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Beschluss vom 11. November 2022, II E 3/22

Streitwert bei gesonderter Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bis zum 30.06.2016

ECLI:DE:BFH:2022:B.111122.IIE3.22.0

BFH II. Senat

GKG § 52 Abs 1, GKG § 52 Abs 3, GKG § 66 Abs 6 S 2, ErbStG § 13a, ErbStG § 13b, ErbStG § 16, ErbStG § 19

Leitsätze

NV: Der Streitwert bei gesonderter Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bis zum 30.06.2016 ist mit einem Prozentsatz auf Regelverschonungsbeträge (nämlich 85 % des zugrundeliegenden Betriebsvermögenswerts) zu bestimmen.

Tenor

Auf die Erinnerung wird die Kostenrechnung des Bundesfinanzhofs -Kostenstelle- vom 21.03.2022 - KostL 310/22 (II R 20/20) aufgehoben.

Es werden Gerichtskosten für das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof in Höhe von 3.438 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Tatbestand

I.

  1. Die Kostenschuldnerin zu 1. und Erinnerungsführerin (Erinnerungsführerin) wendet sich gegen den Streitwertansatz für eine Revision betreffend eine gesonderte Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der im Jahre 2012 geltenden Fassung (ErbStG a.F.).

  2. Die am xx.04.2012 verstorbene Erblasserin war alleinige Kommanditistin einer Wohnungsvermietungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG (KG). Sie wurde von ihren Kindern, den Kostenschuldnern zu 2. und 3. beerbt. Die Erinnerungsführerin wurde im Wege der Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der KG. Das Lagefinanzamt der KG stellte auf den Stichtag xx.04.2012 die Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2a ErbStG a.F. auf 1.369.738 € fest. In den Erbschaftsteuerbescheiden gegenüber den Kostenschuldnern zu 2. und 3. setzte das Erbschaftsteuerfinanzamt den Wert des Betriebsvermögens der KG mit 1.368.132 € an. Mit ihrer Klage gegen die Feststellung des Werts des Verwaltungsvermögens machten die Kostenschuldner geltend, dieser betrage 0 €. Das Finanzgericht wies die Klage mit Urteil vom 25.06.2020 - 3 K 13/20 F (Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1316) ab. Die Kostenschuldner nahmen die am 31.07.2020 eingelegte Revision mit einem am 11.10.2021 eingegangenen Schriftsatz zurück.

  3. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat den Kostenschuldnern zuletzt 6.849 € Gerichtskosten in Rechnung gestellt. Er ging von einem streitigen Verwaltungsvermögenswert von 1.369.738 € aus, nahm nach Maßgabe des BFH-Beschlusses vom 11.01.2006 - II E 3/05 (BFHE 211, 422, BStBl II 2006, 333) den Streitwert mit 20 % des Verwaltungsvermögenswerts, mithin 273.947 € an und berechnete ausgehend davon drei Gebühren in Höhe von jeweils 2.283 €, mithin insgesamt 6.849 €.

  4. Mit ihrer Erinnerung macht die Erinnerungsführerin geltend, der Streitwert betrage 99.309 €. Dies entspreche der begehrten Steuerminderung. Höchstens dürfe der Streitwert 167.379 € betragen. Dies sei die gesamte Erbschaftsteuer aus dem Vorgang.

  5. Die nach § 66 Abs. 6 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) zur Entscheidung berufene Einzelrichterin hat mit Beschluss vom 07.06.2022 das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG dem Senat übertragen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Auf die Erinnerung sind Kosten in Höhe von 3.438 € festzusetzen.

  2. 1. Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

  3. a) § 52 Abs. 3 GKG, wonach bei einem Antrag auf eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt deren Höhe maßgebend ist, ist nicht anwendbar. Ein Feststellungsbescheid bezieht sich nicht unmittelbar auf eine bezifferte Geldleistung, sondern ist nur Grundlage für solche Bescheide (vgl. ‑‑explizit für Gewinnfeststellungsbescheide‑‑ BFH-Beschluss vom 19.07.2016 - IV E 2/16, BFH/NV 2016, 1582, Rz 12).

