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Urteil vom 14. Januar 2025, VII R 8/21

Nacherhebung von Einfuhrzoll auf Kontingentwaren aufgrund rechtsmissbräuchlicher Handelstätigkeit - Reichweite des Vertrauensschutzes

ECLI:DE:BFH:2025:U.140125.VIIR8.21.0

BFH VII. Senat

AO § 171 Abs 10, FGO § 118 Abs 2, ZK Art 220 Abs 1, ZK Art 220 Abs 2 Buchst b UAbs 1, EWGV 2913/92 Art 220 Abs 1, EWGV 2913/92 Art 220 Abs 2 Buchst b UAbs 1, EGV 1979/2006 Art 1 Abs 1, EGV 1979/2006 Art 1 Abs 2, EGV 1979/2006 Art 4 Abs 1, EGV 1979/2006 Art 5 Abs 1, EGV 1979/2006 Art 5 Abs 2, EGV 1979/2006 Art 5 Abs 4

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 25. November 2020, Az: 1 K 1118/17

Leitsätze

1. Einem Grundlagenbescheid kommt nur insoweit Bindungswirkung zu, als er eine Regelung zu einem bestimmten Sachverhalt enthält. Sind bestimmte Tatbestandsmerkmale einer Norm von dem Regelungsgehalt des Bescheids nicht umfasst, besteht insoweit keine Bindungswirkung; diese Tatbestandsmerkmale sind von der Behörde zu prüfen, die den nachfolgenden Verwaltungsakt erlässt.

2. Kauft ein Einführer, der Inhaber von Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ist, Waren außerhalb der Union von einer verbundenen Gesellschaft an, die selbst über gleichartige Lizenzen verfügt, aber ihre Lizenzen durch eigene Einfuhren ausgeschöpft hat, und verkauft er die Waren nach der Einfuhr wieder an dieselbe Gesellschaft zurück, kann ein Rechtsmissbrauch vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Handelstätigkeiten künstlich mit dem wesentlichen Ziel geschaffen wurden, in den Genuss der Zollbegünstigung zu kommen. Bei der Prüfung des Rechtsmissbrauchs sind alle relevanten Tatsachen und Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

3. Eine Nacherhebung von Einfuhrabgaben hat nicht aufgrund von Vertrauensschutz zu unterbleiben, wenn der Irrtum der Zollbehörde über einen Rechtsmissbrauch vom Zollschuldner im Einzelfall vernünftigerweise hätte erkannt werden können, weil zu einem vergleichbaren Sachverhalt ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden war (hier EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 25.11.2020 - 1 K 1118/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Im Zeitraum von September 2013 bis Februar 2015 meldete der Kläger und Revisionskläger (Kläger), vertreten durch die … GmbH (GmbH), mit … Zollanmeldungen Champignonkonserven aus der Volksrepublik China (China) unter der Codenummer 2003 10 30 00 0 zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr an. Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH waren der Kläger und Herr …

  2. Für die Einfuhr nutzte der Kläger Einfuhrlizenzen, die ihm die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) erteilt hatte. Hiernach durfte er als "traditioneller Einführer" Champignonkonserven der Unterpos. 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur (KN) im Rahmen des nichtpräferenziellen Zollkontingents zum ermäßigten Zollsatz von 23,0 % gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 der Kommission vom 22.12.2006 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2006, Nr. L 368, 91) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 113/2008 der Kommission vom 06.02.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven (ABlEU 2008, Nr. L 33, 5) ‑‑VO 1979/2006‑‑ einführen. Die Einfuhrlizenzen umfassten … kg im Jahr 2013, … kg im Jahr 2014 und … kg im Jahr 2015.

  3. Vor der Einfuhr hatte die GmbH die Champignonkonserven jeweils in China angekauft und unverzollt an den Kläger verkauft. Für den Verkauf stellte die GmbH dem Kläger den unverzollten Preis der Champignonkonserven pro Glas beziehungsweise Dose sowie den aufgrund der Einfuhr durch die GmbH verauslagten Zoll in Rechnung. Die Waren wurden auf Veranlassung der GmbH in das Zolllagerverfahren am Zollhafen … überführt, wo diese bis zum Absatz durch die GmbH verblieben. Die Anmeldung der Waren zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr erfolgte jeweils im Namen des Klägers, vertreten durch die GmbH.

  4. Im Anschluss an die Einfuhr kaufte die GmbH die Champignonkonserven vom Kläger zurück. Hierzu stellte der Kläger der GmbH Rechnungen aus über den ursprünglich unverzollten Warenwert zuzüglich Zoll, einer vorab vereinbarten Marge von … €/kg Abtropfgewicht (Nettogewicht nach Abzug der Flüssigkeit) und Umsatzsteuer. Die Marge war in jährlich verlängerten Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Kläger und der GmbH vereinbart worden. Andere Abnehmer als die GmbH hatte der Kläger nicht. Nach dem Rückkauf durch die GmbH veranlasste diese den Absatz der Waren.

  5. Die Rechnungen des Klägers wurden, wie in den Kooperationsvereinbarungen bestimmt, jeweils nach Ende des Geschäftsjahres durch Verrechnung mit den von der GmbH ausgestellten Rechnungen beglichen, zuzüglich Zahlung des dem Kläger gebührenden Überschusses. Im Jahr 2015 wurden Rechnungen bereits zur Hälfte des Jahres ausgeglichen.

  6. Die GmbH war als traditionelle Einführerin ebenfalls Inhaberin von Lizenzen für die Einfuhr von Champignonkonserven der Unterpos. 2003 10 30 KN zum ermäßigten Zollsatz von 23 %. Die BLE hatte ihr Einfuhrlizenzen im Umfang von … kg für das Jahr 2013, … kg für das Jahr 2014 und … kg für das Jahr 2015 erteilt. Diese Lizenzen nutzte die GmbH im Umfang von … % für 2013 (ungenutzt: … kg), … % für 2014 (ungenutzt: … kg) und … % für 2015 (ungenutzt: … kg). Da für die Erteilung und für eine mindestens 95%ige Nutzung der Lizenzen gegenüber der BLE Sicherheiten zu stellen waren, führte der ungenutzte Teil der Lizenzen der Jahre 2014 und 2015 bei der GmbH jeweils zu einem anteiligen Verfall der Sicherheiten, und zwar in Höhe von … € für 2014 und … € für 2015 für Sicherheiten in Höhe von … € für 2014 und … € für 2015. Auch bei dem Kläger kam es zu einem anteiligen Verfall gestellter Sicherheiten, allerdings nur im Jahr 2015 in Höhe von … € für Sicherheiten in Höhe von … €.

  7. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) führte bei der GmbH eine Zollprüfung unter anderem für den Zeitraum September 2013 bis Februar 2015 durch. Im Gegensatz zu früheren Zollprüfungen für die Zeiträume September 2007 bis Juni 2010 und Juli 2010 bis Juli 2012, in denen diese Geschäftspraxis nicht beanstandet worden war, gelangte das HZA nunmehr zu dem Ergebnis, der Kläger habe die Einfuhrlizenzen nur vordergründig erworben, um der GmbH einen Vorteil durch Umgehung des erschöpften Zollkontingents zu verschaffen, sodass sie weiterhin den nichtpräferenziellen Kontingentzollsatz habe nutzen können. Ein tatsächlicher Verkauf an den Kläger und ein Rückkauf seien hingegen nicht erfolgt. Da die Einfuhrlizenzen nicht anzuerkennen seien, sei der Einfuhrzoll mit dem Drittlandszollsatz von 18,4 % zuzüglich 222 € pro 100 kg netto Abtropfgewicht neu zu berechnen.

  8. Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 06.09.2016 erhob das HZA vom Kläger Zoll in Höhe von … € nach. Bei diesem Betrag handelte es sich um die Differenz zwischen dem Drittlandszollsatz (… €) und dem festgesetzten Einfuhrzoll nach dem Kontingentzollsatz (… €), jeweils aufgegliedert nach … Einfuhren aus dem Zeitraum September 2013 bis Februar 2015 als Positionen in der ATLAS-Anwendung Nacherhebung, Erstattung oder Erlass (NEE-Positionen). Der Bescheid erging auf der Grundlage des Art. 220 des Zollkodex (ZK).

  9. In dem ‑‑nach erfolglosem Einspruchsverfahren‑‑ dagegen geführten Klageverfahren hob das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Bescheid insoweit auf, als hiermit Einfuhrabgaben für Einfuhren bis zum 05.05.2014 (NEE-Positionen 1 bis 23) erhoben wurden. Im Übrigen wies es die Klage ab.

