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Urteil vom 20. März 2025, VI R 21/24

Parallelentscheidung zu BFH-Urteil vom 20.03.2025 - VI R 25/23: Besteuerungsrecht für Einkünfte eines in Luxemburg angestellten Orchestermusikers im öffentlichen Dienst

ECLI:DE:BFH:2025:U.200325.VIR21.24.0

BFH VI. Senat

EStG § 1 Abs 1 S 1, EStG § 2 Abs 1 S 1, EStG § 19, DBA LUX 2012 Art 3 Abs 1, DBA LUX 2012 Art 14, DBA LUX 2012 Art 16 Abs 1, DBA LUX 2012 Art 18 Abs 1 Buchst a, DBA LUX 2012 Art 18 Abs 3, DBA LUX 2012 Art 22 Abs 1 Buchst b DBuchst ff, DBA LUX 2012 Art 18 Abs 1, DBA LUX 1958 Art 5, DBA LUX 1958 Art 9, DBA LUX 1958 Art 11 Abs 2, GG Art 3 Abs 1, FGO § 68 S 1, FGO § 96 Abs 1 S 2, FGO § 121 S 1, EStG VZ 2021

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 19. June 2024, Az: 1 K 1767/23

Leitsätze

NV: Der bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Großherzogtum Luxemburg angestellte Orchestermusiker ist Künstler im Sinne von Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 (Parallelentscheidung zu VI R 25/23).

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 19.06.2024 - 1 K 1767/23 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Er war im Streitjahr (2021) beim staatlichen Orchestre Philharmonique du Luxembourg im Großherzogtum Luxemburg (Luxemburg) beschäftigt und erzielte als Musiker Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Lohnsteuerlicher Arbeitgeber war das Établissement Public "Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte". Hierbei handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die vom Kultusministerium des Großherzogtums subventioniert und von der Stadt Luxemburg unterstützt wird. Weder das Orchestre Philharmonique du Luxembourg noch das Établissement Public "Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte" sind nach ihrem staatlichen Kulturauftrag auf Gewinnerzielung ausgerichtet.

  2. Der Kläger war im Streitjahr von 132 Tagen nur an einem Tag außerhalb Luxemburgs tätig und behandelte seinen luxemburgischen Arbeitslohn im Rahmen der Einkommensteuererklärung in voller Höhe als steuerfrei. Im Einkommensteuerbescheid 2021 vom 29.06.2023 beließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Arbeitslohn nur in geringem Umfang steuerfrei, im Übrigen besteuerte er diesen unter Anrechnung der luxemburgischen Steuer.

  3. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.

  4. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

  5. Während des Revisionsverfahrens erließ das FA unter dem 23.12.2024 aus hier nicht im Streit stehenden Gründen einen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.

  6. Der Kläger beantragt sinngemäß,

    das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2021 vom 23.12.2024 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € herabgesetzt wird.

  7. Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für 2021 vom 29.06.2023 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2023 entschieden. An dessen Stelle ist der vom FA unter dem 23.12.2024 erlassene Bescheid getreten, der nach § 121 Satz 1 FGO i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden und aufzuheben (s. Senatsurteile vom 13.08.2020 - VI R 27/18, BFHE 270, 330, BStBl II 2021, 86, Rz 15 und vom 26.10.2022 - VI R 25/20, BFHE 278, 459, BStBl II 2023, 372, Rz 11, m.w.N.). Da sich durch die Bescheidänderung hinsichtlich der im Revisionsverfahren streitigen Punkte keine Änderungen ergeben haben und der Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO.

III.

  1. Der Senat kann auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz in der Sache selbst entscheiden. Der gemäß § 121 Satz 1 FGO i.V.m. § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Einkommensteuerbescheid vom 23.12.2024 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1, § 121 FGO). Die Klage ist daher abzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der luxemburgische Arbeitslohn des Klägers in Deutschland gemäß Art. 16 Abs. 1 Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 23.04.2012 (BGBl II 2012, 1403, BStBl I 2015, 8) ‑‑DBA-Luxemburg 2012‑‑ i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ff DBA-Luxemburg 2012 unter Anrechnung der bereits in Luxemburg gezahlten Einkommensteuer zu versteuern ist.

  2. 1. Der im Inland wohnhafte Kläger ist mit seinem Welteinkommen in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑). Dies umfasst auch die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG aus ausländischen Quellen ‑‑hier die Vergütungen, die der Kläger im Streitjahr als angestellter Musiker in Luxemburg erhalten hat‑‑.

  3. 2. Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht ist nicht nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012 ausgeschlossen.

  4. a) Nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die von einem Vertragsstaat, einem seiner Länder oder einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates an eine natürliche Person für die diesem Staat, einem seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts geleisteten Dienste gezahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden.

