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Urteil vom 27. Oktober 2020, VIII R 3/20

Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 29.09.2020 VIII R 17/17 - Abgeltungswirkung einbehaltener Kapitalertragsteuer bei der Besteuerung von Scheinrenditen aus Schneeballsystemen

ECLI:DE:BFH:2020:U.271020.VIIIR3.20.0

BFH VIII. Senat

EStG § 43 Abs 5 S 1, EStG § 11 Abs 1 S 1, EStG § 20 Abs 2 S 1 Nr 1 S 1, EStG § 32d Abs 3, EStG § 2 Abs 5b, EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013

vorgehend FG Nürnberg, 10. Dezember 2019, Az: 5 K 1283/18

Leitsätze

1. Die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG tritt auch dann ein, wenn die bei der Auszahlung der Kapitalerträge einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht beim Finanzamt angemeldet und abgeführt wird und kein die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 oder Satz 3 EStG vorliegt.

2. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Kapitaleinkünfte in Form von Scheinrenditen aus einem betrügerischen Schneeballsystem erzielt hat, für die aus seiner Sicht Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG einbehalten worden ist (Anschluss an Senatsurteil vom 29.09.2020 - VIII R 17/17).

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 11.12.2019 - 5 K 1283/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2010 bis 2013 bei der von B geführten Firma C Scheinrenditen aus Aktienverkäufen, die er nicht in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre angegeben hatte und die bei der Steuerfestsetzung zunächst unberücksichtigt blieben.

  2. B hatte unter der Firma der C ein Schneeballsystem mit fingierten Aktiengeschäften betrieben, das am ... 2013 aufflog. C bescheinigte dem Kläger in den Streitjahren erhebliche Gewinne aus dem Verkauf von Aktien. Auf den dem Kläger erteilten Abrechnungen wies C den rechnerisch zutreffenden Einbehalt von Kapitalertragsteuer und des hierauf entfallenden Solidaritätszuschlags auf die als Kapitaleinkünfte angegebenen Erträge aus. Der Restbetrag wurde dem Kläger ausgezahlt. Jedoch wurde die Kapitalertragsteuer von C weder beim Finanzamt angemeldet noch an dieses abgeführt, was dem Kläger nicht bekannt war. Bei Aufdeckung des Schneeballsystems am ... 2013 hatte der Kläger noch einen Betrag in Höhe von ... € bei B angelegt. Diesen Betrag meldete er bei der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des B zur Tabelle an.

  3. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ nach einer Außenprüfung am 28.02.2017 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, mit denen die Einkommensteuer aufgrund der vom Kläger aus dem Schneeballsystem erzielten Kapitaleinkünfte im Jahr 2010 um ... € auf 149.416 €, im Jahr 2011 um ... € auf 155.560 €, im Jahr 2012 um ... € auf 125.784 € und im Jahr 2013 um ... € auf 110.132 € erhöht wurde. Die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer (zzgl. Solidaritätszuschlag) wurde nicht auf die Steuerfestsetzung angerechnet.

  4. Gegen diese Bescheide legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA jeweils am 12.01.2018 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, in denen es die Bemessungsgrundlage für die von dem Kläger aus dem Schneeballsystem erzielten Kapitaleinkünfte um die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer zzgl. des Solidaritätszuschlags minderte. Die Einkommensteuer wurde für 2010 auf 134.753 €, für 2011 auf 142.834 €, für 2012 auf 105.502 € und für 2013 auf 103.453 € herabgesetzt. Im Übrigen wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 15.08.2018 als unbegründet zurückgewiesen.

  5. Das Finanzgericht (FG) Nürnberg hat der Klage in seinem Urteil vom 11.12.2019 - 5 K 1283/18 (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2020, 840) stattgegeben und die Einkommensteuer für die Streitjahre um die Beträge herabgesetzt, die auf die Besteuerung der Scheinrenditen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entfielen.

