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Urteil vom 07. Juli 2021, III R 24/19

Lehrgänge eines Mannschaftsdienstgrades als Ausbildung

ECLI:DE:BFH:2021:U.070721.IIIR24.19.0

BFH III. Senat

EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a, EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013 , EStG VZ 2014

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 01. August 2017, Az: 14 K 909/15

Leitsätze

NV: Innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses ‑‑hier: Soldat auf Zeit‑‑ stattfindende Ausbildungsmaßnahmen erfüllen nur dann die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, wenn der Ausbildungscharakter gegenüber der Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen im Vordergrund steht. Kriterien dafür sind z.B. ein Ausbildungsplan, die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse erfordern, die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt. Überwiegt bei einer Gesamtbetrachtung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses der Erwerbscharakter, so scheidet trotz des dem Kindergeldrecht zugrunde liegenden Monatsprinzips eine Berücksichtigung auch für die Monate aus, in denen Ausbildungsmaßnahmen erfolgen (vgl. Senatsurteil vom 22.02.2017 - III R 20/15, BFHE 257, 274, BStBl II 2017, 913).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 02.08.2017 - 14 K 909/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der im September 1989 geborene Sohn (S) der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beendete im Sommer 2006 die Realschule mit der Mittleren Reife, trat im Juli 2007 als Soldat auf Zeit in die Bundeswehr ein und wurde im Oktober 2009 zum Stabsgefreiten befördert.

  2. Die Klägerin beantragte im November 2013 Kindergeld für S, weil dieser sich seit dem 01.07.2007 in "Berufsausbildung als Berufssoldat" befinde. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag ab, weil die Kindergeldansprüche für den Zeitraum vor Januar 2009 verjährt seien.

  3. Mit einem weiteren Schreiben vom 01.05.2014 bat die Klägerin, den Antrag nochmals zu prüfen; sie mache Ansprüche auf Kindergeld erst ab dem 01.01.2012 geltend. Beigefügt war eine vom Kompaniefeldwebel unterschriebene Bestätigung, wonach die Berufsausbildung des S als Berufssoldat am 01.07.2007 begonnen habe und bis zum 30.06.2019 andauern werde.

  4. Die Familienkasse lehnte daraufhin die Festsetzung von Kindergeld "ab dem Monat Januar 2012" am 22.12.2014 ab, weil sich das Kind nicht in einer Ausbildung befinde.

  5. Den Einspruch, mit dem ein weiterer "Ausbildungsplan für den Oberstabsgefreiten (S) ..." vorgelegt wurde, wies die Familienkasse mit Bescheid vom 22.12.2014 für den Zeitraum ab Januar 2012 als unbegründet zurück, weil S im Januar 2012 den höchsten Mannschaftsdienstgrad und damit das Ausbildungsziel erreicht habe.

  6. Im finanzgerichtlichen Verfahren trug die Klägerin vor, S sei infolge einer im Jahr 2011 erlittenen Knieverletzung in die Versorgungsgruppe seiner Einheit versetzt worden und dafür durch entsprechende Lehrgänge qualifiziert worden.

  7. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, S habe sich nicht in Ausbildung befunden. Die von ihm absolvierten Verwendungslehrgänge hätten keinen berufsqualifizierenden Abschluss oder einen Aufstieg in eine höhere Laufbahngruppe ermöglicht, für die er sich auch nicht beworben habe. Selbst wenn die den Nachschub und die Materialverwaltung betreffenden Lehrgänge als Ausbildung angesehen würden, überwiege der Erwerbscharakter des im üblichen Umfange besoldeten S. Sollte der Ausbildungscharakter überwiegen, stünde seine volle Erwerbstätigkeit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Berücksichtigung entgegen, weil er in seinen ersten Monaten bei der Bundeswehr mit der Grundausbildung und möglicherweise der in den nächsten Monaten darauffolgenden Dienstpostenausbildung eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen habe.

  8. Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, das FG habe zu Unrecht angenommen, dass S sich nicht mehr in Berufsausbildung befinde. Der Ausbildungsplan belege die Ausbildung im Streitzeitraum. Die Ausbildung habe gegenüber dem Erwerbscharakter überwogen; eine Verpflichtung als Soldat auf Zeit stehe dem nicht entgegen. S habe auch keine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen. Die Grundausbildung komme als Erstausbildung nicht in Betracht, dies widerspräche auch den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16.04.2002 - VIII R 58/01 (BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523), vom 15.07.2003 - VIII R 19/02 (BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247), vom 23.06.2015 - III R 37/14 (BFHE 250, 377, BStBl II 2016, 55) und vom 22.06.2016 - V R 32/15 (BFH/NV 2016, 1554). Im Streitfall sei maßgeblich, wodurch S zur Ausübung des Berufs "Fallschirmjäger" befähigt werde. Zudem könne bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein.

  9. Die Klägerin beantragt,
    das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Ablehnungsbescheid vom 22.12.2014 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für S für den Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 zu gewähren.

  10. Die Familienkasse beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

  2. 1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden.

  3. a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (z.B. Senatsurteil vom 16.09.2015 - III R 6/15, BFHE 251, 31, BStBl II 2016, 281, betreffend verwendungsbezogene Lehrgänge eines Unteroffiziers).

