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EuGH-Vorlage vom 18. Februar 2025, VII R 17/22

Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union

ECLI:DE:BFH:2025:VE.180225.VIIR17.22.0

BFH VII. Senat

EGRL 112/2006 Art 30, EUV 952/2013 Art 79 Abs 1 Buchst a, EUV 952/2013 Art 124 Abs 1 Buchst k, EUV 952/2013 Art 250 Abs 1, EUV 2015/2447 Art 218 Buchst a, EUV 2015/2446 Art 136 Abs 1 Buchst a, EUV 2015/2446 Art 139, EUV 2015/2446 Art 212 Abs 3, UStG § 1 Abs 1 Nr 4, UStG § 21 Abs 2, UStG VZ 2017

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 25. January 2022, Az: 11 K 2900/21

Leitsätze

1. Gelangt ein Beförderungsmittel in den Wirtschaftskreislauf der Union, wenn es in einem Mitgliedstaat nicht als Beförderungsmittel verwendet wird, aber an ihm eine Dienstleistung (hier: Wartungs- und Reparaturarbeiten) erbracht wird?

2. Ist Art. 124 Abs. 1 Buchst. k des Zollkodex der Union dahin auszulegen, dass eine Nicht-Unionsware im Sinne dieser Vorschrift verwendet wird, wenn an ihr im Zollgebiet der Union ausschließlich Wartungs- oder Reparaturarbeiten durchgeführt werden und die Nicht-Unionsware anschließend wieder ausgeführt wird?

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gelangt ein Beförderungsmittel in den Wirtschaftskreislauf der Union, wenn es in einem Mitgliedstaat nicht als Beförderungsmittel verwendet wird, aber an ihm eine Dienstleistung (hier: Wartungs- und Reparaturarbeiten) erbracht wird?

2. Ist Art. 124 Abs. 1 Buchst. k des Zollkodex der Union dahin auszulegen, dass eine Nicht-Unionsware im Sinne dieser Vorschrift verwendet wird, wenn an ihr im Zollgebiet der Union ausschließlich Wartungs- oder Reparaturarbeiten durchgeführt werden und die Nicht-Unionsware anschließend wieder ausgeführt wird?

II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorabentscheidungsfragen ausgesetzt.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat seinen Wohnsitz in der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Schweiz). Am 28.03.2017 verbrachte er ein Segelboot, das in der Schweiz mit dem Kennzeichen … auf ihn zugelassen war, auf einem Bootsanhänger mit seinem Personenkraftwagen (Schweizer Kennzeichen: …) aus der Schweiz kommend über den Grenzübergang beim Zollamt A in die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), ohne hierfür an der Grenze eine Zollabfertigung durchführen zu lassen. Bei einer Zollkontrolle auf der Bundesstraße … in Fahrtrichtung B gab der Kläger an, dass er zur Firma X in B unterwegs sei, um an dem Außenbordmotor fällige Service- und Wartungsarbeiten ausführen zu lassen. Daraufhin setzte der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) mit Einfuhrabgabenbescheid vom 28.03.2017 ‑‑ausgehend von einem geschätzten Zollwert des eingeführten Segelbootes von … €‑‑ Zoll in Höhe von … € und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von … € fest.

  2. Nachdem der Kläger die Einfuhrabgaben bezahlt hatte, setzte er seine Fahrt zur Firma X, die sich ungefähr … Kilometer vom Grenzzollamt A entfernt befindet, fort und ließ an dem Segelboot folgende Arbeiten durchführen: Die Kielschwerthalterung wurde abgeändert und das Kielschwert wieder eingesetzt, der Motor wurde kontrolliert, die Kraftstofffilteranlage instandgesetzt und der Abgasschwamm erneuert. Die Kosten für die Arbeiten beliefen sich auf insgesamt … €. Bis zur Wiederausfuhr des Segelbootes in die Schweiz am 18.05.2017 wurde das Segelboot nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers im Zollgebiet der Union nicht anderweitig genutzt.

  3. Gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 28.03.2017 legte der Kläger Einspruch ein, der ohne Erfolg blieb.

  4. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Zollschuld sei entstanden, weil der Kläger beim Passieren der Grenze weder eine ausdrückliche Gestellungsmitteilung noch eine (ausdrückliche) Zollanmeldung für das Segelboot abgegeben habe. Beides sei nicht entbehrlich gewesen, weil die Voraussetzungen der vorübergehenden Verwendung nicht erfüllt gewesen seien. Denn das Segelboot sei weder zum Zeitpunkt seines Verbringens in das Zollgebiet der Union noch zu einem anderen Zeitpunkt vor seiner Wiederausfuhr in der See- und Binnenschifffahrt eingesetzt worden. Es reiche nicht aus, dass das Beförderungsmittel grundsätzlich für die Beförderung geeignet sei. Das FG hatte allerdings Zweifel, ob für das Segelboot auch Einfuhrumsatzsteuer entstanden sei. An dem Segelboot sei zwar eine Dienstleistung erbracht worden, es habe sich hierbei jedoch mehrwertsteuerlich betrachtet um einen von der Einfuhr zu unterscheidenden Vorgang gehandelt. Das FG ließ dies jedoch offen, weil sowohl die Zollschuld als auch eine möglicherweise entstandene Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k des Zollkodex der Union (UZK) erloschen seien.

