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Urteil vom 08. August 2013, VI R 71/12

Anwendungsvoraussetzung der 1 %-Regelung - Reichweite des Anscheinsbeweises beim Alleingeschäftsführer einer GmbH - Einzelfallbezogene Beweiswürdigung

BFH VI. Senat

EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 8 Abs 1, EStG § 8 Abs 2 S 2, EStG § 8 Abs 2 S 3, EStG § 8 Abs 2 S 4, EStG § 6 Abs 1 Nr 4 S 2, EStG VZ 2005 , EStG VZ 2006 , FGO § 96 Abs 1 S 1

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 26. January 2012, Az: 4 K 1234/10

Leitsätze

1. NV: Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausdrücklich oder doch zumindest konkludent auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung .

2. NV: Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann auch der Beweis des ersten Anscheins diese fehlende Feststellung nicht ersetzen .

3. NV: Dies gilt auch bei angestellten Geschäftsführern einer GmbH. Auch in einem solchen Fall lässt sich kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts feststellen, dass ein Privatnutzungsverbot nur zum Schein ausgesprochen ist oder der (Allein)Geschäftsführer ein Privatnutzungsverbot generell missachtet .

Tatbestand

  1. I. Streitig ist der Ansatz eines geldwerten Vorteils wegen der privaten Nutzung eines Firmenwagens.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren 2004 bis 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der A GmbH und erzielte insoweit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben war er als Unternehmensberater tätig. Die Klägerin erzielte ebenfalls Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

  3. Laut § 7 des Anstellungsvertrages vom 21. Dezember 1994 zwischen der A GmbH und dem Kläger hatte die A GmbH dem Kläger zeitweise ein Firmenfahrzeug zur geschäftlichen und zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt. Allerdings war in den Gesellschafterversammlungen vom 28. Juni 2002, 26. März 2004 und 18. Juni 2004 beschlossen worden, dass die jeweiligen (zeitlich nacheinander überlassenen) Geschäftsfahrzeuge dem Kläger nur für Dienstfahrten zur Verfügung stünden und dass eine private Nutzung des jeweiligen Kfz der vorherigen Abstimmung mit der A GmbH bedürfe sowie eine anteilige Kostenübernahme durch den Kläger zur Folge habe.

  4. Zum Nachweis der ausschließlichen betrieblichen Nutzung der (zeitlich nacheinander überlassenen) Kfz hatte der Kläger computerverfasste (Excel) Fahrtenbücher in ungebundener loser Blattform sowie nachträglich erstellte Fahrtenbücher der Marke "AVERY Zweckform" für die Jahre 2004 bis 2006 vorgelegt. Diese wurden im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der A GmbH vom Lohnsteuer-Außenprüfer nicht als ordnungsgemäß anerkannt.

  5. Dem folgend erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Arbeitslohn des Klägers um 6.556 € für das Jahr 2004 und um 7.327 € für die Jahre 2005 und 2006 und erließ unter dem Datum 22. April 2009 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre.

  6. Die nach weitgehend erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 344 veröffentlichten Gründen ab.

  7. Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

  8. Sie beantragen,
    das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2012  4 K 1234/10 sowie die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2006 vom 22. April 2009 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2010 aufzuheben.

  9. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer ist um den Betrag bereichert, den er für eine vergleichbare Nutzung aufwenden müsste und den er sich durch die Überlassung des Fahrzeugs durch den Arbeitgeber erspart.

  3. Die Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt damit unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers (Senatsurteile vom 21. März 2013 VI R 31/10, BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700; VI R 46/11, BFHE 241, 175; VI R 42/12, BFHE 241, 180; vom 18. April 2013 VI R 23/12, BFHE 241, 276, m.w.N.). Denn der Vorteil aus der Nutzungsüberlassung umfasst das Zurverfügungstellen des Fahrzeugs selbst sowie die Übernahme sämtlicher damit verbundener Kosten wie Steuern, Versicherungsprämien, Reparatur-, Wartungs- und Treibstoffkosten und damit nutzungsabhängige wie -unabhängige Kosten (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 2012 VI R 51/11, BFHE 240, 69, BStBl II 2013, 385; vom 10. Februar 1961 VI 89/60 U, BFHE 72, 376, BStBl III 1961, 139; vom 21. Juni 1963 VI 306/61 U, BFHE 77, 191, BStBl III 1963, 387). Selbst wenn der Arbeitnehmer den hierzu überlassenen PKW tatsächlich nicht privat nutzen sollte, erspart er sich zumindest die (nutzungsunabhängigen) Kosten, die er für das Vorhalten eines betriebsbereiten Kfz verausgaben müsste (Abgrenzung vom Senatsurteil vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116).