  6. Zur Begründung seiner Revision macht das FA geltend, dass das Urteil des FG § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG verletze. Die Abgeltungswirkung trete nur insoweit ein, als die Kapitalerträge tatsächlich dem Steuerabzug unterlegen hätten und die Abzugsbeträge an das Finanzamt abgeführt worden seien. Eine andere Auslegung des Gesetzes widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, mit der Einführung der Abgeltungsteuer den Steueranspruch an der Quelle sicherzustellen. Es könne daher nicht auf die Anlegerperspektive abgestellt werden.

  7. Das FA beantragt,
    das Urteil des FG Nürnberg in EFG 2020, 840 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  8. Der Kläger beantragt,
    die Revision als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

  9. Die Revision sei unzulässig, da die Revisionsschrift des FA nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genüge. So fehle es an der Bezeichnung der tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Verletzung des § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG ergebe. Die Revision sei zudem unbegründet, da das FG Nürnberg die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG zutreffend bejaht habe.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision des FA ist nach § 124 Abs. 1 FGO zulässig. Entgegen der Auffassung des Klägers entspricht die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 FGO.

  2. 1. Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Dies erfordert, dass erkennbar ist, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Der Revisionskläger muss sich mit den tragenden Gründen des finanzgerichtlichen Urteils auseinandersetzen und darlegen, weshalb er diese für unrichtig hält (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17.05.2017 - VI R 1/16, BFHE 258, 365, BStBl II 2017, 1073, m.w.N.).

  3. 2. Die Revisionsschrift genügt diesen Anforderungen. Das FA hat sich bei der Darlegung seiner von der Ansicht des FG Nürnberg abweichenden Rechtsansicht bezüglich der Voraussetzungen des Eintritts der Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG in ausreichendem Umfang mit den tragenden Gründen des FG-Urteils auseinandergesetzt.

III.

  1. Die Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

  2. Zwar sind dem Kläger die von C in den Streitjahren ausgewiesenen und ausgezahlten Scheinrenditen in voller Höhe als Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 EStG gemäß § 11 EStG zugeflossen (1.). Sie sind jedoch nach § 2 Abs. 5b EStG nicht der Einkommensbesteuerung zugrunde zu legen, da die Einkommensteuer für diese Kapitaleinkünfte nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG durch die Einbehaltung der Kapitalertragsteuer abgegolten wurde (2.).

  3. 1. Der Kläger hat in den Streitjahren mit den Geldanlagen bei C Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG erzielt, die ihm gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind.

  4. a) Bei der Entscheidung, ob einer der in § 20 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, kommt es entscheidend darauf an, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Kapitalanlegers als Leistungsempfänger bei objektiver Betrachtungsweise darstellt, da auf den nach außen erkennbaren Willen des Betreibers des Schneeballsystems abzustellen ist. Da der Kläger den tatsächlichen Sachverhalt nicht durchschaut, sondern angenommen hat, C habe gemäß der Bestätigung in seinem Auftrag und für seine Rechnung Aktiengeschäfte durchgeführt, ist dieser Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen (vgl. Senatsurteil vom 14.12.2004 - VIII R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739).

  5. b) Danach handelt es sich bei den vom Kläger erzielten Kapitalerträgen aus den Anlagegeschäften mit C um Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, obgleich es sich um sog. Scheinrenditen handelte. Die Kapitaleinkünfte bezüglich der vorgetäuschten Aktiengeschäfte sind dem Kläger nach den Feststellungen des FG auch gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Auszahlung zugeflossen. Dies ist zwischen den Beteiligten dem Grund und der Höhe nach unstreitig, so dass auf weitere Ausführungen hierzu verzichtet wird.

  6. 2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Einkommensteuer für die Einkünfte des Klägers aus den Scheinrenditen aufgrund des Einbehalts der Kapitalertragsteuer durch C nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG abgegolten wurde und die Kapitaleinkünfte nicht mehr der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde zu legen sind (s.a. § 2 Abs. 5b, § 25 Abs. 1 EStG). Es liegt weder ein die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall von § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG noch ein Fall von § 43 Abs. 5 Satz 2 oder Satz 3 EStG vor. Auf die Ausführungen hierzu in dem Senatsurteil vom 29.09.2020 - VIII R 17/17 (BFHE 271, 340) wird zur Begründung Bezug genommen.

  7. 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

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