  5. Gegen die Entscheidung des FG wendet sich das HZA mit seiner Revision. Es ist der Auffassung, dass eine Ware im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK verwendet werde, wenn sie ohne Bewilligung veredelt werde. Die Zollschuld sei daher im Streitfall nicht nach dieser Vorschrift erloschen, auch wenn das Segelboot wiederausgeführt worden sei. Zudem sei vorliegend die Einfuhrumsatzsteuer entstanden, weil durch den Veredelungsvorgang an dem Segelboot eine Dienstleistung erbracht worden sei und dieses daher in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sei.

  6. Der Kläger ist demgegenüber der Meinung, dass die Zollschuld infolge der Wiederausfuhr des Segelbootes erloschen sei. Anderenfalls wären nur formale Verstöße wie Fristverletzungen heilbar, was dem Erwägungsgrund 38 UZK widerspräche, wonach die Folgen fahrlässigen Verhaltens des Zollschuldners auf ein Mindestmaß abzumildern seien. Nach Auffassung des Klägers stellten die an dem Segelboot durchgeführten Maßnahmen nur Wartungsarbeiten dar. Zudem sei das Segelboot nicht bereits dadurch in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt, dass an ihm eine Dienstleistung erbracht worden sei.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Der Senat setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 in Verbindung mit ‑‑i.V.m.‑‑ § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  2. 1. Gelangt ein Beförderungsmittel in den Wirtschaftskreislauf der Union, wenn es in einem Mitgliedstaat nicht als Beförderungsmittel verwendet wird, aber an ihm eine Dienstleistung (hier: Wartungs- und Reparaturarbeiten) erbracht wird?

  3. 2. Ist Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK dahin auszulegen, dass eine Nicht-Unionsware im Sinne dieser Vorschrift verwendet wird, wenn an ihr im Zollgebiet der Union ausschließlich Wartungs- oder Reparaturarbeiten durchgeführt werden und die Nicht-Unionsware anschließend wieder ausgeführt wird?

III.

  1. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts kommt es für die Lösung des Streitfalls darauf an, ob das Segelboot dadurch in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, dass es Gegenstand einer Dienstleistung gewesen ist. Weiterhin ist es für den Streitfall entscheidungserheblich, ob das Segelboot im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK verwendet wurde. Denn in diesem Fall wäre die Zollschuld, die für das Segelboot aufgrund der unterbliebenen Gestellung entstanden ist, nicht erloschen.

  2. Für die Lösung des Streifalls kommt es auf folgende Bestimmungen des Unionsrechts und deren Auslegung an:

  3. Anzuwendendes Unionsrecht:

  4. Erwägungsgrund 38 UZK:

    Es ist angebracht, dem guten Glauben des Beteiligten in den Fällen, in denen eine Zollschuld auf einer Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften beruht, Rechnung zu tragen und die Folgen fahrlässigen Verhaltens des Zollschuldners auf ein Mindestmaß abzumildern.

  5. Art. 5 UZK:

    (…)

    33. "Gestellung" ist die Mitteilung an die Zollbehörden, dass Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort eingetroffen sind und für Zollkontrollen zur Verfügung stehen.

    (…)

    37. Als "Veredelungsvorgänge" gelten

    a) die Bearbeitung von Waren einschließlich der Montage, der Zusammensetzung und des Anbringens an andere Waren,

    b) die Verarbeitung von Waren

    c) die Zerstörung von Waren

    d) die Ausbesserung von Waren einschließlich ihrer Instandsetzung und Regulierung,

    (…)

  6. Art. 79 UZK:

    (1) Für einfuhrabgabenpflichtige Waren entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn Folgendes nicht erfüllt ist:

    a) eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen von Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union, auf das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung oder auf die Beförderung, Veredelung, Lagerung, vorübergehende Verwahrung, vorübergehende Verwendung oder Verwertung dieser Waren in diesem Gebiet,

    b) (…)

    (2) Für das Entstehen der Zollschuld ist folgender Zeitpunkt maßgebend:

    a) der Zeitpunkt, zu dem die Verpflichtung, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht oder nicht mehr erfüllt ist,

    b) (…)

    (3) In den Fällen nach Absatz 1 Buchstaben a und b ist Zollschuldner,

    a) wer die betreffenden Verpflichtungen zu erfüllen hatte,

    b) (…)

  7. Art. 124 UZK:

    (1) Unbeschadet der geltenden Vorschriften über die Nichterhebung des der Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags im Falle einer gerichtlich festgestellten Insolvenz des Zollschuldners erlischt die Einfuhr- oder Ausfuhrzollschuld:

    (…)

    k) wenn vorbehaltlich des Absatzes 6 die Zollschuld nach Artikel 79 entstanden ist und den Zollbehörden nachgewiesen wird, dass die Waren nicht verwendet oder verbraucht, sondern aus dem Zollgebiet der Union verbracht worden sind.

    (…)

    (6) Im Falle des Absatzes 1 Buchstabe k erlischt die Zollschuld nicht für Personen, die einen Täuschungsversuch unternommen haben.

