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Beschluss vom 13. Mai 2025, VIII B 39/24

Kein Feststellungsinteresse bei Nichtigkeitsklage gegen eine Prüfungsanordnung

ECLI:DE:BFH:2025:B.130525.VIIIB39.24.0

BFH VIII. Senat

FGO § 41 Abs 1, AO § 196

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 27. March 2024, Az: 5 K 162/22

Leitsätze

1. NV: Das für eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen eine Prüfungsanordnung erforderliche besondere Feststellungsinteresse im Sinne von § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung fehlt, wenn die Prüfungsergebnisse bereits bescheidmäßig umgesetzt worden sind (Anschluss an Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11.03.2025 - IX R 30/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

2. NV: Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Nichtigkeitsfeststellungsklage erst zu einem Zeitpunkt erhoben wird, zu dem das Verfahren über die Anfechtung der Steuerbescheide bereits beendet ist.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 27.03.2024 - 5 K 162/22 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

  1. Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet.

  2. 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) zuzulassen.

  3. a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 29.11.2022 - VIII B 141/21, BFH/NV 2023, 143, Rz 21). Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 11.03.2025 - VIII B 5/24, BFH/NV 2025, 530, Rz 7, m.w.N.).

  4. b) Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam: Müssen die Beteiligten in einem finanzgerichtlichen Verfahren ihre Sachanträge in der mündlichen Verhandlung stellen oder zumindest auf eine in den vorbereitenden Schriftsätzen gestellten Antrag verweisen? Darf das Finanzgericht (FG) bei einer mündlichen Verhandlung ohne Hinweis des nicht erschienenen beklagten Finanzamts von sich aus einen schriftlich gestellten Klageantrag für seine Entscheidungsfindung zugrunde legen?

  5. Unabhängig davon, ob die aufgeworfenen Fragen bereits deswegen nicht klärungsfähig sind, weil ihre Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt, sind sie nicht klärungsbedürftig. Sie sind so zu beantworten, wie es das FG getan hat.

  6. Das FG kann bei Nichterscheinen eines Beteiligten den "Antrag" auch im Wege der Auslegung des gesamten Vorbringens entnehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16.08.2019 - V B 57/18, BFH/NV 2020, 29, Rz 7; vom 15.12.2004 - VIII B 181/04, BFH/NV 2005, 896, unter c bb).

  7. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat mit Schreiben vom 27.02.2023 sowie vom 27.11.2023 zu den Ausführungen des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren Stellung genommen. Das FA hat hierbei erkennbar die Auffassung vertreten, die Klage sei unzulässig, jedenfalls unbegründet, ohne ausdrücklich einen Antrag auf Klageabweisung zu stellen. Das FG hat dieses Vorbringen zu Recht als Antrag ausgelegt, die Klage abzuweisen.

  8. c) Da das FG den Klageantrag des FA sachlich richtig behandelt hat, rügt der Kläger auch zu Unrecht einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) dahingehend, dass das FG gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen habe.

  9. Ferner ist die Beschwerde nicht wegen eines sinngemäß gerügten Verstoßes des FG gegen die Grundordnung des Verfahrens begründet (vgl. BFH-Beschluss vom 16.08.2019 - V B 57/18, BFH/NV 2020, 29, Rz 2 bis 6).

  10. 2. Des Weiteren wirft der Kläger folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam auf: Liegt ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf eine Feststellung der Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung und von Steuerbescheiden vor, wenn nach einer tatsächlichen Verständigung in einem "BP-Folge-Steuerverfahren" Umstände eintreten, die ein Rehabilitationsinteresse begründen?

  11. Den Ausführungen des Klägers hierzu ist nur zu entnehmen, dass er die Abweisung der Klage durch das FG als unzulässig für unzutreffend hält (zur Rüge als Verfahrensmangel s. unter 4.). Eine abstrakte Rechtsfrage zu den Voraussetzungen eines Feststellungsinteresses, die Gegenstand einer Zulassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sein könnte, legt der Kläger hingegen nicht dar.

  12. 3. Soweit der Kläger seine Beschwerde auf eine Divergenz des angefochtenen Urteils gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zu im Einzelnen benannten Entscheidungen des BFH stützt, sind die Voraussetzungen des Zulassungsgrunds nicht erfüllt.

