ECLI:DE:BFH:2025:BA.261125.VIIB80.25.0
BFH VII. Senat
EUV 833/2014 Art 3i Abs 1, EUV 833/2014 Art 3s Abs 3, EUV 833/2014 Anh 21, EUV 952/2013 Art 45 Abs 2, EUV 952/2013 Art 45 Abs 3, EUV 952/2013 Art 198 Abs 1 Buchst b Ziff 4, ZollVG § 13 Abs 1 S 1, FGO § 69 Abs 2, FGO § 69 Abs 3, SeeRÜbk Art 17, SeeRÜbk Art 18
vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern , 09. May 2025, Az: 3 V 32/25
Leitsätze
1. Das in Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in der bis zum 24.02.2025 geltenden Fassung der Verordnung (EU) 2024/3192 (Verordnung (EU) Nr. 833/2014) verwendete Tatbestandsmerkmal des "Verbringens" gelisteter Waren in das Zollgebiet der Union ist auf der Grundlage einer summarischen Prüfung als ein vom menschlichen Willen getragener Realakt des körperlichen Gelangens zu verstehen. In einer durch technische Defekte ausgelösten Seenotsituation, in der ein Schiff manövrierunfähig treibt und lediglich durch äußere Umstände (Wind, Strömung) in Gewässer der Union gelangt, ist das Vorliegen eines willensgetragenen Verbringens im Sinne dieser Vorschrift ernstlich zweifelhaft.
2. Bei der Auslegung des Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sind die Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SeeRÜbk) ‑‑insbesondere das Recht auf friedliche Durchfahrt (Art. 17, 18 SeeRÜbk) und das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Nothafenrecht‑‑ sowie die in Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verankerte Nothafen-Ausnahme zu berücksichtigen. Ob und in welchem Umfang hieraus für havariebedingt eingelaufene Schiffe mit sanktionierter Ladung eine sanktionsrechtliche Ausnahmesituation folgt, ist unionsrechtlich klärungsbedürftig und begründet im Verfahren nach Art. 45 Abs. 2 des Zollkodex der Union (UZK) erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer auf Art. 198 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv UZK i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 des Zollverwaltungsgesetzes gestützten Einziehung der Ladung.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 09.05.2025 - 3 V 32/25 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) einer auf Art. 198 Abs. 1 des Zollkodex der Union (UZK) gestützten Einziehungsverfügung, die sich auf eine aus der Russischen Föderation (Russland) stammende Schiffsladung bezieht.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ‑‑eine Gesellschaft mit Sitz in den A‑‑ war Zeitcharterer des in der Republik P registriert gewesenen streitgegenständlichen Öltankers und Eigentümerin der streitgegenständlichen Ladung "Fuel Oil", die Gegenstand eines internationalen Handelsgeschäfts war.Der Tanker war hierfür in Russland beladen worden; sein Zielhafen lag in der Republik I.
Am 09.01.2025 befuhr das Schiff auf seiner Route durch die Ostsee die vor Rügen gelegenen internationalen Gewässer. Aufgrund eines Stromausfalls wurde es manövrierunfähig, trieb in der Folge in deutsche Hoheitsgewässer und wurde schließlich auf die Reede vor S geschleppt, wo man es für eine Weiterfahrt wieder ertüchtigte. Parallel untersuchten deutsche Behörden den Vorfall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.
Mit Verfügung vom 13.01.2025 untersagte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) der Schiffsführung das Auslaufen, um eine zollamtliche Kontrolle durchführen zu können, und begründete dies mit einem möglichen Verstoß gegen auf Russland abzielende Embargomaßnahmen. Mineralöl der geladenen Art sei im Anh. XXV der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31.07.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2014, Nr. L 229, 1) in der bis zum 24.02.2025 geltenden Fassung der Verordnung (EU) 2024/3192 des Rates vom 16.12.2024 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABlEU L 2024/3192) ‑‑Verordnung (EU) Nr. 833/2014‑‑, aufgeführt. Das Verbringen dort gelisteter Waren in die Europäische Union (EU) und deren Wiederausfuhr seien unzulässig.
Das HZA holte zu dem Vorfall zudem eine rechtliche Bewertung des juristischen Dienstes der Europäischen Kommission (Legal Service) ein. Der Legal Service gelangte in seiner Stellungnahme vom 12.02.2025 zu dem Ergebnis, dass das Schiff die Bundesrepublik Deutschland nur verlassen dürfe, wenn die geladene, nach Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verbotene Ware zuvor entladen werde, weil bereits das bloße Verbringen in das Zollgebiet der Union als Import gelte und ein anschließender Transfer untersagt sei.
Durch die Verordnung (EU) 2025/395 des Rates vom 24.02.2025 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABlEU L 2025/395) wurde das Schiff in Anh. XLII zu Art. 3s der ab 25.02.2025 geltenden Fassung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31.07.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABlEU 2014, Nr. L 229, 1) ‑‑Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F.‑‑ aufgenommen und unterlag damit den dort genannten Restriktionen in Bezug auf die Gewässer der EU. Aus Sicht des HZA zählte es seither ‑‑durch die Listung anerkannt‑‑ zu einer "Schattenflotte", die zur Umgehung der russische Mineralöle betreffenden Handelssanktionen und jedenfalls indirekt zur Finanzierung des völkerrechtswidrigen russischen Vorgehens in der Ukraine eingesetzt werde.