  8. Art. 139 UZK:

    (1) Die in das Zollgebiet der Union verbrachten Waren sind bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder in der Freizone unverzüglich von einer der folgenden Personen zu gestellen,

    a) der Person, die die Waren in das Zollgebiet der Union verbracht hat,

    (…)

  9. Art. 210 UZK:

    Waren können in die folgenden Arten besonderer Verfahren übergeführt werden:

    (…)

    d) Veredelung - umfasst die aktive und die passive Veredelung.

  10. Art. 211 UZK:

    (1) Eine Bewilligung der Zollbehörden ist erforderlich für

    a) die Inanspruchnahme der aktiven oder passiven Veredelung, der vorübergehenden Verwendung oder der Endverwendung,

    (…)

  11. Art. 220 UZK:

    In ein Zolllager, eine Veredelung oder eine Freizone übergeführte Waren können üblichen Behandlungen unterzogen werden, die ihrer Erhaltung, der Verbesserung ihrer Aufmachung oder Handelsgüte oder der Vorbereitung ihres Vertriebs oder Weiterverkaufs dienen.

  12. Art. 250 UZK:

    (1) In der vorübergehenden Verwendung können für die Wiederausfuhr bestimmte Nicht-Unionswaren im Zollgebiet der Union Gegenstand einer besonderen Verwendung unter vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben sein, ohne dass sie Folgendem unterliegen:

    a) sonstigen Abgaben nach anderen geltenden Vorschriften oder

    b) handelspolitischen Maßnahmen, soweit diese nicht das Verbringen oder den Ausgang von Waren in das oder aus dem Zollgebiet der Union untersagen.

    (2) Die vorübergehende Verwendung ist nur zulässig, wenn

    a) keine Veränderungen der Waren beabsichtigt ist, außer der normalen Wertminderung aufgrund des von ihnen gemachten Gebrauchs,

    b) die Nämlichkeit der in das Verfahren übergeführten Waren gewährleistet ist, außer wenn angesichts der Beschaffenheit der Waren oder der beabsichtigten Verwendung bei einem Verzicht auf Maßnahmen zur Nämlichkeitssicherung nicht mit einem Missbrauch des Verfahrens zu rechnen ist, oder im Falle des Artikels 223, wenn nachgeprüft werden kann, ob die für Ersatzwaren vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind,

    c) der Inhaber des Verfahrens außerhalb des Zollgebiets der Union ansässig ist, es sei denn, anderweitig ist etwas anderes vorgesehen,

    d) die in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Anforderungen für die vollständige oder teilweise Befreiung von Abgaben erfüllt sind.

  13. Art. 218 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24.11.2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2015, Nr. L 343, 558) in der im Streitfall geltenden Fassung (UZK-IA):

    Für die Zwecke der Artikel 138, 139 und 140 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 gelten die folgenden Zollförmlichkeiten als durch eine Willensäußerung im Sinne des Artikels 141 Absatz 1 dieser Delegierten Verordnung erfüllt:

    a) die Beförderung der Waren gemäß Artikel 135 des Zollkodex und die Gestellung der Waren gemäß Artikel 139 des Zollkodex;

    b) (…)

    c) die Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörden gemäß Artikel 172 des Zollkodex;

    d) (…)

  14. Art. 219 UZK-IA:

    Ergibt eine Kontrolle, dass eine Willensäußerung im Sinne des Artikels 141 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 erfolgt ist, die verbrachten oder ausgeführten Waren aber nicht die Voraussetzungen der Artikel 138, 139 und 140 der Delegierten Verordnung erfüllen, so gilt die Zollanmeldung für diese Waren als nicht abgegeben.

  15. Art. 136 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28.07.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABlEU 2015, Nr. L 343, 1) in der im Streitfall geltenden Fassung (UZK-DA):

    (1) Zollanmeldungen zur vorübergehenden Verwendung können für folgende Waren mündlich abgegeben werden:

    a) Paletten, Container und Beförderungsmittel sowie Ersatzteile, Zubehör und Ausrüstung für diese Paletten, Container und Beförderungsmittel gemäß den Artikeln 208 bis 216;

    (…)

  16. Art. 139 UZK-DA:

    (1) Die in Artikel 136 Absatz 1 Buchstaben a bis d, Buchstaben h und i genannten Waren gelten gemäß Artikel 141 als zur vorübergehenden Verwendung angemeldet, sofern sie nicht mit anderen Mitteln angemeldet werden.

    (…)

  17. Art. 141 UZK-DA:

    (1) Für die in Artikel 138 Buchstaben a bis d, Artikel 139 und Artikel 140 Absatz 1 genannten Waren gilt jede der folgenden Handlungen als Zollanmeldung:

    a) (…)

    b) Passieren einer Zollstelle ohne getrennte Kontrollausgänge;

    (…)

  18. Art. 180 UZK-DA:

    Die üblichen Behandlungen gemäß Artikel 220 des Zollkodex sind in Anhang 71-03 beschrieben.

