ECLI:DE:BFH:2025:B.230425.IVB46.24.0
BFH IV. Senat
FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 115 Abs 2 Nr 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend FG Nürnberg, 16. October 2024, Az: 3 K 908/21
Leitsätze
1. NV: Für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung sind die angeblichen Divergenzentscheidungen genau zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, sodass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt.
2. NV: Eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 16.10.2024 - 3 K 908/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wurden teils nicht ordnungsgemäß dargelegt, teils liegen sie nicht vor.
1. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Gleiches gilt für Entscheidungen eines anderen obersten Bundesgerichts. Dabei muss das FG seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11.11.2020 - IX B 40/20, Rz 7, m.w.N.).
Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angeblichen Divergenzentscheidungen genau ‑‑mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle‑‑ zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, sodass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11.11.2020 - IX B 40/20, Rz 8, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin hat weder aus dem angefochtenen FG-Urteil noch aus den von ihr genannten, vermeintlichen Divergenzentscheidungen des BFH abstrakte Rechtssätze herausgearbeitet und so eine Abweichung im Grundsätzlichen deutlich gemacht. Auch fehlt es an der Darlegung, dass es sich um gleiche oder vergleichbare Sachverhalte gehandelt hat. Vielmehr weist die Klägerin selbst darauf hin, dass im Streitfall ein abweichender Sachverhalt vorliege. Sie rügt im Kern, das FG habe die vom BFH entwickelten Rechtsgrundsätze unzutreffend auf den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt angewendet. Mit diesem Vorbringen legt sie jedoch keine Divergenz im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO dar (z.B. BFH-Beschluss vom 26.05.2000 - XI B 56/99, Rz 2).
2. Auch die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler können keine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen.
a) Soweit die Klägerin das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung rügt, genügen ihre Ausführungen nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen.
aa) Eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. BFH-Beschlüsse vom 23.02.2017 - IX B 2/17, Rz 15; vom 12.01.2023 - IX B 29/22, Rz 2).
bb) Eine solche verfahrensfehlerhafte Überraschungsentscheidung des FG hat die Klägerin jedoch nicht dargelegt.
Sie führt zwar aus, das FG sei erstmals in seinem Urteil (S. 41, 2. Absatz) davon ausgegangen, dass es ‑‑bis zum Verkauf der A-Straße 6‑‑ in der A-Straße 8 einen zunächst "ruhenden Betrieb" gegeben habe, wobei die Annahme eines "ruhenden Betriebs" in der A-Straße 8 nicht nur unrichtig, sondern auch für die Verfahrensbeteiligten unvorhersehbar gewesen sei.
Allerdings ergibt sich hieraus keine Überraschungsentscheidung. Zum einen ist unklar, was die Klägerin genau meint, wenn sie von einem "zunächst ruhenden Betrieb" in der A-Straße 8 spricht. Zum anderen ist das FG ‑‑anders als die Klägerin meint‑‑ nicht davon ausgegangen, dass es in der A-Straße 8 zunächst einen "ruhenden Betrieb" gegeben habe. Vielmehr hat es angenommen, dass der "ruhende Betrieb" in der A-Straße 8 "gleichartig oder ähnlich" wieder aufgenommen werden könne. Es hat dementsprechend (auf S. 41, 2. Absatz) ausgeführt: "… Die Besonderheit ist, dass im Streitfall zwei betriebliche Grundstücke vorhanden waren, von denen das eine zumindest überwiegend für den Ausgangsbetrieb (Einzelunternehmen [B], Inhaberin [C]) genutzt wurde und damit die wesentliche Betriebsgrundlage darstellte. Durch die Umstrukturierung in 2014 hat sich aber diese Ausgangsituation geändert, der Betrieb wurde in die [A-Straße 8] verlagert, die damit nun die wesentliche Betriebsgrundlage bildete. Der in 2016 erfolgte Verkauf der [A-Straße 6] führte daher nicht zur zwangsweisen Beendigung der Betriebsverpachtung, denn der Verkauf dieses Grundstücks hinderte nicht daran, den ruhenden Betrieb in der [A-Straße 8] im Sinne der oben genannten Rechtsprechung 'gleichartig oder ähnlich' wieder aufzunehmen. Mit dem Zurückbehalt der [A-Straße 8] verfügte die GbR nach wie vor über die wesentliche Grundlage, um einen … später wieder aufnehmen zu können. Diese Räumlichkeiten waren gerade durch die Modernisierung und die Lage in unmittelbarer Nähe des Ausgangsgeschäfts geeignet, eine Betriebsfortführung zu ermöglichen. Aus dem Vertrag über den Verkauf der [A-Straße 8] ist ersichtlich, dass die Pächterin, die rechtsnachfolgende … GmbH den Betrieb bis in das Jahr 2017 auch in den überlassenen Geschäftsräumen der [A-Straße 8] fortführte. Die [A-Straße 8] war somit seit 2014 die wesentliche Betriebsgrundlage, die eine identitätswahrende Wiederaufnahme des ursprünglichen Gewerbebetriebs durch die GbR ermöglicht hätte. Erst durch deren Verkauf war eine Wiederaufnahme des Betriebs mangels der dazu erforderlichen wesentlichen Betriebsgrundlagen objektiv nicht mehr möglich."
