
Im Jahre 1848 wurden in Baden Gesetze betreffend die Aufstellung der Kataster und die Errichtung von Steuerschwurgerichten erlassen. Die darin vorgesehenen Steuergerichte waren von der Finanzverwaltung unabhängig und hatten als letzte Instanz in Steuersachen zu entscheiden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich sodann in fast allen deutschen Ländern der Gedanke der gerichtlichen Kontrolle der Tätigkeit der Finanzverwaltung durch. Es wurden Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe) als oberste Instanz für alle Verwaltungsstreitigkeiten und damit auch für das Gebiet der Steuern, die weitgehend Ländersache waren, geschaffen. Für die Reichssteuern nach dem Erbschaftsteuergesetz, dem Reichsstempelgesetz und dem Gesetz über Personen- und Güterverkehrsabgaben war allerdings als letzte Instanz das Reichsgericht zuständig. Für weitere wichtige Abgaben, nämlich den Wehrbeitrag, die Kriegssteuern und Besitzabgaben, wurde die Regelung über die gerichtliche Kontrolle den jeweiligen Landesgesetzen überlassen. Deshalb hatten insoweit zum Teil die Landesverwaltungsgerichte und zum Teil das Reichsgericht letztinstanzlich zu entscheiden. Der Rechtsschutz in Steuersachen war also uneinheitlich und unübersichtlich geregelt.
Während des Ersten Weltkriegs mussten die Steuerquellen des Reiches erheblich vermehrt werden, unter anderem durch die Erhebung einer allgemeinen indirekten Steuer, der Umsatzsteuer, die 1916 zunächst in Form eines Umsatzsteuerstempels eingeführt wurde. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, einen obersten Gerichtshof zu schaffen, der durch seine Entscheidungen die Einheitlichkeit der Handhabung wichtiger Reichssteuergesetze für das ganze Reichsgebiet wahren sollte. Folglich wurde noch in der Kaiserzeit das Gesetz vom 26.07.1918 über den Reichsfinanzhof erlassen.
1918
– 1933
Gründung und Ausbau des Reichsfinanzhofs
Die Geschichte des höchsten deutschen Finanzgerichts beginnt 1918 in München.

Copyright: Bundesfinanzhof
Der neu gegründete Reichsfinanzhof erhält den vollen Status eines unabhängigen Gerichts. Er wird in jeder Hinsicht dem Reichsgericht gleichgestellt. Seine Mitglieder unterliegen in persönlicher und fachlicher Hinsicht keinen Weisungen (richterliche Unabhängigkeit).
Mit Wirkung vom 01.10.1918 wurden dem Reichsfinanzhof nicht nur die letztinstanzliche Entscheidung über Umsatzsteuersachen, sondern auch über andere Reichsabgaben, so den Wehrbeitrag, die Besitzsteuern, die Kriegsabgaben, die Erbschaftsteuer, die Verkehrsteuern und die Kohlensteuer, übertragen. Dagegen unterlagen die Zölle und Verbrauchsabgaben noch nicht der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs.
Mehr erfahren

Copyright: Bundesfinanzhof
Erster Präsident des Reichsfinanzhofs Gustav Jahn Abschiedsrede, 31.12.1930
„Meine Herren, wenn ich zurückblicke auf die 12 Jahre, in denen der Reichsfinanzhof tätig geworden ist, so kann ich wohl sagen, daß mich ein Gefühl des Stolzes und der Befriedigung erfüllt; denn der Reichsfinanzhof hat in dieser Zeit eine angesehene Stellung sich erworben und hohe Anerkennung in allen Kreisen gefunden.”
Wussten Sie schon, dass...
... Begriffe des heutigen Steuerrechts wie "Betriebsausgaben" oder "Entgelt" auf die Entscheidungen des Reichsfinanzhofs in der Zeit von 1918 bis 1933 zurückgehen?
1933– 1945
Steuerrechtsprechung im Nationalsozialismus
Der Reichsfinanzhof verliert seine Stellung als unabhängiger Gerichtshof.