Am 26.02.2025 erließ das HZA gegenüber der Schiffsführung gestützt auf Art. 198 UZK i.V.m. § 13 Abs. 1 des Zollverwaltungsgesetzes (ZollVG) eine auf die Ladung bezogene Sicherstellungsverfügung. Bei der Ladung handele es sich ‑‑ausweislich des Ergebnisses der Untersuchung‑‑ um Ware russischen Ursprungs und dabei um eine solche der Pos. 2707 der Kombinierten Nomenklatur (KN), die im Anh. XXI der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 gelistet sei. Gemäß Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sei jedes Verbringen im Anh. XXI der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 gelisteter Waren russischen Ursprungs der Pos. 2707 KN in das Zollgebiet der Union verboten. Auf ein subjektives Element komme es hierbei nicht an; die Havariesituation sei insofern nicht erheblich, die Sicherstellung vielmehr zwingend. Denn das Verbringungsverbot sei ein absolutes Überlassungshindernis, sodass die Maßnahmen gemäß Art. 198 UZK zwingend zu ergreifen seien. Mit Anhörungsschreiben vom 04.03.2025 kündigte das HZA außerdem die Einziehung und Verwertung der Schiffsladung zugunsten der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 198 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv UZK an.
Am 07.03.2025 löschte P den Tanker aus seinem Schiffsregister.
Mit gegenüber der Antragstellerin ergangener Verfügung vom 14.03.2025 zog das HZA die Ladung sodann zugunsten der Bundesrepublik Deutschland ein und ordnete deren Verwertung an. Neben den der Sicherstellung zugrunde liegenden Erwägungen führte das HZA aus, dass auch das Verlassen des Zollgebiets der Union mit einer gelisteten Ware eine nach Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verbotene Verbringung wäre. Art. 198 UZK sei nicht als Ermessensnorm ausgestaltet. Die Verwirklichung des Sanktionszwecks ‑‑die wirtschaftliche Schwächung Russlands im Hinblick auf die Lage in der Ukraine‑‑ bedinge es, die fragliche Ware der Verfügungsgewalt der handelnden Personen dauerhaft zu entziehen. Dies erweise sich angesichts der Bedeutung des Embargos als verhältnismäßig.
Die Antragstellerin wehrte sich fristgerecht mittels Einspruchs gegen die Einziehungsverfügung vom 14.03.2025 und ersuchte parallel beim Finanzgericht (FG) um Eilrechtsschutz. Sie berief sich insbesondere auch auf maritimes Recht und vertrat zudem die Auffassung, dass es weder Ziel noch Zweck der Sanktionen gegen Russland sein könne, die Ladung in Seenot geratener Schiffe, die vom Nothafenrecht Gebrauch machten, zu sanktionieren. Manövrierunfähiges Treiben in die Hoheitsgewässer der EU sei kein Verbringen im sanktionsrechtlichen Sinne, da dieses von einem natürlichen Handlungswillen getragen sein müsse.
Mit Beschluss vom 09.05.2025 - 3 V 32/25 setzte das FG die Vollziehung der Einziehungsverfügung vom 14.03.2025 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den dagegen eingelegten außergerichtlichen Rechtsbehelf aus und ließ gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Beschwerde zu.
Das FG hegte begründete Zweifel im Sinne von Art. 45 Abs. 2 UZK an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme.
Bereits die Annahme eines verbotenen Verbringens erscheine in der gegebenen Notsituation fraglich. Der Ausnahmetatbestand des Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 erlaube es in Anh. XLII aufgeführten (sanktionierten) Schiffen in Fällen von Havarien ungeachtet der bestehenden Restriktionen in den Gewässern der Union einen Notliegeplatz zu suchen. Das streitgegenständliche Schiff sei zum Zeitpunkt der Havarie zwar noch kein sanktioniertes Schiff gewesen. Es erscheine aber ernsthaft möglich, dass dieser Ausnahmetatbestand für die Bewertung des Streitfalls entsprechend heranzuziehen sei. Er trage dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Nothafenrecht Rechnung, der es Schiffen in Seenot grundsätzlich ermöglichen solle, einen nahegelegenen Hafen anzulaufen beziehungsweise sich in einen solchen Hafen schleppen zu lassen. Dass dies auch das Recht umfasse, diesen wieder zu verlassen, liege auf der Hand. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl II 1994, 1799) ‑‑Seerechtsübereinkommen (SeeRÜbk)‑‑ gewähre zudem Schiffen aller Staaten das Recht auf friedliche Durchfahrt durch das Küstenmeer. Eine Unfriedlichkeit der hiesigen Durchfahrt sei nach Aktenlage nicht zu erkennen. Insgesamt sei die Sach- und Rechtslage nicht so eindeutig, dass ernstliche Zweifel ausgeschlossen werden könnten.
