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Urteil vom 09. Mai 2025, IX R 4/23

Rückabwicklung einer Anteilsübertragung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage

ECLI:DE:BFH:2025:U.090525.IXR4.23.0

BFH IX. Senat

EStG § 17, BGB § 313, EStG VZ 2019 , AO § 175 Abs 1 S 1 Nr 2

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 14. December 2022, Az: 9 K 162/21

Leitsätze

1. Wird die Übertragung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft durch die Parteien des Kaufvertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückgängig gemacht, kann dieses Ereignis steuerlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken (Anschluss an Senatsurteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539).

2. Die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, müssen sich weder aus dem Vertragswortlaut ergeben noch zeitnah mit Vertragsabschluss gegenüber der Finanzverwaltung offengelegt werden.

3. Ein Steuerpflichtiger, der sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, muss darlegen und nachweisen, dass vor oder beim Abschluss des gestörten Rechtsgeschäfts ein Umstand erörtert worden ist, dessen Eintritt nach der gemeinsamen Vorstellung der Vertragspartner derart evident ist, dass mit ihm der Vollzug des Rechtsgeschäfts "steht und fällt".

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 14.12.2022 - 9 K 162/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war zu 50 % an der … GmbH (GmbH) beteiligt.

  2. Nach einer erbschaftsteuerrechtlichen Beratung durch den Notar Aentschieden die Kläger im Streitjahr 2019, abweichend vom gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, die Gütertrennung zu vereinbaren. Es war angedacht, den dadurch entstehenden Zugewinnausgleichsanspruch durch Übertragung von Anteilen an der genannten GmbH zu erfüllen. Da die Kläger sichergehen wollten, dass dies keine Steuer auslöst, ließen sie sich von ihrem Steuerberater ‑‑dem Prozessbevollmächtigten‑‑ diesbezüglich beraten. Dieser erteilte in einem Gespräch mit den Klägern die Auskunft, dass die Übertragung der GmbH-Anteile keine Einkommensteuer auslöse. Das Beratungsergebnis fasste der Steuerberater in einem an die Kläger gerichteten Schreiben vom xx.xx.2019 zusammen.

  3. Am xx.xx.2019 (14 Tage nach dem Schreiben des Steuerberaters) schlossen die Kläger einen notariellen Ehevertrag nebst Zugewinnausgleichsvereinbarung (nachfolgend "Ehevertrag") ab. Hierin vereinbarten sie Gütertrennung (§ 1 des Ehevertrags) und setzten einen Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin gegenüber dem Kläger in Höhe von … Mio. € fest (§ 4 des Ehevertrags). Der Kläger erklärte, dass er Gesellschafter der GmbH sei und die Geschäftsanteile Nr. 1 bis Nr. 12 500 im Nennbetrag von jeweils … € halte. Die Kläger erklärten übereinstimmend, dass der Verkehrswert der Geschäftsanteile insgesamt … Mio. € (… € je Geschäftsanteil) betrage (§ 5 Ziff. 1 des Ehevertrags). Zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs übertrug der Kläger die Geschäftsanteile Nr. 8 301 bis Nr. 12 500 im Nennbetrag von insgesamt … € an die Klägerin und trat diese Geschäftsanteile an die Klägerin ab. Die Klägerin nahm die Übertragung und Abtretung an. Die Kläger erklärten, dass damit der Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin in Höhe von … Mio. € abgedeckt sei. Den weitergehenden Betrag von … € habe die Klägerin am Tag des Vertragsschlusses in bar vom Kläger ausgezahlt erhalten (§ 5 Ziff. 3 des Ehevertrags). Der beurkundende Notar B wies die Kläger darauf hin, dass er eine steuerrechtliche Beratung nicht durchgeführt, deren Einholung jedoch empfohlen und auf eine mögliche Grunderwerbsteuer- und Schenkungsteuerpflicht hingewiesen habe (§ 6 Ziff. 4 des Ehevertrags). Die Kläger vereinbarten, dass sie die Kosten der Vereinbarung und ihrer Durchführung gemeinsam tragen (§ 6 Ziff. 7 des Ehevertrags).

