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Urteil vom 10. April 2013, I R 45/11

Verpflichtung zur Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO ist unionsrechtmäßig - Annahme eines Nahestehens von Personen - Definition der Geschäftsbeziehung - Allgemeininteresse an einer wirksamen Steueraufsicht - Verhältnis von Amtshilfe und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen - Bindung des BFH an die Auslegung ausländischen Rechts - Anforderungen an eine schlüssige Aufklärungsrüge

BFH I. Senat

AO § 90 Abs 2, AO § 90 Abs 3, AO § 97 Abs 1, AO § 162 Abs 3, AO § 162 Abs 4, AStG § 1 Abs 1 S 1, AStG § 1 Abs 2, AStG § 1 Abs 5, GAufzV § 1 Abs 1 S 1, GAufzV § 1 Abs 3, EG Art 46 Abs 1, EG Art 49, EG Art 55, AEUV Art 52, AEUV Art 56, AEUV Art 62, KStG § 8 Abs 3 S 2, FGO § 155 S 1, ZPO § 545 Abs 1, ZPO § 560, ZPO § 295, FGO § 118 Abs 2, FGO § 76 Abs 1, FGO § 96 Abs 1

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 22. März 2011, Az: 4 K 419/10

Leitsätze

1. Eine Person steht einem Steuerpflichtigen i.S. von § 1 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 AStG nahe, wenn eine dritte Person am Grundkapital oder Stammkapital sowohl der Person als auch des Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar wesentlich beteiligt ist. Beschränkungen im Innenverhältnis aufgrund einer Treuhand sind ebenso unbeachtlich wie Stimmrechtsbeschränkungen. Gleiches gilt im Ergebnis für die Annahme eines Nahestehens im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer vGA .

2. Die Verpflichtung, bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen i.S. des § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen (§ 90 Abs. 3 AO), ist mit der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG vereinbar .

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anforderung einer Verrechnungspreisdokumentation gemäß § 90 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) rechtmäßig ist.

  2. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 2. Januar 2008 gegründet. Ihr Geschäftsgegenstand ist die Verwaltung eigener Vermögenswerte, insbesondere der Handel mit Finanzinstrumenten auf eigene Rechnung.

  3. Mit Vertrag vom 12. Februar 2008 erwarb die L AG mit Sitz in Luxemburg sämtliche Anteile an der Klägerin. Bereits am 20. März 2008 verkaufte sie die Anteile an eine luxemburgische S.A. (L S.A.) weiter. Sämtliche Anteile der L AG und der L S.A. wurden von der L Holding in Luxemburg gehalten.

  4. Die L S.A. hielt die Anteile an der Klägerin treuhänderisch für einen luxemburgischen Fonds (L Fonds). Bei dem L Fonds handelt es sich um einen Fonds "commun de placement" nach luxemburgischem Recht, der ein ungeteiltes Vermögen hält, welches für Rechnung der Gemeinschaft seiner Eigentümer, der Fondsinvestoren, von der L S.A. verwaltet wird. Der L Fonds besitzt keine Rechtspersönlichkeit; die Anlagegegenstände befinden sich im Eigentum der Verwaltungsgesellschaft, die das Vermögen treuhänderisch für die Anleger verwaltet. Die Geschäftspolitik der L S.A. kann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Anteilsinhaber des L Fonds geändert werden. Nach dem Fonds-Prospekt sind die Investoren nur passive Kapitalanleger, die auf die Anlageentscheidung und die sonstigen geschäftlichen Entscheidungen keinen Einfluss nehmen. Diese Entscheidungen werden vielmehr von der L S.A. getroffen.

  5. Die Klägerin schloss am 11. April 2008 mit der L AG ein "Service Agreement". Auf der Grundlage dieser Vereinbarung sollte die L AG im Rahmen der Finanztransaktionen insbesondere folgende Leistungen erbringen:

    - Identifikationen von Anbietern von Prime Brokerage Dienstleistungen,
    - Identifikationen von Handelsplattformen,
    - Identifikationen von Brokern und
    - Vorbereitung eines Projektplanes.

  6. Neben dem "Service Agreement" schlossen die Klägerin und die L AG eine Gebührenvereinbarung ab. Die Gebühren der L AG sollten sich auf der Basis der von der Klägerin erzielten Erträge aus der Ausnutzung von Geschäftsmöglichkeiten ergeben.

  7. In der Zeit vom 17. April 2008 bis zum 30. Juli 2008 kaufte und verkaufte die Klägerin Aktien deutscher Aktiengesellschaften (überwiegend DAX-Unternehmen). Für ihre Leistungen in diesem Zusammenhang stellte die L AG der Klägerin mit Rechnung vom 30. Juni 2008 Gebühren in Höhe von 4.653.275,75 € und mit Rechnung vom 30. September 2008 Gebühren in Höhe von 22.800 € in Rechnung.

  8. Um im Rahmen einer das Jahr 2008 betreffenden Außenprüfung zu klären, ob die Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und der L AG dem zwischen fremden Dritten Üblichen entsprachen oder ob die Zahlungen an die L AG als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) zu qualifizieren sind, forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Klägerin gemäß § 90 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) auf, eine Verrechnungspreisdokumentation vorzulegen. Das FA wies darauf hin, dass die Angemessenheitsdokumentation von besonderer Bedeutung sei und setzte zur Vorlage eine Frist von 60 Tagen.