  4. a) Allerdings begründet § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG ebenso wenig wie § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG originär einen steuerbaren Tatbestand. Die Vorschriften regeln vielmehr nur die Bewertung eines Vorteils, der dem Grunde nach feststehen muss. Deshalb setzt die Anwendung der 1 %-Regelung voraus, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat. Denn der Ansatz eines lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteils rechtfertigt sich nur insoweit, als der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gestattet, den Dienstwagen privat zu nutzen. Die unbefugte Privatnutzung des betrieblichen PKW hat dagegen keinen Lohncharakter. Ein Vorteil, den sich der Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers selbst zuteilt, wird nicht "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt und zählt damit nicht zum Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG (Senatsurteile in BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700; in BFHE 241, 175; in BFHE 241, 180; in BFHE 241, 276, m.w.N.).

  5. b) Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine das klägerische Vorbringen schlicht wiedergebende Würdigung genügt hierfür jedoch nicht. Das FG hat deshalb nicht nur den vom Steuerpflichtigen vorgebrachten Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Unter Umständen muss es auch zusätzliche für und gegen die Privatnutzung sprechende Umstände erheben und berücksichtigen.

  6. c) Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann auch der Beweis des ersten Anscheins diese fehlende Feststellung nicht ersetzen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist zwar typischerweise davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer einen auch zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagen auch tatsächlich privat nutzt. Weiter reicht dieser allgemeine Erfahrungssatz aber nicht. Er streitet insbesondere weder dafür, dass dem Arbeitnehmer überhaupt ein Dienstwagen aus dem vom Arbeitgeber vorgehaltenen Fuhrpark für private Zwecke zur Verfügung steht, noch dafür, dass er einen solchen unbefugt oder gar verbotswidrig privat nutzt. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht (Senatsurteile in BFHE 241, 175; in BFHE 241, 180; in BFHE 241, 276, m.w.N.).

  7. 2. Diesen Rechtsgrundsätzen genügt die Vorentscheidung nicht. Denn das FG hat sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass dem Kläger die betrieblichen PKW auch zur privaten Nutzung überlassen waren. Es hat zwar zu Recht zunächst den Arbeitsvertrag des Klägers in den Blick genommen und festgestellt, dass der Kläger danach zur Privatnutzung der PKW befugt war. Das FG hat aber im zweiten Rechtsgang weiter die Gesellschafterbeschlüsse vom 28. Juni 2002, 26. März 2004 und 18. Juni 2004 dahingehend zu würdigen, ob ihnen ein Privatnutzungsverbot zu entnehmen und dieses arbeitsvertraglich auch umgesetzt worden ist. Denn die Ernsthaftigkeit eines arbeitsvertraglichen Nutzungsverbots ist nicht allein deshalb in Frage zu stellen, weil es der Arbeitgeber nicht überwacht, und zwar selbst dann nicht, wenn die Privatnutzungsbefugnis eines angestellten (Allein-)Gesellschafter-Geschäftsführers in Rede steht (vgl. Senatsurteil in BFHE 241, 175). Gelangt das FG bei der Würdigung der für und gegen eine Privatnutzungsbefugnis sprechenden Umstände zur Überzeugung, dass dem Kläger der streitige PKW tatsächlich zur privaten Nutzung überlassen war, sind weitere Feststellungen insbesondere zu den Nutzungsverhältnissen nicht erforderlich. Der Vorteil ist unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder, wenn kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird, mit der 1 %-Regelung zu bewerten (Senatsurteil in BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700). Allerdings begründet allein die Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte noch keine Überlassung zur privaten Nutzung i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG (Senatsurteil vom 6. Oktober 2011 VI R 56/10, BFHE 235, 383, BStBl II 2012, 362).

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