Copyright: Bayerische Staatsbibliothek
Das Reichsfinanzministerium hat während der NS-Zeit die Entscheidungen des Reichsfinanzhofs maßgeblich im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst und das Gericht wie eine weisungsabhängige Unterabteilung behandelt.

Copyright: Österreichische Nationalbibliothek
Staatssekretär im Reichfinanzministerium Fritz Reinhardt Rede zur Amtseinführung des Präsidenten Ludwig Mirre, 13.04.1935
„Aus meinen Ausführungen ... ergibt sich zusammenfassend, daß im nationalsozialistischen Staat der Reichsfinanzhof der Gehilfe des Reichministers der Finanzen bei der Auslegung der Steuergesetze und bei der Entwicklung des Steuerrechts nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung zu sein hat.”
Wussten Sie schon, dass...
... Steuergesetze im sogenannten Dritten Reich ohne Beteiligung des Parlaments von der Regierung erlassen wurden?
1945– 1950
Errichtung des Obersten Finanzgerichtshofs
Die Alliierten organisieren die Justiz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs neu.

Copyright: Bundesfinanzhof
Nach der deutschen Kapitulation stellte der Reichsfinanzhof seine Tätigkeit ein. Die Alliierten organisierten die Justiz in ihren jeweiligen Zonen dezentral neu. Sie erlaubten im Juli 1945 die Gründung des Obersten Finanzgerichtshofs. Dieser war zunächst nur für den Freistaat Bayern und die amerikanische Zone zuständig. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 wurde im Grundgesetz bestimmt, dass für die Finanzgerichtsbarkeit ein Oberster Gerichtshof des Bundes errichtet wird.
Mehr erfahren

Copyright: Bundesfinanzhof
Urkunde zur Ernennung des Präsidenten des Obersten Finanzgerichtshofs, 25.07.1945
„Ihre Pflicht ist es, alle Personen, die aktiv in der nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei tätig gewesen sind, aus dem Amte zu entfernen und nicht wieder zu verwenden. Sie haben innerhalb ihres Geschäftsbereiches alles auszumerzen, was eine Diskriminierung bezüglich Rasse, Glauben oder politischer Überzeugung bedeutet.”
Wussten Sie schon, dass …
... am 19.05.1948 das Bayerische Landesgesetz zur Wiederherstellung der Finanzgerichtsbarkeit eine entscheidende Grundlage war, um eine unabhängige Steuerrechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu ermöglichen?
"§5 (1) Über die Rechtsbeschwerde entscheidet der Oberste Finanzgerichtshof in München. (2) Für ihn gelten die Bestimmungen der §§ 52 bis 66 der Reichsabgabenordnung entsprechend, insbesondere mit der Maßgabe, daß der Präsident und die Mitglieder durch den Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt werden."
1950– heute
Errichtung des Bundesfinanzhofs
Seit 1950 ist der Bundesfinanzhof Deutschlands höchste Gerichtsinstanz zur Klärung von Steuer- und Zollrechtsfragen.

Copyright: Bundesfinanzhof/Foto Peter-Paul Weiler
Das 1949 in Kraft getretene Grundgesetz bestimmt, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Das gilt auch für die Mitglieder des 1950 errichteten Bundesfinanzhofs.
Die Richterinnen und Richter kontrollieren die Tätigkeit der Finanzbehörden und gewährleisten damit den Rechtsschutz der Steuerpflichtigen. Als letzte Gerichtsinstanz kommt dem Bundesfinanzhof die Aufgabe zu, die Steuergesetze auszulegen und für ihre einheitliche Anwendung im ganzen Bundesgebiet zu sorgen.
Mehr erfahren

Copyright: Bayerische Staatskanzlei
Bundesfinanzminister Friedrich Schäffer Rede zur Errichtung des Bundesfinanzhofs, 21.10.1950
„Im Gegensatz zu früher ist der neue BFH nicht Gehilfe der Bundesfinanzverwaltung; er soll der unabhängige Hüter des Rechtsgedankens auf dem Gebiet der Abgaben sein [...].”
Wussten Sie schon, dass...
... der Bundesfinanzhof als Erster der fünf im Grundgesetz genannten Obersten Gerichtshöfe des Bundes bereits im Juni 1950 errichtet wurde?