  10. Zur Begründung führte das FG aus, Ermächtigungsgrundlage für die Nacherhebung des Einfuhrzolls sei Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK. Die unter Berücksichtigung des Art. 201 Abs. 1 Buchst. a ZK geschuldete Einfuhrzollschuld bemesse sich nach dem vertragsmäßigen Zollsatz von 18,4 % zuzüglich 222 €/100 kg Abtropfgewicht für Waren der Unterpos. 2003 10 30 KN. Der ermäßigte Zollsatz von 23 % aufgrund der VO 1979/2006 sei nicht anzuwenden. Denn der Kläger habe das für die ihm erteilten Einfuhrlizenzen geltende Übertragungsverbot durch Ankaufen und Verkaufen von Kontingentswaren von der und an die von ihm mitbeherrschte GmbH auf rechtsmissbräuchliche Weise umgangen. Deshalb seien die Einfuhren zollrechtlich so zu behandeln, wie sie ohne die künstliche Zwischenschaltung des Klägers zu behandeln wären, also wie Einfuhren der GmbH im eigenen Namen.

  11. Der Kläger habe die Voraussetzungen für die Anwendung des Kontingentzollsatzes entsprechend den von der BLE erteilten Einfuhrlizenzen in rechtsmissbräuchlicher Weise herbeigeführt. Dieser Beurteilung stünden nicht die von der BLE erteilten Einfuhrlizenzen entgegen, da diese keine Bindungswirkung entfalteten für die Prüfung, ob der Kontingentzollsatz in rechtsmissbräuchlicher Weise erlangt worden sei. Vielmehr stellten die fraglichen Handelstätigkeiten deshalb einen Rechtsmissbrauch dar, weil sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel herbeigeführt worden seien, in den Genuss des Vorzugstarifs zu gelangen. Nach einer Gesamtwürdigung aller rechtlichen, wirtschaftlichen und personellen Beziehungen der an den Transaktionen Beteiligten seien die Einfuhren im Rahmen einer rechtsmissbräuchlichen Geschäftspraxis erfolgt. Sowohl das objektive als auch das subjektive Element des Rechtsmissbrauchs seien erfüllt gewesen, so das FG.

  12. Objektiv liege ein Rechtsmissbrauch vor, weil die Nutzung der Einfuhrlizenzen gegen die Ziele der VO 1979/2006 verstoße, deren Umsetzung das in Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006 formulierte Verbot der Übertragung der Einfuhrlizenzen diene. Im Streitfall seien die aufeinanderfolgenden Transaktionen des Ankaufs, der Einfuhr und der Rückveräußerung der Champignonkonserven de facto einer verbotenen Übertragung der Einfuhrlizenzen durch den Kläger an die GmbH gleichgekommen. Durch den Wiederverkauf habe es der Kläger der GmbH ermöglicht, Champignonkonserven im Umfang von … kg zum Kontingentzollsatz einzuführen, die zum weit überwiegenden Teil nicht durch eigene Lizenzen der GmbH hätten abgedeckt werden können. Dieser Wertung stehe nicht entgegen, dass die GmbH in den Streitjahren ihre eigenen Lizenzen im Umfang von insgesamt … kg nicht genutzt habe. Denn auch die erkennbar planmäßige Nichtnutzung eigener Lizenzmengen bei gleichzeitiger optimaler Nutzung der fremden Lizenzen habe der GmbH dazu gedient, ihren Markteinfluss über das ihr zustehende Kontingent hinaus auszuweiten, was zu einer Wettbewerbsbehinderung führe und den Zielen der VO 1979/2006 widerspreche.

  13. Der Kläger habe auch subjektiv rechtsmissbräuchlich gehandelt, indem er die Absicht gehabt habe, der GmbH einen nach der VO 1979/2006 nicht gerechtfertigten Vorteil zu verschaffen. Die Transaktionen hätten jeglicher wirtschaftlicher oder kommerzieller Rechtfertigung entbehrt. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger keinen bedeutenden Gewinn aus den betroffenen Verkäufen gezogen und kein Geschäftsrisiko getragen habe. Für den künstlichen Charakter der Transaktionen spreche, dass der Kläger aufgrund der zeitlichen Abfolge der Vertragsabschlüsse weder das Beschaffungs- noch das Absatzrisiko für die eingeführten Waren getragen habe. Bei Ankauf der Waren durch den Kläger habe aufgrund der Kooperationsvereinbarungen und aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit zwischen Kläger und GmbH jeweils festgestanden, dass der Kläger die Waren zum Einkaufspreis zuzüglich einer gleichbleibenden Marge von … €/kg Abtropfgewicht zurückverkaufen würde. Zudem habe die GmbH für den Kläger aufgrund der ihr erteilten Generalvollmacht alle für die Beantragung der Lizenzen sowie die für die Abwicklung der An- und Verkäufe des Klägers erforderlichen Verwaltungstätigkeiten übernommen und sich um Lagerung und Logistik gekümmert. Die GmbH habe auch die Kautionen für die Lizenzen gestellt und den Zoll verauslagt. Im Innenverhältnis habe die GmbH jegliches Risiko aus der Abwicklung der Geschäfte übernommen. An dieser Beurteilung ändere der Umstand nichts, dass den Kläger möglicherweise gesetzliche Haftungsrisiken auf der Grundlage des Lebensmittelrechts oder des Produkthaftungsgesetzes träfen und dass der Kläger der Zollschuldner gewesen sei. Denn hierbei handele es sich nicht um von ihm übernommene geschäftliche Risiken.

  14. Der Nacherhebung des auf die Einfuhren der NEE-Positionen 1 bis 23 entfallenden Einfuhrzolls stehe jedoch Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK entgegen. Es habe ein aktiver Irrtum der Zollbehörde im Sinne dieser Vorschrift vorgelegen, weil die Zollbehörde über viele Jahre hinweg die vom Kläger mit der GmbH getätigten Geschäfte geduldet und als nicht rechtsmissbräuchlich eingestuft habe. In zwei vorangegangenen Außenprüfungen habe das HZA wiederholt festgestellt, dass die Geschäftspraxis dem BLE bekannt gewesen sei und dass auch die Bundesstelle Zollwert in einer früheren Stellungnahme den Handel und die Nutzung der Lizenzen nicht beanstandet habe. Dieser Irrtum sei zumindest bis zum Tage der Veröffentlichung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 am 05.05.2014 im Amtsblatt der Europäischen Union nicht erkennbar gewesen. Der Kläger sei bis dahin gutgläubig gewesen.

  15. Hinsichtlich der nach diesem Datum erfolgten Einfuhren der NEE-Positionen 24 bis 44 könne sich der Kläger nicht mehr auf Vertrauensschutz berufen. Zwar sei das EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 im Amtsblatt der Europäischen Union nur mit seinem Tenor und dem Leitsatz, jedoch zuvor bereits am 13.03.2014 mit Gründen versehen auf www.curia.europa.eu und im April 2014 in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ), Seiten 100 folgende, veröffentlicht worden. Bei der Beurteilung der Erkennbarkeit des Irrtums seien die Komplexität der betreffenden Regelung, die Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und die von ihm aufgewandte Sorgfalt zu berücksichtigen. Der Kläger sei Mitgesellschafter und Geschäftsführer der GmbH und zudem selbständig seit dem Jahr … als Importeur tätig gewesen, sodass er als ein erfahrener Wirtschaftsteilnehmer anzusehen sei. Da sich ein Wirtschaftsbeteiligter nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Unkenntnis der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Rechtsvorschriften berufen könne, müsse dasselbe für die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Urteile des EuGH gelten. Maßgeblicher Zeitpunkt sei der Tag der Zollanmeldung. Da die Handelstätigkeit, welche dem am 05.05.2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 zugrunde gelegen habe, bereits nach dessen Tenor mit der Geschäftspraxis des Klägers vergleichbar gewesen sei, hätten sich dem Kläger Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Lizenznutzung aufdrängen müssen. Dabei habe es der Kläger insbesondere unterlassen, sich um weitere Aufklärung zu bemühen, etwa durch Einholung fachkundigen Rechtsrats. Er habe stattdessen die Einfuhren weiter auf der bisherigen Grundlage durchgeführt.

  16. Mit seiner dagegen gerichteten Revision begehrt der Kläger, unter Aufrechterhaltung der übrigen Vorentscheidung den angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid vom 06.09.2016 auch insoweit aufzuheben, als damit Einfuhrabgaben nach dem 05.05.2014 in den NEE-Positionen 24 bis 44 nacherhoben werden.