  4. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) unterwarf den Vorgang im Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer 2019 vom xx.xx.2019 nach § 17 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung. Im Einspruchsverfahren vertraten die Kläger die Auffassung, die Übertragung von GmbH-Anteilen im Rahmen des Zugewinnausgleichs stelle keine Veräußerung dar. Nachdem das FA darauf hingewiesen hatte, dass ein nach § 17 EStG zu erfassender tauschähnlicher Vorgang vorliege, kündigten die Kläger an, die Anteilsübertragung rückgängig machen zu wollen. Diese Rückabwicklung solle wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgen und stelle ein rückwirkendes Ereignis dar, das steuerlich auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Anteilsübertragung zurückwirke.

  5. Am xx.xx.2020 schlossen die Kläger eine notarielle Änderungsvereinbarung. Dort hielten sie eingangs fest, dass sie bei Abschluss des Ehevertrags am xx.xx.2019 übereinstimmend die Vorstellung gehabt hätten, "dass die Übertragung der GmbH-Anteile zum Ausgleich der Zugewinnausgleichsforderung keine einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen haben würde". Die Kläger fassten sodann § 5 Ziff. 3 des Ehevertrags neu und regelten, dass zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs der Kläger an die Klägerin eine Teilzahlung in Höhe von … € in bar zu leisten habe. Die Klägerin bekannte und bestätigte, dass sie diesen Betrag von dem Kläger in bar ausgezahlt erhalten habe. Die Klägerin stundete den weitergehenden "Zugewinnanspruch" in Höhe von … Mio. € verzinslich bis zum Tode des Klägers (Ziff. 1 der Änderungsvereinbarung). Die Kläger seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass der rechtliche Grund für die Abtretung der Geschäftsanteile entfallen sei. Zur Erfüllung des "Bereicherungsanspruches nach § 812 BGB" übertrug die Klägerin die Geschäftsanteile mit allen Rechten, Pflichten und dem Gewinnbezugsrecht für das abgelaufene Geschäftsjahr und für das gesamte derzeit laufende Geschäftsjahr einschließlich aller etwa unter die Gesellschafter noch nicht verteilter Gewinne vorangegangener Geschäftsjahre an den Kläger zur Alleinberechtigung zurück und trat die Geschäftsanteile ab (Ziff. 2 der Änderungsvereinbarung).

  6. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2019 erklärten die Kläger keinen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG. Dem folgte das FA nicht und setzte im Einkommensteuerbescheid 2019 vom xx.xx.2021 einen Veräußerungsgewinn in Höhe von … Mio. € an. Durch den vertraglich beschlossenen Zugewinnausgleich im Ehevertrag vom xx.xx.2019 sei der Tatbestand des § 17 EStG erfüllt, es handele sich um einen tauschähnlichen Vorgang. Die Rückabwicklung durch die Änderungsvereinbarung vom xx.xx.2020 stelle kein rückwirkendes Ereignis dar.

  7. Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Zwar erfülle die Übertragung der Geschäftsanteile vom Kläger auf die Klägerin am xx.xx.2019 den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. Der Veräußerungsgewinn sei jedoch mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit entfallen. Die Rückübertragung der Geschäftsanteile auf den Kläger aufgrund der Änderungsvereinbarung stelle ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) dar. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 470 abgedruckt.

