ECLI:DE:BFH:2025:B.201025.XB44.24.0
BFH X. Senat
FGO § 76 Abs 1, FGO § 91 Abs 2
vorgehend FG Düsseldorf, 15. May 2024, Az: 15 K 2390/22 E,G,U
Leitsätze
NV: Weist das Finanzgericht ausdrücklich darauf hin, dass es im Rahmen einer bereits angesetzten mündlichen Verhandlung über den Beweisantrag eines Beteiligten und das weitere prozessuale Vorgehen entscheiden möchte, geht das Rügerecht wegen Vernachlässigung der eigenen prozessualen Mitwirkungspflichten verloren, wenn der betreffende Beteiligte eben dieser mündlichen Verhandlung unentschuldigt fernbleibt und sich damit selbst der Möglichkeit begibt, zu einem Beweisantrag weiter vorzutragen. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, einen bewussten Verzicht auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu kompensieren und dem Betroffenen eine weitere Gelegenheit zu bieten, die im ersten Rechtsgang versäumte Möglichkeit des weiteren Vortrags in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 15.05.2024 - 15 K 2390/22 E,G,U wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der bis Juni 2017 einen X-Handel betrieben hatte, erklärte für das Streitjahr einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 € und keine Umsätze. Eine Gewinnermittlung legte er nicht vor.
Aufgrund von regelmäßigen Bareinzahlungen, deren Herkunft im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht hatten geklärt werden können, und einer Geldverkehrsrechnung, die zu einem Ausgabenüberschuss in Höhe von 36.593,28 € geführt hatte, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) für 2017 Gewinne aus Gewerbebetrieb in Höhe von 38.320 € und Umsätze (zu 19 %) in Höhe von 32.202 €.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens trugen die Kläger unter Vorlage von Kontoauszügen vor, sie hätten bei der A-Bank ein Darlehen in Höhe von 150.000 € sowie drei weitere private Darlehen in Höhe von insgesamt 185.000 € aufgenommen, so dass nach dem Erwerb einer Immobilie für 295.000 € noch 40.000 € zur freien Verfügung gestanden hätten. Der Kläger sei aufgrund einer Herzerkrankung nicht arbeitsfähig gewesen und habe daher keine Umsätze erwirtschaften können.
Das FA wies die Einsprüche zurück. Es sei weiterhin nicht belegt, woher die in 2017 eingezahlten Barbeträge stammten und wie die Kläger ihren Lebensunterhalt bestritten hätten. Es fehlten Nachweise über Abhebungen vom Bankkonto der Darlehensgutschrift. Aus den eingereichten Kontoauszügen des Kontos der Klägerin und Beschwerdeführerin bei der B-Bank für den Zeitraum 01/2017 bis 12/2017 sowie des Kontos des Klägers bei der C-Bank ergäben sich weitere Bareinzahlungen in Höhe von 29.055 €. Die Kontoauszüge des Kontos bei der D-Bank für 07/2017 bis 12/2017 fehlten weiterhin.
Dagegen erhoben die Kläger Klage.
Das Finanzgericht (FG) setzte den Klägern mit Verfügung vom 19.09.2023 eine Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und forderte sie auf, innerhalb eines Monats alle Kontoauszüge aus den Jahren 2016 und 2017 vorzulegen, aus denen sich der Mittelfluss des Darlehens bei der A-Bank von der Darlehensauskehrung bis hin zur Immobilienfinanzierung beziehungsweise Bargeldabhebung nachvollziehen lasse, hilfsweise, den Mittelfluss anderweitig nachzuweisen.
Die Kläger reagierten hierauf nicht.
Mit Verfügung vom 29.02.2024 setzte das FG den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 27.03.2024 fest; die Ladung enthielt den Hinweis, dass bei Nichterscheinen des Vertreters auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO). Mit einer weiteren Verfügung nach § 79b Abs. 2 und 3 FGO vom 04.03.2024, zugestellt am 07.03.2024, forderte das FG die Kläger auf, innerhalb von zwei Wochen darzulegen und nachzuweisen, woher die im ersten Halbjahr 2017 auf das klägerische Konto eingezahlten Barmittel in Höhe von 38.320,50 € stammten, und hierzu den Mittelfluss vom Erhalt bis zur Einzahlung im Einzelnen darzulegen und nachzuweisen.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger legte am 20.03.2024 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (womöglich bis zum 03.04.2024 - die von dem Kläger übermittelte Kopie ist teilweise unleserlich) vor und beantragte, die gesetzte Ausschlussfrist bis zum 20.04.2024 zu verlängern.
Das FG verlegte mit Verfügungen vom 21.03.2024 den für den 27.03.2024 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15.05.2024 und setzte eine neue Ausschlussfrist von vier Wochen. Auch die Umladung enthielt einen Hinweis auf § 91 Abs. 2 FGO.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragte daraufhin, den Termin vom 27.03.2024 zu verlegen, und legte eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (bis zum 15.05.2024) vor.
Mit Schreiben vom 26.03.2024 teilte das FG dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit, dass der für den 27.04.2024 ‑‑richtig: 27.03.2024‑‑ anberaumte Termin bereits aufgehoben worden sei. An dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 15.05.2024 werde festgehalten. Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger verhandlungs- oder reiseunfähig sei, lasse sich dem vorgelegten Attest nicht entnehmen. Zudem sei auch eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz möglich.
Mit Schriftsatz vom 10.04.2024 legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger einen auf "10.2016" datierten Darlehensvertrag zwischen dem Kläger und einem K über 40.000 € vor, der eine Auszahlung "nach Bedarf" und eine Rückzahlung "bis spätestens zum 10.2026" vorsah. Das Darlehen habe der Kläger zur "Überbrückung der krankheitsbedingten Umsatzeinbußen" aufgenommen. Zum Beweis wurde K als Zeuge benannt.