  17. Der Kläger begründet die Revision damit, als Grundlagenbescheide entfalteten die ihm durch die BLE erteilten Einfuhrlizenzen bis zu ihrer Rücknahme Bindungswirkung für das HZA. Bis dahin habe das HZA den in den Einfuhrlizenzen festgesetzten Kontingentzollsatz anzuwenden. Die Bindungswirkung beziehe sich auch auf die Frage, ob der Kontingentzollsatz in rechtsmissbräuchlicher Weise in Anspruch genommen worden sei, da der BLE das vermeintlich rechtswidrige Verhalten des Klägers bei Erteilung der Einfuhrlizenzen bekannt gewesen sei.

  18. Unabhängig davon sei dem Kläger kein Missbrauch seiner Lizenzen vorzuwerfen. Die im angefochtenen Urteil des FG wiedergegebene Geschäftspraxis erfülle nicht den Tatbestand eines Rechtsmissbrauchs. Das erforderliche subjektive Element des Rechtsmissbrauchs liege nicht vor. Der Kläger habe ‑‑jedenfalls vor Veröffentlichung des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145‑‑ nachweislich nicht von der mangelnden Rechtfertigung seines Handelns gewusst. Ihm sei ‑‑im Gegenteil‑‑ die rechtliche Zulässigkeit mehrfach durch die zuständige Behörde bestätigt worden. Die Zulässigkeit habe sich zudem aus einem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 30.03.2000 ergeben, wonach die fraglichen Kaufgeschäfte lizenzrechtlich zulässig gewesen seien. Das FG argumentiere widersprüchlich, wenn es einerseits erkenne, dass die Zollverwaltung den Handel und die Nutzung der Lizenzen nicht beanstandet habe, andererseits aber der Kläger subjektiv rechtsmissbräuchlich gehandelt haben solle. Im Übrigen habe den streitgegenständlichen Umsätzen auch eine eigene Geschäftstätigkeit mit angemessenen Rohgewinnen und einem eigenen Geschäftsrisiko zugrunde gelegen. Das Risiko habe sich sowohl abgaben- als auch lebensmittelrechtlich aus der Stellung des Klägers als Einführer sowie aus dem Risiko des Verfalls der Lizenzen ergeben.

  19. Der Nacherhebung der Einfuhrabgaben stehe auch Vertrauensschutz entsprechend Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK entgegen, und zwar in Bezug auf die nach Veröffentlichung des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 am 05.05.2014 getätigten Einfuhren. Nach der Rechtsprechung könne sich ein Wirtschaftsbeteiligter auf die Unkenntnis der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Rechtsvorschriften nicht berufen; dies gelte jedoch nicht für veröffentlichte Urteile. Eine Kenntnisnahme der Veröffentlichungen im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C (Mitteilungen und Bekanntmachungen), könne von dem Kläger nicht in gleicher Weise erwartet werden wie Veröffentlichungen im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe L (Rechtsvorschriften). Eine anderslautende Rechtsprechung entsprechend dem Senatsurteil vom 26.02.2004 - VII R 20/03 (BFHE 205, 366) beziehe sich nur auf das Zolltarif- und Ursprungsrecht und sei auf den Streitfall nicht übertragbar. Zudem sei aus dem im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, veröffentlichten Tenor des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 nicht ersichtlich gewesen, dass der Streitfall unter die Rechtsaussage des EuGH-Urteils falle. Zum einen betreffe das EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 Knoblauch und nicht Champignons, zum anderen nur sogenannte A-Lizenzen, die es für die Einfuhr von Champignonkonserven nicht gebe. Auf der Grundlage der veröffentlichten Informationen hätten dem Kläger nicht einmal Zweifel an der Zulässigkeit seiner Vertragsgestaltungen kommen müssen. Erst ab Frühjahr/Sommer 2015 habe eine (branchen-)öffentliche Diskussion zu der Frage des Rechtsmissbrauchs eingesetzt.

  20. Der Kläger beantragt,

    unter Aufrechterhaltung des erstinstanzlichen Urteils im Übrigen, den Einfuhrabgabenbescheid des HZA vom 06.09.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.05.2017 auch insoweit aufzuheben, als mit diesem Bescheid Einfuhrabgaben für Einfuhren nach dem 05.05.2014 (NEE-Positionen 24 bis 44) erhoben werden.

  21. Das HZA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

  22. Nach seiner Auffassung hat das FG zutreffend entschieden, dass die Einfuhrabgaben für die ab dem 05.05.2014 angemeldeten Einfuhren (NEE-Positionen 24 bis 44) nacherhoben werden können.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das HZA hat mit dem streitgegenständlichen Einfuhrabgabenbescheid vom 06.09.2016 und der ihn bestätigenden Einspruchsentscheidung vom 16.05.2017 gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK zu Recht Zoll für den im Revisionsverfahren verbliebenen Streitzeitraum ab dem 05.05.2014 (NEE-Positionen 24 bis 44) nacherhoben.

  2. 1. Die Nacherhebung des Zolls richtet sich nach Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK, weil die im Streitfall zu beurteilenden Einfuhren zwischen Mai 2014 und Februar 2015 durchgeführt wurden. Art. 220 ZK ist eine Vorschrift des materiellen Zollrechts, die auf vor dem Inkrafttreten des Zollkodex der Union (UZK) durch die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union vom 09.10.2013 (ABlEU 2013, Nr. L 269, 1) zum 01.05.2016 entstandene Sachverhalte weiterhin anwendbar bleibt (Senatsurteile vom 28.02.2023 - VII R 21/20, Rz 25 und vom 19.10.2021 - VII R 27/19, Rz 15, m.w.N.).

  3. Gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK hat, wenn der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist, die buchmäßige Erfassung des zu erhebenden Betrags oder des nachzuerhebenden Restbetrags zu erfolgen.

  4. 2. Die Voraussetzungen der Nacherhebung gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK waren im Streitfall erfüllt. Die Einfuhrabgaben wurden mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst.

  5. Die Einfuhrabgaben für die streitgegenständlichen Champignonkonserven aus China, die in die Codenummer 2003 10 30 00 0 einzureihen waren, bemaßen sich nach dem vertragsmäßigen Zollsatz von 18,4 % zuzüglich 222 €/100 kg Abtropfgewicht. Der ermäßigte Zollsatz von 23 % aufgrund des Art. 1 Abs. 2 VO 1979/2006 war nicht anzuwenden.

  6. a) Eine Anwendung des ermäßigten Zollsatzes von 23 % aufgrund des Art. 1 Abs. 2 VO 1979/2006 folgt nicht bereits aus den Einfuhrlizenzen, welche die BLE als gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. § 3 des Marktorganisationsgesetzes zuständige Behörde erteilt hatte. Bei den Einfuhrlizenzen handelt es sich nicht um Grundlagenbescheide, denen eine Bindungswirkung zukäme in Bezug auf die Frage, ob der Kontingentzollsatz in rechtsmissbräuchlicher Weise in Anspruch genommen wurde, da der BLE das vermeintlich rechtswidrige Verhalten des Klägers bei Erteilung der Einfuhrlizenzen bekannt gewesen ist.

  7. aa) Eine Bindungswirkung ergibt sich insoweit nicht daraus, dass es sich bei den Einfuhrlizenzen um Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) handeln könnte. Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition liegt ein Grundlagenbescheid vor, soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist. Aus § 171 Abs. 10 Satz 2 AO ist abzuleiten, dass ein Grundlagenbescheid auch von einer Stelle erlassen werden kann, die keine Finanzbehörde ist (sogenannter ressortfremder Grundlagenbescheid, vgl. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 171 AO Rz 206).

  8. (1) In der Rechtsprechung ist die Auffassung vertreten worden, dass es sich bei einer von der BLE erteilten Einfuhrlizenz mit einer Regelung zur Zollfreiheit beziehungsweise zum ermäßigten Zollsatz um einen Bescheid handelt, der ‑‑soweit er nicht nichtig ist‑‑ für die Festsetzung der Zollschuld bindend ist; die Einfuhrlizenzen träfen als selbständig anfechtbare und eigener Bestandskraft fähige Verwaltungsakte über bestimmte Besteuerungsgrundlagen im weitesten Sinne Vorentscheidungen und wiesen daher typische Merkmale eines Grundlagenbescheids im Sinne von § 171 Abs. 10 AO auf (Verwaltungsgericht Frankfurt, Urteil vom 23.09.1999 - 1 E 2332/97, Außenwirtschaftliche Praxis 2000, 228).