  19. Art. 212 UZK-DA:

    (…)

    (3) Die vollständige Befreiung von den Einfuhrabgaben wird für im Straßen-, Schienen- oder Luftverkehr und in der See- und Binnenschifffahrt eingesetzte Beförderungsmittel gewährt, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

    a) Sie sind außerhalb des Zollgebiets der Union auf den Namen einer außerhalb dieses Gebiets ansässigen Person amtlich zugelassen oder gehören, falls sie nicht amtlich zugelassen sind, einer außerhalb des Zollgebiets der Union ansässigen Person;

    b) sie werden unbeschadet der Artikel 214, 215 und 216 von einer außerhalb des Zollgebiets der Union ansässigen Person verwendet.

    (…)

  20. Anhang 71-03 UZK-DA:

    Sofern nichts anderes festgelegt ist, führt keine der folgenden Behandlungen zu einem anderen achtstelligen KN-Code:

    (…)

    (4) Entfernen von beschädigten oder kontaminierten Bestandteilen;

    (…)

    (19) Testen, Einstellen und Herstellen der Betriebsfertigkeit von Maschinen, Apparaten und Fahrzeugen, insbesondere zur Kontrolle der Übereinstimmung mit technischen Normen, sofern es sich nur um einfache Vorgänge handelt;

    (…)

  21. Art. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABlEU 2006, Nr. L 347, 1) in der im Streitfall geltenden Fassung ‑‑Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL)‑‑:

    (1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

    (…)

    c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;

    (…)

  22. Art. 5 MwStSystRL:

    Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

    (1) "Gemeinschaft" und "Gebiet der Gemeinschaft" das Gebiet aller Mitgliedstaaten im Sinne der Nummer 2;

    (2) "Mitgliedstaat" und "Gebiet eines Mitgliedstaats" das Gebiet jedes Mitgliedstaats der Gemeinschaft, auf den der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gemäß dessen Artikel 299 Anwendung findet, mit Ausnahme der in Artikel 6 dieser Richtlinie genannten Gebiete;

    (…)

  23. Art. 30 MwStSystRL:

    Als "Einfuhr eines Gegenstands" gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags befindet, in die Gemeinschaft. (…)

  24. Art. 60 MwStSystRL:

    Die Einfuhr von Gegenständen erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.

  25. Art. 70 MwStSystRL:

    Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt.

  26. Art. 71 MwStSystRL:

    (1) Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.

    (…)

  27. Anzuwendendes nationales Recht:

  28. § 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitfall geltenden Fassung (UStG):

    (1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

    (…)

    4. die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (Einfuhrumsatzsteuer);

    (…)

  29. § 21 UStG:

    (…)

    (2) Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten die Vorschriften für Zölle sinngemäß;

    (…)

IV.

  1. Bei der Auslegung von Art. 30 MwStSystRL und Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK bestehen Zweifel. Die Auslegung dieser Vorschriften ist entscheidend für die Fragen, ob das Segelboot in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist und somit neben der Zollschuld Einfuhrumsatzsteuer entstanden ist und ob die für das Segelboot entstandene Zollschuld wieder erloschen ist.

  2. 1. Im Streitfall ist die Zollschuld gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden, weil der Kläger das Segelboot ‑‑eine Nicht-Unionsware‑‑ ohne förmliche Gestellung (Art. 139 Abs. 1, Art. 5 Nr. 33 UZK) in das Zollgebiet der Union verbracht hat. Die Gestellung ist auch nicht durch eine Willensäußerung erfolgt.

  3. a) Gemäß Art. 218 Buchst. a UZK-IA gilt für die Zwecke des Art. 139 UZK-DA die Gestellung der Waren gemäß Art. 139 UZK als durch eine Willensäußerung im Sinne von Art. 141 Abs. 1 UZK-DA erfüllt. Eine solche Willensäußerung stellt gemäß Art. 141 Abs. 1 Buchst. b UZK-DA das Passieren einer Zollstelle ohne getrennte Kontrollausgänge dar. Die Fiktion des Art. 218 Buchst. a UZK-IA gilt unter anderem für Beförderungsmittel, die gemäß Art. 139 Abs. 1 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 Buchst. a UZK-DA als zur vorübergehenden Verwendung angemeldet gelten.

  4. Sind die Voraussetzungen der vorübergehenden Verwendung des in das Zollgebiet der Union verbrachten Beförderungsmittels jedoch nicht erfüllt, kann dessen Gestellung nicht gemäß Art. 218 Buchst. a UZK-IA durch eine Willensäußerung erfolgen. Die Gestellung gilt als nicht erfolgt, und die Zollschuld entsteht gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK. Dies kann auch aus Art. 219 UZK-IA gefolgert werden, wonach in einem solchen Fall die Zollanmeldung, deren Annahme gemäß Art. 218 Buchst. c UZK-IA ebenfalls fingiert wird, als nicht abgegeben gilt. Denn sowohl die Gestellung als auch die Annahme der Zollanmeldung werden in Art. 218 UZK-IA genannt und unterliegen somit denselben Voraussetzungen für die Erfüllung von Zollförmlichkeiten durch eine Willensäußerung (vergleiche ‑‑vgl.‑‑ auch Senatsbeschluss vom 27.10.2022 - VII R 1/20, Rz 21).