Der fristgerecht seitens des HZA erhobenen Beschwerde hat das FG nicht abgeholfen und die Sache dem Bundesfinanzhof (BFH) vorgelegt.
Das HZA stützt seine Beschwerdebegründung im Wesentlichen darauf, dass die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des FG unzutreffend seien. Dieses habe seine Entscheidung auf eine vermeintliche Unklarheit hinsichtlich des Vorliegens eines "Verbringens" im Sinne des Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, die angebliche Anwendbarkeit des Art. 3s Abs. 3 derselben Verordnung auf die Ladung des Schiffes sowie ein angeblich aus Art. 17 SeeRÜbk ableitbares maritimes Recht des Schiffes und seiner Ladung auf freie Durchfahrt gestützt. Keine dieser Erwägungen verfange.
So stelle das FG allein auf das Verbringen der sanktionierten Ware in das Zollgebiet als einen vom menschlichen Willen getragenen Realakt des körperlichen Gelangens der Ware an einen anderen Ort ab, verkenne aber jedenfalls, dass auch ein "Verbringen" innerhalb des Zollgebiets oder aus dem Zollgebiet zu betrachten wäre. Das Schiff und seine Ladung wollten die Reede vor S kurzfristig nach Wiederherstellung der Manövrierfähigkeit verlassen. Damit wäre die Ladung zunächst in das Zollgebiet der Union verbracht und anschließend wieder ausgeführt worden - Vorgänge, die nach Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ausdrücklich verboten seien. Ohnehin habe die Schiffsführung erkennbar die Absicht gehabt, einen Nothafen beziehungsweise sicheren Liegeplatz in EU-Gewässern anzulaufen. Auch wenn das Schiff beim Überschreiten der Grenze manövrierunfähig gewesen sein möge, habe die Besatzung gleichwohl ‑‑angesichts der Berufung auf das Nothafenrecht erkennbar‑‑ den Willen gebildet, mit Schiff und Ladung einen sicheren Liegeplatz innerhalb der Union zu erreichen.
Zu Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 vertritt das HZA die Ansicht, dass dieser Ausnahmetatbestand in keinem systematischen Zusammenhang zu Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 stehe, der eine eigenständige Sanktionsregelung betreffe. Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergebe sich nicht, dass über Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 eine allgemeine Ausnahme für anderweitig sanktionierte Ladung geschaffen werden sollte. Die Vorschrift könne daher allenfalls insoweit auf die Ladung Anwendung finden, wie sie auch auf das Schiff selbst anwendbar sei. Zum Zeitpunkt des Erreichens der Reede vor S sei dies nicht der Fall gewesen, da das Schiff damals nicht in Anh. XLII der Verordnung gelistet gewesen sei.
Völkerrechtliche Schutzmechanismen wie das Nothafenrecht, dem Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 Rechnung trage, seien zum Zeitpunkt der angegriffenen Maßnahme mangels Flaggenstaats für das Schiff und damit auch dessen Ladung nicht einschlägig gewesen. Das Recht auf friedliche Durchfahrt stehe nur "Schiffen aller Staaten" im Sinne von Art. 17 SeeRÜbk zu und gelte nicht für staatenlose Schiffe.
Die sofortige Vollziehung der Einziehungsverfügung stelle schlussendlich keine unbillige Härte dar, da etwaige Nachteile durch Amtshaftungsansprüche ausreichend abgesichert seien. Es verhalte sich umgekehrt aber so, dass die Zollverwaltung derzeit monatlich etwa … € für den sicheren Unterhalt des Schiffes aufwende, was das überwiegende öffentliche Vollzugsinteresse belege. Für den Fall, dass die Rechtmäßigkeit der Einziehungsverfügung ‑‑wie erwartet‑‑ festgestellt werde, benötige es mithin eine Sicherheit, dass die vermeidbaren Kosten von der Antragstellerin ersetzt würden. Hilfsweise werde daher angeregt, eine mögliche AdV von der Leistung einer angemessenen Sicherheit abhängig zu machen.
Das HZA beantragt,
den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag abzuweisen;
hilfsweise, die AdV lediglich gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.Die Argumente der Beschwerdebegründung seien teilweise bereits tatsächlich unzutreffend und im Übrigen rechtlich nicht geeignet, die vom FG dargelegten begründeten Zweifel im Sinne des Art. 45 Abs. 2 UZK auszuräumen.
Ein Verbringen der Ladung in die EU im Sinne des Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sei nicht gegeben. Zum Zeitpunkt des Eintritts in deutsche Hoheitsgewässer habe sich das Schiff manövrierunfähig treibend befunden; es seien dabei Reparaturversuche unternommen worden, um die Seetüchtigkeit wiederherzustellen. Ein Wille der Besatzung, gezielt einen Notankerplatz in der EU anzulaufen, habe erkennbar nicht bestanden. Der Anlauf der Reede vor S mit Hilfe von Schleppern sei sodann ausschließlich auf Weisung der deutschen Behörden erfolgt.