  5. b) Zwar ist der hier streitgegenständliche Arbeitslohn dem Kläger von einer luxemburgischen Körperschaft des öffentlichen Rechts für die dieser geleisteten Dienste gezahlt worden. Der Anwendung des Art. 18 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012 steht aber Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 entgegen, wonach auf Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen für Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats, eines seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates erbracht werden, die Art. 14, 15, 16 oder 17 DBA-Luxemburg 2012 anzuwenden sind.

  6. aa) Eine dahingehende Geschäftstätigkeit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts liegt vor, wenn sich die öffentliche Hand mit der Absicht, Einnahmen zu erzielen, nachhaltig wirtschaftlich betätigt und sich diese Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung des Vertragsstaats beziehungsweise der juristischen Person wirtschaftlich heraushebt. Ausreichend ist das Vorliegen einer auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Tätigkeit (vgl. Wassermeyer/Siegers/Steichen, DBA Luxemburg Art. 18 Rz 38, unter Verweis auf Wassermeyer/Wassermeyer/Drüen, MA Art. 19 Rz 168 f.), die zu einem nennenswerten Wettbewerb der Einrichtung mit privaten Unternehmen führen kann (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 11.01.1979 - V R 26/74, BFHE 127, 83, BStBl II 1979, 746). Denn Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 ist von dem Grundsatz geprägt, dass Vertragsstaaten und ihre Einrichtungen sich wie alle anderen Marktteilnehmer behandeln lassen müssen, wenn sie am Markt in einen nennenswerten Wettbewerb zu privaten Unternehmen treten (Wassermeyer/Siegers/Steichen, DBA Luxemburg Art. 18 Rz 38, unter Verweis auf Wassermeyer/Wassermeyer/Drüen MA Art. 19 Rz 168 f.; Martini in: Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 19 OECD-MA Rz 101; Lampert in Schönfeld/Ditz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., Art. 19 Rz 53; Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 19 Rz 26).

  7. bb) Ob sich die Körperschaft des öffentlichen Rechts hierbei mit Gewinnerzielungsabsicht betätigt, ist ‑‑wie das FG zutreffend entschieden hat‑‑ deshalb unerheblich (Wassermeyer/Siegers/Steichen, DBA Luxemburg Art. 18 Rz 38, unter Verweis auf Wassermeyer/Wassermeyer/Drüen, MA Art. 19 Rz 168 f.; Dürrschmidt in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 19 Rz 84; Martini in: Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 19 OECD-MA Rz 102; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 19 Rz 26); zumal in Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012, anders noch als in der Vorgängernorm des Art. 11 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23.08.1958 (BGBl II 1959, 1270, BStBl I 1959, 1023) ‑‑DBA-Luxemburg 1958‑‑, dieses Tatbestandsmerkmal nicht mehr erwähnt wird.

  8. cc) Anderes folgt auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. f und g DBA-Luxemburg 2012. Der dort verwendete Begriff "Unternehmen" bezieht sich auf die Ausübung einer Geschäftstätigkeit, welche auch freiberufliche oder sonstige selbständige Tätigkeiten erfasst. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine Geschäftstätigkeit der öffentlichen Hand im Sinne von Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 ein Handeln mit Gewinnerzielungsabsicht erfordert. Art. 5, 9 DBA-Luxemburg 1958 und Art. 7 DBA-Luxemburg 2012 streiten ebenfalls nicht für ein dahingehendes Auslegungsergebnis.

  9. c) Nach diesen Maßstäben übt das Établissement Public "Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte" mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg eine Geschäftstätigkeit im Sinne von Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 aus.

  10. Zwar ist die Philharmonie mit einem staatlichen Kulturauftrag versehen und soll das kulturelle Ansehen Luxemburgs fördern. Auch erweist sich das Betreiben des Orchesters als unwirtschaftlich und bedarf der staatlichen Förderung. Gleichwohl verfolgt die Philharmonie neben der Förderung der Kultur zumindest auch den Zweck, Einnahmen zu erzielen. Dabei hebt sich die Veranstaltung kostenpflichtiger Konzerte innerhalb der Gesamtbetätigung des Établissement Public "Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte" wirtschaftlich hervor.

  11. Das Établissement Public "Salle de concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte" tritt zudem mit der Veranstaltung kostenpflichtiger Konzerte in nennenswerten Wettbewerb zu privaten Anbietern musikalischer Unterhaltung, und zwar ungeachtet des staatlichen Kulturauftrags und des Alleinstellungsmerkmals als "Staatsorchester". Denn insoweit kommt es nicht auf den Status des staatlichen Wettbewerbers an, sondern auf den Inhalt der jeweiligen Tätigkeit (BFH-Urteil vom 18.04.2024 - V R 50/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2024, 693, Rz 17). Dabei gründet die Wettbewerbssituation mit privaten Anbietern vorliegend insbesondere auf dem Umstand, dass eine staatlich geförderte Kultureinrichtung nicht gewinnorientiert wirtschaften und deshalb in besonderem Maße wettbewerbsrelevante (Dienst-)Leistungen nicht kostendeckend anbieten muss.