  9. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach. Sie legte lediglich eine "Dokumentation der Geschäftsbeziehungen" zur L AG für das Wirtschaftsjahr 2008 vor, in der sie ausführte, dass die L AG potentielle Prime-Broker und Broker identifiziert und die Verhandlung mit diesen angebahnt habe. Eine Angemessenheitsdokumentation war in der Dokumentation nicht enthalten. Die Klägerin begründete dies mit dem Hinweis, die vereinbarten und gezahlten Entgelte entsprächen dem, was fremde Dritte unter vergleichbaren Bedingungen vereinbart hätten. Dies ergebe sich aus dem bestehenden Interessengegensatz zwischen der Klägerin und der L AG.

  10. Der gegen die Aufforderung eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Mit Urteil vom 23. März 2011  4 K 419/10 wies das Hessische Finanzgericht (FG) die daraufhin erhobene Klage ab.

  11. Mit ihrer auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützten Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des FG aufzuheben und die Anforderung einer Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO zur Geschäftsbeziehung der Klägerin mit der L AG im Rahmen des "Service Agreement" vom 30. Oktober 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2010 aufzuheben.

  12. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Anforderung der Verrechnungspreisdokumentation durch das FA ist rechtmäßig.

  2. 1. Gemäß § 90 Abs. 3 Sätze 1 und 7 i.V.m. § 97 Abs. 1 AO kann die Finanzbehörde die Vorlage der Aufzeichnungen zur Einsicht verlangen, die ein Steuerpflichtiger bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen i.S. des § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz ‑‑AStG‑‑) zu erstellen hat. Die Aufzeichnungspflicht umfasst nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden. In der Regel soll die Finanzbehörde die Vorlage von Aufzeichnungen nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen (§ 90 Abs. 3 Satz 6 AO). Auf Anforderung hat die Vorlage innerhalb von 60 Tagen zu erfolgen (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO).

  3. 2. Die Voraussetzungen zur Anforderung einer solchen Verrechnungspreisdokumentation sind im Streitfall erfüllt.

  4. a) Die Anforderung betrifft Aufzeichnungen über einen Vorgang mit Auslandsbezug. Denn die Klägerin, die ihren Sitz im Inland hat, soll eine Verrechnungspreisdokumentation hinsichtlich ihres "Service Agreements" mit der luxemburgischen L AG vorlegen.

  5. b) Das "Service Agreement" zwischen der L AG und der Klägerin stellt eine Geschäftsbeziehung dar. Maßgebend für die Definition der Geschäftsbeziehung ist ‑‑trotz der unterlassenen redaktionellen Anpassung in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen i.S. des § 90 Abs. 3 AO (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung ‑‑GAufzV‑‑)‑‑ § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630). Eine Geschäftsbeziehung ist hiernach jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahe stehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Diesen Vorgaben entspricht das "Service Agreement". Denn es handelt sich um eine schuldrechtliche Vereinbarung. Die Vergütungen für die Leistungen der L AG hätten bei dieser zu Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG 2002) geführt, wenn sie ihre Tätigkeit im Inland ausgeübt hätte.

  6. c) Es handelt sich zudem um eine Geschäftsbeziehung mit einer nahe stehenden Person. Hierbei kann dahinstehen, ob dem FG darin gefolgt werden kann, dass die Klägerin der L AG deshalb gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 Alternative 1 AStG nahe gestanden hat, weil die L AG oder die Klägerin imstande war, bei der Vereinbarung der Bedingungen des "Service Agreements" einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehungen begründeten Einfluss auszuüben (für den Streitfall ablehnend Hofacker in Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., § 1 Rz 122; Podewils, jurisPR-SteuerR 38/2011 Anm. 3; derselbe, Internationales Steuerrecht ‑‑IStR‑‑ 2012, 134 ff.; Podewils/ Zink, Steuerberater Woche 2012, 603, 606 ff.). Jedenfalls war die L AG aufgrund des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 AStG eine der Klägerin nahe stehende Person. Nach dieser Vorschrift steht dem Steuerpflichtigen eine Person nahe, wenn eine dritte Person sowohl an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist. Dies ist hier der Fall.

  7. aa) Dritte Person i.S. des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG ist im Streitfall die L Holding mit Sitz in Luxemburg. Ob diese im Inland unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist, ist nicht von Bedeutung (vgl. Blümich/Pohl, § 1 AStG Rz 66; Kraft, AStG, § 1 Rz 183; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz 849).

  8. bb) Die L Holding ist sowohl an der L AG als auch an der Klägerin wesentlich beteiligt.