  4. b) Bei Streitigkeiten über Grundstückswerte, deren gesonderte Feststellung gemäß den §§ 138 ff. des Bewertungsgesetzes in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung für die Erbschaftsteuer oder Schenkungsteuer erforderlich ist, war der Streitwert bislang pauschal, aber gestaffelt, anzusetzen

    bei Grundstückswerten bis einschließlich 512.000 € mit 10 % der streitigen Wertdifferenz;

    bei Grundstückswerten bis einschließlich 12.783.000 € mit 20 % der streitigen Wertdifferenz und

    bei darüber hinausgehenden Grundstückswerten mit 25 % der streitigen Wertdifferenz

    (BFH-Beschlüsse in BFHE 211, 422, BStBl II 2006, 333, und vom 09.04.2009 - II E 2/09, BFH/NV 2009, 1138).

  5. Der BFH hielt angesichts der möglichen Komplexität einer Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuerfestsetzung eine Pauschalierung zu Vereinfachungszwecken für geboten, um nicht in das gesonderte Feststellungsverfahren Streitigkeiten bezüglich der Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuer als Folgesteuer hineinzutragen. Wegen der Bandbreite der möglichen Steuersätze (7 bis 50 %) schätzte er eine Pauschalierung in Höhe eines einzigen Hundertsatzes jedoch als zu grob ein und nahm stattdessen die genannte Staffelung vor.

  6. 2. Diese für die Feststellung von Grundbesitzwerten geltende Bestimmung des Streitwerts lässt sich bei der Bestimmung des Streitwerts für die gesonderte Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens nicht in der Weise anwenden, dass ein Prozentsatz der streitigen Verwaltungsvermögenswerte angesetzt wird. Dies bildete nach der im Streitfall geltenden Rechtslage die Bedeutung der Sache für die Feststellungsbeteiligten nicht zutreffend ab.

  7. a) Der Umfang der zum Verwaltungsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter nach § 13b Abs. 2 ErbStG a.F. führte nach damaliger Rechtslage nicht dazu, dass die Steuerbegünstigung oder -befreiung für Betriebsvermögen nach §§ 13a, 13b ErbStG a.F. in einem entsprechend proportionalen, gleitenden oder gestaffelten Umfang versagt wurde. Stattdessen galt ein Alles-oder-Nichts-Prinzip. Betriebsvermögen blieb von der steuerlichen Verschonung ausgenommen, wenn es zu mehr als 50 % (bzw. im Fall der optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. zu mehr als 10 %) aus Verwaltungsvermögen bestand. Dann war der Erwerb des gesamten Vermögens steuerpflichtig. Lag der Anteil des Verwaltungsvermögens bei höchstens 50 % (bzw. bei Optionsverschonung 10 %), war der gesamte Erwerb einschließlich des Verwaltungsvermögens begünstigt, es sei denn, es hätte sich um junges Verwaltungsvermögen i.S. von § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG a.F. gehandelt. Die Begünstigung erfasste im gesetzgeberischen Regelfall nach § 13b Abs. 4 ErbStG a.F. 85 % des betreffenden Betriebsvermögens, im Fall der Optionsverschonung 100 %.

  8. Die Regelung war verfassungswidrig, aber bis zum 30.06.2016 weiter anwendbar (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12, BGBl I 2015, 4, BStBl II 2015, 50, BVerfGE 138, 136, dort im Einzelnen Rz 231 ff., 236, 285 ff.). Das bedeutet, dass nicht etwa mit dem Umfang der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens der Anteil des zu begünstigenden Betriebsvermögens stieg oder sank. Vielmehr bestand ein Kipppunkt.

