ECLI:DE:BFH:2025:B.260825.IVB4.25.0
BFH IV. Senat
FGO § 74, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, AO § 171 Abs 10, AO § 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a, EStG § 3a Abs 1 S 1, EStG § 3a Abs 4 S 1
vorgehend FG Münster, 10. December 2024, Az: 15 K 2520/19 F
Leitsätze
NV: Das Verfahren betreffend die Anfechtung des Gewinnfeststellungsbescheids ist nach § 74 der Finanzgerichtsordnung auszusetzen, bis über den Antrag auf Feststellung der Höhe des steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑ (§ 3a Abs. 4 Satz 1 EStG) entschieden ist.
Tenor
Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 10.12.2024 - 15 K 2520/19 F aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen der Beigeladenen übertragen.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der zu Unrecht unterlassenen Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) liegt vor.
1. Der Vorinstanz ist ein Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO unterlaufen. Sie hat das Verfahren betreffend die Anfechtung des Gewinnfeststellungsbescheids für 2012 nicht ausgesetzt, bis über den Antrag der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) auf Feststellung der Höhe des steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑ (§ 3a Abs. 4 Satz 1 EStG) entschieden ist. Das FA hat diesen Mangel in einer § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise (jedenfalls sinngemäß) gerügt, indem es geltend gemacht hat, das FG hätte das Urteil zurückstellen müssen, bis das Verfahren über den Grundlagenbescheid abgeschlossen ist.
a) Gemäß § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
b) Die gesonderte und einheitliche Feststellung der Höhe des steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG gemäß § 3a Abs. 4 EStG ist ein ‑‑von der Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu unterscheidender‑‑ eigenständiger Verwaltungsakt. Der Feststellungsbescheid nach § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG ist, soweit darin die Höhe des im Gesamthandsbereich einer Mitunternehmerschaft angefallenen Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG festgestellt ist, Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO) für den Gewinnfeststellungsbescheid der Mitunternehmerschaft als dessen Folgebescheid (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10.10.2024 - IV R 1/22, BStBl II 2025, 294, Rz 29 f.).
c) In Anwendung dieser Grundsätze hätte die Vorinstanz das Klageverfahren betreffend die Gewinnfeststellung für 2012 aussetzen müssen, nachdem die Klägerin die rückwirkende Anwendung des § 3a EStG und damit der Sache nach die Feststellung der Höhe des steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG gemäß § 3a Abs. 4 EStG beantragt hat. Das FA hätte zunächst über den Antrag auf Feststellung eines steuerfreien Sanierungsgewinns nach § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG entscheiden müssen. Indem das FG die Verfahrensaussetzung unterlassen hat, hat es gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen.
d) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem Verfahrensmangel, da das FG im Rahmen der Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO (Anfechtung der Höhe des laufenden Gesamthandsgewinns) über die Höhe des nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG steuerfreien Sanierungsertrags (Verpflichtungsbegehren) entschieden hat.
2. Der erkennende Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO vorzugehen und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Auf die übrigen geltend gemachten Zulassungsgründe kommt es danach nicht an.
3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung einschließlich der Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen der Beigeladenen auf das FG ergibt sich aus § 143 Abs. 2, § 139 Abs. 4 FGO.