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Urteil vom 11. November 2010, VI R 16/09

Verzicht auf mündliche Verhandlung durch beigetretenes BMF entbehrlich - Glaubwürdigkeit einer Unterhaltsbescheinigung - Keine Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung bei Unterhaltszahlungen - Revisionsrechtliche Bindung an die finanzrichterliche Überzeugungsbildung - Ausreichende Unterhaltszahlungen für ein Leben in der Türkei - Nachweis einer medizinischen Indikation - Gegenwertslehre im Zusammenhang mit dem Austausch von gesundheitsgefährdenden Gegenständen

BFH VI. Senat

EStG § 33a Abs 1, FGO § 57 Nr 4, FGO § 90, FGO § 121 S 1, FGO § 122 Abs 2 S 4, GG Art 103 Abs 1, EStG § 33, FGO § 96

vorgehend FG Nürnberg, 22. Oktober 2007, Az: VI 120/2006

Leitsätze

1. Der BFH kann mit Einverständnis der originär Beteiligten auch dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn das dem Verfahren beigetretene BMF auf eine solche nicht verzichtet  hat   .

2. Der Abzug von Unterhaltsaufwendungen an im Ausland lebende Eltern als außergewöhnliche Belastung entfällt trotz entsprechender amtlicher Unterhaltsbescheinigung, wenn die Unterhaltsbedürftigkeit der Eltern nicht glaubhaft ist     .

3. Reichen die vom Steuerpflichtigen, der angibt, einziger Unterhaltszahler zu sein, gezahlten Beträge nicht aus, um den gesamten Lebensbedarf der Eltern zu decken, müssen diese noch über andere Einnahmen verfügen, die sie verschwiegen haben. Damit entfällt die Glaubwürdigkeit der Unterhaltsbescheinigungen    .

4. Zahlungen, die zum Jahresende geleistet worden sind, dürfen zwar wegen des Prinzips der Abschnittsbesteuerung den Gesamtbetrag der Einkünfte dieses Jahres nur anteilig mindern (Anschluss an BFH-Urteil vom 5. Mai 2010 VI R 40/09, BFHE 230, 123). Sie stehen jedoch im Folgejahr zur Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung   .

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob und ggf. in welcher Höhe Unterhaltszahlungen an die in der Türkei lebenden Eltern des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus ist streitig, ob die Anschaffungskosten für ein Ehebett und eine Couchgarnitur als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 2 EStG abzugsfähig sind.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und wurden in den Streitjahren 2003 und 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In der Einkommensteuererklärung 2003 machten sie Kosten wegen einer Asthmaerkrankung ihres Sohnes in Höhe von 4.976 €, von denen 4.800 € auf die Anschaffung von Schlafzimmermöbeln für das Schlafzimmer der Kläger und einer Couchgarnitur entfallen und deshalb streitig sind, als außergewöhnliche Belastung geltend. Weiter begehrten sie die Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen für die in der Türkei lebenden Eltern des Klägers in Höhe von 5.200 €.

  3. Hinsichtlich der Unterhaltszahlungen für die 1935 bzw. 1951 geborenen, in der Türkei lebenden Eltern des Klägers legten sie je eine amtliche Unterhaltsbescheinigung vom 9. Juni 2004 vor, wonach beide weder berufstätig sind noch sonst über Einkommen oder Vermögen oder Unterhaltsleistungen von anderen Angehörigen verfügen. Nach den vorgelegten Überweisungsbelegen der Bank H wurden auf das Konto des Vaters des Klägers folgende Zahlungen geleistet:

  4. Betrag

    Datum

       200 €

    5. März 2004

    3.000 €

    12. November 2003

    2.000 €

    30. Dezember 2003

  5. Zu den beiden letztgenannten Beträgen liegt jeweils auch eine Auszahlungsbestätigung der Bank vor.

  6. In der Einkommensteuererklärung 2004 machten die Kläger Unterhaltsaufwendungen an die Eltern des Klägers in Höhe von 5.000 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Ausweislich der vorgelegten Überweisungsbelege sind folgende Zahlungen auf  Konten des Vaters des Klägers geleistet worden:

    Betrag

    Datum

       400 €

    27. Januar 2004

       200 €

    5. März 2004

    (in 2003 geltend gemacht)

       300 €

    26. April 2004

    1.500 €

    13. August 2004

    2.500 €

    29. Dezember 2004

  7. Auch für das Streitjahr 2004 wurde für jeden Elternteil eine amtliche Unterhaltsbescheinigung vorgelegt.

  8. Darüber hinaus wurde am 16. September 2004 ein Betrag in Höhe von 300 € auf das Konto einer A, wohnhaft in B, überwiesen.