  9. b) Die Bedeutung der Sache für die jeweiligen Kläger erschöpft sich deshalb darin, eine Quote des Verwaltungsvermögens von 50 % bzw. 10 % des Betriebsvermögens zu unterschreiten. Eine Minderung der Verwaltungsvermögensquote, die diese Quoten nicht erreicht, wäre ebenso wenig von Interesse wie eine Minderung einer Verwaltungsvermögensquote, die bereits unter diesem Punkt liegt. Der Streitwert lässt sich daher rechnerisch nicht über eine prozentuale Quote von der festgestellten und beantragten Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bestimmen.

  10. 3. Die Bedeutung der Sache i.S. von § 52 Abs. 1 GKG ist vielmehr über eine prozentuale und zu staffelnde Quote desjenigen Betriebsvermögens abzuleiten, um das es geht. Dessen Begünstigung ist die materielle Zielrichtung der Verwaltungsvermögensfeststellung. Es verhält sich ähnlich wie bei dem Streitwert bei einem Streit um die Grundstücksart, dessen Wert sich danach bestimmt, mit welchem Wert das Grundstück im Erfolgsfall in die Steuerbemessungsgrundlage einginge (so betreffend den Streit um die Grundstücksart "Betriebsgrundstück" BFH-Beschluss vom 19.02.2009 - II E 1/09, BFHE 224, 21, BStBl II 2009, 446).

  11. a) Ausgangsgröße für die Streitwertbestimmung im Feststellungsverfahren ist der Teilbetrag von 85 % dieses Betriebsvermögens. Es handelt sich um den möglichen Umfang der Regelverschonung. Die Optionsverschonung nach Maßgabe von § 13a ErbStG a.F., die eine Begünstigung von 100 % des betreffenden Betriebsvermögens ermöglicht, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Sie hängt nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. von einer unwiderruflichen Erklärung des Erwerbers ab, die nicht im Feststellungsverfahren, sondern im Festsetzungsverfahren abzugeben ist.

  12. b) Für den aus dem Wert des (85%igen) Betriebsvermögens abzuleitenden Streitwert sind die Grundsätze des Beschlusses in BFHE 211, 422, BStBl II 2006, 333 entsprechend anzuwenden. Die Erwägungen, die grundsätzlich für eine Typisierung sprechen, gelten gleichermaßen. Für die steuerliche Auswirkung stellt es auch keinen Unterschied dar, ob um den Ansatz eines Werts oder die Berücksichtigung einer Steuerbefreiung gestritten wird. Es besteht schließlich kein Anlass, die für Grundstücke aufgestellten Grundsätze nicht auch für Betriebsvermögen einschließlich etwaiger Steuerbefreiungen für Betriebsvermögen anzuwenden. Die Aussagen dieses Beschlusses sind aber hinsichtlich der Wertgrenzen und Prozentsätze an die erbschaftsteuerlichen Tarife und Freibeträge anzupassen, die zum streitigen Stichtag galten und noch heute gelten.

  13. aa) Wie sich aus der Verweisung des BFH-Beschlusses in BFHE 211, 422, BStBl II 2006, 333 auf den BFH-Beschluss vom 29.07.2004 - II B 45/03 (BFH/NV 2005, 16) ergibt, war die damalige Erinnerungsentscheidung zu einem Erwerbsvorgang vom 19.12.1998 ergangen. Zu jenem Zeitpunkt wurde gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG damaliger Fassung die Erbschaftsteuer nach folgenden Vomhundertsätzen erhoben:

    Wert des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 10) bis einschließlich ... Deutsche Mark

    Vomhundertsatz in der Steuerklasse

    II 

    III  

    100.000

    12 

    17 

    500.000

    11 

    17 

    23 

    1.000.000

    15 

    23 

    19 

    10.000.000

    19 

    27 

    35 

    25.000.000

    23 

    32 

    41 

    50.000.000

    27 

    37 

    47 

    über 50.000.000

    30 

    40 

    50 

  14. Die Freibeträge lagen nach § 16 Abs. 1 ErbStG damaliger Fassung zwischen 600.000 DM für den Ehegatten, 400.000 DM für die Kinder und 10.000 DM für sonstige Personen.