Rechtlich nicht überzeugend seien die Ausführungen des HZA, wonach Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in der streitgegenständlichen Situation auch ein Verbringen innerhalb sowie aus der EU erfasse. Eine systematische und wortlautgetreue Auslegung unter Berücksichtigung des Seerechts könne nur zu dem Ergebnis führen, dass sanktionierte Ladung, die infolge einer Seenotsituation sowie einer daraus resultierenden Manövrierunfähigkeit des befördernden Schiffes in EU-Gewässer gelangt sei, mit dem wieder seetüchtigen Schiff aus dem Zollgebiet der Union heraus verbracht werden dürfe. Eine Warenbewegung innerhalb des Zollgebiets der Union stelle mangels Grenzübertritts ohnehin kein "Verbringen" im sanktionsrechtlichen Sinne dar. Für ein Verbringen aus der Union in internationale Gewässer oder einen Drittstaat fehle es an einer entsprechenden Regelung im Wortlaut des Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, der ausdrücklich nur Bewegungen in die Union untersage. Die Auslegung des Begriffs "Verbringen" durch das HZA überschreite damit den klaren Wortlaut der Norm.
Ihrer Ansicht nach sei zudem die Ausnahmevorschrift des Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 hier analog anwendbar beziehungsweise sei dies sogar entbehrlich, weil das darin verkörperte völkerrechtliche Nothafenrecht dessen ungeachtet eingreife. Das HZA bewerte die Situation allein aus zollrechtlicher Sicht und gehe davon aus, dass die Ölladung gemäß Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in das deutsche Küstenmeer verbracht worden sei. Dabei verkenne es, dass das Seerecht nicht zwischen Schiff und Ladung unterscheide, sondern das Schiff als Einheit betrachte, zu der die Ladung gehöre. Sei das Schiff vom Anwendungsbereich des Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ausgenommen, gelte dies konsequenterweise auch für die Ladung.
Im vorliegenden Fall liege ein klassischer Fall des Nothafenrechts vor. Die maßgeblichen Ereignisse, die zur Notlage geführt hätten, hätten sich zudem sämtlich vor Erlass der Einziehungsverfügung und auch vor der Aufnahme des Schiffes in den Anh. XLII zu Art. 3s der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. sowie dem Entzug der Flagge P ereignet.
Erst die vom HZA ausgesprochene Untersagung des Auslaufens habe dazu geführt, dass sich das Schiff noch zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Einziehungsverfügung im deutschen Küstenmeer befunden habe. Das Nothafenrecht umfasse indes auch das Recht, den angelaufenen Hafen oder die Reede wieder zu verlassen und die Seefahrt fortzusetzen. Es widerspreche dem völkerrechtlichen Schutzzweck, wenn ein aufgrund einer Notlage eingelaufenes Schiff durch den Rückgriff auf Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 oder andere Sanktionsvorschriften nachträglich sanktioniert werde. Ein solches Vorgehen laufe dem Schutzzweck des Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sowie vergleichbarer Ausnahmetatbestände ‑‑etwa in Art. 3ea Abs. 4, Art. 3eb Abs. 3 und Art. 3ec Abs. 2 der Verordnung‑‑ zuwider, die im Übrigen das Vorliegen einer Flaggenzugehörigkeit nicht voraussetzten.
Ohnehin habe das Schiff ursprünglich die Flagge P geführt, die ihm lediglich vor dem Hintergrund der EU-Sanktionen entzogen worden sei. Eine Neubeflaggung durch einen anderen Staat sei aktiv durch deutsche Behörden verhindert worden. Das Schiff wäre aufgrund der Einziehungsverfügung und einer entsprechenden Flaggenbescheinigung sogar berechtigt, unter deutscher Flagge zu fahren. Die Ausführungen des HZA zur Inanspruchnahme des Rechts auf friedliche Durchfahrt erschöpften sich in der pauschalen Rüge einer (angeblichen) Flaggenlosigkeit des Schiffes und seien daher unbegründet.
Die Einziehung und Verwertung der Ladung würde zudem einen unersetzbaren Schaden verursachen; auf einen etwaigen Amtshaftungsanspruch müsse sie, die Antragstellerin, sich unter diesen Umständen nicht verweisen lassen. Das HZA verkenne insoweit, dass der substanzielle Eingriff in das Eigentum an der Ware nicht mit einer bloßen finanziellen Kompensation gleichzusetzen sei.
Eine Sicherheitsleistung dürfe von ihr nicht verlangt werden. Für vom HZA selbst verschuldete Kosten, hervorgerufen durch die rechtswidrige Untersagung des Auslaufens, müsse sie weder aufkommen noch eine Sicherheit leisten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Insbesondere hat das FG die Beschwerde in dem angefochtenen Beschluss zugelassen. Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen Entscheidungen über die AdV nach § 69 Abs. 3 FGO zu, sofern sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Als relevante Entscheidungen sind im Zollrecht auch solche anzusehen, die auf Grundlage oder nach den Maßstäben des Art. 45 UZK ergehen, da das finanzgerichtliche Aussetzungsverfahren in Zollsachen ein nationales Verfahren im Sinne des § 69 Abs. 3 FGO bleibt (vgl. zur Vorläuferregelung in Art. 244 des Zollkodex ‑‑ZK‑‑ Senatsbeschluss vom 18.03.1997 - VII B 267/96, BFH/NV 1997, 723 [Rz 5]).