  12. 3. Damit richtet sich die Besteuerung des luxemburgischen Arbeitslohns des Klägers, den er im Streitjahr als Musiker des Orchestre Philharmonique du Luxembourg erzielte, gemäß Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 nach den Art. 14, 15, 16 oder 17 DBA-Luxemburg 2012.

  13. a) Gemäß Art. 14 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 können vorbehaltlich der Art. 15 bis 19 DBA-Luxemburg 2012 Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt (Satz 1). Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden (Satz 2). In dem letztgenannten Fall wird die Doppelbesteuerung bei in Deutschland ansässigen Personen durch Freistellung der Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer vermieden (Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012).

  14. b) Art. 14 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 kommt jedoch im Streitfall nicht zur Anwendung, weil die Voraussetzungen der gegenüber dieser Bestimmung vorrangigen Regelung des Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 erfüllt sind, der als lex specialis vorgeht. Nach seinem Wortlaut ist Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 "ungeachtet der Artikel 7 und 14 ..." anzuwenden. Art. 14 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 enthält entsprechend einen Anwendungsvorbehalt hinsichtlich der Art. 15 bis 19 DBA-Luxemburg 2012. Im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg 2012 wird die Doppelbesteuerung in diesem Fall nicht durch Ausnahme der Vergütung von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer vermieden, sondern durch Anrechnung der in Luxemburg erhobenen Steuer auf die deutsche Steuer nach Maßgabe von Art. 22 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ff DBA-Luxemburg 2012 i.V.m. § 34c EStG.

  15. aa) Gemäß Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 können Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person unter anderem als Künstler aus ihrer im anderen Vertragsstaat persönlich ausgeübten Tätigkeit bezieht, im anderen Staat besteuert werden.

  16. bb) Die Vorschrift gilt ‑‑entgegen der Auffassung des Klägers‑‑ nicht nur für selbständig tätige und/oder reisende Personen, sondern ‑‑wie im Fall des Klägers‑‑ auch für nichtselbständig tätige, ortsgebundene Künstler und Sportler (vgl. BFH-Urteil vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFHE 262, 54, BStBl II 2024, 219, Rz 23, zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 (BGBl II 2011, 1092, BStBl I 2012, 513) im Hinblick auf einen Opernchorsänger und des Weiteren mit Verweis auf das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 06.05.2008 - 2C_276/2007, abgedruckt in Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland 1971 und 1978, B 17.1 Nr. 60 zu einem angestellten Radsportler; Wassermeyer/Wassermeyer/Drüen, MA Art. 19 Rz 155).

  17. (1) Weder der Wortlaut von Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 noch sein systematischer Kontext lassen erkennen, dass von der Regelung nur selbständig tätige Künstler erfasst werden. Vielmehr streiten die Verweisklausel in Art. 18 Abs. 3 DBA-Luxemburg 2012 und der Vorrang des Art. 16 Abs. 1 DBA-Luxemburg 2012 vor Art. 14 DBA-Luxemburg 2012 dafür, dass von Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 auch die nichtselbständig tätigen Künstler erfasst werden (so im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFHE 262, 54, BStBl II 2024, 219, Rz 23).

  18. (2) Ebenso wenig lässt sich der Regelung eine Beschränkung auf reisende Künstler entnehmen. Denn den Vertragsstaaten standen bei Abschluss des DBA-Luxemburg 2012 bereits moderne Technologien und Informationsquellen im Hinblick auf eine Erfassung ausländischer Künstlereinkünfte zur Verfügung. Mithin bestand zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA-Luxemburg 2012 bezüglich reisenden Künstlern und ortsgebundenen Künstlern kein wesentlicher Unterschied mehr. Gleichwohl hielten die Vertragsparteien an der Einfügung der Sondervorschrift im DBA-Luxemburg 2012 für Künstler fest, ohne ‑‑was im Falle des Wunsches einer unterschiedlichen Behandlung von reisenden und ortsgebundenen Künstlern nahegelegen hätte‑‑ eine Einschränkung auf reisende Künstler vorzunehmen.

  19. (3) Anlass für eine teleologische Reduktion dahingehend, dass Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 auf selbständig tätige und/oder reisende Künstler zu beschränken ist, besteht vor diesem Hintergrund nicht (so im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFHE 262, 54, BStBl II 2024, 219, Rz 23).

