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Urteil vom 10. Juni 2019, III R 47/18

Kraftfahrzeugsteuerbefreiung für Krankenbeförderung; Endbescheid im finanzgerichtlichen Verfahren

ECLI:DE:BFH:2019:U.100619.IIIR47.18.0

BFH III. Senat

FGO § 68, KraftStG § 3 Nr 5, KraftStG § 12 Abs 2 Nr 3

vorgehend FG Münster, 11. Juli 2018, Az: 6 K 3668/16 Kfz

Leitsätze

1. Die Krankenbeförderung i.S. des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG setzt voraus, dass kranke Menschen befördert werden. Steuerbefreit sind nur Fahrzeuge, die ausschließlich für Fahrten im Zusammenhang mit der Behandlung kranker Menschen verwendet werden (Anschluss an BFH-Urteil vom 13.09.2018 - III R 10/18, BFHE 262, 532).

2. Nach der Abmeldung eines Kraftfahrzeugs wird der während eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergangene Endbescheid (§ 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG) gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12.07.2018 - 6 K 3668/16 Kfz aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob das Halten der Fahrzeuge der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) nach § 3 Nr. 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) steuerbefreit ist.

  2. Das Unternehmen der Klägerin hat Personenbeförderungen zum Gegenstand. Die Klägerin ist Halterin der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9. Es handelt sich um als Mehrzweckfahrzeuge, Sonderfahrzeuge und PKW zugelassene Fahrzeuge, die über drei bis neun mögliche Sitzplätze einschließlich Fahrersitz verfügen und technisch dahingehend ausgerüstet sind, dass entweder mindestens eine Person im Rollstuhl oder eine Person liegend transportiert werden kann. Die Klägerin verwendete die Fahrzeuge ausschließlich zur Beförderung von gehbehinderten Personen. Sie wurden dabei stets in einer Trage, einem Rollstuhl oder in einem Tragestuhl befördert, sie waren nicht in der Lage, selbstständig oder mit einfacher Unterstützung ihre Wohnung zu verlassen, benötigen aber keine intensivmedizinische Betreuung während der Beförderungen. Auf den in weiß gehaltenen Fahrzeugen stand im Frontbereich in großen Buchstaben "Krankenfahrdienst ...".

  3. Ursprünglich waren acht der neun Fahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Durch Änderungsbescheide hob der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑)  die Steuerbefreiungen auf und setzte Kraftfahrzeugsteuer fest. Für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen 9 setzte das HZA erstmals Kraftfahrzeugsteuer fest.

  4. Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben erfolglos. Das HZA war der Meinung, eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG setze voraus, dass das Fahrzeug ausschließlich zu dringenden Soforteinsätzen verwendet werde.

  5. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, es sah die Voraussetzung "ausschließliche Verwendung zur Krankenbeförderung" gemäß § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG als erfüllt an, da eine Verwendung ausschließlich zu dringenden Soforteinsätzen nicht erforderlich sei.

  6. Das HZA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  7. Das HZA beantragt,
    das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  8. Die Klägerin beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

  9. Die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen 1 und 8 wurden zwischenzeitlich abgemeldet, woraufhin Endbescheide ergangenen sind. Das HZA hat hierzu erklärt, dass sich der Streitstoff nicht geändert habe.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Das Urteil ist aufzuheben und zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Klägerin die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 5 KraftStG zu gewähren ist. Seine Feststellungen genügen nicht, um eine Krankenbeförderung i.S. der genannten Vorschrift anzunehmen.

