Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Beschluss vom 07. Oktober 2025, VIII B 90/24

Selbständiges Beweissicherungsverfahren

ECLI:DE:BFH:2025:B.071025.VIIIB90.24.0

BFH VIII. Senat

FGO § 82, FGO § 96 Abs 2, ZPO § 485, ZPO § 487, GG Art 103 Abs 1

Leitsätze

1. NV: Entspricht ein Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nicht den Zulässigkeitsanforderungen des § 487 der Zivilprozessordnung, hat das Gericht den Antragsteller vor einer ablehnenden Entscheidung grundsätzlich darauf hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, einen ergänzten Antrag zu stellen.

2. NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn der Hinweis gegenüber einem fachkundig vertretenen Beteiligten unterbleibt.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Finanzgerichts … vom … - … aufgehoben.

Das Verfahren wird an das Finanzgericht … zurückverwiesen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob ein selbständiges Beweisverfahren durchzuführen ist.

  2. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist als selbständige … im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt ‑‑FA‑‑) tätig. Aufgrund Wohnsitzes im örtlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts werden ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit gesondert festgestellt.

  3. Aufgrund Prüfungsanordnung vom …2019 fand bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung für den Zeitraum von 2015 bis 2017 statt. Nach den im Prüfungsbericht vom …2021 (in der am …2021 nach Schlussbesprechung korrigierten Fassung) niedergelegten Feststellungen der Betriebsprüfung sei für A, den Vater des Ehemanns der Antragstellerin, ein Arbeitsvertrag vorgelegt worden, der keine Regelung zu einer konkreten regelmäßigen Arbeitszeit enthalte. Für die geleistete Arbeitszeit sei das Führen von Stundennachweisen schriftlich vereinbart worden. Diese Stundennachweise hätten für den Prüfungszeitraum nicht vorgelegt werden können. Mangels Angabe von konkreten Arbeitszeiten und Nachweisen der tatsächlich geleisteten Arbeit anhand von Stundenzetteln sei der Betriebsausgabenabzug für den erklärten Lohnaufwand in den Jahren 2016 und 2017 für die Beschäftigung des A in Höhe von jeweils … € zu versagen.

  4. Das FA folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und erließ am …2022 entsprechend geänderte Feststellungsbescheide für die Jahre 2016 und 2017. Gegen die Änderungsbescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein.

  5. Mit Schriftsatz vom …2022 beantragte sie außerdem beim Finanzgericht (FG) die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens nach § 485 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Antragstellerin begehrte die Vernehmung des A als Zeugen, da aufgrund dessen hohen Alters ‑‑er sei am …1939 geboren und mithin im Zeitpunkt der Antragstellung … Jahre alt‑‑ mit einer beschränkten Lebenserwartung und daher mit der Möglichkeit eines jederzeitigen Verlusts des Zeugen zu rechnen sei. Sie beantragte sinngemäß A als Zeugen über seine Tätigkeit in der … der Antragstellerin zu vernehmen. Das FA stimmte dem Antrag nicht zu.

  6. Am …2022 erhob die Antragstellerin beim FG Untätigkeitsklage unter anderem gegen die nach der Außenprüfung geänderten Feststellungsbescheide für die Jahre 2016 und 2017. Am …2022 erging die Einspruchsentscheidung des FA.

  7. Mit Beschluss vom 20.08.2024 wies das FG während des schon laufenden Klageverfahrens im Hauptverfahren den Antrag der Antragstellerin auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ohne vorherige Anhörung der Antragstellerin zurück. Zur Begründung führte das FG aus, dass der Antrag mangels hinreichend bestimmter Bezeichnung des Beweisthemas unzulässig sei. Ferner ergebe sich aus dem Vortrag der Antragstellerin nicht, dass ein Verlust oder eine erschwerte Benutzung der von der Antragstellerin benannten Beweismittel gedroht hätte. Allein das hohe Alter des A reiche nicht aus. Auch das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin sei zu verneinen, denn es gehe um die bloße Aufklärung von abgeschlossenen Vorgängen und nicht um eine Beweissicherung vor einer Vermögensdisposition. Außerdem habe sich die Antragstellerin nicht in Beweisnot befunden, sondern hätte Stundenzettel erstellen können, eine notariell beurkundete Erklärung des als Zeugen benannten Schwiegervaters zu seinen Arbeitszeiten einholen oder andere Mitarbeiter als Zeugen für die erbrachte Arbeitsleistung benennen können.