  9. aaa) Eine wesentliche Beteiligung liegt nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG vor, wenn die dritte Person an der Person und an dem Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar mindestens zu einem Viertel beteiligt ist (zur Anwendbarkeit der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG s. Hofacker in Haase, a.a.O., § 1 Rz 116; Kaminski in Strunk/ Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 1 AStG Rz 367; Kraft, a.a.O., § 1 Rz 184; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 1 AStG Rz 847). Hierfür kommt es bei Kapitalgesellschaften allein auf die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital an; der Anteil an den Stimmrechten ist hingegen nicht von Belang (Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl., Rz 3.50; Blümich/Pohl, § 1 AStG Rz 60; Debatin, Deutsche Steuer-Zeitung 1972, 265, 268; Kraft, a.a.O., § 1 Rz 170; Pohl in Mössner/Fuhrmann, Außensteuergesetz, 2. Aufl., § 1 Rz 107 f.; Vögele/Raab in Vögele/ Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 3. Aufl., Rz A 207; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 1 AStG Rz 834; Boller in Wöhrle/Schelle/Gross, Außensteuergesetz, § 1 Abs. 2 bis 5 Rz 28; a.A. Kaminski in Strunk/ Kaminski/Köhler, a.a.O., § 1 AStG Rz 337). Bei mittelbaren Beteiligungen ist ebenso unerheblich, ob eine einstufige oder eine mehrstufige Vermittlung vorliegt (Pohl in Mössner/ Fuhrmann, a.a.O., § 1 Rz 109). Entscheidend ist jeweils die durchgerechnete Beteiligungsquote, die im Ergebnis zumindest ein Viertel des Grund- oder Stammkapitals ausmachen muss (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 23. Februar 1983, BStBl I 1983, 218 Tz 1.3.2.3; Blümich/Pohl, § 1 AStG Rz 61; Kraft, a.a.O., § 1 Rz 171).

  10. bbb) Auch diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die L Holding ist unmittelbar zu 100 % an der L AG beteiligt. Zugleich ist sie auch mittelbar zu 100 % an der Klägerin beteiligt. Denn sie hält sämtliche Anteile an der L S.A., die ihrerseits alle Anteile der Klägerin hält.

  11. Entgegen der von der Klägerin vorgetragenen Auffassung ist es für das Bestehen der wesentlichen Beteiligung der L Holding an der Klägerin unerheblich, dass die Anteile an der Klägerin durch die L S.A. treuhänderisch für den L Fonds gehalten werden. Aus den Feststellungen und der Auslegung des FG zum luxemburgischen Investmentrecht, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO wie an Tatsachenfeststellungen gebunden ist (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 545 Abs. 1, 560 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30. Juni 2011 VI R 37/09, BFHE 234, 187, BStBl II 2011, 923; BFH-Beschluss vom 13. November 2012 VI R 20/10, BFHE 239, 399, BStBl II 2013, 405), folgt, dass die Anteile selbst nicht dem L Fonds zuzurechnen sind. Denn nach dem luxemburgischen Recht stehen die Vermögensgegenstände des L Fonds im Eigentum der treuhänderisch agierenden Verwaltungsgesellschaft, die lediglich im Innenverhältnis zu den Anlegern des Fonds besonderen Bindungen unterliegt und sich bei deren Verletzung schadensersatzpflichtig machen kann.

  12. Die Bindung des erkennenden Senats an die Feststellungen des FG entfällt nicht aufgrund der seitens der Klägerin erhobenen Verfahrensrüge, mit der sie geltend macht, das FG habe die ausländische Rechtslage nicht vollständig und damit im Ergebnis unzutreffend festgestellt. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dies in der Sache zutrifft. Dies kann jedoch dahinstehen. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter verzichten kann (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 ZPO), hat die ‑‑wie hier‑‑ unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust zur Folge (BFH-Beschlüsse vom 17. März 2000 VII B 1/00, BFH/NV 2000, 1125; vom 29. Oktober 2008 VII B 46/08, BFH/NV 2009, 120). Etwas anderes gilt im Streitfall nicht deshalb, weil die Klägerin aus entschuldbaren Gründen an einer solchen Rüge gehindert gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 1125, und vom 18. Juni 2008 V B 173/07, BFH/NV 2008, 1690). Wie die Klägerin vorgetragen hat, hat sie selbst dem FG den Auszug aus dem luxemburgischen Gesetz vorgelegt, auf den das FG seine Folgerungen gestützt hat. Wenn die Klägerin davon ausgegangen wäre, dass dieser nicht ausreichend war, um die einschlägige Rechtslage vollständig aufzuklären, hätte sie dem FG entweder das vollständige Gesetz vorlegen oder den Umstand der noch nicht vollständigen Aufklärung der ausländischen Rechtslage in der mündlichen Verhandlung rügen können und müssen; beides ist jedoch nicht geschehen.

  13. Darüber hinaus ist die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung nicht ordnungsgemäß. Eine schlüssige Aufklärungsrüge erfordert die genaue Bezeichnung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen (präzise Angabe der Beweisthemen) sowie die substantiierte Darlegung, inwiefern das Urteil des FG ‑‑ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts‑‑ auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (BFH-Urteil vom 4. Mai 2011 II R 55/09, BFH/NV 2011, 1702; BFH-Beschlüsse vom 23. Juli 2002 X B 174/01, BFH/NV 2002, 1486; vom 5. Februar 2004 V B 205/02, BFH/NV 2004, 964). Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung der Klägerin nicht. Die Klägerin erläutert in der Revisionsbegründung nicht, aus welchen konkreten Vorschriften des luxemburgischen Rechts sich eine Abschirmwirkung des investmentrechtlichen Treuhandverhältnisses ergeben soll.