Das FG lud mit Verfügung vom 11.04.2024 K zu dem für den 15.05.2024 festgesetzten Verhandlungstermin als Zeugen.
Mit Schriftsatz vom 29.04.2024 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Aufhebung des für den 15.05.2024 anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung und die Verlegung auf einen Termin nach dem 02.06.2024, da K bis zum 02.06.2024 "auswärtig zur Montage in eigenen Aufträgen gebunden" sei.
Das FG bat mit Verfügung vom 30.04.2024, den Hinderungsgrund des K einschließlich seiner Erheblichkeit substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger legte mit Schriftsatz vom 13.05.2024weitere Unterlagen vor.
Das FG teilte dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schreiben vom 14.05.2024 mit, dass die mündliche Verhandlung am 15.05.2024 ohne den Zeugen K durchgeführt werde. Über den Beweisantrag und das weitere Vorgehen werde im Rahmen der Verhandlung entschieden.
Zur mündlichen Verhandlung am 15.05.2024 erschien für die Klägerseite niemand. Dem Protokoll über die mündliche Verhandlung zufolge wies das FG darauf hin, dass es den Beweisantritt durch Zeugnis des K für unzulässig halte und die Sache ohne weitere Beweisaufnahme entschieden werden solle.
Die Klage wurde abgewiesen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Kläger machen geltend, das FG hätte nicht ohne Einvernahme des Zeugen K entscheiden dürfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Kläger ihr Rügerecht verloren haben.
1. Es ist ein allgemein anerkannter prozessualer Grundsatz, dass zwischen den Pflichten des Gerichts aus § 76 FGO und der prozessualen Mitwirkung der Beteiligten eine Wechselwirkung besteht (s. ausführlich Senatsurteile vom 15.02.1989 - X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462, unter 3., und vom 30.07.2003 - X R 28/99, BFH/NV 2004, 201, unter II.1.; ebenso Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.10.1993 - VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, unter II.1.b; BFH-Beschlüsse vom 15.06.2004 - VI B 220/00, BFH/NV 2004, 1419, unter 1., und vom 06.05.2005 - XI B 239/03, BFH/NV 2005, 1605, unter II.2.a).
a) Daraus hat die Rechtsprechung zunächst in Bezug auf die richterlichen Hinweispflichten aus § 76 Abs. 2 FGO gefolgert, dass, wer zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erscheint, regelmäßig anschließend eine Verletzung des § 76 Abs. 2 FGO nicht mehr rügen kann (BFH-Beschlüsse vom 29.10.1999 - III B 32/99, BFH/NV 2000, 580, unter 3., und vom 23.02.2005 - VII B 133/04, BFH/NV 2005, 1325, unter 1.).
Ebenso hat der VII. Senat des BFH in Bezug auf den Untersuchungsgrundsatz aus § 76 Abs. 1 FGO entschieden, dass das Übergehen eines Beweisantrages oder eine unvollständige Zeugeneinvernahme im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden könne, wenn der ordnungsgemäß geladene Beteiligte zur mündlichen Verhandlung unentschuldigt nicht erscheine und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichte. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift sei, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten könne (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), habe die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust ‑‑zum Beispiel auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde‑‑ zur Folge (BFH-Beschluss vom 02.03.2005 - VII B 142/04, BFH/NV 2005, 1576, unter 3.; s.a. BFH-Urteil vom 05.09.2013 - XI R 26/12, BFH/NV 2014, 313, Rz 23; Senatsbeschluss vom 19.09.2012 - X B 40/11, BFH/NV 2013, 941, Rz 16; BFH-Beschlüsse vom 08.09.2015 - XI B 33/15, BFH/NV 2015, 1690, Rz 18, und vom 20.10.2022 - VI B 33/22, BFH/NV 2023, 41, Rz 5).
b) Ob dem in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls dann, wenn das FG ausdrücklich darauf hinweist, dass es im Rahmen einer bereits angesetzten mündlichen Verhandlung über den Beweisantrag eines Beteiligten und das weitere prozessuale Vorgehen entscheiden möchte, geht das Rügerecht wegen Vernachlässigung der eigenen prozessualen Mitwirkungspflichten verloren, wenn der betreffende Beteiligte eben dieser mündlichen Verhandlung unentschuldigt fernbleibt und sich damit selbst der Möglichkeit begibt, zu einem Beweisantrag weiter vorzutragen. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, einen bewussten Verzicht auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu kompensieren und dem Betroffenen eine weitere Gelegenheit zu bieten, den im ersten Rechtsgang versäumten weiteren Vortrag in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen.
2. Im Streitfall hat das FG die Mitteilung, dass der für den 15.05.2024 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung ohne den Zeugen K durchgeführt werde, mit dem Hinweis verbunden, dass "über den Beweisantrag und das weitere Vorgehen" im Rahmen der Verhandlung entschieden werden solle. Auf die Möglichkeit, dass bei Nichterscheinen des Vertreters auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO), waren die Kläger hingewiesen worden.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger ist ungeachtet dessen zu dem Termin nicht erschienen, ohne hierfür einen Grund zu nennen. Auch die Beschwerdebegründung enthält hierzu keine Ausführungen. Die Klägerseite hat damit ihre prozessualen Mitwirkungspflichten verletzt und folglich das Rügerecht in Bezug auf die unterlassene Beweisaufnahme verloren. Die in der Beschwerdebegründung genannten Gründe, warum das FG nach Ansicht der Klägerseite nicht ohne Einvernahme des Zeugen K hätte entscheiden dürfen, hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vortragen können und müssen. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht. Daher kann er den behaupteten Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO nicht mehr rügen.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.