  8. Hiergegen richtet sich die auf Verletzung des materiellen Rechts gestützte Revision des FA. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, der Rechtsgrund für die Rückgängigmachung der Anteilsveräußerung müsse beim Wegfall der Geschäftsgrundlage im ursprünglichen Rechtsgeschäft "angelegt" sein. Das sei nur der Fall, wenn der gemeinsame Irrtum über die steuerlichen Folgen des Rechtsgeschäfts im Vertragswortlaut seinen Niederschlag gefunden habe oder sich zumindest aus gleichzeitig mit dem Vertrag dem FA vorliegenden Unterlagen ergebe. Daran fehle es, weil im Ehevertrag vom xx.xx.2019 keinerlei Anhaltspunkte enthalten seien, die auf eine Vorstellung der Vertragsparteien über steuerliche Folgen hinwiesen. Nach Ansicht des FA komme es darauf an, ob die fehlerhafte steuerliche Beratung im Zeitpunkt der Veranlagung für das FA erkennbar gewesen sei. Das FA verweist auf das Senatsurteil vom 24.11.1992 - IX R 30/88 (BFHE 170, 71, BStBl II 1993, 296). Danach könnten sich die Steuerpflichtigen nicht nachträglich auf eine Steuerklausel berufen, die sie der Finanzbehörde nicht rechtzeitig bekanntgegeben haben.

  9. Das FA beantragt sinngemäß,
    das Urteil des FG vom 14.12.2022 - 9 K 162/21 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  10. Die Kläger beantragen,
    die Revision zurückzuweisen.

  11. Sie sind der Ansicht, dass der Grund für die Rückgängigmachung eines Vertrags nicht im Vertragstext erwähnt werden müsse. Durch ihr Beratungsgespräch mit dem Steuerberater sei klar erkennbar gewesen, dass die Frage der einkommensteuerlichen Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns Vertragsgrundlage gewesen sei. Dagegen komme es nicht darauf an, dass dies der Finanzbehörde auch bekannt gewesen sei.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass kein Veräußerungsgewinn vorliegt.

  2. 1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war.

  3. 2. Dass der Kläger in den letzten fünf Jahren vor der streitgegenständlichen Anteilsübertragung im Jahr 2019 derart an der GmbH beteiligt war, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass eine Veräußerung im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG vorliegt, wenn ein Ehegatte zum Ausgleich des wegen der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft dem anderen Ehegatten zustehenden Ausgleichsanspruchs eine solche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft überträgt (vgl. Senatsbeschluss vom 30.03.2011 - IX B 114/10, Rz 3).

  4. 3. Umstritten ist allein, ob der entstandene Veräußerungsgewinn ‑‑dessen Höhe nicht im Streit steht‑‑ aufgrund der Änderungsvereinbarung vom xx.xx.2020 rückwirkend entfallen ist. Diese Frage hat das FG zutreffend bejaht.

  5. a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kann ein Steuerbescheid geändert werden, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Da verfahrensrechtlich die Veranlagung des Streitjahres 2019 noch offen ist, bedarf es der Korrekturvorschrift nicht (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539, unter II.2.c, m.w.N.). Es ist nach materiell-rechtlichen Grundsätzen zu beurteilen, ob der Abschluss der Änderungsvereinbarung steuerlich zurückwirkt.

  6. b) Ein Ereignis wirkt auf den bereits entstandenen materiellen Steueranspruch des § 17 Abs. 1 EStG zurück, wenn es sich materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung bezieht. So verhält es sich bei späteren Veränderungen des Veräußerungspreises (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.07.1993 - GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Ist der Kaufpreis schon beglichen, wirkt eine spätere Änderung auf den Veräußerungstatbestand nur ein, wenn der Rechtsgrund für diese Änderung im ursprünglichen Rechtsgeschäft bereits angelegt war (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.2003 - VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107, unter 3.; Senatsurteile vom 28.10.2009 - IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539, Rz 14; vom 04.02.2020 - IX R 7/18, Rz 26 und vom 06.12.2016 - IX R 49/15, BFHE 256, 470, BStBl II 2017, 673, Rz 26; von Wedelstädt in Gosch, AO § 175 Rz 65.1; Loose in Tipke/Kruse, § 175 AO Rz 35).

  7. c) Das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann steuerrechtlich ein rückwirkendes Ereignis auslösen.