  14. ccc) § 1 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 AStG ist im Streitfall nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass er bei Beschränkungen des Anteilsinhabers im Innenverhältnis aufgrund einer Treuhand nicht anzuwenden ist. Dagegen spricht bereits der Wortlaut, der allein auf das Vorhandensein einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe, nicht aber auf das Vorhandensein von Stimmrechten oder anderweitigen Einflussmöglichkeiten abstellt. Auch der Umstand, dass nur alternativ, nicht aber kumulativ neben der wesentlichen Beteiligung, eine beherrschende Einflussmöglichkeit zu einem Nahestehen führt (vgl. Kaligin in Lademann, Außensteuergesetz, § 1 Rz 30), zeigt, dass der Gesetzgeber in der ersten Alternative allein auf die kapitalmäßige Beteiligung abstellen wollte. Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung, nach der das Nahestehen durch Anführung "typische[r] Interessenverzahnungen" definiert werden sollte (BTDrucks VI/2883, 23).

  15. d) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Aufforderung zur Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie zur Aufklärung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts ungeeignet wäre.

  16. aa) Die Anforderung ist zur Aufklärung geeignet, wenn die verlangte Dokumentation die Frage klären hilft, ob die Voraussetzungen entweder für eine Einkommenskorrektur gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) oder für eine Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vorliegen (zum Zweck des § 90 Abs. 3 AO vgl. BTDrucks 15/119, 52). Informatorische Eingriffe der Finanzverwaltung sind solange geeignet, als eine steuerliche Bedeutung nach dem Gesetz und der dazu vorliegenden Rechtsprechung ernstlich in Betracht kommt. Es kann der Finanzverwaltung nicht verwehrt sein, einen Sachverhalt näher zu untersuchen, wenn sie mit vertretbaren rechtlichen Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Sachverhalt steuerliche Auswirkungen haben kann. Nur wenn klar und eindeutig jeglicher Anhaltspunkt für die Steuererheblichkeit fehlt, ist der informatorische Eingriff rechtswidrig (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Februar 2012 I B 88/11, BFH/NV 2012, 1089, m.w.N.).

  17. bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Denn die Aufforderung zur Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation dient nach der Begründung der Anforderung der Aufklärung der ernsthaft in Betracht kommenden Möglichkeit, dass die Zahlungen an die L AG als vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 2002 zu qualifizieren sind.

  18. aaa) Unter einer vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 2002 ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder mitveranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrags gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Senat die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer diesem nahe stehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsurteile vom 16. März 1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626; vom 3. Mai 2006 I R 124/04, BFHE 214, 80, BStBl II 2011, 547; vom 8. Oktober 2008 I R 61/07, BFHE 223, 131, BStBl II 2011, 62; vom 22. Dezember 2010 I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019; vom 31. Januar 2012 I R 1/11, BFHE 236, 368, BStBl II 2012, 694). Zudem muss der Vorgang geeignet sein, bei dem Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 2002 auszulösen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 7. August 2002 I R 2/02, BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131; vom 22. August 2007 I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961; vom 15. Februar 2012 I R 19/11, BFHE 236, 452).

  19. bbb) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt im Streitfall ernstlich in Betracht. Denn die Klägerin hat aufgrund des "Service Agreement" Zahlungen an die L AG, eine der L S.A. nahe stehende Person geleistet. Ob die Zahlungen der Höhe nach mit dem unter Fremden Üblichen übereinstimmen und bei der Anteilseignerin der Klägerin einen sonstigen Bezug auslösen können, kann ohne die angeforderte Dokumentation nicht abschließend beantwortet werden.

  20. aaaa) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die L AG eine der Gesellschafterin nahe stehende Person.

  21. Für das Nahestehen genügt jede Beziehung zwischen einem Gesellschafter und dem Dritten, die den Schluss zulässt, sie habe die Vorteilszuwendung der Kapitalgesellschaft an den Dritten beeinflusst. Derartige Beziehungen können familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein (Senatsurteile vom 18. Dezember 1996 I R 139/94, BFHE 182, 184, BStBl II 1997, 301; in BFHE 223, 131, BStBl II 2011, 62). Eine solche Verbindung besteht insbesondere bei in einem Konzern verbundenen Unternehmen, etwa ‑‑wie auch im Streitfall‑‑ Schwestergesellschaften (vgl. Senatsurteil vom 20. August 2008 I R 19/07, BFHE 222, 494, BStBl II 2011, 60; BFH-Beschluss vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, Anhang zu § 8 KStG Rz 66; Wilk in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 KStG Rz 125). Die L S.A., die alleinige Gesellschafterin der Klägerin ist, ist als 100 %-ige Tochtergesellschaft der L Holding die Schwestergesellschaft der L AG, an die die Klägerin die Zahlungen entrichtet hat. Aufgrund der Verbundenheit in einem Konzern kann auch nicht auf einen natürlichen Interessengegensatz zwischen der Klägerin und der L AG geschlossen werden, der eine Veranlassung der Zahlungen durch das Gesellschaftsverhältnis ausschließen könnte.

