Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Beschluss vom 08. Mai 2025, VII B 58/24

Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens bei Haftungsbescheiden

ECLI:DE:BFH:2025:B.080525.VIIB58.24.0

BFH VII. Senat

AO § 191 Abs 1 S 1, FGO § 65 Abs 1 S 1, FGO § 65 Abs 2 S 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, FGO § 119 Nr 3

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 20. March 2024, Az: 9 K 9071/23

Leitsätze

1. NV: Zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens reicht bei einer Anfechtungsklage die Nennung des angefochtenen Verwaltungsakts, verbunden mit dem Begehren der Aufhebung, nicht aus. Das gilt auch für die Anfechtung eines Haftungsbescheids.

2. NV: Eine hinreichende Bezeichnung des Klagebegehrens erfolgt auch dadurch, dass in der Klageschrift die angefochtenen Bescheide benannt werden und die Einspruchsentscheidung beigefügt wird, sofern sich die konkreten Streitpunkte, die Gegenstand des Klageverfahrens sein könnten, aus der Einspruchsentscheidung entnehmen lassen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 20.03.2024 - 9 K 9071/23 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht. Zum xx.xx.2002 hatte sie sich mit … zur gemeinsamen Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit zusammengeschlossen. Der Zusammenschluss ist inzwischen aufgelöst. Aus dieser Tätigkeit resultieren Rückstände aus Umsatzsteuer, Verspätungszuschlag und Zinsen für Zeiträume von 2012 bis 2020 zuzüglich Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt … €.

  2. Wegen dieser Rückstände nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 11.10.2022 gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 der Abgabenordnung i.V.m. § 128 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs in der im Streitfall geltenden Fassung (HGB a.F.) in Anspruch. Dabei ging das FA davon aus, bei dem Zusammenschluss der Klägerin mit … handle es sich um eine GbR. Im Einspruchsverfahren setzte das FA die Haftungssumme auf … € herab. In seiner Einspruchsentscheidung vom 11.04.2023 führte das FA in der Darstellung des Sachverhalts unter anderem aus, die Klägerin habe in ihrem Einspruch eine fehlende Benennung der Haftungsgründe gerügt und eingewandt, die Zinsen für 2012 bis 2014 hätten wegen anhängiger Einspruchsverfahren und einer Aussetzung der Vollziehung (AdV) nicht von der Haftung umfasst sein dürfen, der Bescheid lasse kein Auswahlermessen erkennen und ihre Alleinhaftung sei nicht begründet worden, sodass der Bescheid rechtswidrig und aufzuheben sei. Aus der Einspruchsentscheidung ergab sich zudem, dass das FA im Einspruchsverfahren die fehlende Begründung nachgeholt und darauf hingewiesen hatte, dass bei der Gesellschaft eine Durchsetzung der Steuerforderungen infolge deren Auflösung nicht möglich gewesen sei, dass die Klägerin gesamtschuldnerisch hafte und die Inanspruchnahme des anderen Gesellschafters nicht erfolgversprechend gewesen sei. Hierauf habe die Klägerin im Einspruchsverfahren aber nicht mehr reagiert.

  3. Die Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 14.05.2023 Klage vor dem Finanzgericht (FG). Sie beantragte in der Klageschrift, den Haftungsbescheid vom 11.10.2022 und die Einspruchsentscheidung vom 11.04.2023 aufzuheben. Außerdem beantragte sie eine Akteneinsicht in die Verfahrensakten und erklärte, die Klagebegründung könne erst nach der Akteneinsicht eingereicht werden. Auf die Einspruchsentscheidung nahm die Klägerin explizit Bezug; diese sowie der Haftungsbescheid waren der Klageschrift beigefügt. Mit Eingangsverfügung vom 16.05.2023 forderte das FG die Klägerin auf, binnen vier Wochen nach durchgeführter Akteneinsicht die zur Begründung dienenden Tatsachen anzugeben sowie darzulegen, warum sich die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid beschwert fühle. Aufgrund einer telefonischen Mitteilung der Klägerin, dass die Akteneinsicht am 29.06.2023 im FA stattfinden solle, setzte das FG mit gerichtlicher Verfügung vom 27.06.2023 der Klägerin eine Frist für die anschließende Klagebegründung bis zum 04.08.2023. Mit Schriftsatz vom 04.08.2023 beantragte die Klägerin eine Fristverlängerung bis zum 25.08.2023, welche das FG stillschweigend gewährte.