  20. cc) Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 findet zudem auch Anwendung auf Künstler, die als Ensemble auftreten. Tritt eine Personengruppe (beispielsweise ein Orchester oder ein Chor) gemeinsam auf, sind sämtliche Mitglieder der Gruppe und nicht nur deren Leiter oder Dirigent als Künstler im Sinne der einschlägigen Vorschriften des Doppelbesteuerungsabkommens anzusehen, und zwar unabhängig von den individuellen künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen Ensemblemitglieds (s. BFH-Urteil vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFHE 262, 54, BStBl II 2024, 219, Rz 25, betreffend das Mitglied eines Opernchors).

  21. dd) Art. 16 DBA-Luxemburg 2012 erfasst Vergütungen von Künstlern schließlich auch insoweit, als damit neben dem künstlerischen Auftritt (vertraglich geschuldete) Probenzeiten des Künstlers entgolten werden (BFH-Urteil vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFHE 262, 54, BStBl II 2024, 219, Rz 28 f.). Unerheblich ist insoweit, ob die Proben einen konkreten Auftrittsbezug aufweisen oder lediglich allgemein der Erhaltung und Verbesserung der künstlerischen Betätigung dienen (so auch Rz 9.1 zu Art. 17 des OECD-Musterabkommens 2017, s. Wassermeyer/Schwenke/Wassermeyer, MA Art. 17 MK 9.1).

  22. 4. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) liegt nicht vor.

  23. a) Zwar wird der Kläger als Künstler zum einen im Vergleich zu nichtkünstlerisch tätigen Arbeitnehmern (im Kunstbetrieb zum Beispiel Bühnenarbeiter oder angestellte Mitarbeiter hinter den Kulissen) unterschiedlich behandelt. Denn letztere nehmen in der Regel ‑‑anders als der künstlerisch tätige Kläger‑‑ regelmäßig an der Freistellungs- und nicht "lediglich" an der Anrechnungsmethode teil. Zum anderen wird der Kläger im Hinblick auf diese wie ein selbständiger Künstler behandelt, obwohl zwischen angestellten und freischaffenden Künstlern Unterschiede betreffend das Anstellungsverhältnis und damit einhergehend der Art der erzielten Einkünfte bestehen.

  24. b) Ein Gleichheitsverstoß ist darin jedoch nicht zu erblicken.

  25. aa) Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob die unterschiedliche Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkünften nach Maßgabe der Freistellungs- oder Anrechnungsmethode überhaupt einen gleichheitsrechtlichen Bezug aufweisen kann. Denn der Gesetzgeber ist nicht gehalten, die zusätzliche Belastung ausländischer Einkünfte mit ausländischen Steuern in jedem Fall vollständig auszuschließen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 07.06.2023 - 2 BvL 6/14, Rz 57).

  26. bb) Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nur solche Differenzierungen, die nicht von einem sachlichen Grund getragen sind. Ob und in welchem Umfang eine bestimmte Person den Schutz eines Doppelbesteuerungsabkommens genießt oder nicht, ist indessen ein sachlicher Grund in diesem Sinne (BFH-Urteile vom 24.01.2001 - I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402 und vom 12.04.2023 - I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16), BFHE 280, 213, BStBl II 2023, 974, zur Nichtberücksichtigung "finaler" Verluste einer italienischen Betriebsstätte). Jede andere Betrachtung müsste in letzter Konsequenz dazu führen, dass ein jeder unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz jedes beliebige Doppelbesteuerungsabkommen in Anspruch nehmen oder inhaltlich überschreiben könnte. Auch wenn sich der Kläger besser stünde, wenn in seinem Fall die Doppelbesteuerung seiner luxemburgischen Einkünfte durch deren Freistellung in Deutschland vermieden werden würde, kann dies nicht dazu führen, dass die Sondervorschrift für Künstler und Sportler im DBA-Luxemburg 2012 aus Gleichbehandlungsgründen entgegen dem dort von den Vertragsstaaten vorgesehenen Geltungsbereich nicht anzuwenden ist (vgl. BFH-Urteil vom 24.01.2001 - I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402). Dem würde die vielschichtige Problematik der internationalen Doppelbesteuerung betreffend die zwischenstaatliche Abgrenzung der Besteuerungsbefugnisse nicht gerecht (vgl. BVerfG-Beschluss vom 07.06.2023 - 2 BvL 6/14, Rz 57). Zumal Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig ‑‑und vorliegend ist nichts anderes ersichtlich‑‑ nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rz 75, m.w.N.) und überdies im Bereich des internationalen Steuerrechts das Fundamentalprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit durch das Prinzip der zwischenstaatlichen Verteilungsgerechtigkeit (Quellen- oder Territorialitätsprinzip), das der Aufteilung von Steuersubstrat auf mehrere Staaten dient, eingeschränkt wird (BFH-Urteil vom 12.04.2023 - I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16), BFHE 280, 213, BStBl II 2023, 974, Rz 34, betreffend die Nichtberücksichtigung "finaler" Verluste einer italienischen Betriebsstätte).

  27. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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