  9. (2) Ob sich der Senat dieser Rechtsprechung anschließen könnte, kann vorliegend offenbleiben.

  10. Denn eine Bindungswirkung ergibt sich aus einem Grundlagenbescheid beziehungsweise einem vergleichbaren Verwaltungsakt jedenfalls nur insoweit, als er eine Regelung zu einem bestimmten Sachverhalt enthält; wie weit die Bindungswirkung im Einzelfall reicht, hängt von dem Inhalt des Verwaltungsakts ab (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28.07.2021 - IX R 8/19, Rz 38). Sind bestimmte Tatbestandsmerkmale einer Norm von dem Regelungsgehalt des Bescheids nicht umfasst, besteht insoweit keine Bindungswirkung; diese Tatbestandsmerkmale sind von der Behörde zu prüfen, die den nachfolgenden Verwaltungsakt erlässt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22.10.2014 - X R 15/13, BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367, Rz 21 ff.; vom 20.08.2009 - V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15, unter II.3.c bb der Gründe und vom 27.06.1990 - II R 8/88, BFH/NV 1991, 555; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 207a).

  11. (3) Im Streitfall wurde dem Kläger nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) durch die Einfuhrlizenzen der BLE lediglich gestattet, als "traditioneller Einführer" Champignonkonserven der Unterpos. 2003 10 30 KN im Rahmen des nichtpräferenziellen Zollkontingents zum ermäßigten Zollsatz von 23,0 % gemäß Art. 1 Abs. 2 VO 1979/2006 einzuführen.

  12. Zu den Handelstätigkeiten des Klägers enthielten die Einfuhrlizenzen hingegen keine Regelungen. Zu der Frage, ob der Kläger seine späteren Einfuhren tatsächlich unter Beachtung der Vorgaben der Einfuhrlizenzen und des Unionsrechts ‑‑hier unter Beachtung des Verbots eines Rechtsmissbrauchs‑‑ durchgeführt hat, verhalten sich die Einfuhrlizenzen nicht. Sie enthalten keine Aussage dazu, ob es den Grundsätzen des Unionsrechts entspricht, wenn ein Einführer, der Inhaber von Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ist, die konkreten Waren von einer verbundenen Gesellschaft, die selbst über gleichartige Lizenzen verfügt, aber ihre Lizenzen durch eigene Einfuhren ausgeschöpft hat, ankauft und die Waren nach der Einfuhr wieder an dieselbe Gesellschaft zurückverkauft. Selbst wenn der BLE diese Handelspraxis bei Erteilung der Einfuhrlizenzen bekannt gewesen sein sollte, worauf der Kläger hinweist, kommt den Lizenzen ‑‑mangels diesbezüglicher Regelung‑‑ insofern keine Bindungswirkung zu. Die Bindungswirkung bezieht sich nach der zitierten Rechtsprechung lediglich auf die Regelungen im Verwaltungsakt, nicht auf die Kenntnis der Behörde bei Erlass des Verwaltungsakts (vgl. im Ergebnis auch FG München, Urteil vom 25.10.2018 - 14 K 3071/16, ZfZ 2019, 240, Rz 28 ff.).

  13. bb) Eine Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus der jüngeren Rechtsprechung des Senats zu Verboten und Beschränkungen im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Zollverwaltungsgesetzes. Hiernach sind die Zolldienststellen an die Entscheidung einer zuständigen Fachbehörde für die Beurteilung von Verboten und Beschränkungen gebunden, sofern diese Entscheidung nicht offensichtlich rechtswidrig ist (Senatsurteile vom 17.05.2022 - VII R 4/19, BFHE 278, 281, Rz 23 und vom 15.10.2024 - VII R 20/22, Rz 27).

  14. Im Streitfall geht es jedoch nicht um Verbote und Beschränkungen bei der Einfuhr, sondern ‑‑umgekehrt‑‑ um Lizenzen und damit Erlaubnisse zur Einfuhr bestimmter Waren zum ermäßigten Zollsatz. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass im ersten Fall die zuständige Fachbehörde das Vorliegen von Verboten und Beschränkungen abschließend beurteilt, sodass für die Zolldienststelle im Wesentlichen keine eigene Beurteilungskompetenz verbleibt. Im vorliegenden Fall hängt die Einfuhr bestimmter Waren zum ermäßigten Zollsatz hingegen auch von Tatbestandsmerkmalen ab, die bei Erteilung der Einfuhrlizenzen nicht beurteilt worden sind. Insofern verbleibt dem HZA eine eigene Beurteilungskompetenz.

  15. b) Die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Zollsatzes von 23 % nach Art. 1 Abs. 2 VO 1979/2006 lagen nicht vor, da der Kläger diese in rechtsmissbräuchlicher Weise herbeigeführt hat.

  16. aa) Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1979/2006 werden für die Einfuhr von Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus spp. unter anderem unter der Unterpos. 2003 10 30 KN ("Pilzkonserven") in die Gemeinschaft Zollkontingente eröffnet, die den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen unterliegen. Der anzuwendende Zollsatz beträgt gemäß Art. 1 Abs. 2 VO 1979/2006 23 % für die Erzeugnisse der Unterpos. 2003 10 30 KN. Dabei finden gemäß Art. 2 VO 1979/2006 vorbehaltlich anderslautender Bestimmungen dieser Verordnung die Verordnung (EG) Nr. 1291/2000 der Kommission vom 09.06.2000 mit gemeinsamen Durchführungsvorschriften für Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen sowie Vorausfestsetzungsbescheinigungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2000, Nr. L 152, 1) ‑‑VO 1291/2000‑‑ und die Verordnung (EG) Nr. 1301/2006 der Kommission vom 31.08.2006 mit gemeinsamen Regeln für die Verwaltung von Einfuhrzollkontingenten für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Rahmen einer Einfuhrlizenzregelung (ABlEU 2006, Nr. L 238, 13) ‑‑VO 1301/2006‑‑ Anwendung.

  17. Nach Art. 4 Abs. 1 VO 1979/2006 sind abweichend von Art. 5 VO 1301/2006 "traditionelle Einführer" Einführer, die nachweisen können, dass sie (a) in mindestens zwei der drei vorangegangenen Kalenderjahre Pilzkonserven in die Gemeinschaft eingeführt haben und (b) im Jahr vor der Antragstellung mindestens 100 Tonnen Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse in die Gemeinschaft eingeführt haben. Einfuhrlizenzen sind gemäß Art. 5 Abs. 1 VO 1979/2006 ab dem Tag ihrer tatsächlichen Erteilung gültig. Gemäß Art. 5 Abs. 2 VO 1979/2006 ist eine Sicherheit in Höhe von 40 €/t (Abtropfgewicht) zu stellen. Nach Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006 sind abweichend von Art. 9 Abs. 1 VO 1291/2000 die sich aus den Einfuhrlizenzen ergebenden Rechte nicht übertragbar.

  18. bb) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt. Die Anwendung des Unionsrechts kann nicht so weit gehen, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden, das heißt, Umsätze, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich aus dem Unionsrecht Vorteile zu ziehen (EuGH-Urteile Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 32; SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 29 f. und Halifax u.a. vom 21.02.2006 - C-255/02, EU:C:2006:121, Rz 68 f., m.w.N.).

  19. (1) Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis zum einen insofern ein objektives Element voraus, als sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben muss, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde (EuGH-Urteile Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 33; Cimmino u.a. vom 09.07.2015 - C-607/13, EU:C:2015:448, Rz 61 und SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 32). Zum anderen setzt eine solche Feststellung ein subjektives Element in dem Sinne voraus, dass aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein muss, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen bezweckt wird, einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu erlangen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Denn das Missbrauchsverbot ist nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines Vorteils (EuGH-Urteile Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 34 und SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 33). Diese ständige Rechtsprechung ist nicht nur im Bereich der Einfuhrabgaben, sondern auch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer anerkannt (vgl. EuGH-Urteile UPCAFFE vom 04.10.2024 - C-171/23, EU:C:2024:840,Rz 23 und Halifax u.a. vom 21.02.2006 - C-255/02, EU:C:2006:121, Rz 74 f.).

  20. Die Prüfung des Vorliegens einer missbräuchlichen Praxis verlangt, dass das nationale Gericht alle relevanten Tatsachen und Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, und zwar einschließlich der der betreffenden Einfuhr vorangehenden und nachfolgenden Handelstätigkeiten (EuGH-Urteile Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 35; Cimmino u.a. vom 09.07.2015 - C-607/13, EU:C:2015:448, Rz 60 und SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 34).