  22. Ein Nahestehen der L S.A. und der L AG scheidet im Streitfall abermals nicht deshalb aus, weil die L S.A. die Anteile an der Klägerin treuhänderisch verwaltet und im Innenverhältnis zu den Anlegern des L Fonds der Pflicht unterliegt, das Vermögen nur im Interesse der Anleger zu verwalten. Diese Bindungen im Innenverhältnis schließen es nicht aus, dass die L S.A. der L AG aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit einen Vermögensvorteil zuwendet. Sie kann sich wegen der Verletzung ihrer Pflichten gegenüber den Anlegern des L Fonds allenfalls schadensersatzpflichtig machen.

  23. bbbb) Ferner scheidet eine vGA nicht deshalb von vornherein aus, weil die Zahlungen der Klägerin an die L AG nicht geeignet wären, einen sonstigen Bezug i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 2002 bei der Gesellschafterin auszulösen. Für die sog. Vorteilsgeeignetheit (s. dazu Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8 Rz 170, m.w.N.) kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf den Willen der Anleger des L Fonds abgestellt werden. Maßgebend ist vielmehr, ob der Vorgang zu einem Zufluss bei der nahe stehenden Person und somit zur Zurechnung einer vGA bei dem Anteilseigner führen kann. Erforderlich ist hierfür allein, dass der Vorteil dem Dritten im Interesse des Anteilseigners zugewendet wurde (Lang in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, Kommentar zum KStG und EStG, KStG § 8 Abs. 3 Teil C, Rz 158; Gosch, ebenda). Dass dies der Fall ist, kann im Streitfall ohne weitere Prüfung nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund der Konzernstruktur besteht zumindest die ernsthafte Möglichkeit, dass die Zahlungen an die L AG im Interesse ihrer Schwestergesellschaft, der L S.A., erfolgt sind.

  24. cc) Da die Anforderung der Verrechnungspreisdokumentation bereits der Klärung der Frage dient, ob die Zahlungen der Klägerin an die L AG zu einer vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 2002 geführt haben, ist die von der Klägerin aufgeworfene Frage nicht von Bedeutung, ob § 1 AStG mit Unionsrecht vereinbar ist.

  25. e) Für das Vorliegen weiterer Ermessensfehler durch die Anforderung der Verrechnungspreisdokumentation ist im Streitfall nichts ersichtlich. Insbesondere geht die Anforderung der Dokumentation nicht über das im konkreten Fall zur Ermittlung des steuerlich erheblichen Sachverhalts notwendige Maß hinaus. Der Hinweis des FA auf die inhaltlich sehr weitgehende Nr. 3.4 der Grundsätze für die Prüfung der Einkünfteabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren ‑‑VG-Verf.‑‑) ‑‑BStBl I 2005, 570‑‑ ist nicht Teil des Regelungsgehalts des hier angefochtenen Verwaltungsakts. Denn dieser besteht lediglich darin, zur Vorlage einer Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation aufzufordern, die es einem sachverständigen Dritten ermöglicht, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte bei der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehung zwischen der Klägerin und der L AG verwirklicht worden sind und ob und inwieweit hierbei der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde. Nr. 3.4 VG-Verf. nennt das FA ausschließlich in dem der Regelung vorangestellten Teil, in dem abstrakt die Verpflichtung zur Erstellung von Aufzeichnungen gemäß § 90 Abs. 3 AO erläutert wird.

  26. 3. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt § 90 Abs. 3 AO nicht gegen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten. Insbesondere wird die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte ‑‑EG‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ‑‑ABlEG‑‑ 2002, Nr. C-325, 1), nunmehr Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ‑‑AEUV‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2008, Nr. C-115, 47), nicht verletzt (ebenso z.B. Hahn/Suhrbier-Hahn, IStR 2003, 84, 85 ff.; Klein/Rätke, AO, 11. Aufl., § 90 Rz 53; Schmitz in Schwarz, AO, § 90 Rz 75; Schwenke in Hüttemann, Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsmissbrauch im Steuerrecht, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft eV ‑‑DStJG‑‑ Band 33 (2010), 273, 283 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 90 AO Rz 57; Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 90 AO Rz 191; Vögele/Brem, IStR 2004, 48, 52; tendenziell auch Wagner in Kühn/v. Wedelstädt, 20. Aufl., AO, § 90 Rz 13, anders hingegen Andresen, Recht der internationalen Wirtschaft 2003, 489, 491; Graf, Steuer und Studium 2004, 380, 387; Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65 ff.; Kaminski, Die Steuerberatung 2012, 354, 365; Korts, IStR 2006, 869, 872; Kroppen/Rasch, Internationale Wirtschafts-Briefe ‑‑IWB‑‑, Fach 3, Gruppe 1, 1977, 1987 f.; Lüdicke, IStR 2003, 433, 437; Moebus, Betriebs-Berater 2003, 1413, 1414; Roser in Beermann/ Gosch, AO § 90 Rz 14 f.; Schnitger, IStR 2003, 73, 75 f.; Schnorberger, Der Betrieb 2003, 1241, 1242 f.; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 1 AStG Rz 823.39; Frotscher in Lüdicke, Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung (2002), S. 167, 235 ff.).