  5. b) Gemäß Art. 250 Abs. 1 UZK können in der vorübergehenden Verwendung für die Wiederausfuhr bestimmte Nicht-Unionswaren im Zollgebiet der Union Gegenstand einer besonderen Verwendung unter vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben sein. Die vorübergehende Verwendung ist gemäß Art. 250 Abs. 2 Buchst. d UZK nur zulässig, wenn die in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Anforderungen für die vollständige oder teilweise Befreiung von Abgaben erfüllt sind. Die vollständige Befreiung von den Einfuhrabgaben wird nach Art. 212 Abs. 3 UZK-DA für in der See- und Binnenschifffahrt eingesetzte Beförderungsmittel gewährt, wenn sie außerhalb des Zollgebiets der Union auf den Namen einer außerhalb dieses Gebiets ansässigen Person amtlich zugelassen sind oder, falls sie nicht amtlich zugelassen sind, einer außerhalb des Zollgebiets der Union ansässigen Person gehören und unbeschadet der Art. 214, 215 und 216 UZK-DA von einer außerhalb des Zollgebiets der Union ansässigen Person verwendet werden.

  6. Die vorübergehende Verwendung kommt nach diesen Vorschriften somit nur für Waren in Betracht, die tatsächlich als Beförderungsmittel eingesetzt werden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausgeführt werden sollen. Die Frage, in welcher Weise das Beförderungsmittel zur vorübergehenden Verwendung anzumelden ist, ist danach zu entscheiden, welche tatsächliche Verwendungsabsicht nach den Umständen des Einzelfalls feststellbar ist. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, welche Verwendungsabsicht nach den objektiv erkennbaren Umständen bestand (Senatsbeschlüsse vom 03.11.2010 - VII R 38/09, BFHE 231, 424 und vom 27.10.2022 - VII R 1/20, Rz 23; vgl. auch Senatsurteil vom 14.06.2005 - VII R 44/02, BFHE 210, 78).

  7. c) Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen ist im Streitfall die Zollschuld gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a UZK in dem Zeitpunkt entstanden, in dem der Kläger das Segelboot in das Zollgebiet der Union verbracht hat, ohne das Segelboot zu gestellen. Der Kläger ist gemäß Art. 79 Abs. 3 Buchst. a UZK Zollschuldner geworden.

  8. aa) Der Kläger hat eine zollrechtliche Verpflichtung in Bezug auf das Verbringen des Segelbootes in das Zollgebiet der Union verletzt, indem er dieses nicht bei der zuständigen Zollstelle, dem Zollamt A, gestellt hat.

  9. Die Gestellung ist nicht durch eine ausdrückliche Mitteilung im Sinne von Art. 5 Nr. 33 UZK erfolgt.

  10. Im Streitfall gilt die Gestellung auch nicht gemäß Art. 218 Buchst. a UZK-IA als durch eine Willensäußerung erfüllt, weil im Zeitpunkt der Ankunft des Segelbootes am Zollamt A die Voraussetzungen für das besondere Verfahren der vorübergehenden Verwendung (vgl. Art. 5 Nr. 16 Buchst. b i.V.m. Art. 210 Buchst. c und Art. 250 UZK) nicht erfüllt waren. Denn in diesem Zeitpunkt sollte das Segelboot nach den für das vorlegende Gericht bindenden Feststellungen des FG nicht als Beförderungsmittel im Zollgebiet der Union verwendet, sondern bei der Firma X in B gewartet beziehungsweise verschiedenen Arbeiten unterzogen werden. Dorthin wurde es auf einem Bootsanhänger befördert. Die vollständige Befreiung von den Einfuhrabgaben hätte dem Kläger jedoch nur dann zugestanden, wenn das Segelboot als Beförderungsmittel in der See- oder in der Binnenschifffahrt eingesetzt worden wäre (vgl. Art. 212 Abs. 3 UZK-DA). Das war im Streitfall nicht der Fall.

  11. bb) Der Kläger ist gemäß Art. 79 Abs. 3 Buchst. a UZK Zollschuldner geworden, weil er das Segelboot nicht bei dessen Ankunft im Zollgebiet der Union gestellt hat. Dazu wäre er jedoch verpflichtet gewesen, weil er das Segelboot in das Zollgebiet der Union verbracht hat (Art. 139 Abs. 1 Buchst. a UZK).

  12. 2. Das vorlegende Gericht hat allerdings Zweifel, ob im Streitfall in entsprechender Anwendung von Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK (§ 21 Abs. 2 UStG) neben der Zollschuld auch Einfuhrumsatzsteuer entstanden ist, weil das Segelboot nicht aktiv zur Ausführung einer Lieferung von Gegenständen oder einer Dienstleistung (zum Beispiel zur Personenbeförderung) verwendet wurde, sondern lediglich an dem Segelboot eine steuerpflichtige Leistung ausgeführt wurde und dieses damit passiv geblieben ist.

  13. a) Der Einfuhrumsatzsteuer unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den ‑‑im Streitfall nicht betroffenen‑‑ in der Vorschrift aufgeführten österreichischen Gebieten. Das Umsatzsteuergesetz selbst enthält keine Definition der Einfuhr. Jedoch lässt sich der Begriff anhand von Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL bestimmen, der die Einfuhr eines Gegenstands als Verbringen eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Gemeinschaft definiert (Art. 5 Abs. 1 MwStSystRL). Nach Art. 60 MwStSystRL erfolgt die Einfuhr von Gegenständen in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.