  21. (2) Der EuGH hat bereits mehrfach darüber befunden, ob ein System des Ankaufs und Verkaufs zwischen Unternehmern auf dem Obst- und Gemüsemarkt eine missbräuchliche Praxis in Bezug auf Zollkontingente darstellen kann.

  22. (a) In der Rechtssache SICES hat der EuGH erkannt, dass eine missbräuchliche Praxis grundsätzlich nicht vorliegt, wenn ein Einführer, der Inhaber von Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ist, eine Ware außerhalb der Union von einem Wirtschaftsteilnehmer kauft, der selbst traditioneller Einführer ist, aber seine eigenen Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ausgeschöpft hat, und die Ware dann, nachdem er sie in die Union eingeführt hat, wieder an diesen Wirtschaftsteilnehmer verkauft. Solche Handelstätigkeiten stellen nach dieser EuGH-Entscheidung jedoch einen Rechtsmissbrauch dar, wenn sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel geschaffen wurden, in den Genuss des Vorzugstarifs zu gelangen (EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 40, zum Präferenzzoll für eingeführten Knoblauch).

  23. (b) Weiterhin hat der EuGH in der Rechtssache Cimmino erklärt, das Ziel einer Unionsregelung könne nicht erreicht werden, wenn aufeinanderfolgende Transaktionen des Ankaufs, der Einfuhr und der Rückveräußerung zwar individuell betrachtet rechtsgültig seien, aber de facto einer verbotenen Übertragung von Einfuhrlizenzen oder Rechten aus solchen Lizenzen durch einen neuen Marktbeteiligten an einen traditionellen Marktbeteiligten gleichkämen und es diesem ermöglichten, seinen Einfluss über den ihm für die Einfuhr in die Union zum Vorzugstarif vorbehaltenen Teil der Kontingente hinaus auszudehnen (EuGH-Urteil Cimmino u.a. vom 09.07.2015 - C-607/13, EU:C:2015:448, Rz 63, zur Einfuhr von Bananen). Was aber das Motiv für diese Transaktionen betreffe, müsse zum Nachweis einer missbräuchlichen Praxis ebenfalls dargetan werden, dass diese Tätigkeiten es dem betreffenden traditionellen Marktbeteiligten im Wesentlichen ermöglichen sollten, seine eigenen Waren im Rahmen des den neuen Marktbeteiligten vorbehaltenen Teils der Zollkontingente zum Vorzugstarif einzuführen. Ob die fraglichen Transaktionen künstlich seien, könne anhand verschiedener Anzeichen beurteilt werden, insbesondere etwa anhand der Rolle des Ankäufers als bloßem Strohmann, des Tragens eines Geschäftsrisikos und der Gewinnspanne angesichts der Verkaufs- und Weiterverkaufspreise (EuGH-Urteil Cimmino u.a. vom 09.07.2015 - C-607/13, EU:C:2015:448, Rz 64 und 66 f.).

  24. (c) In der Rechtssache Cervati und Malvi hat der EuGH entschieden, ein System des Verkaufs und Wiederverkaufs der Ware dürfe weder einen ungehörigen Einfluss eines Unternehmers auf den Markt, insbesondere eine Umgehung des Verbots der Überschreitung von Referenzmengen durch traditionelle Einführer, noch einen Verstoß gegen das Ziel, wonach die Beantragung von Lizenzen einer tatsächlichen Handelstätigkeit entsprechen müsse, nach sich ziehen (EuGH-Urteil Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 43, zum Präferenzzoll für eingeführten Knoblauch). Hierzu sei es erforderlich, dass jede Transaktion innerhalb dieses Systems zu einem Preis erfolge, der dem Marktpreis entspreche, und die Einfuhr zum ermäßigten Zollsatz aufgrund von rechtmäßig erlangten Lizenzen und durch den Inhaber dieser Lizenzen erfolge. Im Einzelnen habe das vorlegende Gericht zu überprüfen, ob jeder beteiligte Unternehmer für die Einfuhr, den Verkauf oder den Wiederverkauf der fraglichen Ware eine angemessene Gegenleistung erhalte, die es ihm ermögliche, die ihm im Rahmen der Verwaltung des Kontingents zugeteilte Position beizubehalten (EuGH-Urteil Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 43).

  25. (3) Auch im Schrifttum wird im Zusammenhang mit dem Verbot der Genehmigungsübertragung nach Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 717/2008 des Rates vom 17.07.2008 zur Festlegung eines Verfahrens der gemeinschaftlichen Verwaltung mengenmäßiger Kontingente (ABlEU 2008, Nr. L 198, 1) ‑‑KontingentsVO‑‑ vertreten, dass ein System des Verkaufs und Wiederverkaufs von Waren zwischen zwei Einführern zwar nicht formell rechtsmissbräuchlich sei, solange der Einführer der Waren und der Genehmigungsinhaber identisch seien und die festgelegten Höchstmengen eingehalten würden, dass dieses aber nicht das tatsächliche (und wirtschaftliche) Importgeschäft widerspiegele. Bei einem mit dem Genehmigungsinhaber von vornherein vereinbarten Verkauf und Rückkauf sei der eigentliche Geschäftsherr derjenige, der die Waren im Ausland bestelle und nach dem Rückkauf im Inland weiterverkaufe (Lux in Dorsch, Zollrecht, Art. 18 KontingentsVO Rz 3).

  26. cc) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger im Streitfall die Anwendung des ermäßigten Zollsatzes nach Art. 1 Abs. 2 VO 1979/2006 in rechtsmissbräuchlicher Weise herbeigeführt.

  27. (1) Das objektive Element der missbräuchlichen Praxis war erfüllt.

  28. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat der Kläger, vertreten durch die GmbH, im Streitzeitraum ab 05.05.2014 Champignonkonserven aus China zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet und hierfür als traditioneller Einführer im Sinne von Art. 4 Abs. 1 VO 1979/2006 Einfuhrlizenzen der BLE genutzt. Weiter hat das FG festgestellt, dass die GmbH, die über eine Generalvollmacht verfügte, vor der Einfuhr die Waren jeweils in China angekauft, unverzollt an den Kläger verkauft und im Anschluss an die Einfuhr vom Kläger zurückgekauft hat, wobei die Begleichung der Rechnungen im Wesentlichen durch Verrechnung zuzüglich Zahlung des dem Kläger gebührenden Überschusses erfolgt ist. Hierdurch hat die GmbH nach den Feststellungen des FG Champignonkonserven im Umfang von … kg zum Kontingentzollsatz eingeführt, die sie zum weit überwiegenden Teil nicht durch eigene Lizenzen hätte abdecken können. Außerdem verfügte der Kläger nach den weiteren Feststellungen des FG über keine weiteren Abnehmer und weder über Lager- und Logistikkapazitäten noch über Personal für die Verwaltung der Lizenzen und die Vermarktung der Produkte. Diese Umstände hat das FG dahingehend gewürdigt, dass der einzige beachtliche Zweck der Zwischenschaltung des Klägers in der Vermittlung des Zollvorteils an die GmbH bestand.

  29. Zwar ist es nach den vom FG festgestellten Tatsachen weder zu einem Überschreiten der dem Kläger erteilten Einfuhrlizenzen noch zu einem formalen Verstoß gegen das Übertragungsverbot nach Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006 gekommen. Jedoch hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das objektive Element der missbräuchlichen Praxis als erfüllt angesehen, weil die Nutzung der Einfuhrlizenzen gegen die Ziele der VO 1979/2006 verstoße. Die aufeinanderfolgenden Transaktionen des Ankaufs, der Einfuhr und der Rückveräußerung der Champignonkonserven kamen de facto einer gemäß Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006 verbotenen Übertragung der Einfuhrlizenzen durch den Kläger an die GmbH gleich.