  8. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am …2024 erhobenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Sie trägt zur Begründung vor, das FG verkenne, dass gerade das hohe Alter des A, das weit über dem Durchschnitt der Lebenserwartung von männlichen Personen in der Bundesrepublik Deutschland von 78,3 Jahren liege, die Beweisaufnahme rechtfertige.

  9. Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

  10. Das FG hat mit Urteil vom …2024 - … unter anderem die Klage gegen die geänderten Feststellungsbescheide für die Jahre 2015 bis 2017 als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist zulässig und begründet und führt zur Aufhebung des Beschlusses des FG.

  2. 1. Die Beschwerde ist zulässig.

  3. a) Da ein Beschluss des FG, der die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens (§ 82 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑ i.V.m. §§ 485 ff. ZPO) ablehnt, nicht als Beweisbeschluss im Sinne des § 128 Abs. 2 FGO anzusehen ist, ist die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 1 FGO statthaft (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14.05.2007 - I B 135/06, BFH/NV 2007, 1900, unter II.1.a, m.w.N.).

  4. b) Das Vorbringen der Antragstellerin, das FG habe den Antrag auf Beweissicherung rechtswidrig und willkürlich zurückgewiesen, ist dahin zu verstehen, dass die Antragstellerin in diesem Beschwerdeverfahren nicht die tatsächliche Erhebung der Beweise, sondern den Erlass des vom FG abgelehnten Beweisbeschlusses (§ 82 FGO i.V.m. § 490 Abs. 2 Satz 1 ZPO) begehrt. Damit liegt ein zulässiges Beschwerdebegehren vor (vgl. BFH-Beschluss vom 14.05.2007 - I B 135/06, BFH/NV 2007, 1900, unter II.1.b, m.w.N.).

  5. c) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist zu bejahen. Dem steht nicht entgegen, dass das finanzgerichtliche Verfahren …, in dessen Rahmen die Vernehmung des A ebenso als Zeugen begehrt wurde, durch Urteil vom …2024 abgeschlossen wurde. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil das FG im Hauptsacheverfahren entschieden hat. Ist die Beschwerde begründet, ist der Ablehnungsbeschluss des FG aufzuheben. Stellt der Senat im Hinblick auf die unterbliebene Zeugenvernehmung oder aus anderen Gründen im anhängigen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren … einen Verfahrensfehler fest, könnte die Beweiserhebung im Beweissicherungsverfahren nach Abschluss des Nichtzulassungsbeschwerde- oder eines Revisionsverfahrens im zweiten Rechtsgang für die Entscheidung des Rechtsstreits durch das FG von Bedeutung sein.

  6. 2. Die Beschwerde ist begründet. Das FG hat den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens verfahrensfehlerhaft als unzulässig zurückgewiesen.