2. Die Beschwerde gegen die vorliegend zu überprüfende Entscheidung des FG erweist sich bei der nach den einschlägigen nationalen und unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag als unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer AdV bezogen auf die Einziehungsverfügung vom 14.03.2025 ohne Sicherheitsleistung vorliegen.
a) Der Senat hat das Aussetzungsbegehren der Antragstellerin im Rahmen ihrer Anträge eigenständig zu prüfen und dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen (vgl. schon Senatsbeschluss vom 18.08.1987 - VII B 97/87, BFH/NV 1988, 374 [Rz 13]). Der Prüfungsmaßstab richtet sich nach Art. 45 Abs. 2 UZK i.V.m. § 69 Abs. 3 FGO. Nach Art. 45 Abs. 2 UZK setzen die Zollbehörden die Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung ganz oder teilweise aus, wenn begründete Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn dem Beteiligten durch die Vollziehung ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Die Begriffe der "begründeten Zweifel" im Sinne von Art. 45 Abs. 2 UZK und der "ernstlichen Zweifel" im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind im Wesentlichen deckungsgleich. Begründete Zweifel im Sinne von Art. 45 Abs. 2 UZK bestehen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der angefochtenen Entscheidung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Senatsbeschlüsse vom 22.11.1994 - VII B 140/94, BFHE 176, 170, unter II.2. [Rz 7], und vom 11.08.2005 - VII B 292/04, BFH/NV 2005, 2074, unter II.1. [Rz 8], zu Art. 244 Unterabs. 2 ZK, der Vorgängerregelung des Art. 45 Abs. 2 UZK). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rechts- und/oder die Sachlage unklar sind.
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Vollziehung der Einziehungsverfügung vom 14.03.2025 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen. Der Senat teilt im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung die vom FG geäußerten begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts.
aa) Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 ZollVG ist eine zollamtliche Sicherstellung von Waren durch Wegnahme oder durch ein Verfügungsverbot zulässig, soweit unionsrechtliche Vorschriften ‑‑wie insbesondere der Zollkodex der Union‑‑ vorsehen, dass Waren von den Zollbehörden veräußert werden können. Art. 198 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv UZK eröffnet den Zollbehörden insoweit die Möglichkeit, Waren einzuziehen und zu veräußern, wenn diese Verboten oder Beschränkungen unterliegen.
bb) Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Einziehung nach Art. 198 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv UZK i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 ZollVG ‑‑dass die Schiffsladung unionsrechtlichen Verboten oder Beschränkungen unterfällt‑‑ im Streitfall vorliegen, ist bei summarischer Prüfung zweifelhaft.
(1) Eindeutig geregelt ist insoweit zwar zunächst, dass die Schiffsladung unter das in Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 normierte Einfuhr- und Verbringungsverbot fällt und damit eine verbotene Ware im Sinne des Art. 198 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv UZK darstellt. Denn nach Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ist es verboten, die in Anh. XXI der Verordnung aufgeführten Güter unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder in das Zollgebiet der Union zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt wurden. Bei den dort gelisteten Waren handelt es sich unter anderem um Öle der Pos. 2707 KN. Nach der Aktenlage handelt es sich bei der auf dem streitgegenständlichen Schiff befindlichen Ladung um Öl russischen Ursprungs, das dieser KN-Position zuzuordnen ist und damit ausdrücklich im Anh. XXI der Verordnung erfasst wird. Diese durch Beprobung der Ware getroffene Feststellung der Zollbehörden ist von der Antragstellerin nicht substantiiert bestritten worden.
(2) Das in Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 normierte Verbringungsverbot untersagt das Verbringen der in Anh. XXI gelisteten Waren in die Union. Auf der Grundlage der im einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen summarischen Prüfung bestehen hinreichende Zweifel, ob dieser Tatbestand im Streitfall erfüllt ist.
(a) Der Begriff des "Verbringens" ist unionsrechtlich nicht ausdrücklich definiert. Zu beachten ist, dass das unionsrechtliche Sanktionsregime darauf abzielt, Umgehungstatbestände möglichst effektiv zu verhindern. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) betont in seiner Rechtsprechung dementsprechend, dass Begriffe im Sanktionsrecht im Lichte des Schutzzwecks der Maßnahmen auszulegen sind. Beispielsweise hat der EuGH in seinem Urteil Möllendorf und Möllendorf-Niehuus vom 11.10.2007 - C-117/06 (EU:C:2007:596, Rz 63) ausgeführt, dass die restriktiven Maßnahmen der Union ‑‑dort gegen Osama bin Laden, das Al-Qaida-Netzwerk und die Taliban‑‑ möglichst effektiv angewendet werden müssen, um ihre Ziele zu erreichen. Dies impliziert zunächst auch im Streitfall ein weites Verständnis des Begriffs "Verbringen", das sicherstellt, dass Umgehungstatbestände so weit wie möglich ausgeschlossen werden.