  30. Denn nach Erwägungsgrund 10 VO 1979/2006 sollen die Einschränkungen, denen die Lizenzanträge für die Einfuhr von Pilzkonserven aus Drittländern unterliegen, nicht nur sicherstellen, dass der Wettbewerb zwischen den Einführern gewahrt wird, sondern auch, dass jeder Einführer, der eine wirkliche Handelstätigkeit auf dem Markt für Obst und Gemüse ausübt, die Möglichkeit hat, seine legitime Marktstellung gegenüber anderen Einführern zu verteidigen, und dass kein einzelner Einführer in die Lage versetzt wird, den Markt zu beherrschen. Diese Ziele werden durch den Ankauf, die Einfuhr und die Rückveräußerung im Streitfall nicht erreicht, da zum einen durch das im Voraus vereinbarte An- und Verkaufssystem der Wettbewerb zwischen der GmbH und dem Kläger als Einführer nicht gewahrt wurde und zum anderen der Kläger keine wirkliche Handelstätigkeit ausüben und seine Marktstellung nicht verteidigen konnte. Zudem erlangte die GmbH durch diese Geschäfte einen größeren Marktanteil, als ihr von den Lizenzen her zugedacht war, was sich auf den Wettbewerb insgesamt auswirkt. Wirtschaftlich handelte es sich um eine nach Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006 verbotene Übertragung der Einfuhrlizenzen, da lediglich die GmbH die dem Kläger erteilten Einfuhrlizenzen nutzte. Diese Sichtweise stimmt mit der bereits zitierten EuGH-Rechtsprechung überein (EuGH-Urteile SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 36 und Cimmino u.a. vom 09.07.2015 - C-607/13, EU:C:2015:448, Rz 63).

  31. (2) Darüber hinaus lag das subjektive Element der missbräuchlichen Praxis vor.

  32. Das FG ist im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung und -würdigung zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe die Absicht gehabt, der GmbH einen nach der VO 1979/2006 nicht gerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, da die Transaktionen jeglicher wirtschaftlicher oder kommerzieller Rechtfertigung entbehrt hätten. An diese Würdigung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.

  33. (a) Der BFH ist nach § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich nicht zu eigenen tatsächlichen Feststellungen befugt. Die Sachverhaltswürdigung ist dem Tatrichter vorbehalten und einer Korrektur im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zugänglich. Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts ist für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Würdigung beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden (Senatsurteile vom 28.02.2023 - VII R 21/20, Rz 32 und vom 23.02.2010 - VII R 36/09, Rz 12, m.w.N.).

  34. (b) Die Feststellungen und Würdigungen des FG entsprechen diesen Grundsätzen. Das FG hat festgestellt, dass der Kläger keinen bedeutenden Gewinn aus den betroffenen Verkäufen gezogen und kein Geschäftsrisiko getragen hat. Für den künstlichen Charakter der Transaktionen sprach aus Sicht des FG, dass der Kläger aufgrund der zeitlichen Abfolge der Vertragsabschlüsse weder das Beschaffungs- noch das Absatzrisiko für die eingeführten Waren trug. Dabei berücksichtigte das FG auch die Kooperationsvereinbarungen und die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit zwischen dem Kläger und der GmbH. Nach den Feststellungen des FG übernahm die GmbH zudem für den Kläger aufgrund der ihr erteilten Generalvollmacht alle für die Beantragung der Lizenzen sowie die für die Abwicklung der An- und Verkäufe des Klägers erforderlichen Verwaltungstätigkeiten und kümmerte sich um Lagerung und Logistik. Die GmbH stellte auch die Kautionen für die Lizenzen und verauslagte den Zoll. Im Innenverhältnis übernahm die GmbH jegliches Risiko aus der Abwicklung der Geschäfte. Außerdem hatte der Kläger keine anderen Abnehmer als die GmbH.

  35. An die Feststellungen des FG hinsichtlich des Gewinns, des Geschäftsrisikos, der Kooperationsvereinbarungen, der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit, der verwendeten Vollmacht, der Lagerung und Logistik, der übernommenen Kautionen und des verauslagten Zolls sowie des Abnehmerkreises ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da es sich hierbei um tatsächliche Feststellungen handelt, bei denen keine Widersprüchlichkeiten erkennbar sind. Auch an die Sachverhaltswürdigung des FG, wonach die Transaktionen dazu dienten, der GmbH einen nach der VO 1979/2006 nicht gerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, da sie jeglicher wirtschaftlicher oder kommerzieller Rechtfertigung entbehrten, ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Diese Würdigung ist möglich, verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze.

  36. (c) Aus seiner Tatsachenfeststellung und -würdigung hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geschlossen, dass der Kläger subjektiv rechtsmissbräuchlich gehandelt hat. Dabei hat das FG die Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH beachtet, wonach aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein muss, dass bezweckt wird, einen ungerechtfertigten Vorteil zu erlangen. Ebenfalls hat das FG die EuGH-Rechtsprechung berücksichtigt, nach der ein System von An- und Verkäufen ‑‑wie im Streitfall‑‑ grundsätzlich keine missbräuchliche Praxis darstellen muss, jedoch dann zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs führt, wenn sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel geschaffen werden, in den Genuss des Vorzugstarifs zu gelangen (EuGH-Urteile SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145, Rz 40 und Cimmino u.a. vom 09.07.2015 - C-607/13, EU:C:2015:448, Rz 64 ff.). Zudem hat das FG untersucht, ob ein Bedürfnis für das Aushandeln einer marktüblichen Gegenleistung bestand (vgl. EuGH-Urteil Cervati und Malvi vom 14.04.2016 - C-131/14, EU:C:2016:255, Rz 43), und dies angesichts eines fehlenden Interessengegensatzes zwischen Kläger und GmbH, eines fehlenden eigenen Geschäftsbetriebs und eines fehlenden Geschäftsinteresses des Klägers verneint. Dabei hat das FG alle relevanten Tatsachen und Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.

  37. (3) Dagegen kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, das für einen Rechtsmissbrauch erforderliche subjektive Element liege nicht vor, weil er nicht von der mangelnden Rechtfertigung seines Handelns gewusst habe, da ihm die rechtliche Zulässigkeit mehrfach durch die zuständige Behörde bestätigt worden sei und sich die Zulässigkeit zudem aus dem BMF-Erlass vom 30.03.2000 ergeben habe. Denn das subjektive Element ist nicht aus einer ‑‑hier gegebenenfalls mangelnden‑‑ Kenntnis des Klägers abzuleiten, sondern aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte, aus denen ersichtlich ist, dass ein ungerechtfertigter Vorteil bezweckt wird. Diese objektiven Anhaltspunkte, die das FG festgestellt hat, lagen tatsächlich vor. Insofern ist die Argumentation des FG ‑‑entgegen der Auffassung des Klägers‑‑ auch nicht widersprüchlich.

  38. c) Dementsprechend bemessen sich die Einfuhrabgaben für die streitgegenständlichen Champignonkonserven, die in die Unterpos. 2003 10 30 KN einzureihen sind, nach dem Drittlandszollsatz von 18,4 % zuzüglich 222 €/100 kg Abtropfgewicht entsprechend der Kombinierten Nomenklatur in der im jeweiligen Jahr der Einfuhr geltenden Fassung.

  39. 3. Eine Nacherhebung gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK für den verbliebenen Streitzeitraum ab dem 05.05.2014 (NEE-Positionen 24 bis 44) hatte nicht aufgrund der Vertrauensschutzregelung nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK zu unterbleiben.

  40. a) Gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK erfolgt außer in den Fällen gemäß Art. 217 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 ZK keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat.

  41. b) Der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag ist im Streitfall aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden im Sinne von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK nicht buchmäßig erfasst worden.

  42. aa) Die Rechtsprechung des EuGH fordert insofern einen "aktiven" Irrtum, also einen solchen, der auf ein Handeln der zuständigen Behörden zurückzuführen ist (EuGH-Urteil Veloserviss vom 16.03.2017 - C-47/16, EU:C:2017:220, Rz 28, m.w.N.; ebenso Senatsurteil vom 19.10.2021 - VII R 27/19, Rz 17). Ein Irrtum, dem die Zollbehörde im Zeitpunkt der Abgabenerhebung wegen unzutreffender oder unvollständiger Angaben des Abgabenschuldners unterlag ‑‑etwa wegen bloßer Übernahme der Zollanmeldung‑‑ genügt hingegen nicht (Senatsurteile vom 28.02.2023 - VII R 21/20, Rz 43; vom 19.10.2021 - VII R 27/19, Rz 17 und vom 07.06.2011 - VII R 36/10, BFHE 234, 77, Rz 9). Der Senat hat einen aktiven Irrtum unter anderem dann angenommen, wenn die Zollbehörde dem Kläger eine unrichtige Auskunft erteilt (Senatsurteil vom 20.07.1999 - VII R 83/98, BFH/NV 2000, 247, unter II.2.d der Gründe; ebenso Deimel in HHSp, Art. 220 ZK Rz 86) oder in einer früheren Außenprüfung eine Verhaltensweise nicht beanstandet hat (Senatsurteil vom 07.06.2011 - VII R 36/10, BFHE 234, 77, Rz 10, unter Verweis auf EuGH-Urteil Sommer vom 19.10.2000 - C-15/99, EU:C:2000:574; ebenso FG München, Urteil vom 25.10.2018 - 14 K 3071/16, ZfZ 2019, 240, Rz 54).