  9. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2003 von den geltend gemachten Krankheitskosten lediglich einen Betrag in Höhe von 176 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannt, der sich wegen der zumutbaren Eigenbelastung allerdings steuerlich nicht auswirkte. Unterhaltsleistungen an die Eltern in die Türkei sind in keinem der beiden Streitjahre berücksichtigt worden.

  10. Die nach erfolglosen Vorverfahren erhobene Klage blieb ohne Erfolg.

  11. Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

  12. Die Kläger beantragen sinngemäß,

    das Urteil des Finanzgerichts (FG) Nürnberg vom 23. Oktober 2007 VI 120/2006 und die Einspruchsentscheidung vom 23. März 2006 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 vom 20. August 2004 in der Weise zu ändern, dass für die Anschaffung der Möbel weitere 4.800 € und weitere Unterhaltszahlungen in Höhe von 5.200 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 13. Februar 2006 dahingehend zu ändern, dass weitere Unterhaltszahlungen in Höhe von 5.000 € als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden.

  13. Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Der Senat erkennt gemäß § 90 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung. Denn Kläger und Beklagter haben wirksam auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

  3. Ein entsprechender Verzicht des dem Revisionsverfahren beigetretenen Bundesministeriums der Finanzen (BMF) liegt zwar nicht vor; er ist aber auch nicht erforderlich. Denn das BMF erlangt durch den Beitritt zum Verfahren zwar die verfahrensrechtliche Stellung eines Beteiligten (§ 122 Abs. 2 Satz 4 FGO i.V.m. § 57 Nr. 4 FGO); über das Verfahren zu disponieren, vermag es deshalb jedoch nicht. Dies können nur Kläger und Beklagter als die ursprünglichen Verfahrensbeteiligten. Der Anspruch auf verfahrensrechtliche Gleichbehandlung des beigetretenen BMF erschöpft sich darin, innerhalb der von den originär Beteiligten einvernehmlich vorgegebenen Rahmenbedingungen wie Revisionskläger und Revisionsbeklagter behandelt zu werden. Damit könnte das BMF nicht auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestehen, wenn die Hauptbeteiligten ‑‑wie im Streitfall‑‑ auf eine solche verzichtet haben (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 6. Oktober 2005 V R 64/00, BFHE 212, 132, BStBl II 2006, 212; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 90 FGO Rz 7; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 FGO Rz 34). Denn es wäre mit Sinn und Zweck des § 122 Abs. 2 Satz 4 FGO nicht vereinbar, wenn das BMF die Möglichkeit hätte, ein Verfahren gegen den Willen der Hauptbeteiligten fortzusetzen oder zu verlängern (Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 122 FGO Rz 38, 39, m.w.N.). Diese Beschränkung der Verfahrensrechte des Beigetretenen verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), da das BMF im schriftlichen Verfahren im nämlichen Umfang wie die Hauptbeteiligten gehört wird. Im Übrigen hat das nach § 122 Abs. 2 FGO beigetretene BMF, im Gegensatz zu einem Beteiligten i.S. des § 57 Nr. 3 FGO, die Möglichkeit, sich mit der originär beteiligten Finanzbehörde abzustimmen und dadurch Einfluss auf den Gang des Verfahrens zu nehmen.

  4. 2. Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer ihm oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7.188 € (im VZ 2003) bzw. 7.680 € (im VZ 2004) im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der jeweils für das Streitjahr geltenden Fassung). Eine zumutbare Belastung i.S. des § 33 Abs. 3 EStG wird nicht angerechnet (Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 33a Rz 2). Denn § 33a EStG stellt gegenüber der allgemeinen Regelung des § 33 EStG eine Sondervorschrift dar (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 33a EStG Rz 10).