  15. bb) Zu dem Stichtag des Streitfalls, dem xx.04.2012, galten für die Erbschaftsteuer nach § 19 Abs. 1 ErbStG a.F. die noch heute maßgebenden folgenden Prozentsätze:

    Wert des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 10) bis einschließlich ... Euro   

    Prozentsatz in der Steuerklasse

    II 

    III  

    75.000

    15 

    30 

    300.000

    11 

    20 

    30 

    600.000

    15 

    25 

    30 

    6.000.000

    19 

    30 

    30 

    13.000.000

    23 

    35 

    50 

    26.000.000

    27 

    40 

    50 

    über 26.000.000

    30 

    43 

    50 

  16. Die Freibeträge lagen nach § 16 Abs. 1 ErbStG a.F. zwischen 500.000 € für den Ehegatten/Lebenspartner, 400.000 € für die Kinder und 20.000 € für sonstige Personen; so auch noch heute.

  17. cc) Angesichts der veränderten Prozentsätze ist zunächst die Staffelung des BFH-Beschlusses in BFHE 211, 422, BStBl II 2006, 333 an die neuere Regelung anzupassen. Die Beträge von 512.000 € und 12.783.000 € sind keine tauglichen Wertgrenzen mehr, da bei ihnen kein Tarifsprung mehr ansetzt. Keiner näheren Beachtung bedürfen hingegen die gestiegenen Tarife der Steuerklassen II und III. In den meisten Fällen sind die Erwerber größerer Vermögen solche der Steuerklasse I. Die anderen Steuerklassen können zu Vereinfachungszwecken außer Acht bleiben.

  18. dd) Weiter sind die erhöhten Freibeträge insbesondere für die Ehe- und Lebenspartner sowie Kinder zu berücksichtigen. Inwieweit die Freibeträge die steuerlichen Auswirkungen gesonderter Wertfeststellungen beeinflussen, hängt zwar davon ab, in welchem Umfang weiteres Vermögen Gegenstand desselben Erwerbsvorgangs ist, und ist insoweit kaum typisierbar. Fest steht aber, dass ein Freibetrag, der höher ist als dies für den Anwendungsbereich des Beschlusses in BFHE 211, 422, BStBl II 2006, 333 der Fall war, proportional, in erhöhtem Maße auf die steuerlichen Folgen der Wertfeststellung durchschlägt.

  19. ee) Vor diesem Hintergrund erachtet der Senat es für sachgerecht, den Streitwert bei gesonderter Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bis zum 30.06.2016 mit einem Prozentsatz auf Regelverschonungsbeträge (nämlich 85 % des zugrundeliegenden Betriebsvermögenswerts) zu bestimmen, und zwar

    mit 5 % auf Regelverschonungsbeträge bis einschließlich 600.000 €,

    mit 10 % auf Regelverschonungsbeträge bis einschließlich 6.000.000 €,

    mit 15 % auf Regelverschonungsbeträge bis einschließlich 13.000.000 €,

    mit 20 % auf Regelverschonungsbeträge bis einschließlich 26.000.000 € und

    mit 25 % auf darüber hinausgehende Regelverschonungsbeträge.

  20. 4. Nach diesen Maßstäben sind nach Nr. 6122 des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG drei Gebühren zu erheben. Das Erbschaftsteuerfinanzamt hat Betriebsvermögen der KG mit einem Wert von 1.368.132 € angesetzt. Davon wäre ein Anteil von 85 % (1.162.912,20 €) der Regelverschonung zugänglich. Der Streitwert beträgt 10 % von 1.162.912,20 € und damit 116.291,22 €. Nach Anlage 2 zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG in der 2020 geltenden und gemäß § 71 Abs. 1 Sätze 1, 2 GKG maßgebenden Fassung beträgt eine Gebühr 1.146 €, so dass Kosten von insgesamt 3.438 € festzusetzen sind.

  21. 5. Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).

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