(b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist unter Verbringen in die Union ein vom menschlichen Willen getragener Realakt des körperlichen Gelangens von Waren in das Zollgebiet der Union zu verstehen (Senatsurteil vom 07.03.2006 - VII R 23/04, BFHE 212, 321, unter II.2.b aa [Rz 11]). Dieser Vorgang ist zunächst ein objektiver Realakt, der voraussetzt, dass die Ware tatsächlich physisch in das Zollgebiet gelangt. Ein solches Verständnis dürfte auch beim Begriff des Verbringens im Sinne des Art. 3i der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 nahe liegen. Demnach erfüllt auch das Abdriften eines manövrierunfähigen Schiffes samt Ladung durch Wind und Strömungen insoweit den Tatbestand.
(c) Der Begriff des Verbringens dürfte jedoch ebenso ein subjektives Element verlangen: Ein Verbringen ohne Verbringer ist sprachlich nicht möglich. Dies bestätigt auch der Wortlaut des Art. 135 Abs. 3 UZK, wonach nach dem Verbringen eine "andere Person" die Verantwortung für die Beförderung übernimmt. Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber davon ausgehen dürfte, dass es stets einer Person bedarf, die die Ware ursprünglich in das Zollgebiet der Union verbracht hat (vgl. Bickel/Brandenburg in Dorsch, Zollrecht, Art. 134 Rz 19).
(d) Nach Auffassung des Senats ist das subjektive Element des Verbringens in das Zollgebiet der Union im Streitfall nicht erfüllt. Das körperliche Gelangen der Ölladung in das Zollgebiet der Union beruhte nach der Aktenlage nicht auf einem willensgetragenen menschlichen Verhalten, sondern auf einem durch äußere Umstände ‑‑namentlich technische Defekte, Wind und Strömung‑‑ verursachten Driftvorgang des Schiffes. Das Öl befand sich zwar in der tatsächlichen Obhut der Schiffsführung, die über die Ladung ursprünglich die tatsächliche Verfügungsgewalt innehatte. Zum Zeitpunkt des Eintriebs in deutsche Hoheitsgewässer bestand indes aufgrund der technischen Manövrierunfähigkeit keine Handlungsoption mehr. Der Tatbestand des Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 dürfte jedoch so zu verstehen sein, dass ein bewusstes, vom menschlichen Willen getragenes Handeln vorausgesetzt wird. Ein bloß passives Geschehenlassen oder das Ausgeliefertsein gegenüber äußeren Kräften genügt insoweit nicht. Die Schiffsführung konnte den Eintritt des Schiffes und damit auch der Ladung in das Zollgebiet der Union weder steuern noch verhindern. Unter diesen Umständen lässt sich ein willensgetragenes Verbringen im unionsrechtlichen Sinne nicht annehmen. Auch der vom Senat im Urteil vom 20.07.2004 - VII R 45/01 (BFH/NV 2005, 260, unter II.1. [Rz 23]) betonte natürliche Handlungswille setzt voraus, dass der Handelnde den Vorgang zumindest in gewissem Umfang beherrschen oder beeinflussen kann. Daran fehlt es im Streitfall. Das Eintriebsereignis war vielmehr Folge äußerer Zwänge und damit kein dem menschlichen Willen zurechenbarer Realakt.
(3) Soweit das HZA darüber hinaus die Auffassung vertritt, das Verbringen im Sinne des Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 erfasse auch das Verbringen gelisteter Waren aus dem Zollgebiet der Union, teilt der Senat diese Auslegung nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht.
Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 untersagt ausdrücklich, die in Anh. XXI der Verordnung aufgeführten Waren "unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen", wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden. Eine ausdrückliche Erwähnung der "Ausfuhr" oder eines Verbringens aus der Union findet sich in der Vorschrift ‑‑anders als in anderen Bestimmungen derselben Verordnung‑‑ nicht. Der Normwortlaut bezieht sich damit eindeutig auf Bewegungen in das Zollgebiet der Union.
Zwar ist dem HZA einzuräumen, dass das unionsrechtliche Sanktionsregime grundsätzlich weit auszulegen ist, um Umgehungstatbestände effektiv zu verhindern (vgl. EuGH-Urteil Möllendorf und Möllendorf-Niehuus vom 11.10.2007 - C-117/06, EU:C:2007:596, Rz 63). Dies rechtfertigt jedoch keine teleologische Erweiterung des Tatbestands über seinen klaren Wortlaut hinaus. Eine weite Auslegung, wonach das "Verbringen in die Union" auch die Beförderung aus der Union in internationale Gewässer oder in Drittstaaten erfassen würde, findet im Text des Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 keine Stütze. Die von der Antragstellerin vertretene Auffassung, für eine Sanktionierung des Verbringens aus der Union fehle es bezogen auf die Konstellation des Streitfalls an einer unionsrechtlichen Grundlage, erscheint daher jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Ob das vom HZA angenommene umfassende Verbringungsverbot, das auch die Ausfuhr in Drittstaaten einschließt, mit dem unionsrechtlichen Bestimmtheitsgebot vereinbar ist, erscheint vor diesem Hintergrund klärungsbedürftig. Bereits dieser Umstand begründet gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einziehungsmaßnahme.
cc) Der vom FG herangezogene Gesichtspunkt, Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sei seinem Sinn und Zweck nach entsprechend auf die streitgegenständliche, nach Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sanktionierte Ladung anzuwenden, ist rechtlich nicht von der Hand zu weisen, auch wenn der Wortlaut eine solche Übertragung nicht ausdrücklich vorsieht.