  5. a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat im Streitjahr 2003 berücksichtigungsfähige Unterhaltsaufwendungen lediglich deshalb nicht zum Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte zugelassen, weil es auf diese eine zumutbare Belastung angerechnet hat. Damit kann die angefochtene Entscheidung insoweit keinen Bestand haben.

  6. b) Aber auch im Hinblick auf das Streitjahr 2004 ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen. Denn der Schluss des FG, dass die Eltern des Klägers in diesem Jahr noch über andere Einnahmen verfügt haben müssten, die sie verschwiegen hätten, so dass die vorgelegte Unterhaltsbescheinigung nicht glaubwürdig sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

  7. Zwar ist die finanzrichterliche Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze überprüfbar. Das FG hat jedoch im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat (BFH-Beschluss vom 13. März 1997 I B 78/96, BFH/NV 1997, 772). Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Beweiswürdigung beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, der als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann (BFH-Urteile vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BFHE 154, 7, BStBl II 1988, 944; vom 13. Januar 1987 VII R 10/84, BFH/NV 1987, 728; vom 23. August 1994 VII R 93/93, BFH/NV 1995, 572; vom 15. Februar 1995 II R 53/92, BFH/NV 1996, 18).

  8. 3. Ein solcher Rechtsanwendungsfehler ist vorliegend für das Streitjahr 2004 zu beklagen. Denn der Schluss des FG, dass die Eltern des Klägers von den Unterhaltsleistungen aus Deutschland im Streitjahr 2004 nicht haben leben können, wird nicht von entsprechenden Feststellungen getragen. Zum einen hat das FG bei seiner Berechnung die Unterhaltsrate in Höhe von 2.000 €, die am 30. Dezember 2003 geleistet wurde, zu Unrecht nicht bei der Ermittlung der im Jahre 2004 verfügbaren Zuwendungen berücksichtigt. Dies ist zwar insoweit zutreffend, als diese Zahlung wegen des Prinzips der Abschnittsbesteuerung den Gesamtbetrag der Einkünfte im Streitjahr 2004 nicht nach § 33a Abs. 1 EStG mindern darf. Gleichwohl steht dieser Betrag den Unterstützungsempfängern im Jahr 2004 tatsächlich zur Deckung ihres Lebensbedarfs zur Verfügung. Hiervon ist auch das FG in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen, wenn es ausführt, dass diese Zuwendung jedenfalls den Dezemberbedarf des Jahres 2003 nicht (mehr) zu decken vermochte. Damit hatten die Eltern des Klägers nicht nur einen Betrag in Höhe von 2.400 €, sondern 4.400 € (= 2.200 € je Elternteil) aus Deutschland zur Verfügung. Dies entspricht in etwa 2/3 des türkischen Pro-Kopf-Einkommens, das im Jahr 2004 etwa 4.085 $ (3.284 €) betrug (www.bundesregierung.de <Ist die Türkei reif für einen EU-Beitritt? Fragen und Antworten zum EU-Beitritt der Türkei>) bzw. 3/4 des gesetzlichen Mindestlohns (www.eds-destatis.de, Bevölkerung, Arbeit und Soziales, Statistik kurz gefasst, Mindestlöhne EU-Mitgliedstaaten, Kandidatenländer, USA 2004) eines Jahres (12 x 240 € = 2.880 €). Der Schluss, dass Unterhaltszahlungen in dieser Größenordnung für ein möglicherweise nur einfaches Leben der Unterhaltsempfänger nicht ausreichen sollen, ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar und vom FG auch nicht durch belastbare Zahlen oder entsprechende Tatsachenfeststellungen belegt. Vielmehr lässt beispielsweise der Umstand, dass der monatliche Mindestlohn in der Türkei im Jahr 2004 bei 240 € gelegen hat, darauf schließen, dass die Unterhaltsempfänger keine weiteren Einnahmen benötigt haben, um in der Türkei "über die Runden zu kommen". Damit beruht auch der weitere Schluss, die Eltern des Klägers hätten weitere Einnahmen erzielt, diese aber nicht angegeben, so dass der vorgelegten Unterhaltsbescheinigung kein Glauben geschenkt werden könne, nicht auf nachvollziehbaren Folgerungen des FG.

