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Beschluss vom 22. Juli 2021, V B 77/20

Anforderungen an Verfahrenstrennung

ECLI:DE:BFH:2021:B.220721.VB77.20.0

BFH V. Senat

FGO § 43, FGO § 73 Abs 1, FGO § 116 Abs 6

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 25. October 2020, Az: 11 K 147/20

Leitsätze

NV: Durch gemeinsame Klageerhebung miteinander verbundene Verfahren können nur durch einen ausdrücklichen gerichtlichen Trennungsbeschluss getrennt werden, nicht aber durch konkludentes Verhalten.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26.10.2020 - 11 K 147/20 aufgehoben.

Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob mit einem Schriftsatz Klage zum Finanzgericht (FG) betreffend Umsatzsteuer sowie Einkommensteuer (wegen einheitlicher und gesonderter Feststellung). Er beantragte in diesem Schriftsatz, die Einspruchsentscheidungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ‑‑FA‑‑) aufzuheben und das FA zu verpflichten, über die Einsprüche gegen die geänderten Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide zu entscheiden. Mit beiden Einspruchsentscheidungen hatte das FA die Einsprüche des Klägers wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen.

  2. Der Berichterstatter beim FG, bei dem diese Klage unter dem Az. 8 K ... aufgenommen worden war, ging davon aus, dass für den Streitpunkt Umsatzsteuer eine Zuständigkeit des elften Senats des FG gegeben sei. Nach einem von ihm angefertigten Aktenvermerk vom 27.07.2020 verfügte er, die Klageschrift kopieren zu lassen und die Kopie an den elften Senat zu übermitteln, damit dort ein gesondertes Klageverfahren aufgenommen werde, was dort auch geschah (Az. 11 K 147/20). Mit Zustimmungserklärungen vom 18.09. und 23.09.2020 (im Verfahren 8 K ...) und vom 09.09. und 14.09.2020 (im Verfahren 11 K 147/20) erklärten Kläger und FA ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter.

  3. In dem hier vorliegenden Beschwerdeverfahren betreffend der Umsatzsteuersache führte das FG aufgrund des Streitpunkts der verspäteten Einspruchseinlegung eine mündliche Verhandlung gemeinsam mit dem achten Senat des FG durch. Mit dem Urteil des FG wurde die Klage zur Umsatzsteuer als unbegründet abgewiesen, da der Einspruch verspätet eingelegt worden und daher die Einspruchsentscheidung rechtmäßig sei.

  4. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er insbesondere rügt, dass es zu einer Verfahrenstrennung unter Verstoß gegen § 73 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gekommen sei.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, der gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG führt.

  2. 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können durch gemeinsame Klageerhebung miteinander verbundene Verfahren nur durch ausdrücklichen gerichtlichen Trennungsbeschluss getrennt werden, nicht aber durch konkludentes Verhalten (BFH-Beschluss vom 15.07.2010 - VIII B 39/09, BFH/NV 2010, 2089, Leitsatz).

  3. a) Mit der am 21.07.2020 beim FG eingegangenen Klageschrift hat der Kläger von der Befugnis aus § 43 FGO Gebrauch gemacht, mehrere Klagebegehren in einer Klage zusammen zu verfolgen. Denn er hat durch diese einzige Klage eine Vielzahl von Verwaltungsakten in der Gestalt zweier Einspruchsentscheidungen angefochten.

  4. Die Erhebung einer Klage nach § 43 FGO hat nach der Rechtsprechung des BFH zur Folge, dass diese Klage und das Verfahren über sie an die Stelle der bei getrennter Verfolgung einzelner Klagebegehren erforderlichen mehreren Klagen und Verfahren tritt. Sie hat somit dieselbe Wirkung wie die Verbindung mehrerer bereits schwebender Verfahren durch Gerichtsbeschluss nach § 73 Abs. 1 FGO. Deshalb ist das Gericht befugt, die durch die objektive Klagehäufung von vornherein entstandene Verfahrensverbindung wieder aufzuheben. Demgegenüber können verbundene Verfahren nicht stillschweigend durch konkludente Entscheidung getrennt werden (BFH-Beschlüsse vom 24.10.1973 - VII B 47/72, BFHE 110, 465, BStBl II 1974, 137, und in BFH/NV 2010, 2089). Selbiges gilt auch, wenn sich die Verfahrenstrennung als erforderlich oder sinnvoll erweist, um eine Sachbearbeitung entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts herbeizuführen, da auch dann § 73 FGO zu beachten ist.

  5. b) Das FG hat von der ihm durch § 73 Abs. 1 FGO gebotenen Möglichkeit, die verbundenen Verfahren zu trennen, keinen Gebrauch gemacht. Im Streitfall hat der Berichterstatter der beim achten Senat des FG anhängigen Klage durch Aktenvermerk seine Verfügung dokumentiert, die Klageschrift kopieren zu lassen und diese an den elften Senat des FG, der für Umsatzsteuersachen zuständig ist, zu übermitteln. Hierin ist weder ein ausdrücklicher noch ‑‑so man dies entgegen der vorstehenden BFH-Rechtsprechung als zulässig ansähe‑‑ ein konkludenter Trennungsbeschluss i.S. von § 73 Abs. 1 FGO zu sehen. Letzteres scheidet auch deshalb aus, da die rein faktische Verfahrenstrennung durch den Berichterstatter erfolgte, bevor im Streitfall mit dem Einverständnis der Beteiligten am 18.09. und 23.09.2020 die Voraussetzungen des § 79a Abs. 3 FGO vorlagen und daher zur Annahme eines Trennungsbeschlusses eine Entscheidung des Senats erforderlich gewesen wäre (vgl. Schoenfeld in Gosch, FGO § 73 Rz 21 und Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 73 FGO Rz 40 f.; vgl. auch Brandis in Tipke/Kruse, § 73 FGO Rz 11).

  6. 2. Der Senat hält es für zweckmäßig, die Vorentscheidung aufzuheben und den Streitfall zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Senat des FG zurückzuverweisen, bei dem die Klage ursprünglich anhängig gemacht wurde und an dessen Zuständigkeit sich mangels Trennungsbeschlusses nichts geändert hat (§ 116 Abs. 6 FGO). Dies ist der achte Senat des FG.

  7. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Senat über die Klage zur einheitlichen und gesonderten Feststellung bereits entschieden hat und hierzu eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH anhängig ist. Denn die vom FG zur einheitlichen und gesonderten Feststellung getroffene Entscheidung ist im Streitfall als bloßes Teilurteil (§ 98 FGO) zu diesem Streitgegenstand anzusehen, so dass das Verfahren zur Umsatzsteuer unter dem ursprünglichen Aktenzeichen weiter bei diesem Senat anhängig ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 2089; Thürmer in HHSp, § 73 FGO Rz 35).

  8. 3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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