(1) Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 steht im Einklang mit dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Nothafenrecht und sieht Ausnahmen von den in Abs. 1 definierten Beschränkungen für gelistete Schiffe vor, die in Not geraten und einen sicheren Liegeplatz suchen. Eine entsprechende Ausnahme ist indes für die in Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 erfassten gelisteten Waren nicht ausdrücklich vorgesehen. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte lassen den Schluss zu, dass direkt über Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 eine allgemeine Ausnahme auch für anderweitig sanktionierte Güter geschaffen werden sollte.
(2) Gleichwohl sind die von der Antragstellerin herangezogenen maritimen völkerrechtlichen Prinzipien bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften zu berücksichtigen. Das Seerechtsübereinkommen ist für die EU verbindlich und nach der Rechtsprechung des EuGH integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung. Es gewährleistet in den Art. 17 und 18 SeeRÜbk das Recht auf friedliche Durchfahrt, das auch das Einlaufen in und das Verlassen von Häfen beinhaltet (vgl. EuGH-Urteil Sea Watch vom 01.08.2022 - C-14/21 und C-15/21, EU:C:2022:604, Rz 103). Zudem erkennt das Völkergewohnheitsrecht das sogenannte Nothafenrecht an, wonach Schiffen in Seenot der Zugang zum nächstgelegenen sicheren Hafen zu gewähren ist. Das Nothafenrecht dient nicht nur der Sicherheit von Schiff und Besatzung, sondern soll auch sicherstellen, dass Schiffe nach Behebung der Notlage ihren Hafen wieder verlassen können, ohne in rechtliche oder faktische Blockaden zu geraten. Würde das Nothafenrecht das bloße Auslaufen des Schiffes, nicht aber den Verbleib seiner Ladung an Bord gestatten, liefe es wohl weitgehend leer. Zwar ist das Recht, den Hafen nach Beseitigung der Notlage einschließlich der beförderten Ladung wieder zu verlassen, nicht ausdrücklich geregelt; es wird jedoch jedenfalls durch das in Art. 17 und 18 SeeRÜbk verankerte Recht der friedlichen Durchfahrt umfasst. Dies entspricht dem völkerrechtlichen Verständnis, wonach das Nothafenrecht den sicheren Abzug des gesamten Schiffes betrifft und nicht zwischen Schiff und Ladung trennt. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sind die Bestimmungen des Sekundärrechts der Union so weit wie möglich im Einklang mit den für die Union verbindlichen völkerrechtlichen Übereinkommen sowie den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts auszulegen (vgl. EuGH-Urteil Sea Watch vom 01.08.2022 - C-14/21 und C-15/21, EU:C:2022:604, Rz 3, 92 und 94). Demzufolge kann nicht ausgeschlossen werden, dass die in Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verankerte Ausnahme ‑‑wie es das FG vertritt‑‑ im Lichte des Seerechtsübereinkommens dahingehend auszulegen ist, dass sie auch das Auslaufen eines zuvor havarierten Schiffes mit seiner Ladung erfasst. Jedenfalls bedarf es für das streitgegenständliche Problem einer Auslegung, die gewährleistet, dass das unionsrechtliche Sanktionsregime einerseits seine Wirksamkeit behält, andererseits aber keine Kollision mit den zwingenden Grundsätzen des maritimen Völkerrechts entsteht. Schon dieser Befund zeigt, dass die unionsrechtliche Rechtslage hinsichtlich der Reichweite sanktionsrechtlicher Ausnahmetatbestände nicht eindeutig ist und daher im Hauptsacheverfahren einer vertieften Klärung ‑‑gegebenenfalls unter Einbeziehung des EuGH‑‑ bedarf.
(3) Der Einwand des HZA, das Schiff habe nach Entzug der Flagge als staatenlos gegolten und könne sich daher nicht auf völkerrechtliche Schutzmechanismen wie das Nothafenrecht oder das Recht auf friedliche Durchfahrt berufen, trägt im Rahmen der summarischen Prüfung jedenfalls nicht. Maßgeblich ist, dass das Schiff seine Seenotlage zunächst noch unter Flagge P erlitten hat. Auch nach dem Verlust der Flagge stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang staatenlosen Schiffen jedenfalls die elementaren völkerrechtlichen Schutzrechte ‑‑etwa das aus dem Seerechtsübereinkommen abzuleitende Recht der friedlichen Durchfahrt oder das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Nothafenrecht‑‑ zumindest in Grundzügen verbleiben. Die Rechtslage ist insoweit nicht eindeutig und wird in einem etwaigen Hauptsacheverfahren näher zu prüfen sein.