  27. a) Art. 49 Abs. 1 EG verbietet die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind.

  28. aa) Der freie Dienstleistungsverkehr umfasst nicht nur die Freiheit des Leistungserbringers, Leistungsempfängern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig sind, in dessen Gebiet sich dieser Leistungserbringer befindet, Dienstleistungen anzubieten und zu erbringen, sondern auch die Freiheit, als Leistungsempfänger von einem Leistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat angebotene Dienstleistungen zu empfangen oder in Anspruch zu nehmen, ohne durch Beschränkungen beeinträchtigt zu werden (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, jetzt Gerichtshof der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ vom 6. November 2003 C-243/01, Gambelli, Slg. 2003, I-13031). Eine Beschränkung liegt bereits vor, wenn sich eine Regelung, die nicht formal an die Staatsangehörigkeit anknüpft, hauptsächlich bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen nachteilig auswirkt (vgl. EuGH-Urteile vom 7. Mai 1998 C-350/96, Clean Car Autoservice, Slg. 1998, I-2521 Rz 29; vom 29. April 1999 C-224/97, Ciola, Slg. 1999, I-2517 Rz 14). Unerheblich für das Vorliegen einer Beschränkung ist, ob sie durch den Staat des Leistungsempfängers oder den Staat des Leistungserbringers erfolgt; Art. 49 Abs. 1 EG schützt die Dienstleistungsfreiheit umfassend (EuGH-Urteil vom 10. Mai 1995 C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141 Rz 30). Entscheidend ist auch nicht, ob der Leistungserbringer oder -empfänger die Grenze überschreitet. Ausreichend ist, dass allein die Dienstleistung grenzüberschreitend erbracht wird (Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 56 AEUV Rz 40, m.w.N.; Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl., § 10 Rz 136; Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 56/57 AEUV Rz 54, m.w.N.). Dies gilt beispielsweise für grenzüberschreitend erbrachte Beratungsdienstleistungen (Kluth in Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 56, 57 AEUV Rz 33).

  29. bb) Diskriminierungen oder Beschränkungen können jedoch aus den in Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 EG genannten Gründen (Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit) sowie durch den ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses (ständige Rechtsprechung seit EuGH-Urteil vom 3. Dezember 1974 Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299 Rz 10/12; s. jüngst EuGH-Urteile vom 18. Oktober 2012 C-498/10, X, IStR 2013, 26 Rz 36; vom 19. Dezember 2012 C-577/10, Kommission/Belgien, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2013, 234, Rz 44) gerechtfertigt sein.

  30. b) Von diesen Grundsätzen ausgehend greift § 90 Abs. 3 AO zwar in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ein. Denn die Vorschrift wirkt sich ausschließlich nachteilig bei grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistungen aus. Die Vorschrift begründet besondere Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten allein bei "Vorgänge[n] mit Auslandsbezug mit nahe stehenden Personen". Dies führt nicht nur zu einem erhöhten administrativen Aufwand, sondern kann auch zu einer erheblichen materiellen Mehrbelastung für den Steuerpflichtigen führen, die ihn davon abhalten können, die Dienstleistung grenzüberschreitend in Anspruch zu nehmen. Die durch § 90 Abs. 3 AO begründeten Pflichten führen zu einem gesteigerten Beratungsbedarf der Steuerpflichtigen und damit verbunden zu höheren Kosten als bei rein innerstaatlichen Sachverhalten (Goebel/Küntscher, Die Unternehmensbesteuerung ‑‑Ubg‑‑ 2009, 235, 240). Insbesondere werden die Mehrkosten durch notwendig werdende Verrechnungspreisstudien zur Verteidigung der Höhe der vereinbarten Entgelte hervorgerufen (Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65, 67).

  31. c) Diese Ungleichbehandlung zu Lasten grenzüberschreitender Dienstleistungen ist jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt (so auch Schwenke, a.a.O., DStJG Band 33 (2010), 273, 289 ff.; Vögele/Brem, IStR 2004, 48, 52; a.A. Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65, 69; Kroppen/ Rasch, IWB Fach 3, Gruppe 1, 1977, 1987).