  13. a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung als ein anderes Gericht, unter anderem der BFH oder ein FG, vertritt. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der bezeichneten Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt. Es müssen zudem die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein, die abweichend beantwortete Rechtsfrage muss im Revisionsverfahren geklärt werden können und eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich sein (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 04.06.2024 - VIII B 37/23, BFH/NV 2024, 944, Rz 4, m.w.N.).

  14. b) Der Kläger hat eine Divergenz des FG-Urteils zu einer anderen Entscheidung nicht entsprechend diesen Anforderungen dargelegt.

  15. Im Zusammenhang mit den aufgeworfenen Fragen (vgl. unter 1.b. und 2. Abweisungsantrag eines Finanzamts; versagtes Feststellungsinteresse) rügt er, die angefochtene Entscheidung sei divergierend zu verschiedenen benannten Entscheidungen anderer Gerichte.

  16. Es fehlt aber an der Darlegung der tragenden abstrakten Rechtssätze, die das FG seiner Entscheidung diesbezüglich aus Sicht des Klägers zugrunde gelegt haben soll. Zudem hat der Kläger nicht dargelegt, dass die zugrunde liegenden Sachverhalte der Vorentscheidung und der vermeintlichen Divergenzentscheidungen miteinander vergleichbar sind. So betrifft zum Beispiel der Sachverhalt des vom Kläger zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.12.2023 - 1 C 34.22 (juris) die fehlerhafte Auslegung des Begehrens eines Klägers (und nicht eines Beklagten), ohne dass die Frage des Erscheinens in der mündlichen Verhandlung entscheidungserheblich gewesen wäre.

  17. 4. Soweit der Kläger bei verständiger Würdigung der Beschwerdeschrift rügt, dass das FG über seine Feststellungsklage zu Unrecht durch Prozessurteil statt durch Sachurteil entschieden habe, macht er einen Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend, der jedoch nicht vorliegt.

  18. a) Im Hinblick auf die Nichtigkeitsfeststellungsklage bezüglich der Prüfungsanordnungen hat das FG die Klage auf Grundlage der Rechtsprechung des BFH zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger das Vorliegen eines Verwertungsverbots bereits im Anfechtungsverfahren gegen die geänderten Steuerbescheide hätte geltend machen können und müssen.

  19. aa) Ein berechtigtes Interesse für eine Feststellungsklage kann sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher oder ideeller Art sein. Die Feststellung muss geeignet sein, zu einer Verbesserung der Rechtsposition des Klägers zu führen (BFH-Urteile vom 28.09.2022 - X R 7/21, BFHE 278, 254, BStBl II 2023, 178, Rz 32 sowie vom 29.07.2003 - VII R 39, 43/02, BFHE 202, 411, BStBl II 2003, 828, unter 2.b, jeweils m.w.N.). Die Rechte des Klägers müssen ohne gerichtliche Feststellung gefährdet sein. Ein berechtigtes Interesse besteht dagegen nicht, wenn der Kläger sein Prozessziel auf anderem Wege schneller, einfacher und billiger erreichen kann (BFH-Urteil vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, unter 2.). Denn das Feststellungsinteresse ist eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (BFH-Urteil vom 10.02.1987 - VII R 77/84, BFHE 149, 387, BStBl II 1987, 545, unter B.I.2., m.w.N.).

  20. bb) Beruft sich ein Kläger ‑‑wie hier‑‑ ausschließlich auf die Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung und sind die Prüfungsfeststellungen bereits in einem Bescheid ausgewertet, fehlt einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Prüfungsanordnung das berechtigte Interesse (vgl. BFH-Urteile vom 11.03.2025 - IX R 30/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 20; vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789).

  21. Der IX. Senat des BFH hat hierfür prozessökonomische Gesichtspunkte angeführt und verdeutlicht, dass es keines vorgelagerten gerichtlichen Feststellungsausspruchs zur Nichtigkeit bedarf, wenn es Ziel des Steuerpflichtigen ist, in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen einen der Außenprüfung nachfolgenden Steuerbescheid ein Verwertungsverbot der Prüfungsfeststellungen zu erreichen. Anders als bei einer nur rechtswidrigen ‑‑aber wirksamen‑‑ Prüfungsanordnung kann der Einwand der Nichtigkeit unmittelbar im Verfahren gegen den Auswertungsbescheid geführt werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.02.1990 - IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, unter 2.; Krumm in Tipke/Kruse, § 41 FGO Rz 22). Eine Feststellungsklage ist demnach nur zulässig, wenn sie benötigt wird und geeignet ist, ein Verwertungsverbot auszulösen (Seer in Tipke/Kruse, § 196 AO Rz 43; Gosch in Gosch, AO § 196 Rz 182).