  14. Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt (Art. 70 MwStSystRL). Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft ‑‑jedoch‑‑ der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben, treten der Steuertatbestand und der Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren nicht mehr unterliegen (Art. 71 Abs. 1 MwStSystRL).

  15. Davon ausgehend könnte im Streitfall für das Segelboot neben der Zollschuld auch Einfuhrumsatzsteuer ‑‑Einfuhrmehrwertsteuer‑‑ entstanden sein, indem das Segelboot nach Deutschland verbracht wurde, ohne sich in dem zollrechtlichen Verfahren der vorübergehenden Verwendung zu befinden.

  16. b) Auch der EuGH weist in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass die Einfuhrmehrwertsteuer und die Zölle hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale insofern vergleichbar sind, als sie durch die Einfuhr in die Union und die sich anschließende Überführung in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten entstehen. Diese Parallelität wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrmehrwertsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen (EuGH-Urteile Hauptzollamt Braunschweig (Lieu de naissance de la TVA - III) vom 18.01.2024 - C-791/22, EU:C:2024:59, Rz 23; Hauptzollamt Hamburg (Lieu de naissance de la TVA - II) vom 08.09.2022 - C-368/21, EU:C:2022:647, Rz 25; U.I. (indirekter Zollvertreter) vom 12.05.2022 - C-714/20, EU:C:2022:374, Rz 54; Kauno teritorinė muitinė vom 07.04.2022 - C-489/20, EU:C:2022:277, Rz 47; Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 - C-26/18, EU:C:2019:579, Rz 41 und Harry Winston vom 11.07.2013 - C-273/12, EU:C:2013:466, Rz 41; vgl. auch EuGH-Urteil Einberger/Hauptzollamt Freiburg vom 28.02.1984 - C-294/82, EU:C:1984:81, Rz 18).

  17. c) Allerdings verlangt der EuGH für die Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer nach ständiger Rechtsprechung zusätzlich, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind.

  18. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, das heißt dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten (EuGH-Urteile Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 - C-26/18, EU:C:2019:579, Rz 44, m.w.N.; Hauptzollamt Münster (Lieu de naissance de la TVA) vom 03.03.2021 - C-7/20, EU:C:2021:161, Rz 30; Wallenborn Transports vom 01.06.2017 - C-571/15, EU:C:2017:417, Rz 54; Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig vom 02.06.2016 - C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:405, Rz 65 und Hauptzollamt Braunschweig (Lieu de naissance de la TVA - III) vom 18.01.2024 - C-791/22, EU:C:2024:59, Rz 30). Dabei stellt der EuGH maßgeblich darauf ab, dass es sich bei der Mehrwertsteuer um eine Verbrauchsteuer handelt (vgl. EuGH-Urteil Latvijas dzelzceļš vom 18.05.2017 - C-154/16, EU:C:2017:392, Rz 69 und Hauptzollamt Braunschweig (Lieu de naissance de la TVA - III) vom 18.01.2024 - C-791/22, EU:C:2024:59, Rz 32).

  19. Allerdings kann eine solche Vermutung widerlegt werden, wenn zum Beispiel nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld in dem Mitgliedstaat geführt hat, in dem dieses Fehlverhalten begangen wurde, ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. In diesem Fall tritt der Tatbestand der Einfuhrmehrwertsteuer in diesem anderen Mitgliedstaat ein (EuGH-Urteile Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 - C-26/18, EU:C:2019:579, Rz 48 und 52 und Hauptzollamt Münster (Lieu de naissance de la TVA) vom 03.03.2021 - C-7/20, EU:C:2021:161, Rz 31).

  20. Im Unterschied zur Zollschuldentstehung führt somit nicht allein das physische Verbringen einer Ware aus einem Drittland in die Union dazu, dass eine Einfuhr im Sinne des Mehrwertsteuerrechts vorliegt. Erst mit dem Gelangen der Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union kann die Ware einem Verbrauch, das heißt dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden (vgl. EuGH-Urteil Hauptzollamt Hamburg (Lieu de naissance de la TVA - II) vom 08.09.2022 - C-368/21, EU:C:2022:647, Rz 26).

  21. d) Aus diesem Grund hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob im Streitfall neben der Zollschuld auch Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK beziehungsweise Einfuhrmehrwertsteuer im Sinne der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie entstanden ist. Das Segelboot wurde zwar ohne Gestellung in das Steuergebiet verbracht und befand sich nicht in dem Verfahren der vorübergehenden Verwendung (vgl. Art. 71 Abs. 1 MwStSystRL). Ob das Segelboot allerdings in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, hängt von der Auslegung dieses Begriffs durch den EuGH ab.

  22. aa) Da das Verbringen des Segelbootes nach Deutschland ‑‑wie oben dargelegt‑‑ allein nicht zur Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer führt, kommt es darauf an, ob das Segelboot dadurch in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, dass bei der Firma X an dem Segelboot Reparatur- beziehungsweise Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Denn dadurch wurde an dem Segelboot eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht und damit ein Umsatz ausgeführt, der gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL der Mehrwertsteuer unterliegt.