  32. Als zwingender Grund des Allgemeininteresses ist insbesondere das Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht in der ständigen Rechtsprechung des EuGH anerkannt (EuGH-Urteile vom 15. Mai 1997 C-250/95, Futura Participations und Singer, Slg. 1997, I-2471 Rz 26; vom 28. Oktober 1999 C-55/98, Vestergaard, Slg. 1999, I-7641 Rz 23; vom 4. März 2004 C-334/02, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-2229 Rz 27; vom 9. November 2006 C-433/04, Kommission/Belgien, Slg. 2006, I-10653 Rz 35), nach dem die Mitgliedstaaten befugt sind, Maßnahmen anzuwenden, um die Besteuerungsgrundlagen klar und eindeutig feststellen zu können (EuGH-Urteile vom 8. Juli 1999 C-254/97, Baxter u.a., Slg. 1999, I-4809 Rz 18; in Slg. 1999, I-7641 Rz 25; vom 14. September 2006 C-386/04, Centro di Musicologia Walter Stauffer, Slg. 2006, I-8203 Rz 48; vom 28. Oktober 2010 C-72/09, Établissements Rimbaud, Slg. 2010, I-10659 Rz 35). Sie sind befugt ‑‑als milderes Mittel im Vergleich zu einer materiell-rechtlich nachteiligen steuerrechtlichen Behandlung‑‑ dem Steuerpflichtigen entsprechende Mitwirkungshandlungen abzuverlangen, die ihnen zur Verifikation der Besteuerungsgrundlagen nach den nationalen Vorschriften notwendig erscheinen (in diesem Sinne etwa EuGH-Urteil vom 26. Juni 2003 C-422/01, Skandia und Ramstedt, Slg. 2003, I-6817 Rz 43 f.). Zulässig ist insbesondere, für grenzüberschreitende Fälle spezifische Verfahrensregeln zu erlassen, um es den zuständigen Finanzbehörden zu ermöglichen, den steuerlich erheblichen Sachverhalt aufzuklären (EuGH-Urteil vom 26. Oktober 1995 C-151/94, Kommission/Luxemburg, Slg. 1995, I-3685 Rz 21; Englisch, IStR 2009, 37, 41). Dass hierdurch faktische Mehrbelastungen für den grenzüberschreitend agierenden Steuerpflichtigen resultieren können, widerspricht dem nicht, soweit die mitgliedstaatliche Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist (EuGH-Urteile in Slg. 1997, I-2471 Rz 26; in Slg. 2004, I-2229 Rz 28; vom 27. Januar 2009 C-318/07, Persche, Slg. 2009, I-359 Rz 52).

  33. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Allgemeininteresse an einer wirksamen Steueraufsicht zur Sicherung eines gleichmäßigen Gesetzesvollzugs unabhängig vom (möglichen) Vorliegen eines Missbrauchs tauglicher Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung (a.A. Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65, 69). Auch der EuGH prüft den Rechtfertigungsgrund stets als eigenständigen Rechtfertigungsgrund außerhalb von Missbrauchskonstellationen (vgl. beispielsweise EuGH-Urteile in Slg. 1999, I-4809 Rz 18; vom 10. März 2005 C-39/04, Laboratoires Fournier, Slg. 2005, I-2057 Rz 24). Dies folgt bereits daraus, dass das Unionsrecht die Steuererhebungshoheit der Mitgliedstaaten anerkennt und diese daher nicht daran gehindert werden dürfen, allgemein auch grenzüberschreitende Sachverhalte aufzuklären (so auch Crezelius, IStR 2002, 433, 438).

  34. d) Die erhöhte Mitwirkungspflicht ist in ihrer Ausgestaltung auch verhältnismäßig.

  35. aa) Ohne diese Regelung ist es nicht möglich, die Einkünfteabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen (Verrechnungspreisprüfung) durch die Finanzverwaltung zu prüfen (BTDrucks 15/119, 52). Wie der Senat durch Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00 (BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171) entschieden hat, ergibt sich eine Pflicht zur Erstellung von Aufzeichnungen für die Prüfung von Verrechnungspreisen bei der Aufklärung von Sachverhalten mit Auslandsbezug nicht bereits aus den erhöhten Mitwirkungspflichten gemäß § 90 Abs. 2 AO.

  36. bb) § 90 Abs. 3 AO geht nicht über das zur Erreichung dieses Zwecks erforderliche Maß hinaus.

  37. Insbesondere ist die Ermittlung des Fremdvergleichspreises allein durch die Finanzverwaltung nicht in gleich effektiver Weise möglich. Die zur Vornahme eines Fremdvergleichs erforderlichen Informationen stammen vornehmlich aus der Sphäre des Steuerpflichtigen, der deshalb besser als die Finanzverwaltung in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu dokumentieren.

  38. An der Erforderlichkeit fehlt es nicht deshalb, weil die Finanzverwaltung die für die Besteuerung erforderlichen Informationen auch mit den Mitteln der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABlEG 1977, Nr. L-336, 15), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABlEU 2006, Nr. L-363, 129), ersetzt mit Wirkung vom 1. Januar 2013 durch die Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABlEU 2011, Nr. L-64.1), erlangen könnte (vgl. hierzu EuGH-Urteile vom 14. Februar 1995 C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225 Rz 45; in Slg. 1999, I-7641 Rz 26; Staringer in Widmann, Steuervollzug im Rechtsstaat, DStJG Band 31 (2008), 135, 144). Nach der Rechtsprechung des EuGH schließen sich die Amtshilfe und die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nicht aus. Sie stehen vielmehr grundsätzlich nebeneinander (in diesem Sinne EuGH-Urteil in Slg. 1999, I-7641 Rz 26; vom 27. September 2007 C-184/05, Twoh International, Slg. 2007, I-7897 Rz 35) und dienen der Sachverhaltsaufklärung in unterschiedlichen Fallgestaltungen (ähnlich Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, 942; Schwenke, a.a.O., DStJG Band 33 (2010), 273, 290 f.; Seer in Spindler/Tipke/Rödder [Hrsg.], Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, 151, 163: "aliud"). Mitwirkungspflichten ‑‑wie § 90 Abs. 3 AO‑‑ können die Mitgliedstaaten insbesondere für die Fälle vorsehen, in denen trotz Amtshilfe die Verifikation eines steuerlich erheblichen Sachverhalts sehr schwierig oder gar ausgeschlossen ist (EuGH-Urteile vom 29. März 2007 C-347/04, Rewe Zentralfinanz, Slg. 2007, I-2647 Rz 57, BStBl II 2007, 492). So liegt der Fall hier. Denn die ausländische Finanzverwaltung, die um Auskunft ersucht wird, verfügt ebenso wenig wie die inländische über die notwendigen internen Informationen, sondern wäre ebenso wie diese darauf angewiesen, sie durch Mitwirkung des Steuerpflichtigen zu erlangen. Dies gilt beispielsweise für die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse des Steuerpflichtigen, die vereinbarten Bedingungen oder die Daten zu vergleichbaren Geschäften des Steuerpflichtigen oder einer ihm nahe stehenden Person mit fremden Dritten (vgl. § 1 Abs. 3 GAufZV).