  4. Nachdem innerhalb dieser Frist keine Klagebegründung beim FG eingegangen war, forderte das FG die Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 29.08.2023 gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, binnen vier Wochen ab Zustellung der Verfügung den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Zur Erläuterung führte es aus, nach dem bisherigen Vortrag sei das Gericht nicht in der Lage, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen. Die Verfügung enthielt einen Hinweis auf die ausschließende Wirkung der Fristsetzung sowie auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Verfügung wurde der Klägerin am 05.09.2023 zugestellt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 09.10.2023 teilte das FG der Klägerin mit, die vierwöchige Ausschlussfrist sei am 04.10.2023 abgelaufen, ohne dass ein weiterer Schriftsatz von ihr eingegangen sei.

  5. Mit Schriftsatz vom 11.10.2023 begründete die Klägerin ihre Klage und rügte unter anderem, der angefochtene Haftungsbescheid verstoße gegen die Begründungspflicht, sei ermessensfehlerhaft und damit insgesamt rechtswidrig. Es sei nicht ersichtlich, warum ihr Berufspartner … nicht in Haftung genommen worden sei. Das FA habe zudem nicht beachtet, dass es sich bei der ehemaligen Rechtsanwaltskanzlei um eine im Partnerschaftsregister eingetragene Partnerschaftsgesellschaft gehandelt habe und sich die Haftung der Partner nach anderen Maßstäben richte als bei einer GbR. Einem gerichtlichen Hinweis vom 12.10.2023, wonach der Streitgegenstand innerhalb der Ausschlussfrist nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden und die Klage unzulässig sei, trat die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.11.2023 entgegen und beantragte zudem unter Angabe von Verhinderungsgründen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

  6. Das FG wies die Klage ab. Es hielt die Klage für unzulässig, da die Klägerin innerhalb der gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Frist den Streitgegenstand nicht bezeichnet habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) genüge es hierfür bei einer gegen einen Haftungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage nicht, lediglich den angefochtenen Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung zu benennen und deren Aufhebung zu beantragen. Dies gelte auch für Haftungsbescheide. Auch aus der der Klageschrift beigefügten Einspruchsentscheidung sei der Streitgegenstand nicht zweifelsfrei zu erkennen gewesen. Der Einspruchsentscheidung sei zu entnehmen, dass das FA im Einspruchsverfahren auf die Einwendungen der Klägerin eingegangen sei, die Haftungsgründe mitgeteilt und die alleinige Inanspruchnahme der Klägerin begründet habe. Da die Klägerin hierauf aber nicht mehr reagiert habe, sei für das FG nicht erkennbar gewesen, ob und in welchem Umfang die Klägerin ihre Einwände aufrecht erhalten habe. Tatsächlich habe die Klägerin in ihrer Klagebegründung vom 11.10.2023 auch einen neuen Aspekt angeführt, nämlich dass es sich bei der ehemaligen Rechtsanwaltskanzlei um eine Partnerschaftsgesellschaft gehandelt habe und sich die Haftung der Partner nach anderen Maßstäben richte als bei einer GbR. Damit habe sich die Klägerin erstmals gegen ihre Haftungsinanspruchnahme dem Grunde nach gewendet. Schließlich sei der Klägerin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ‑‑neben einer fehlenden Substantiierung der Wiedereinsetzungsgründe‑‑ hierfür die Zwei-Wochen-Frist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bereits abgelaufen gewesen sei.

  7. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden. Die Voraussetzungen für das Setzen einer Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO hätten nicht vorgelegen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist begründet.

  2. Das angefochtene Urteil des FG verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und beruht damit auf einem Verfahrensfehler im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Voraussetzungen für das Setzen einer Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO lagen nicht vor.