  2. 1. Nach der Abmeldung der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen 1 und 8 sind auch die Endbescheide nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Verfahrensgegenstand geworden. Zwar ersetzt ein solcher Endbescheid nicht die bisherige Steuerfestsetzung in vollem Umfang; er tritt jedoch für den letzten Entrichtungszeitraum an dessen Stelle (Niedersächsisches FG, Urteil vom 5. Juni 2008 - 14 K 240/05, juris; FG München, Urteile vom 12. März 2003 - 4 K 4462/02, juris; vom 20. Februar 2002 - 4 K 5095/00, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2002, 870, und vom 22. Mai 1996 - 4 K 3739/94, EFG 1997, 294; Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz, § 12 Rz 16). Die Sache ist insoweit nicht bereits nach § 127 FGO zurückzuweisen, da sich der Streitstoff nicht verändert hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16. Februar 2011 - II R 48/08, BFHE 233, 190, BStBl II 2012, 295, m.w.N.).

  3. 2. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG unterliegt der Kfz-Steuer das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Von der Kfz-Steuer befreit ist nach § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG u.a. das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich zur Krankenbeförderung verwendet werden. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist nach § 3 Nr. 5 Satz 2 KraftStG weiterhin, dass die Fahrzeuge äußerlich als für diese Zwecke bestimmt erkennbar sind und dass sie, sofern sie nicht für eine der in § 3 Nr. 5 Satz 3 KraftStG aufgeführten Körperschaften zugelassen sind, nach ihrer Bauart und Einrichtung dem Verwendungszweck angepasst sind.

  4. 3. Die Krankenbeförderung setzt bereits begrifflich voraus, dass kranke Menschen befördert werden (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 26. Oktober 1971 - V 31/70, EFG 1972, 145).

  5. a) Wie der Senat bereits im Urteil vom 13. September 2018 - III R 10/18 (BFHE 262, 532) ausgeführt hat, ist der Begriff der Krankheit im Gesetz nicht definiert, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliegt und der Begriff im jeweiligen Rechtszusammenhang und individuellem Fall gebraucht wird. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Krankheit ein anomaler körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand ist, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf (Senatsurteile vom 28. Juli 2005 - III R 30/03, BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495, unter II.2.; vom 18. Juni 1997 - III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805, unter II.2.a, jeweils zu § 33 des Einkommensteuergesetzes; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. September 2015 - B 3 KR 14/14 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 48, Rz 29, m.w.N.). Dieser Krankheitsbegriff gilt auch für Zwecke der Kraftfahrzeugsteuer. Der Begriff der Behinderung (vgl. § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) ist nicht deckungsgleich mit dem Begriff der Krankheit.

  6. b) Die Behandlungsbedürftigkeit impliziert eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung, wie sie den übrigen Merkmalen des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG (Feuerwehrdienst, Katastrophenschutz, ziviler Luftschutz, Unglücksfälle, Rettungsdienst) immanent ist. Diese Auslegung entspricht den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 22. August 1989 - VII R 9/87 (BFHE 158, 132, BStBl II 1989, 936, unter II.). Das Gesetz verlangt keinen dringenden Soforteinsatz. Vielmehr müssen die beförderten Personen behandlungsbedürftig sein und die Beförderung muss mit der Behandlung im Zusammenhang stehen.

  7. 4. Das Urteil des FG hat den der Krankenbeförderung immanenten Krankheitsbegriff verkannt. Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden die Fahrzeuge ausschließlich zur Beförderung von Personen verwendet, die derart gehbehindert waren, dass sie öffentliche Verkehrsmittel oder private Fahrzeuge ohne fremde Hilfe nicht benutzen konnten. Das FG hat damit fehlerhaft lediglich auf die (Geh-)Behinderung der Personen abgestellt, ohne festzustellen, ob die mit den streitgegenständlichen Fahrzeugen beförderten Personen krank in dem oben genannten Sinne waren und ob die behandlungsbedürftigen Personen zum Zweck der Behandlung befördert wurden. Das FG-Urteil kann daher keinen Bestand haben.

  8. 5. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das FG hat keine Feststellungen zur Krankheit der beförderten Personen und zum Zweck der Fahrten getroffen. Das FG wird nach Maßgabe der obigen Grundsätze die notwendigen Feststellungen treffen und erneut über die Sache entscheiden müssen.

  9. 6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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