  8. aa) Nach § 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Nach § 313 Abs. 2 BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

  9. In Frage kommen Tatsachen oder rechtliche Bewertungen, wozu auch steuerrechtliche Folgen gehören (vgl. Senatsurteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539, Rz 16, m.w.N.; Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Aufl., § 313 Rz 38, m.w.N.; Erman/Böttcher, BGB, 17. Aufl., § 313 Rz 30). Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage kann jedoch nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn die Störung nicht ausschließlich in den Risikobereich einer Partei fällt und wenn die Vertragserfüllung trotz geänderter Umstände nicht zumutbar ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 15.04.2016 - V ZR 42/15, Rz 23). Besonderer Prüfung bedarf in diesen Fällen, ob es sich lediglich um das Motiv nur einer Partei gehandelt hat beziehungsweise ob die Veränderungen nur in den Risikobereich einer Partei fallen (Erman/Böttcher, BGB, 17. Aufl., § 313 Rz 30 am Ende). Die bloß einseitigen Erwartungen einer Vertragspartei sind unerheblich (Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Aufl., § 313 Rz 38). Die Vertragsbeteiligten müssen nachweisen, dass sie gemeinsame Vorstellungen hatten, die sich als falsch herausgestellt haben (vgl. BGH-Urteil vom 15.04.2016 - V ZR 42/15, Rz 22).

  10. bb) Eine Übertragung dieser zivilrechtlichen Grundsätze auf das Steuerrecht muss den spezifischen Besonderheiten des Steuerrechts gerecht werden.

  11. Weil die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis nach § 38 AO entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, kommt eine rückwirkende Änderung nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 - GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1.d; BFH-Urteil vom 18.09.1984 - VIII R 119/81, BFHE 142, 130, BStBl II 1985, 55, unter 2.a). Auch § 313 Abs. 1 BGB sieht als Regelfall die Anpassung des Vertrags vor, so dass die Rückwirkung zivilrechtlich nur eine Ausnahme ist.

  12. Vor diesem Hintergrund verlangt der BFH, dass der Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage bereits im Rechtsgeschäft "angelegt" sein muss (Senatsurteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539, Rz 14, m.w.N.). Der BFH musste jedoch bislang nicht entscheiden, ob sich im Wortlaut des ursprünglichen Vertrags Anhaltspunkte für die spätere Rückgängigmachung finden lassen müssen.

  13. (1) Zwar hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09 (BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539, Rz 16) ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob das Rücktrittsbegehren wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor den Zivilgerichten zweifellos erfolgreich gewesen wäre, wenn die Kaufvertragsparteien sich nach Abwicklung des Vertrags so stellen, als wenn der Kaufvertrag nicht abgeschlossen worden wäre. Zum Teil wird daraus für diese Fallgestaltungen eine Bindung der Finanzbehörde und des FG an die Änderungsvereinbarungen abgeleitet, sofern ein realer Interessensgegensatz zwischen den Vertragsbeteiligten besteht (vgl. Heuermann, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 333). Dem ist nicht zu folgen, soweit dies dazu führt, dass es auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale nicht mehr ankäme. Es kann nicht im Belieben der Vertragsbeteiligten stehen, einen Wegfall der Geschäftsgrundlage anzunehmen. Die Voraussetzungen müssen tatsächlich vorliegen und nach Maßgabe der steuerlichen Darlegungs- und Beweislast nachgewiesen werden. Allerdings bedarf es keiner Bestätigung durch ein ordentliches Gericht.