  3. 1. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage unter anderem den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernisse fehlt.

  4. a) Wird dem Kläger zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens zu Unrecht oder nicht wirksam eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzt oder bezeichnet er im Fall rechtmäßiger Ausschlussfristsetzung das Klagebegehren durch weitere, fristgerechte Darlegungen, führt die Abweisung der Klage als unzulässig zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und damit zu einem Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (BFH-Beschlüsse vom 13.03.2024 - VIII B 129/22, Rz 3 und vom 15.11.2021 - VIII B 2/21, Rz 10). Das Urteil ist wegen einer Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen.

  5. b) Eine Bezeichnung des Klagebegehrens erfordert, dass der Kläger substantiiert darlegt, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26.11.1979 - GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter II.3.). Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart. Bei einer Anfechtungsklage reicht die Nennung des angefochtenen Verwaltungsakts, verbunden mit dem Begehren der Aufhebung, zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nicht aus (z.B. BFH-Beschlüsse vom 13.03.2024 - VIII B 129/22, Rz 9; vom 25.07.2017 - XI B 29/17, Rz 9 und vom 13.03.2014 - X B 158/13, Rz 5; Senatsbeschluss vom 31.03.2010 - VII B 233/09, Rz 9). Das gilt auch für die Anfechtung eines Haftungsbescheids (Senatsbeschlüsse vom 08.03.2006 - VII B 266/05, BFH/NV 2006, 1316, unter 2. der Gründe und vom 19.03.1996 - VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818, unter 2.a der Gründe; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 65 FGO Rz 79). Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (BFH-Beschlüsse vom 13.03.2024 - VIII B 129/22, Rz 9 und vom 25.07.2017 - XI B 29/17, Rz 10; Senatsbeschluss vom 30.04.2001 - VII B 325/00, BFH/NV 2001, 1227).

  6. c) Über die Würdigung des klägerischen Vorbringens hinaus hat das FG insbesondere die Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen, auf die in der Klageschrift durch Beifügung oder ausdrückliche Bezeichnung Bezug genommen worden ist (BFH-Beschlüsse vom 13.03.2024 - VIII B 129/22, Rz 11 und vom 25.07.2017 - XI B 29/17, Rz 10). Des Weiteren sind bei der Auslegung sämtliche dem FG und der Finanzbehörde erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art einschließlich der dem Gericht vorliegenden Akten, also der den Streitfall betreffenden Akten im Sinne des § 71 Abs. 2 FGO, zu berücksichtigen (BFH-Beschlüsse vom 13.03.2024 - VIII B 129/22, Rz 11 und vom 25.07.2017 - XI B 29/17, Rz 10; BFH-Urteil vom 27.06.1996 - IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, unter 1. der Gründe). So kann eine hinreichende Bezeichnung des Klagebegehrens auch erfolgen, indem die angefochtenen Bescheide benannt und die Einspruchsentscheidung beigefügt wird, sofern sich die konkreten Streitpunkte, die Gegenstand des Klageverfahrens sein könnten, aus der Einspruchsentscheidung entnehmen lassen (BFH-Beschlüsse vom 14.11.2017 - IX B 66/17, Rz 8; vom 29.09.2015 - I B 37/14, Rz 10 und vom 26.03.2014 - III B 133/13, Rz 9 und 12).

  7. 2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Klägerin den Gegenstand des Klagebegehrens im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO bereits durch ihre Klageschrift vom 14.05.2023 und deren Anlagen hinreichend bezeichnet.

  8. a) Zwar hat sie in der Klageschrift lediglich beantragt, den Haftungsbescheid vom 11.10.2022 und die Einspruchsentscheidung vom 11.04.2023 aufzuheben. Nach der zitierten Rechtsprechung genügt bei einer Anfechtungsklage gegen einen Haftungsbescheid ‑‑wie im Streitfall‑‑ dieses Aufhebungsbegehren allein nicht zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens.