  9. 4. Das FG wird im zweiten Rechtsgang erneut zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für den Abzug von Unterhaltszahlungen nach § 33a Abs. 1 EStG, insbesondere die Bedürftigkeit der Unterhaltsempfänger, vorliegen. Dabei hat es weiterhin eine zeitanteilige Kürzung des Unterhaltshöchstbetrags in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsentscheidung vom 5. Mai 2010 VI R 40/09, BFHE 230, 123). Denn Unterhaltsleistungen können nach der Rechtsprechung des BFH nicht auf Monate vor ihrer Zahlung zurückbezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 230, 123, m.w.N.). Das FG hat in diesem Zusammenhang weiter zu würdigen, ob die Kläger einen Anspruch darauf haben, dass in den Streitjahren ihnen gegenüber die im damaligen BMF-Schreiben vom 15. September 1997 (BStBl I 1997, 826) Tz. 8.3 normierte Regel zur Anwendung kommt. Danach können aus Vereinfachungsgründen vierteljährliche Unterhaltszahlungen auch in Vormonaten Berücksichtigung finden.

  10. Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, können im Allgemeinen zwar weder eine einer Rechtsnorm vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht allerdings als Ausfluss von Art. 3 Abs. 1 GG ausnahmsweise in dem Bereich der der Verwaltung vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung (BFH-Urteile vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754; vom 7. Dezember 2005 I R 123/04, BFH/NV 2006, 1097; vom 4. Februar 2010 II R 1/09, BFH/NV 2010, 1244).

  11. Soweit die Kläger im zweiten Rechtsgang weiterhin die Anschaffungskosten für die Schlafzimmermöbel und die Couchgarnitur als außergewöhnliche Belastung abgezogen wissen wollen, steht der Umstand, dass sie bislang weder ein zeitlich vor den Aufwendungen erstelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten noch ein Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers zur medizinischen Indikation der streitigen Anschaffungskosten vorgelegt haben, dem Abzug der Aufwendungen nach § 33 EStG nicht entgegen. Denn der Senat hält an diesem qualifizierten Nachweisverlangen nicht länger fest (BFH-Urteil vom 11. November 2010 VI R 17/09, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, www.bundesfinanzhof.de). Gleichwohl bleiben die Kläger verpflichtet, die medizinische Indikation der streitigen Anschaffungen nachzuweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln und damit als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist. Es kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden (BFH-Beschluss vom 23. Februar 2010 X B 139/09, BFH/NV 2010, 1284, m.w.N.). Da weder das FA noch das FG die Sachkunde besitzen, um die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrunde liegenden Maßnahme zu beurteilen, ist das FG aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) gehalten, gegebenenfalls von Amts wegen ein entsprechendes Gutachten einzuholen (BFH-Urteil vom 11. November 2010 VI R 17/09, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, www.bundesfinanzhof.de).

  12. Gelingt den Klägern im Streitfall der Nachweis der medizinischen Indikation, wird der Abzug der Anschaffungskosten für die Möbel auch nicht durch einen Gegenwert gehindert. Tauscht der Steuerpflichtige gesundheitsgefährdende Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs aus, so steht die Gegenwertlehre dem Abzug der Aufwendungen nicht entgegen. Der sich aus der Erneuerung ergebende Vorteil ist jedoch anzurechnen ("Neu für Alt"). Dabei obliegt die Ermittlung des Vorteilsausgleichs dem FG als Tatsacheninstanz (BFH-Beschluss vom 8. Februar 2007 III B 11/06, BFH/NV 2007, 1108, m.w.N.). Deshalb kann der Senat auch im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob er der im Schrifttum geäußerten Fundamentalkritik an der sog. Gegenwertlehre folgen könnte (vgl. HHR/Kanzler, § 33 EStG Rz 37, m.w.N.; s. auch Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz B 34 ff.).

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