  4. b) Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Dies ist unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sind; auch braucht die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes grundsätzlich nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (z.B. Senatsurteile vom 24.06.2004 - III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294, zum freiwilligen sozialen Jahr; vom 02.04.2009 - III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, zur selbstständigen Vorbereitung auf eine Wiederholungsprüfung; vom 18.03.2009 - III R 26/06, BFHE 225, 331, BStBl II 2010, 296, zur Vorbereitung auf ein Abitur für Nichtschüler; vom 30.07.2009 - III R 77/06, BFH/NV 2010, 28, zum freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst, und BFH-Urteil vom 10.05.2012 - VI R 72/11, BFHE 237, 499, BStBl II 2012, 895, zur Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Kraftfahrer der Fahrerlaubnisklasse CE, jeweils m.w.N.).

  5. Dementsprechend hat der BFH auch sowohl das Referendariat im Anschluss an die erste juristische Staatsprüfung (BFH-Beschluss vom 10.02.2000 - VI B 108/99, BFHE 191, 54, BStBl II 2000, 398) als auch die Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Offizier des Truppendienstes (BFH-Urteil in BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523) und die Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Fachunteroffizier, wenn dieser nicht lediglich im Mannschaftsdienstgrad Dienst leistet (BFH-Urteil in BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247), als Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG angesehen.

  6. 2. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil etwaige von S im Rahmen seines Soldatenverhältnisses absolvierte Ausbildungsmaßnahmen nicht zu seiner Berücksichtigung führen würden.

  7. Eine ‑‑wie hier‑‑ innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses stattfindende Ausbildung erfüllt nur dann die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, wenn die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht (BFH-Urteile vom 09.06.1999 - VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, Rz 14 f., zum Volontariat als Berufsausbildung; in BFHE 237, 499, BStBl II 2012, 895, Rz 13, zur Ausbildung eines Mannschaftsdienstgrades zum Kraftfahrer; Senatsurteile vom 22.12.2011 - III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rz 17 f.; vom 26.08.2010 - III R 88/08, BFH/NV 2011, 26, Rz 13, und in BFH/NV 2010, 28, Rz 19). Kurse oder Lehrgänge, die an sich als Berufsausbildung zu betrachten wären, führen mithin nicht zur Berücksichtigung als Kind, wenn sie im Rahmen eines Erwerbsverhältnisses absolviert werden und bei einer Gesamtbetrachtung der Erwerbscharakter überwiegt.

  8. a) Das FG ist unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 22.02.2017 - III R 20/15 (BFHE 257, 274, BStBl II 2017, 913, betreffend verwendungsbezogene Lehrgänge eines Unteroffiziers) zutreffend davon ausgegangen, dass als Kriterien, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter sprechen können, u.a. das Vorhandensein eines Ausbildungsplanes, die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt in Betracht kommen.

  9. b) Die Würdigung des FG, dass danach im hier vorliegenden Streitfall der Erwerbscharakter des Dienstverhältnisses überwiegt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

  10. aa) Der Ausbildungscharakter steht stets im Vordergrund, wenn die Voraussetzungen eines Ausbildungsdienstverhältnisses i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG vorliegen. Das hat das FG für den Streitfall zutreffend verneint.

  11. bb) Das FG hat angenommen, dass es an einem Ausbildungsplan gefehlt habe und lediglich eine rückblickende Auflistung der von S absolvierten Maßnahmen vorgelegt worden sei, die kein Ausbildungskonzept oder -ziel erkennen lasse, und dass S, der zu Beginn des Streitzeitraums bereits mehr als vier Jahre Soldat war, keiner weiteren Ausbildung und keines Abschlusses mehr bedurfte, um den Beruf eines Soldaten auf Zeit im Mannschaftsdienstgrad auszuüben. Anhaltspunkte für eine erhebliche Verwendung des Gelernten in einem späteren Zivilberuf seien nicht erkennbar, und S sei durchgehend im üblichen Umfang besoldet worden. Es hat diese Umstände dahin gewürdigt, dass die Erwerbstätigkeit gegenüber etwaigen Ausbildungsmaßnahmen im Vordergrund gestanden habe.

  12. cc) Da die tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei, insbesondere nicht unter Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO, zustande gekommen ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (z.B. Senatsurteile vom 21.01.2010 - III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423, und in BFH/NV 2011, 26).

  13. c) Unterweisungen, Anleitungen und Einweisungen im Rahmen einer üblichen Tätigkeit ‑‑der Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen‑‑ können regelmäßig ohnehin nicht als Ausbildung angesehen werden. Die Würdigung des FG steht aber auch im Hinblick auf die von S absolvierten Verwendungslehrgänge im Einklang mit dem Senatsurteil in BFHE 257, 274, BStBl II 2017, 913, wonach Arbeits- oder Dienstverhältnisse, die Ausbildungsmaßnahmen beinhalten, trotz des Monatsprinzips des § 66 Abs. 2 EStG als Einheit zu betrachten und daraufhin zu untersuchen sind, ob "insgesamt" der Ausbildungscharakter und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht.

  14. Wegen dieser einheitlichen Betrachtung des Dienstverhältnisses scheidet eine Berücksichtigung von S auch für diejenigen Monate aus, in denen er nicht den "üblichen Dienst" in seiner Einheit leistete, sondern an Lehrgängen teilnahm, die der Vermittlung von Kenntnissen oder Fähigkeiten dienten und die daher ‑‑isoliert betrachtet‑‑ als Ausbildung angesehen werden könnten.

  15. 3. Der Senat kann danach offenlassen, ob das FG die Klage zu Recht auch deshalb abgewiesen hat, weil S mit der Grundausbildung oder dem nachfolgenden Verwendungslehrgang seine Erstausbildung abgeschlossen hatte (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

  16. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.

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