  9. b) Jedoch hatte die Klägerin in ihrer Klageschrift auf die Einspruchsentscheidung explizit Bezug genommen; diese sowie der Haftungsbescheid waren der Klageschrift beigefügt. Nach der zitierten Rechtsprechung hat das FG Unterlagen, auf die in der Klageschrift ausdrücklich Bezug genommen wird beziehungsweise die der Klageschrift beigefügt sind, zu berücksichtigen.

  10. aa) Aus der Einspruchsentscheidung vom 11.04.2023 ergaben sich im Streitfall konkrete Streitpunkte, die Gegenstand des Klageverfahrens sein konnten. Denn ausweislich der Einspruchsentscheidung hatte die Klägerin bereits im Einspruchsverfahren eine fehlende Benennung der Haftungsgründe gerügt und zudem eingewandt, die Zinsen für 2012 bis 2014 hätten wegen anhängiger Einspruchsverfahren und einer AdV nicht von der Haftung umfasst sein dürfen, der Bescheid lasse kein Auswahlermessen erkennen und ihre Alleinhaftung sei nicht begründet worden, sodass der Bescheid rechtswidrig und aufzuheben sei. Daraus ist zu entnehmen, dass die Klägerin eine vollständige Aufhebung des angefochtenen Bescheids begehrte. Das FG konnte durch diese Angaben mit hinreichender Sicherheit erkennen, worin die die Klägerin treffende Rechtsverletzung nach deren Ansicht lag.

  11. bb) Das FG hat hierbei zu Unrecht darauf abgestellt, dass das FA ausweislich der Einspruchsentscheidung im Einspruchsverfahren auf die Einspruchsgründe der Klägerin eingegangen sei, die Haftungsgründe mitgeteilt und die alleinige Inanspruchnahme der Klägerin begründet habe. Aus dem Umstand, dass die Klägerin im Einspruchsverfahren hierauf nicht mehr reagiert hat, kann entgegen der Auffassung des FG nicht geschlossen werden, dass nicht erkennbar gewesen sei, ob und in welchem Umfang die Klägerin ihre Einwände aufrecht erhalten habe. Denn aus dem bloßen Schweigen zu einer von der Gegenseite geäußerten Auffassung ist nicht auf eine Zustimmung zu schließen. Die aus der Einspruchsentscheidung ersichtliche Gegenargumentation des FA lässt, wenn die Klägerin nicht mehr reagiert, vielmehr lediglich den Schluss zu, dass sich zwei Auffassungen gegenüberstanden.

  12. Deshalb war der in der Klageschrift enthaltene Verweis der Klägerin auf die Einspruchsentscheidung sowie deren Beifügung zur Klageschrift so auszulegen, dass sie ihre daraus ersichtlichen Einwendungen, die auf eine vollständige Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids gerichtet waren, aufrecht erhalten wollte. Anhaltspunkte für eine Einschränkung des Klagebegehrens waren nicht ersichtlich. Tatsächlich hat die Klägerin in ihrer späteren Klagebegründung vom 11.10.2023 an dem Begehren einer vollständigen Aufhebung des Haftungsbescheids auch festgehalten.

  13. cc) Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO, wonach mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung Angaben des Klägers erforderlich sind, die es dem Gericht ermöglichen, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen und eine effektive und auf das erforderliche Maß beschränkte Sachaufklärung zu betreiben (vgl. Senatsbeschluss vom 31.03.2010 - VII B 233/09, Rz 9; Schallmoser in HHSp, § 65 FGO Rz 64). Da im Streitfall der Einspruchsentscheidung zu entnehmen war, dass die Klägerin mit ihren Einwendungen den ‑‑angefochtenen‑‑ Haftungsbescheid in Gänze anfechten wollte, war der Rahmen der Entscheidungsbefugnis des FG hinreichend eingegrenzt.

  14. 3. Der Senat hält es für geboten, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat darauf hin, dass das FG zur Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids unter anderem festzustellen haben wird, welche Rechtsform der Zusammenschluss der Klägerin mit … zur gemeinsamen Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit hatte, und ob vor dem Hintergrund dieser Gesellschaftsform eine Inanspruchnahme der Klägerin gemäß § 128 Satz 1 HGB a.F. in Betracht kam.

  15. 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Print Page