  39. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Goebel/Küntscher, Ubg 2009, 235, 241) stellt es auch kein gleich geeignetes milderes Mittel dar, den Steuerpflichtigen vor der Veranlagung die Beratung oder Vereinbarung von Verrechnungspreisen mit der Finanzverwaltung zu ermöglichen. Denn für eine vorherige Absprache mit dem Steuerpflichtigen bedürfte die Finanzverwaltung eben jener Informationen, die durch § 90 Abs. 3 AO ermittelt werden sollen.

  40. cc) Die grundsätzliche Verhältnismäßigkeit des § 90 Abs. 3 AO kann schließlich nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden, einzelne Bestimmungen der den § 90 Abs. 3 AO und die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung ausfüllenden Nr. 3.4 VG-Verf. gingen über das zur Sachverhaltsaufklärung erforderliche, zumindest aber angemessene Maß hinaus. Nr. 3.4 VG-Verf. stellt lediglich eine Verwaltungsvorschrift dar, die keine rechtlichen Verpflichtungen der Steuerpflichtigen begründet, sondern ausschließlich die Verwaltung bindet (Kroppen/Rasch, IWB Fach 3, Gruppe 1, 2113 f.; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 90 AO Rz 51). Als Verwaltungsvorschrift kann Nr. 3.4 VG-Verf. keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des § 90 Abs. 3 AO nehmen. Sollte das FA gestützt auf die Verwaltungsgrundsätze von überzogenen Anforderungen an die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation ausgehen und wegen Nichterfüllung dieser Vorgaben eine Hinzuschätzung vornehmen (§ 162 Abs. 3 AO) oder gemäß § 162 Abs. 4 AO einen Zuschlag festsetzen, bleibt es der Klägerin unbenommen, sich hiergegen durch Einspruch und Klage zur Wehr zu setzen, die sich bei der Hinzuschätzung gegen den Steuerbescheid (hierzu Buciek in Beermann/Gosch, AO § 162 Rz 234 i.V.m. Rz 178 ff.) und bei der Festsetzung eines Zuschlags gegen dessen Festsetzung richten (hierzu Buciek in Beermann/Gosch, AO § 162 Rz 270).

  41. 4. Einer Vorlage an den EuGH zu der Frage der Unionsrechtmäßigkeit des § 90 Abs. 3 AO bedurfte es nicht. Die Rechtslage ist für den erkennenden Senat derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel an der Unionsrechtskonformität des § 90 Abs. 3 AO kein Raum bleibt. Die Grundsätze des EuGH zu den Spielräumen des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers für den Erlass von Vorschriften, aus denen sich Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ergeben, lassen mit hinreichender Sicherheit den Schluss zu, dass § 90 Abs. 3 AO den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates dies anders sehen könnte (vgl. hierzu EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rz 21). Denn seit der Veröffentlichung der Empfehlungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) in dem Bericht "Verrechnungspreise und multinationale Unternehmen" im Jahre 1995 hat die Mehrzahl der OECD-Mitgliedstaaten, zu denen ‑‑abgesehen von Zypern und Kroatien‑‑ alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören, gesetzliche Dokumentationspflichten geschaffen (BTDrucks 15/119, 52; Roser in Beermann/Gosch, AO § 90 Rz 82, m.w.N.), ohne dass ersichtlich geworden wäre, dass ein mitgliedstaatliches Gericht eine entsprechende Regelung für unionsrechtswidrig gehalten oder die Frage der Unionsrechtskonformität einer solchen Regelung auch nur dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hätte. Im Übrigen hat auch die Europäische Kommission eine gemeinsame Initiative zu den Dokumentationspflichten ergriffen und einen Bericht über die Tätigkeiten des Gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforums im Bereich der Dokumentationspflichten vorgelegt (KOM(2005)0543endg.,juris), der mit § 90 Abs. 3 AO vergleichbare Pflichten des Steuerpflichtigen vorsieht (s.a. Entschließung des Rates vom 27. Juni 2006, ABlEU 2006, Nr. C-176, 1).

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