  43. bb) Im Streitfall lässt sich zwar den Feststellungen des FG nicht entnehmen, ob das HZA die Zollanmeldungen des Klägers im Einzelnen geprüft hat. Gleichwohl liegt ein Irrtum des HZA vor, weil es nach den bindenden Feststellungen des FG für frühere Zeiträume, nämlich für September 2007 bis Juni 2010 und Juli 2010 bis Juli 2012, Zollprüfungen durchgeführt und die in diesen Zeiträumen gleiche Geschäftspraxis des Klägers ausdrücklich nicht beanstandet, sondern geduldet hatte. Zudem hatte das HZA nach den Feststellungen des FG in den vorangegangenen Außenprüfungen erklärt, die Geschäftspraxis des Klägers sei der BLE bekannt gewesen und die Bundesstelle Zollwert habe in einer früheren Stellungnahme den Handel und die Nutzung der Lizenzen nicht beanstandet. Demnach liegt im Sinne der zitierten Rechtsprechung aufgrund der früheren Außenprüfungen ein aktives Handeln der zuständigen Behörde vor, auf welches die spätere unbeanstandete Annahme der Zollanmeldungen zurückzuführen ist.

  44. c) Der Irrtum konnte vom Kläger für den verbliebenen Streitzeitraum ab dem 05.05.2014 aber vernünftigerweise erkannt werden im Sinne von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK.

  45. aa) Die Erkennbarkeit des Irrtums der Zollbehörden ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats unter Berücksichtigung seiner Art, das heißt, unter Berücksichtigung der Komplexität der betreffenden Regelung, sowie der Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen (Senatsurteile vom 19.10.2021 - VII R 27/19, Rz 19 und vom 26.02.2004 - VII R 20/03, BFHE 205, 366, unter II.1.a der Gründe). Dabei entspricht es ebenfalls ständiger EuGH- sowie Senatsrechtsprechung, dass sich ein Wirtschaftsbeteiligter nicht auf die Unkenntnis der im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsvorschriften berufen kann (EuGH-Urteile Binder/Hauptzollamt Bad Reichenhall vom 12.07.1989 - C-161/88, EU:C:1989:312, Rz 19 und Covita/Elliniko Dimosio vom 26.11.1998 - C-370/96, EU:C:1998:567, Rz 26; EuGH-Beschluss William Hinton & Sons vom 11.10.2001 - C-30/00, EU:C:2001:536, Rz 71; Senatsurteile vom 19.10.2021 - VII R 27/19, Rz 19 und vom 19.06.2013 - VII R 31/12, Rz 13; Senatsbeschluss vom 23.03.2000 - VII B 299/99, BFH/NV 2000, 1261).

  46. (1) Ein Einführer ist nach der Rechtsprechung des Senats auch gehalten, die im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, veröffentlichten Bekanntmachungen zur Kenntnis zu nehmen (Senatsurteil vom 26.02.2004 - VII R 20/03, BFHE 205, 366, unter II.1.a der Gründe; ebenso Deimel in HHSp, Art. 119 UZK Rz 41; Deimel in HHSp, Art. 220 ZK Rz 95; Witte/Alexander, Zollkodex der Union, 8. Aufl., Art. 119 Rz 23; Witte/Alexander, Zollkodex, 6. Aufl., Art. 220 Rz 31). Dies betrifft auch einen im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, veröffentlichten Tenor eines Urteils des EuGH (Senatsurteil vom 26.02.2004 - VII R 20/03, BFHE 205, 366, unter II.1.b der Gründe; Deimel in HHSp, Art. 119 UZK Rz 41). Ebenso erkennt der EuGH eine Pflicht an, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer bei Import- und Exportgeschäften anhand der einschlägigen Amtsblätter Gewissheit über das auf diese Geschäfte anwendbare Gemeinschaftsrecht zu verschaffen hat (EuGH-Urteil Behn Verpackungsbedarf/Hauptzollamt Itzehoe vom 28.06.1990 - C-80/89, EU:C:1990:269, Rz 14).

  47. Diese Informationspflichten beziehen sich ‑‑entgegen der Auffassung des Klägers‑‑ nicht nur auf das Zolltarif- und Ursprungsrecht. Eine derartige Einschränkung ist der zitierten Rechtsprechung nicht zu entnehmen.

  48. (2) Kann der Zollschuldner anhand der Rechtsvorschriften der Union erkennen, dass die Zollbehörde die Einfuhrabgaben irrtümlich in nicht zutreffender Höhe erhoben hat, kommt eine weitere Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der vom Zollschuldner aufgewandten Sorgfalt und ein daraus gegebenenfalls herzuleitendes Überwiegen des Vertrauensschutzes nach der Rechtsprechung des Senats nicht in Betracht. Denn der vom EuGH stets hervorgehobene Grundsatz, demzufolge die uniotären Rechtsvorschriften ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt das einzige positive Recht in der Union sind, welches nicht zu kennen niemand für sich geltend machen kann (EuGH-Urteile Binder/Hauptzollamt Bad Reichenhall vom 12.07.1989 - C-161/88, EU:C:1989:312, Rz 19 und Covita/Elliniko Dimosio vom 26.11.1998 - C-370/96, EU:C:1998:567, Rz 26; EuGH-Beschluss William Hinton & Sons vom 11.10.2001 - C-30/00, EU:C:2001:536, Rz 71), ist vom EuGH in jenen Entscheidungen nicht durch weitere Voraussetzungen eingeschränkt worden (Senatsurteil vom 19.06.2013 - VII R 31/12, Rz 13 und 14). Die Informationspflicht besteht daher unabhängig von dem Maß an Erfahrung, über das der Einführer verfügt; sie trifft jeden, der Waren zur Einfuhr aus einem Drittland anmeldet (Senatsurteile vom 26.02.2004 - VII R 20/03, BFHE 205, 366, unter II.1.a der Gründe; vom 09.05.2000 - VII R 61/98, BFH/NV 2000, 1508, unter II.2.d cc der Gründe und vom 23.03.1999 - VII R 16/98, BFHE 188, 164, unter II.1. der Gründe; Deimel in HHSp, Art. 119 UZK Rz 41; Deimel in HHSp, Art. 220 ZK Rz 95). Insbesondere für einen erfahrenen Wirtschaftsteilnehmer (wie den Kläger) war es zumutbar, sich diesbezüglich auf dem Laufenden zu halten.

  49. Anderes kann nur gelten, wenn auch die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Rechtsvorschriften den Irrtum nicht deutlich werden lassen, diese also selbst unklar sind und zu Zweifeln Anlass geben. In einem solchen Fall können für die Frage der Erkennbarkeit des behördlichen Irrtums wiederum die Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und seine Sorgfalt sowie seine Bemühungen, sich über die Rechtslage Klarheit zu verschaffen, von Bedeutung sein (Senatsurteil vom 19.06.2013 - VII R 31/12, Rz 15). Grundsätzlich muss sich der Wirtschaftsteilnehmer aber bei Zweifeln an der Auslegung der Rechtsvorschriften weitestmöglich Aufschluss darüber verschaffen, wie sie zu verstehen sind (vgl. EuGH-Urteil Hewlett Packard/Directeur général des douanes vom 01.04.1993 - C-250/91, EU:C:1993:134, Rz 24; Senatsbeschluss vom 23.03.2000 - VII B 299/99, BFH/NV 2000, 1261).

  50. bb) Nach diesen Maßstäben war der Irrtum für den Kläger seit dem 05.05.2014 erkennbar. An diesem Tag wurde im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, der Leitsatz des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 veröffentlicht.

  51. (1) Der im Amtsblatt der Europäischen Union (ABlEU 2014, Nr. C 135, 16) veröffentlichte Leitsatz lautete: "Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 341/2007 der Kommission vom 29. März 2007 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten sowie zur Einführung einer Einfuhrlizenz- und Ursprungsbescheinigungsregelung für aus Drittländern eingeführten Knoblauch und bestimmte andere landwirtschaftliche Erzeugnisse ist in dem Sinne auszulegen, dass er grundsätzlich keinen Handelstätigkeiten entgegensteht, durch die ein Einführer, der Inhaber von Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ist, eine Ware außerhalb der Union von einem Wirtschaftsteilnehmer kauft, der selbst traditioneller Einführer im Sinne des Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung ist, aber seine eigenen Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ausgeschöpft hat, und die Ware dann, nachdem er sie in die Union eingeführt hat, wieder an diesen Wirtschaftsteilnehmer verkauft. Solche Handelstätigkeiten stellen jedoch einen Rechtsmissbrauch dar, wenn sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel geschaffen wurden, in den Genuss des Vorzugstarifs zu gelangen. Die Prüfung des Vorliegens einer missbräuchlichen Praxis verlangt, dass das vorlegende Gericht alle relevanten Tatsachen und Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, und zwar einschließlich der betreffenden Einfuhr vorangehender und nachfolgender Handelstätigkeiten."