  22. Dies gilt ‑‑wie es das FG im Ergebnis zu Recht so gesehen hat‑‑ grundsätzlich auch dann, wenn die Nichtigkeitsfeststellungsklage zu einem Zeitpunkt erhoben wird, zu dem das Verfahren über die Anfechtung der Steuerbescheide bereits beendet ist. Eine Ausnahme hiervon könnte nur dann geboten sein, wenn die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe erst nach dem Abschluss des Anfechtungsverfahrens begründet worden sind.

  23. Danach hat das FG das Feststellungsinteresse des Klägers im Streitfall zu Recht verneint. Der Kläger hätte nach der bindenden tatsächlichen Würdigung des FG sämtliche vorgebrachten Einwendungen im Zusammenhang mit der Unwirksamkeit beziehungsweise Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen im Rahmen der bis 2020 anhängigen Anfechtungsklage gegen die Feststellungsbescheide geltend machen können und müssen. Es ist weder dargetan noch in sonstiger Weise erkennbar, dass dies dem Kläger nicht möglich gewesen ist, da er Einwendungen zur Bestimmtheit sowie zum Inhalt und Umfang der Prüfungsanordnungen dargelegt hat.

  24. Ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 41 Abs. 1 FGO ergibt sich im Streitfall auch nicht aus einem Rehabilitationsinteresse wegen der gegen den Kläger nach der Außenprüfung gerichteten strafrechtlichen und berufsrechtlichen Maßnahmen. Der BFH hat ein solches Interesse anerkannt, wenn aufgrund eines erheblichen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Steuerpflichtigen dessen Rehabilitierung durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde als geboten erscheint. Zwar kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn das Handeln des Finanzamts den unberechtigten Vorwurf der Steuerhinterziehung zum Ausdruck bringt (BFH-Urteile vom 27.01.2004 - VII R 54/02, BFH/NV 2004, 797, unter II.2. [Rz 11]; vom 04.12.2012 - VIII R 5/10, BFHE 239, 19, BStBl II 2014, 220). Für ein Rehabilitationsinteresse genügt es indes nicht, dass aufgrund der Maßnahme des Finanzamts (hier: der Prüfungsanordnungen) lediglich eine abstrakte Gefahr besteht, dass das berufliche Ansehen des Steuerpflichtigen gefährdet wird (BFH-Urteil vom 12.07.2022 - VIII R 8/19, BFHE 276, 555, Rz 15). Aufgrund der Feststellungen des FG ist von einer solchen konkreten Gefährdung durch die Prüfungsanordnungen nicht auszugehen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Prüfungsanordnungen geeignet sind, in den vom Kläger benannten straf- und berufsrechtlichen Verfahren das berufliche Ansehen des Klägers zu gefährden.

  25. b) Das FG hat das Feststellungsinteresse auch im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Nichtigkeitsfeststellung hinsichtlich der bestandskräftigen Steuerbescheide zu Recht verneint. Der Kläger hat die Nichtigkeit der Steuerbescheide auf die von ihm behauptete Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen und das von ihm behauptete daraus resultierende Verwertungsverbot der Prüfungsfeststellungen gestützt. Im Streitfall scheidet eine Zulassung der Revision hinsichtlich der Nichtigkeitsfeststellungsklage zu den Prüfungsanordnungen wie dargelegt aus. Das FG-Urteil ist mit der Beschlussfassung des Senats insoweit rechtskräftig (§ 116 Abs. 5 Satz 3 FGO). Damit steht für den Streitfall fest, dass kein Verwertungsverbot hinsichtlich der Erkenntnisse der Außenprüfung bei den bestandskräftig gewordenen Steuerbescheiden der Streitjahre übergangen worden ist. Aus diesem Grund können keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Steuerbescheide ‑‑wenn ein übergangenes Verwertungsverbot überhaupt eine Nichtigkeit auslösen können sollte‑‑ und eine Nichtigkeitsfeststellung abgeleitet werden.

  26. 5. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer Darstellung des Tatbestands und einer weiteren Begründung ab.

  27. 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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