  14. (2) Mit seiner Formulierung "im Vertrag angelegt sein" hat der BFH nicht verlangt, dass sich die Anhaltspunkte für die Vertragsgrundlage im Wortlaut des Vertrags niederschlagen müssen. Dies widerspräche auch den zivilrechtlichen Anforderungen nach § 313 BGB. Denn Geschäftsgrundlage des Vertrags sind gerade die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut (vgl. BGH-Urteil vom 08.05.2024 - XII ZR 7/23, Rz 18, m.w.N.). Zwar gab es in dem Fall, der dem Senatsurteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09 (BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539) zugrunde lag, solche ausdrücklichen Anhaltspunkte im Vertrag. Die Vertragsparteien hatten geregelt, dass die mit dem Vollzug der Urkunde verbundenen Kosten und "die evtl. Steuern" der Gesellschaft zur Last fallen sollten, deren Geschäftsanteile Gegenstand der Vereinbarung waren. Jedoch hat der Senat auf diese Vertragsklausel nur am Rande abgestellt, nämlich im Zusammenhang mit der Risikoverteilung bezüglich der steuerlichen Lasten. Daraus folgt nicht, dass eindeutige Hinweise im Vertrag enthalten sein müssen. Maßgeblich ist vielmehr, dass steuerliche Folgen eines Vertrags nur dann als Geschäftsgrundlage angesehen werden können, wenn sie vor oder bei Vertragsschluss ausdrücklich erörtert worden sind (vgl. auch BGH-Urteil vom 08.05.2024 - XII ZR 7/23, Rz 18, m.w.N.; Wachter, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge ‑‑ZEV‑‑ 2002, 176, 178).

  15. Auf den Inhalt späterer Vereinbarungen ‑‑zum Beispiel auf die Änderungsvereinbarung im Streitfall‑‑ kommt es dagegen nicht an. Die Ausführungen des II. Senats des BFH in seinem Urteil vom 11.11.2009 - II R 54/08 (BFH/NV 2010, 896, unter II.1.a) stehen dem nicht entgegen. Jedenfalls kam es auf den Inhalt der dortigen Änderungsvereinbarung letztlich nicht an, weil die Vertragspartner nach den Feststellungen des FG die Frage des Entstehens beziehungsweise der Höhe der Schenkungsteuer nicht zur Grundlage des Vertrags gemacht hatten (BFH-Urteil vom 11.11.2009 - II R 54/08, BFH/NV 2010, 896, unter II.1.b aa aaa).

  16. (3) Nicht entscheidend ist, wann die Finanzbehörde von den Umständen, welche zur Geschäftsgrundlage geworden sind, Kenntnis erlangt hat. Maßgeblich ist allein, ob der betreffende Steuerbescheid noch änderbar ist. Soweit der Bescheid bereits bestandskräftig geworden sein sollte, ergibt sich aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO jedenfalls nicht, dass das rückwirkende Ereignis dem FA zeitnah mitgeteilt werden müsste. Der Verweis des FA auf das Senatsurteil vom 24.11.1992 - IX R 30/88 (BFHE 170, 71, BStBl II 1993, 296) verfängt nicht. Der Senat hatte dort entschieden, dass sich Steuerpflichtige nicht nachträglich auf eine Steuerklausel berufen können, die sie der Finanzbehörde nicht rechtzeitig bekanntgegeben haben. Eine Übertragung dieser Rechtsgrundsätze scheidet mangels vergleichbarer Sachverhalte aus. Im Streitfall liegt keine Steuerklausel vor. Anders als in dem von dem FA zitierten Fall geht es vorliegend nicht um eine Unsicherheit bezüglich der steuerlichen Folgen, sondern nach den bindenden Feststellungen des FG um einen Irrtum über die steuerlichen Folgen.