  52. (2) Dieser im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte Tenor war nicht unklar und gab nicht zu Zweifeln Anlass. Vielmehr war zu erkennen, dass die Handelstätigkeiten eines Einführers von Obst und Gemüse mit Einfuhrlizenzen, der eine Ware außerhalb der Union von einem Wirtschaftsteilnehmer kauft, der selbst traditioneller Einführer ist, aber seine eigenen Lizenzen zur zollbegünstigten Einfuhr ausgeschöpft hat, und die Ware dann nach der Einfuhr in die Union wieder an diesen Wirtschaftsteilnehmer verkauft, im Einzelfall einen Rechtsmissbrauch darstellen können. Der Wirtschaftsteilnehmer kann dann nicht in den Genuss eines ermäßigten Zollsatzes kommen.

  53. (a) Ein Anlass zu Zweifeln, dass das EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 für die Handelstätigkeiten des Klägers von maßgeblicher Bedeutung war, ergab sich nicht daraus, dass das Urteil zu der Verordnung (EG) Nr. 341/2007 der Kommission vom 29.03.2007 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten sowie zur Einführung einer Einfuhrlizenz- und Ursprungsbescheinigungsregelung für aus Drittländern eingeführten Knoblauch und bestimmte andere landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABlEU 2007, Nr. L 90, 2) ‑‑VO 341/2007‑‑ ergangen war, welche Zollkontingente sowie Einfuhrlizenz- und Ursprungsbescheinigungen unter anderem für aus Drittländern eingeführten Knoblauch betraf und hierbei mehrere Arten von Lizenzen ("A-Lizenzen" und "B-Lizenzen" gemäß Art. 5 VO 341/2007) vorsah, während die im Streitfall einschlägige VO 1979/2006 demgegenüber Zollkontingente für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven betrifft und einheitliche Lizenzen vorsieht (Art. 5 Abs. 1 VO 1979/2006).

  54. Denn das EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 bezieht sich nach seinem Leitsatz auf Art. 6 Abs. 4 VO 341/2007. Nach dieser Vorschrift sind abweichend von Art 9 Abs. 1 VO 1291/2000 die Rechte, die sich aus A-Lizenzen ergeben, nicht übertragbar. Dieselbe Regelung enthält auch der im Streitfall einschlägige Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006. Damit wird deutlich, dass es um ein Lizenzübertragungsverbot geht, welches für Handelstätigkeiten im Anwendungsbereich beider Verordnungen (VO 341/2007 und VO 1979/2006) gleichermaßen bedeutsam ist. Der Kläger kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, der Tenor des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 betreffe lediglich Knoblauch, und nicht Champignons, und habe sich auf eine andere Art von Lizenzen bezogen. Denn die Kernaussage dieses EuGH-Urteils ist ersichtlich nicht auf eine bestimmte Gemüsegattung (Knoblauch) oder auf eine einzelne Lizenzart beschränkt, sondern betrifft erkennbar über die einzelne Gemüsegattung hinaus allgemein die Bedeutung eines Lizenzübertragungsverbots. Dieses Verbot besteht auch im Streitfall nach Art. 5 Abs. 4 VO 1979/2006.

  55. (b) Ein Anlass zu Zweifeln ergab sich auch nicht daraus, dass nach Satz 1 des Leitsatzes des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 ein Lizenzübertragungsverbot den beschriebenen Handelstätigkeiten grundsätzlich nicht entgegensteht, diese Handelstätigkeiten also unionsrechtlich grundsätzlich zulässig sind. Zwar werden erst in Satz 2 des Leitsatzes die Voraussetzungen beschrieben, unter denen solche Handelstätigkeiten einen Rechtsmissbrauch darstellen können.

  56. Hierdurch wird jedoch lediglich der allgemeine Grundsatz konkretisiert, dass das Unionsrecht normgetreu anzuwenden ist, mithin auch Verträge grundsätzlich abgabenrechtlich anzuerkennen sind, und lediglich eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist und in diesem Fall die im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteile zu versagen sind (vgl. EuGH-Urteil Halifax u.a. vom 21.02.2006 - C-255/02, EU:C:2006:121, Rz 68 f., m.w.N.). Der Aufbau der Leitsätze des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 entspricht insoweit der ständigen Rechtsprechung des EuGH.

  57. (c) Soweit nach Satz 3 des Leitsatzes des EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 auch die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, war der Kläger nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH und des Senats verpflichtet, sich über die Besonderheiten seines Einzelfalls Aufschluss zu verschaffen (Senatsbeschluss vom 23.03.2000 - VII B 299/99, BFH/NV 2000, 1261). Auch insoweit bestand kein Anlass zu Zweifeln, dass das EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 für die Handelstätigkeiten des Klägers von maßgeblicher Bedeutung war.

  58. (3) Nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats musste der Kläger ‑‑entgegen seiner Auffassung‑‑ das im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, veröffentlichte EuGH-Urteil SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 ebenso zur Kenntnis nehmen wie die im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe L, veröffentlichten Rechtsvorschriften. Das im Amtsblatt veröffentlichte Recht gilt mit dem Tag der Veröffentlichung als bekannt (EuGH-Urteil Covita/Elliniko Dimosio vom 26.11.1998 - C-370/96, EU:C:1998:567, Rz 27). Die im Revisionsverfahren noch streitigen Beträge beruhen auf Zollanmeldungen nach diesem Veröffentlichungsdatum (05.05.2014).

  59. Auf die Aussagen in den früheren Zollprüfungen, nach denen die streitige Geschäftspraxis nicht zu beanstanden war und denen eine irrtümliche Auffassung über die Rechtsmissbräuchlichkeit zugrunde lag, konnte sich der Kläger daher nur bis zur Veröffentlichung des anderslautenden EuGH-Urteils SICES u.a. vom 13.03.2014 - C-155/13, EU:C:2014:145 berufen (vgl. dazu EuGH-Urteil Belovo vom 16.07.1992 - C-187/91, EU:C:1992:333, Rz 18).

  60. (4) Auf eine wertende Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der vom Zollschuldner aufgewandten Sorgfalt kommt es ‑‑wie beschrieben‑‑ nicht an (Senatsurteil vom 19.06.2013 - VII R 31/12, Rz 13; anderer Auffassung: FG Hamburg, Urteil vom 19.11.2019 - 4 K 55/17, Rz 51 und 56). Die Erkennbarkeit des Irrtums folgt vielmehr unmittelbar aus der Veröffentlichung der Rechtsvorschriften. Ebenso wenig kommt es auf die Berufserfahrung des Klägers an, den das FG allerdings in einer den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Weise als berufserfahren eingestuft hatte.

  61. d) Vor diesem Hintergrund kommt es auch auf die Frage, ob der Kläger gutgläubig gehandelt hat, nicht an.

  62. Da nach dem Wortlaut des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK eine nachträgliche buchmäßige Erfassung nur dann unterbleibt, wenn ‑‑neben dem Irrtum der Zollbehörden‑‑ drei Voraussetzungen kumulativ ("und") erfüllt sind ‑‑nämlich die fehlende Erkennbarkeit des Irrtums, die Gutgläubigkeit und die Einhaltung aller Vorschriften über die Zollanmeldung‑‑, führt bereits das Nichtvorliegen einer einzigen dieser drei Voraussetzungen dazu, dass der fehlende Betrag gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK nachzuerheben ist (vgl. EuGH-Urteil Faroe Seafood und Føroya Fiskasøla vom 14.05.1996 - C-153/94, EU:C:1996:198, Rz 83 f.). Da im Streitfall der Kläger wie beschrieben den Irrtum vernünftigerweise erkennen konnte, kann dahinstehen, ob er subjektiv gutgläubig gehandelt hat (zur Feststellung der Gutgläubigkeit nach subjektiven Umständen vgl. Deimel in HHSp, Art. 119 UZK Rz 51).

  63. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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