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Beschluss vom 28. Januar 2010, IV B 56/08

Keine Auslegung der Klageschrift gegen den erklärten und zweifelsfreien Willen

BFH IV. Senat

FGO § 66, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, BGB § 133

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes , 17. März 2008, Az: 1 K 1456/07

Leitsätze

1. NV: Ist bewusst und erkennbar Klage für eine noch nicht voll beendete KG erhoben worden, kann die Klageschrift nicht dahingehend ausgelegt werden, der Erklärende habe selbst Klage erhoben.

2. NV: Ein Urteil gegen jemand, der keine Klage erhoben hat, ist verfahrensfehlerhaft, weil über eine Klage entschieden worden ist, die nicht rechtshängig war.

Tatbestand

  1. I. Die Beschwerdeführerin und ihr Bruder waren Gesellschafter einer GbR. Diese ist im Dezember 1999 in eine GmbH & Co. KG (KG) umgewandelt worden. Die Beschwerdeführerin war jedenfalls bis zum Jahr 2000 Kommanditistin der KG.

  2. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 2. April 2007 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) beantragt, für das Streitjahr 1998 die Besteuerungsgrundlagen der KG gesondert und einheitlich festzustellen. Das FA lehnte diesen Antrag ab (negativer Feststellungsbescheid). Die Beschwerdeführerin legte im eigenen Namen Einspruch ein. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Einspruchsentscheidung weist im Rubrum als Einspruchsführerin die KG, vertreten durch die Beschwerdeführerin, aus.

  3. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Klageschrift die KG als Klägerin und sich als deren Vertreterin angegeben, hat allerdings weiter ausgeführt: "... erhebe ich hiermit rein vorsorglich zur Fristwahrung Klage." Im Rahmen des Verfahrens vor dem Finanzgericht (FG) hat das FA einen auf § 129 der Abgabenordnung gestützten Bescheid erlassen und darin nunmehr die Beschwerdeführerin als Adressat der Einspruchsentscheidung genannt.

  4. Die Beschwerdeführerin hat sich im Verfahren vor dem FG stets gegen die Auffassung gewandt, sie selbst habe Klage erhoben (Schriftsätze vom 7. März 2008 und vom 13. März 2008).

  5. Das FG hat die Klageschrift dahin gehend ausgelegt, dass die Beschwerdeführerin die Klage selbst und nicht im Namen der KG erhoben habe; es hat die Klage als unzulässig abgewiesen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des FG-Urteils.

  2. 1. Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt vor. Das gegenüber der Beschwerdeführerin ergangene Urteil hat keine verfahrensrechtliche Grundlage, da diese keine Klage erhoben hat. Das FG hat insoweit über eine Klage entschieden, die bei ihm mangels Erhebung nicht rechtshängig war. Hierin liegt eine Verletzung des § 66 FGO (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 8. Oktober 1986 I R 113/86, BFH/NV 1988, 32; vom 16. November 1995 VI R 53/95, BFH/NV 1996, 347).

  3. a) Als prozessuale Willenserklärung ist die Klageschrift wie sonstige Willenserklärungen auslegungsfähig. Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Dabei können auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigt werden. Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung (BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, unter 1. der Gründe; BFH-Beschluss vom 7. November 2007 I B 104/07, BFH/NV 2008, 799).

  4. b) Vorliegend ist die Klageschrift nicht in dem Sinne auszulegen, dass die Beschwerdeführerin die Klage selbst erhoben habe.

  5. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Klageschrift die KG als Klägerin und sich als deren Vertreterin angegeben, hat allerdings weiter ausgeführt: "... erhebe ich hiermit rein vorsorglich zur Fristwahrung Klage." Die Beschwerdeführerin hat sich aber im weiteren Verfahren stets gegen die Auffassung gewehrt, sie selbst habe Klage erhoben (Schriftsätze vom 7. März 2008 und vom 13. März 2008). Demnach entsprach die Klageerhebung für die KG dem Willen der Beschwerdeführerin.

  6. Im Hinblick auf die erkennbar bewusst getroffene Entscheidung der Beschwerdeführerin, für die KG aufzutreten, bleibt kein Raum für eine rechtsschutzgewährende Auslegung der Klageschrift im Sinne des Senatsurteils vom 1. Juli 2004 IV R 4/03 (BFH/NV 2005, 162). Denn diese setzt Zweifel an der Person des Klägers voraus.

  7. 2. Die Aufhebung beruht auf § 116 Abs. 6 FGO. Das FG wird nunmehr über die noch rechtshängige Klage der KG zu entscheiden haben.

  8. 3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Kosten für das Verfahren vor dem FG sind nicht angefallen, da ein Rechtsstreit der Beschwerdeführerin dort nicht rechtshängig geworden ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 32, unter 3. der Gründe).

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