  17. (4) Allerdings kann nicht jede Fehlvorstellung über die steuerlichen Folgen eines Vertrags zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen (so auch Kreft, Praxis der Unternehmensnachfolge 2023, 25.04.2023; vgl. Wachter, ZEV 2002, 176, 177 zu einem unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum). Maßgeblich ist vor allem, ob die Veränderungen nach den vertraglichen Vereinbarungen oder nach den gesetzlichen Regelungen nicht ausschließlich in den Risikobereich einer Partei fallen (vgl. BGH-Urteile vom 17.03.2010 - XII ZR 108/08, Rz 15 und vom 26.04.2017 - IV ZR 126/16, Rz 23). Regelmäßig hat die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG nur für den Veräußerer Bedeutung. Die Besteuerung des Veräußerungsgewinns hat für den Erwerber den Ansatz eigener (oftmals höherer) Anschaffungskosten zur Folge, was für ihn günstiger ist als die historischen Anschaffungskosten des Veräußerers bei einem unentgeltlichen Erwerb der Anteile (§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG). In dem ebenfalls zu § 17 EStG ergangenen Senatsurteil vom 28.10.2009 - IX R 17/09 (BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539) hat der Senat ein alleiniges Risiko einer Partei verneint, weil die Vertragsbeteiligten eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung explizit zur Vertragsgrundlage gemacht hatten. Der dortige Kaufvertrag enthielt die Klausel: "Die mit dieser Urkunde und ihrem Vollzug verbundenen Kosten und die evtl. Steuern fallen der Gesellschaft zur Last". In der Regel fallen jedoch die steuerlichen Belastungen mangels Vereinbarung nur einer Partei zur Last, so dass eine Anpassung nach § 313 BGB ausscheidet.

  18. (5) Schließlich handelt es sich bei der Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 3 BGB um eine von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche Möglichkeit, die zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweisbar erscheinen muss (vgl. BGH-Urteil vom 01.06.2023 - III ZR 73/22, Rz 17). Das Festhalten an der vereinbarten Regelung muss zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen (vgl. BGH-Urteil vom 26.04.2017 - IV ZR 126/16, Rz 22).

  19. cc) Die vorgenannten Grundsätze gebieten eine strenge Handhabung. Ein Steuerpflichtiger, der sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, muss daher darlegen und nachweisen, dass vor oder beim Abschluss des gestörten Rechtsgeschäfts ein Umstand erörtert worden ist, dessen Eintritt nach der gemeinsamen Vorstellung der Vertragspartner derart evident ist, dass mit ihm der Vollzug des Rechtsgeschäfts "steht und fällt".

  20. d) Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FG im Ergebnis zutreffend einen rückwirkenden Wegfall des Veräußerungsgewinns nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage angenommen.

  21. Die Feststellungen des FG, dass der Kläger und die Klägerin bei Abschluss ihres Ehevertrags am xx.xx.2019 davon ausgegangen seien, die Übertragung der GmbH-Anteile führe nicht zu einer Einkommensteuerlast, binden den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Es hätte nahegelegen, zur Ermittlung des Sachverhalts das persönliche Erscheinen der Kläger anzuordnen und diese zu den Umständen des Abschlusses des Ehevertrags zu befragen sowie sich gegebenenfalls weitere Unterlagen vorlegen zu lassen. Dessen ungeachtet hat das FG bei seiner Würdigung weder die gesetzlichen Auslegungsregeln nicht beachtet noch Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt. Das FA hat auch die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.

  22. Zwar hat sich das FG zur erforderlichen Risikoverteilung nicht verhalten und einen Wegfall der Geschäftsgrundlage "aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls" ohne weitere Begründung an dieser Stelle angenommen. Das Risiko der ‑‑vorliegend erheblich hohen‑‑ Einkommensteuerbelastung trägt jedoch nicht allein der Kläger, weil beide Kläger als nach §§ 26, 26b EStG zusammen veranlagte Eheleute gemäß § 44 AO Gesamtschuldner der Einkommensteuer sind (so auch Götz, Finanz-Rundschau 2023, 599, 600). Schließlich war den Klägern nach den bindenden Feststellungen des FG nicht zumutbar, an dem Ehevertrag unverändert festzuhalten, weil die etwaigen erbschaftsteuerrechtlichen Vorteile durch die Einkommensteuerbelastung ‑‑wie das FG ausführt‑‑ aufgezehrt worden wären.

  23. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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