  23. In seinem Urteil Hauptzollamt Braunschweig (Lieu de naissance de la TVA - III) vom 18.01.2024 - C-791/22, EU:C:2024:59, Rz 30 hat der EuGH für einen Eingang in den Wirtschaftskreislauf maßgeblich darauf abgestellt, dass die Ware einem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang zugeführt werden konnte. Diese Voraussetzung könnte auch im Streitfall erfüllt sein, wenn es für den Eingang in den Wirtschaftskreislauf ausreicht, dass die Ware ‑‑hier das Segelboot‑‑ passiv zum Gegenstand eines steuerpflichtigen Vorgangs wird, indem an ihr (und nicht mit ihr) eine Dienstleistung erbracht wurde.

  24. bb) In seinen Urteilen Hauptzollamt Münster (Lieu de naissance de la TVA) vom 03.03.2021 - C-7/20, EU:C:2021:161, Rz 35 und Hauptzollamt Hamburg (Lieu de naissance de la TVA - II) vom 08.09.2022 - C-368/21, EU:C:2022:647, Rz 31 hat der EuGH entschieden, dass ein als Beförderungsmittel verwendetes Fahrzeug in dem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt, in dem es tatsächlich benutzt wird. In diesen Fällen wurden die Fahrzeuge jedoch tatsächlich als Beförderungsmittel, das heißt zur Beförderung von Personen, genutzt. Der vorliegende Streitfall unterscheidet sich davon insoweit, als der Kläger das Segelboot nicht als Beförderungsmittel genutzt hat, sondern dieses auf einem Anhänger zu einer Werkstatt befördert hat, um daran Wartungsarbeiten durchführen zu lassen. Anschließend wurde es wieder in die Schweiz ausgeführt, ohne dass es in Deutschland zur Beförderung von Personen oder Sachen verwendet wurde.

  25. cc) Die Frage, ob ein Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union in einem Fall wie dem vorliegenden bejaht werden kann, lässt sich auch anhand der übrigen bereits vorliegenden EuGH-Rechtsprechung nicht eindeutig beantworten. Insbesondere liegt der Streitfall anders als der dem EuGH-Urteil Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 - C-26/18, EU:C:2019:579, Rz 49 und 51 zugrunde liegende Sachverhalt, weil dort die Waren in Deutschland nur umgeladen und tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat verbraucht wurden.

  26. Der Streitfall unterscheidet sich auch von dem EuGH-Urteil Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig vom 02.06.2016 - C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:405, Rz 62, weil dort die Nicht-Unionswaren bis zu ihrer Wiederausfuhr durchgehend einem Zolllagerverfahren unterlagen. Ein besonderes Verfahren im Sinne des Zollrechts (Art. 5 Nr. 16 Buchst. b UZK) wurde jedoch vorliegend nicht in Anspruch genommen, weil das Segelboot nicht der Regelung der vorübergehenden Verwendung unterlag (siehe oben).

  27. Die EuGH-Urteile SEK Zollagentur vom 12.06.2014 - C-75/13, EU:C:2014:1759, in dem die Waren zu einem externen Versandverfahren überlassen wurden, aber im Verwahrungslager verblieben, und Wallenborn Transports vom 01.06.2017 - C-571/15, EU:C:2017:417, in dem sich die Waren in einer Freizone befanden, betreffen zwar eine eventuelle Zollschuldentstehung aufgrund einer Entziehung der Ware aus der zollamtlichen Überwachung und nicht ‑‑wie vorliegend‑‑ eine Zollschuldentstehung aufgrund einer Pflichtverletzung. Allerdings kann auch hieraus entnommen werden, dass es gegen einen Eintritt der Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union spricht, wenn sie sich noch in einem Zollverfahren befinden.

  28. Geklärt ist dadurch jedoch nicht, ob eine Ware auch dann in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, wenn sie sich zwar nicht in einem Zollverfahren befindet, aber nicht aktiv verwendet wird. Aus der genannten Rechtsprechung ergibt sich auch nicht, welchen Einfluss es auf den Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union hat, dass an dem Segelboot verschiedene Arbeiten durchgeführt wurden und dieses dadurch ‑‑wenn auch lediglich geringfügig‑‑ verändert wurde.

  29. 3. Das vorlegende Gericht hat außerdem Zweifel, ob die Zollschuld gemäß Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK durch die spätere Verbringung des Segelbootes aus dem Zollgebiet der Union nicht wieder erloschen ist.

  30. Gemäß Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erlischt die Einfuhrzollschuld unbeschadet der geltenden Vorschriften über die Nichterhebung des der Zollschuld entsprechenden Einfuhrabgabenbetrags im Fall einer gerichtlich festgestellten Insolvenz des Zollschuldners, wenn vorbehaltlich des Art. 124 Abs. 6 UZK die Zollschuld nach Art. 79 UZK entstanden ist und den Zollbehörden nachgewiesen wird, dass die Waren nicht verwendet oder verbraucht, sondern aus dem Zollgebiet der Union verbracht worden sind. Gemäß Art. 124 Abs. 6 UZK erlischt die Zollschuld nicht für Personen, die einen Täuschungsversuch unternommen haben.

