Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
auf der Richterbank liegen Barett und Arbeitsmappe, dahinter ein Richterstuhl, auf dem eine Robe hängt

Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs

Entscheidungen online

Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Urteil vom 26. Mai 2021, III R 39/20

Zur Abgrenzung zwischen der mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit und der berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung)

ECLI:DE:BFH:2021:U.260521.IIIR39.20.0

BFH III. Senat

EStG § 32 Abs 4 S 2, EStG VZ 2013 , EStG VZ 2014 , EStG VZ 2015 , EStG VZ 2016 , EStG § 62, EStG § 62ff

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 19. März 2019, Az: 2 K 1026/18

Leitsätze

NV: Eine einheitliche Erstausbildung ist nicht mehr anzunehmen, wenn die von dem Kind aufgenommene Erwerbstätigkeit bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse bereits die hauptsächliche Tätigkeit bildet und sich die weiteren Ausbildungsmaßnahmen als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 20.03.2019 - 2 K 1026/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater eines im Februar 1991 geborenen Sohnes (S), der im Juni 2013 eine Berufsausbildung als Bankkaufmann abschloss und sodann von Oktober 2013 bis August 2015 eine Ausbildung zum Bankfachwirt und ab Oktober 2015 eine Ausbildung zum Bankbetriebswirt absolvierte.

  2. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag des Klägers vom 27.12.2017 auf Kindergeld ab Juli 2013 ab, weil S im Juni 2013 bereits eine erste Ausbildung abgeschlossen habe, einer Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden nachgehe und sich erst seit Oktober 2013 in einer Zweitausbildung befinde, die mangels rechtzeitiger Bewerbung oder einer entsprechenden Absichtserklärung mit der Erstausbildung nicht zeitlich zusammenhinge. Der Einspruch wurde am 07.06.2018 als unbegründet zurückgewiesen.

  3. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, S habe im Juni 2013 eine erstmalige Berufsausbildung als Bankkaufmann abgeschlossen und sei während seiner nachfolgenden Zweitausbildung einer für die Berücksichtigung als Kind schädlichen Erwerbstätigkeit von regelmäßig wöchentlich mehr als 20 Stunden nachgegangen. Die Ausbildungsabschnitte könnten nicht zu einer mehraktigen Ausbildung zusammengefasst werden, da eine berufspraktische Erfahrung im bereits erlernten Ausbildungsberuf unabdingbare Voraussetzung für das Erreichen des weiteren Berufsabschlusses gewesen sei. Die Berufstätigkeit im erlernten Ausbildungsberuf bilde daher eine Zäsur, welche den Charakter einer einheitlichen Berufsausbildung entfallen lasse; dies gelte auch dann, wenn die Berufserfahrung parallel zu der weiteren Ausbildungsmaßnahme gesammelt werden könne. Die weitere Ausbildungsmaßnahme stelle dann keine erstmalige Berufsausbildung, sondern eine Weiterbildung dar. Da der Abschluss zum geprüften Bankfachwirt eine mindestens zweijährige Berufspraxis voraussetze, fehle es an einer einheitlichen Erstausbildung.

  4. Der Kläger rügt mit der dagegen gerichteten Revision die Verletzung materiellen Bundesrechts.

  5. Der Kläger beantragt sinngemäß,
    das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Ablehnungsbescheid aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für Juni 2013 bis Oktober 2016 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

  6. Die Familienkasse beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet, sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind insoweit unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

  3. a) Hinsichtlich der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmalige Berufsausbildung und Erststudium hat der Senat entschieden, dass das Erststudium nur einen Unterfall des Oberbegriffes erstmalige Berufsausbildung darstellt (Senatsurteil vom 03.07.2014 - III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 19 ff.) und der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird" (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff.).

  4. Die den Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG begrenzenden Kriterien hat der Senat dabei vor allem in folgenden Punkten gesehen: Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 24). Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 24). Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildenden Schule erfolgen soll (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 24). Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 27). In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (Senatsurteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30).

  5. An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn bereits die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächstmöglichen Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient (Senatsurteil vom 04.02.2016 - III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl II 2016, 615, Rz 15). Wenn dagegen erst der im zweiten Ausbildungsabschnitt angestrebte Abschluss eine Berufstätigkeit voraussetzt, so steht dies der Einheit beider Ausbildungsabschnitte nicht entgegen, wenn dieses Erfordernis z.B. durch eine während des zweiten Ausbildungsabschnitts durchgeführte, aber weniger als 20 Wochenstunden umfassende Arbeitstätigkeit erfüllt werden kann (z.B. Senatsurteil vom 09.09.2020 - III R 10/19, BFH/NV 2021, 541, Rz 26).

  6. b) Diese Rechtsprechungsgrundsätze hat der Senat für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit einer daneben ausgeübten Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist, fortentwickelt und präzisiert (vgl. im Einzelnen das Senatsurteil vom 11.12.2018 - III R 26/18, BFHE 263, 209, BStBl II 2019, 765).

  7. Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden, für die vor allem die nachfolgenden Kriterien von Bedeutung sind.

  8. aa) Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20-Stunden-Grenze allenfalls geringfügig, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden liegen wird, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Ausschlag geben. Führt das Kind etwa neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Arbeitstätigkeit ein Vollzeitstudium an einer Universität durch, kann auch weiter der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen (s. hierzu etwa Urteil des Bundesfinanzhofs vom 03.09.2015 - VI R 9/15, BFHE 251, 10, BStBl II 2016, 166).

  9. bb) Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Wird z.B. ein Geselle oder ein Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Denn ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre (z.B. Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel) oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (z.B. bei einem Bachelor, der während des nachfolgenden Masterstudiums mit 19 Stunden als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist und daneben drei Nachhilfestunden pro Woche gibt), kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.

  10. cc) Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur "neben der Berufstätigkeit" durchgeführt werden. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.

  11. 2. Das mit der Revision angegriffene Urteil entspricht diesen fortentwickelten Rechtsgrundsätzen nicht und ist daher aufzuheben.

  12. a) Das FG ist zutreffend ‑‑konkludent‑‑ davon ausgegangen, dass S während seines Studiums als Bankfachwirt und sodann Bankbetriebswirt für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Es hat jedoch anhand anderer als der oben dargelegten Grundsätze geprüft, ob S das nach der Prüfung zum Bankkaufmann im Juni 2013 parallel zu seiner Berufstätigkeit betriebene Studium nicht mehr als Teil einer einheitlichen Erstausbildung, sondern als berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahme durchführte. Es wird daher im zweiten Rechtsgang nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze der Frage nachzugehen haben, ob das Studium zum Bankfachwirt und zum Bankbetriebswirt dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war, oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium.

  13. b) Der Senat weist darauf hin, dass eine Verbindung von zwei Ausbildungsabschnitten zu einer einheitlichen Erstausbildung nicht bereits dann abgelehnt werden kann, wenn die Absichtserklärung zur Fortführung der Erstausbildung nicht spätestens im Folgemonat nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts vorgelegt wird (z.B. Senatsurteil vom 18.12.2019 - III R 21/19, BFH/NV 2020, 877).

  14. c) Der Senat weist für den zweiten Rechtsgang weiter darauf hin, dass der im Februar 1991 geborene S das 25. Lebensjahr im Februar 2016 vollendete. Für die Monate März bis Oktober 2016 könnte er mithin als Kind in Berufsausbildung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nur unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 5 EStG berücksichtigt werden.

  15. 3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Seite drucken