In den genannten Ausführungen kann der Senat ‑‑unter Einbeziehung der im Verfahren ausgetauschten Stellungnahmen, vorgelegten Vertragsunterlagen sowie des Beiladungsbeschlusses vom 18.09.2024‑‑ keine Überraschungsentscheidung erkennen.
b) Auch soweit die Klägerin rügt, die Behandlung der "Verpachtungsfrage" durch das FG sei verfahrensfehlerhaft, weil das FG ‑‑ausgehend von dem festgestellten Sachverhalt‑‑ wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen habe, die in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.
aa) Die Klägerin wendet ein, die Annahme einer Betriebsverpachtung, mit der sich das FG auf Seite 37 seines Urteils auseinandergesetzt habe, lasse unberücksichtigt, dass C über den Betrieb nicht mehr habe verfügen können, nachdem sie ihn im Jahr 1998 in die D-GbR eingebracht habe. Hieraus ergebe sich zweifelsfrei, dass C aus dem Betrieb endgültig habe ausscheiden wollen und auch ausgeschieden sei. Eine Fortführung des Betriebs durch sie sei damit ausgeschlossen gewesen. Auch dieser Umstand, der die Annahme einer Verpachtung verbiete, sei im Urteil nicht erörtert worden, obwohl er dem FG bekannt gewesen sei. Hierauf ‑‑so die Klägerin‑‑ beruhe die angefochtene Vorentscheidung. Im Falle einer zutreffenden und vollständigen Beweiswürdigung zur Betriebsverpachtung hätte das FG eine solche naheliegend nicht annehmen können.
bb) Damit rügt die Klägerin sinngemäß, das FG habe die vorliegenden Tatsachen und Beweise (in Teilen) fehlerhaft gewürdigt. Ihre Verfahrensrüge richtet sich damit im Kern gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des FG. Mit der Rüge materiell fehlerhafter Rechtsanwendung kann die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels jedoch nicht erreicht werden (z.B. BFH-Beschluss vom 17.11.2022 - IX B 82/21, Rz 10).
cc) Zudem hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, dass die Entscheidung des FG ‑‑nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des FG‑‑ auf dem vermeintlichen Verfahrensmangel beruhen kann, zumal das FG davon ausgegangen ist, dass mit Beginn des Jahres 1998 eine Betriebsverpachtung im Ganzen von der D-GbR an die E-GmbH & Co. KG vorlag.
Im Übrigen hat sich das FG im Rahmen seiner umfassenden Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Betriebsverpachtung im Ganzen (hierzu ab S. 29 des FG-Urteils) unter anderem auch mit der Einbringung des ruhenden Betriebs durch C in die D-GbR im Jahr 1998 befasst. Dass es diese rechtlich anders beurteilt hat als die Klägerin diese (möglicherweise) beurteilt wissen will, stellt keinen Verfahrensfehler dar.
3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, § 139 Abs. 4 FGO.