  7. a) Nach Aktenlage fehlt es entgegen der Rechtsauffassung des FG nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens. Das FG hat das fehlende Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin damit begründet, dass es an einem Zusammenhang zwischen einer zu treffenden Vermögensdisposition der Antragstellerin und einer anschließenden (erschwerten) Nachweisbarkeit steuererheblicher tatsächlicher Umstände fehle und ein Rechtsschutzbedürfnis außerdem nur in solchen Fällen (drohender) Beweisnot bestehe, die ihre Ursache außerhalb der Einflusssphäre des Steuerpflichtigen hätten. Dem ist nicht zu folgen. Für das Rechtsschutzbedürfnis für ein selbständiges Beweisverfahren ist es erforderlich und ausreichend, dass die Erhebung des Beweismittels für ein (noch durchzuführendes oder zumindest noch anhängiges) Hauptsacheverfahren von Bedeutung sein kann. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, denn zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Lohnzahlungen der Antragstellerin an ihren Schwiegervater als Betriebsausgaben streitig. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzbedürfnis abzulehnen, wenn bereits zuvor eine dem Antrag gleichstehende Beweiserhebung stattgefunden hat, oder wenn die beantragte Beweiserhebung undurchführbar ist, zum Beispiel weil sie von der Zustimmung eines Dritten abhängt und dieser seine Zustimmung rechtmäßig verweigert ‑‑z.B. bei Ortsbesichtigungen auf fremden Grundstücken‑‑ (vgl. Hartman in Gosch, FGO § 82 Rz 695). Auch ein solcher Ausnahmefall ist im Streitfall nach Aktenlage nicht gegeben.

  8. b) Gemäß § 82 FGO i.V.m. § 485 Abs. 1 ZPO kann auf Antrag eines Beteiligten während oder außerhalb eines Streitverfahrens die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der andere Beteiligte ("der Gegner") zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweissicherungsverfahrens muss gemäß § 487 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO die Bezeichnung des Gegners (Nr. 1), die Bezeichnung der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll (Nr. 2), die Benennung der Zeugen oder die Bezeichnung der übrigen nach § 485 ZPO zulässigen Beweismittel (Nr. 3) und die Glaubhaftmachung der Tatsachen, die die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen (Nr. 4), enthalten. Die in § 487 ZPO geforderten Angaben sind Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags. Die Beweisfrage (Nr. 2) und die Beweismittel (Nr. 3) sind hinreichend genau zu bezeichnen (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 82 FGO Rz 246).

  9. c) Das FG hat den Antrag der Antragstellerin mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, es fehle an einem hinreichend substantiierten Beweisantrag und die Ausführungen der Antragstellerin zum hohen Alter des benannten Zeugen genügten ebenfalls nicht dem Darlegungs- und Substantiierungserfordernis des § 487 Nr. 4 ZPO.

  10. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob diese Erwägungen des FG zutreffen. Das FG hat den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt. Entspricht ein Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nicht den Zulässigkeitsanforderungen des § 487 ZPO, hat das Gericht den Antragsteller vor einer ablehnenden Entscheidung darauf hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, einen ergänzten Antrag zu stellen (Hartman in Gosch, FGO § 82 Rz 711; Krumm in Tipke/Kruse, § 82 FGO Rz 99). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn der Hinweis gegenüber einem fachkundig vertretenen Beteiligten unterbleibt (BFH-Beschluss vom 28.12.2007 - III B 55/07, unter II.2.b). Im Streitfall hat das FG den Antrag auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens abgelehnt, ohne der nicht fachkundig vertretenen Antragstellerin die Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag zu ergänzen.

  11. 3. Der Senat hält es für zweckmäßig, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Eine Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren zulässig (BFH-Beschluss vom 17.10.2007 - VI B 138/06, BFH/NV 2008, 101, unter 4.). Die Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn das Verfahren vor dem FG, wie im Streitfall, an einem wesentlichen Verfahrensmangel litt (BFH-Beschluss vom 15.07.1999 - V B 25/99, BFH/NV 2000, 192, unter II.2.). Die Antragstellerin erhält so die Gelegenheit, ihren Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zu ergänzen.

  12. 4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Im selbständigen Beweisverfahren ergeht grundsätzlich keine Kostenentscheidung. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bilden einen Teil der Kosten des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens, über die in der Regel in diesem Verfahren entschieden wird (Hartman in Gosch, FGO § 82 Rz 682; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20.10.2020 - VI ZB 28/20, Monatsschrift für Deutsches Recht 2021, 126, Rz 7).

Print Page