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Urteil vom 01. Dezember 2010, XI R 39/09

Keine Durchbrechung der Bestandskraft eines Steuerbescheids bei nachträglich erkanntem Verstoß gegen das Unionsrecht

BFH XI. Senat

UStG § 4 Nr 9 Buchst b, UStG § 4 Nr 9 Buchst b, UStG § 4 Nr 9 Buchst b, EWGRL 388/77 Art 13 Teil B Buchst f, AO § 125 Abs 1, AO § 155, AO § 172, AO § 355 Abs 1 S 1, EG Art 10

vorgehend FG Münster, 16. September 2009, Az: 5 K 327/09 U

Leitsätze

NV: Ein Steuerbescheid ist auch bei einem erst nachträglich erkannten Verstoß gegen das Unionsrecht nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar (Anschluss an BFH-Urteile vom 23. November 2006 V R 67/05, BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436 und vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504).

Tatbestand

  1. I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) einen Anspruch auf Änderung bestandskräftiger und festsetzungsverjährter Umsatzsteuerfestsetzungen hat.

  2. Der Kläger betrieb in den Jahren 1987 bis 1996 (Streitjahre) eine Spielhalle und führte dort Umsätze durch den Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit aus.

  3. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ für die Streitjahre Umsatzsteuerbescheide, in denen diese Umsätze der Umsatzsteuer unterworfen wurden. Die Bescheide wurden bestandskräftig.

  4. Mit Schreiben vom 15. Mai 2002 beantragte der Kläger für die Jahre 1996 bis 2000 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen und legte Einspruch gegen die Umsatzsteuerabrechnungen für die Jahre 1996 bis 2000 ein.

  5. Zu diesem Zeitpunkt war für die für die Streitjahre ergangenen Umsatzsteuerbescheide sowohl die Einspruchsfrist bereits seit mehr als einem Jahr abgelaufen als auch Festsetzungsverjährung nach § 169 ff. AO eingetreten.

  6. Im Februar 2005 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) sei dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei sei, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber seien, nicht gelte; Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG habe unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen könne, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 ‑‑Linneweber und Akritidis‑‑, Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94, Umsatzsteuer-Rundschau 2005, 194).

  7. Daraufhin legte der Kläger mit Schreiben vom 15. März 2005 gegen alle ab 1978 bzw. ab Gewerbeaufnahme erlassenen Umsatzsteuerfestsetzungen Einspruch ein und beantragte, die Festsetzungen dahingehend zu ändern, dass Umsätze aus dem Betrieb von Glückspielgeräten umsatzsteuerfrei zu belassen seien.

  8. Das FA lehnte die beantragte Änderung für die Streitjahre ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

  9. Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, das FG habe zu Unrecht entschieden, dass die angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen nicht gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig seien. Zudem habe das FG seine Kompetenz überschritten, indem es die bislang ungeklärte Frage, ob bei gemeinschaftsrechtswidrigen Steuerbescheiden die nationalen Vorschriften über die Bestandskraft durchbrochen werden, selbst verneint und nicht dem EuGH vorgelegt habe.

  10. Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1987 bis 1996 dahingehend zu ändern, dass seine Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit steuerfrei belassen und damit im Zusammenhang stehende Vorsteuerbeträge nicht berücksichtigt werden.

  11. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Das FG hat zu Recht sowohl die Nichtigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen als auch die Änderbarkeit der bestandskräftigen und festsetzungsverjährten Bescheide für die Streitjahre verneint. Auch die vom Kläger angeregte Vorlage an den EuGH kommt nicht in Betracht.

  3. Zur Begründung verweist der Senat auf die Urteile des V. Senats des Bundesfinanzhofs vom 23. November 2006 V R 67/05 (BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436; die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil wurde gemäß §§ 93a, 93b des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen) und vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504.

  4. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

  5. 2. Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).

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