  31. a) Im Streitfall ist die Zollschuld gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden (siehe oben). Dass das Segelboot wieder aus dem Zollgebiet der Union verbracht wurde, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einen Täuschungsversuch unternommen hat.

  32. b) Allerdings ist unklar, ob das Segelboot im Zollgebiet der Union im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK "verwendet" wurde und aus diesem Grund die Einfuhrzollschuld nicht nach dieser Vorschrift erloschen ist.

  33. aa) Der Zollkodex der Union enthält keine eigene Definition für den Begriff "verwendete Waren" (EuGH-Urteil Combinova vom 08.10.2020 - C-476/19, EU:C:2020:802, Rz 29). Die Tatsache, dass der Zollkodex der Union zwischen Veredelung und Verwendung unterscheidet, könnte darauf hindeuten, dass die Durchführung von Veredelungsvorgängen nicht zu den Verwendungen im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK gehört. Zudem wird die Ausbesserung von Waren einschließlich ihrer Instandsetzung und Regulierung gemäß Art. 5 Nr. 37 Buchst. d UZK zu den Veredelungsvorgängen gezählt. Auch in Art. 211 Abs. 1 Buchst. a UZK wird zwischen Veredelung und Verwendung unterschieden. Die Durchführung von Veredelungsvorgängen stünde demnach nicht einem Erlöschen der Zollschuld nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK entgegen.

  34. Allerdings hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Sprachfassungen der Vorschrift voneinander abweichen und daher deren Auslegung nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung zu erfolgen hat. Ausgehend davon hat der EuGH entschieden, dass unter der Verwendung von Waren, auf die sich Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK bezieht, notwendigerweise nur eine Verwendung zu verstehen ist, die über die von den Zollbehörden bewilligten Veredelungsvorgänge hinausgeht (EuGH-Urteil Combinova vom 08.10.2020 - C-476/19, EU:C:2020:802, Rz 30 f. und 35). Weiterhin hat der EuGH klargestellt, dass der Begriff "verwendete Waren" im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK nicht jede Verwendung erfasst, sondern nur die, die als solche eine Zollschuld zur Folge hat (EuGH-Urteil Combinova vom 08.10.2020 - C-476/19, EU:C:2020:802, Rz 33).

  35. bb) Werden an einer Nicht-Unionsware Veredelungsvorgänge durchgeführt, die im Rahmen der Bewilligung einer aktiven Veredelung gemäß Art. 211 Abs. 1 Buchst. a UZK bewilligt wurden, entsteht keine Zollschuld. Bei einer Verwendung im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK kann es sich daher nur um Vorgänge handeln, die nicht von einer Bewilligung einer aktiven Veredelung oder eines anderen besonderen Verfahrens erfasst sind, weil es nur dann überhaupt zu einer Entstehung der Zollschuld kommt.

  36. Weiterhin lässt sich der Begriff der Verwendung dahingehend bestimmen, dass es sich nicht um denselben Vorgang handeln darf, der zur Entstehung der Zollschuld führt. Denn würden die Entstehung der Zollschuld und die Verwendung im Sinne des Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK zusammenfallen, hätte die Vorschrift keinen Anwendungsbereich mehr.

  37. Dass die Verwendung aber eine gewisse Relevanz haben muss und es sich nicht nur um untergeordnete Vorgänge handeln darf, schließt das vorlegende Gericht aus Art. 220 UZK, wonach übliche Behandlungen im Rahmen der dort genannten besonderen Verfahren zulässig sind. Die Liste der üblichen Behandlungen ist aus Art. 180 UZK-DA i.V.m. Anhang 71-03 UZK-DA zu entnehmen. Eine andere Auslegung erschiene dem vorlegenden Gericht systemwidrig, wenn eine Behandlung im Rahmen eines besonderen Verfahrens zwar zulässig wäre, aber einem Erlöschen der Zollschuld entgegenstünde.

  38. cc) Eine im Sinne von Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK schädliche Verwendung könnte im Streitfall darin zu sehen sein, dass die Reparatur- beziehungsweise Wartungsarbeiten an dem Segelboot außerhalb eines bewilligten Veredelungsverkehrs durchgeführt wurden.

  39. Der Kläger verfügte nicht über eine Bewilligung eines aktiven Veredelungsverkehrs im Sinne von Art. 211 Abs. 1 Buchst. a UZK, weshalb sämtliche Wartungsarbeiten ohne Bewilligung einer aktiven Veredelung durchgeführt wurden. Insoweit ist der Streitfall vergleichbar mit dem Sachverhalt, über den der EuGH in seinem Urteil Combinova vom 08.10.2020 - C-476/19, EU:C:2020:802 entschieden hat, weil sowohl bei der ohne Bewilligung durchgeführten Veredelung als auch bei nur teilweise nicht bewilligten Veredelungsvorgängen kein Zollverfahren in Anspruch genommen wurde. Es handelte sich auch nicht nur um übliche Behandlungen im Sinne von Art. 220 UZK, weil die an dem Segelboot durchgeführten Arbeiten nicht in Anhang 71-03 UZK-DA aufgeführt sind. Insbesondere die Abänderung der Kielschwerthalterung könnte zu einer relevanten Veränderung des Segelbootes geführt haben.

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