(4) Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass Sicherheitsinteressen des Küstenstaats Vorrang haben und das Recht der friedlichen Durchfahrt nur insoweit gilt, als es in friedlicher Weise ausgeübt wird. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Rechtsstaat ist und die Anwendung unionsrechtlicher wie völkerrechtlicher Vorschriften rechtsstaatlichen Maßstäben unterliegt. Soweit der sogenannten Schattenflotte in der öffentlichen Diskussion Spionage- oder Sabotageaktionen in der Ostsee zugeschrieben werden, finden sich in den Verfahrensakten keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass gerade das streitgegenständliche Schiff hiermit in Verbindung steht. Entsprechend hat das FG hierzu auch keine Feststellungen getroffen. Ob insoweit weitere tatsächliche Aufklärung oder ergänzende Angaben erforderlich sind, wird dem weiteren Verwaltungsverfahren und gegebenenfalls einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
c) Ob der Antragstellerin Eilrechtsschutz im Streitfall zusätzlich auch unter dem Gesichtspunkt eines drohenden unersetzbaren Schadens im Sinne des Art. 45 Abs. 2 UZK zu gewähren wäre, kann dahinstehen. Bei der Ölladung handelt es sich um ein standardisiertes, im internationalen Handel austauschbares Wirtschaftsgut, dessen Wert marktüblich bestimmbar und ersetzbar ist. Der Verlust einer solchen Ware führt regelmäßig nicht zu einem irreversiblen Substanzschaden, sondern zu einem bezifferbaren Vermögensnachteil, der im Falle eines Obsiegens durch finanzielle Kompensation vollständig ausgeglichen werden könnte. Ob sich aus besonderen Umständen des Einzelfalls im Ergebnis dennoch eine abweichende Beurteilung ergeben könnte, bedarf hier keiner Entscheidung, weil die AdV bereits aufgrund der begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einziehungsverfügung zu gewähren ist.
d) Die AdV war ‑‑wie vom FG zutreffend entschieden‑‑ ohne Sicherheitsleistung anzuordnen. Der Hilfsantrag des HZA bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
aa) Nach der Rechtslage ist eine Sicherheitsleistung im Zusammenhang mit Art. 45 Abs. 2 UZK nicht stets erforderlich. Art. 45 Abs. 3 UZK ordnet eine Sicherheitsleistung nur für die Fälle an, in denen aus der angefochtenen Entscheidung die Pflicht zur Entrichtung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben folgt. In allen anderen Konstellationen ‑‑etwa bei Einziehungsmaßnahmen, die auf unionsrechtliche Verbote oder Beschränkungen gestützt werden‑‑ greift Art. 45 Abs. 3 UZK dagegen nicht ein. In solchen Fällen besteht keine zwingende Vorgabe, die AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen; vielmehr obliegt es den nationalen Gerichten ‑‑im nationalen Verfahrensrecht geregelt in § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO‑‑ im Einzelfall zu prüfen, ob und in welcher Höhe eine Sicherheitsleistung angezeigt ist. Diese Entscheidung setzt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen voraus: Einerseits soll durch die Sicherheitsleistung verhindert werden, dass dem Staat bei einem für den Verpflichteten ungünstigen Ausgang des Hauptsacheverfahrens finanzielle Nachteile entstehen; andererseits darf der Zugang zum Rechtsschutz nicht durch unangemessene Belastungen faktisch vereitelt werden (BFH-Beschlüsse vom 08.05.2024 - VIII R 9/23, BFHE 284, 142, Rz 27, und vom 06.02.2013 - XI B 125/12, BFHE 239, 390, BStBl II 2013, 983, Rz 18).
bb) Gemessen an diesen Maßstäben bestand im Streitfall keine Veranlassung, die AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Im Streitfall erwächst aus der angefochtenen Einziehungsverfügung keine Pflicht zur Entrichtung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, sondern es geht allein um die Einziehung und Verwertung der Schiffsladung. Damit ist Art. 45 Abs. 3 UZK seinem Anwendungsbereich nach nicht einschlägig; eine Sicherheitsleistung konnte unionsrechtlich nicht verlangt werden. Auch nach nationalem Verfahrensrecht rechtfertigen die Umstände des Streitfalls keine andere Beurteilung. Zwar sieht das Zollrecht in Art. 52 UZK und ergänzend im nationalen Recht Möglichkeiten vor, Kosten für in Anwendung zollrechtlicher Vorschriften durchgeführte Handlungen geltend zu machen. Ob und in welchem Umfang das HZA im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren solche ‑‑nach eigenem Vorbringen sehr hohe‑‑ Kosten wegen der Sicherung des streitgegenständlichen Schiffes samt Ladung auf der Reede vor S gegenüber der Antragstellerin geltend machen könnte, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. So zeigt jedenfalls der Rechtsgedanke des Art. 45 Abs. 3 Halbsatz 2 UZK, dass eine Sicherheitsleistung nicht in einer Weise angeordnet werden darf, die den Betroffenen finanziell oder wirtschaftlich überfordert. Wird dieser Maßstab auf die vorliegende Sachlage übertragen, so würde eine Sicherheitsleistung in Höhe der vom HZA pauschal veranschlagten Verwahrungskosten in Höhe von monatlich etwa … € für die Antragstellerin eine unzumutbare Beeinträchtigung effektiven Rechtsschutzes darstellen. Eine derartige Belastung erscheint nicht gerechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.