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Beschluss vom 27. Oktober 2021, III R 7/19

Keine erweiterte Kürzung bei erstmaliger Grundstücksverwaltung im Laufe des Erhebungszeitraums

ECLI:DE:BFH:2021:B.271021.IIIR7.19.0

BFH III. Senat

GewStG § 9 Nr 1 S 2, GewStG § 9 Nr 1 S 1, GewStG VZ 2014

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 10. Dezember 2018, Az: 8 K 8131/17

Leitsätze

NV: Befasst sich eine neu gegründete Kapitalgesellschaft erst Monate nach ihrer Eintragung in das Handelsregister mit der Verwaltung eigenen Grundbesitzes, kann sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht in Anspruch nehmen, da sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.12.2018 - 8 K 8131/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die im ... 2014 mit einem Stammkapital von 25.000 € als Vorratsgesellschaft errichtet wurde. Sie wurde ‑‑noch unter anderer Firma‑‑ am ...2014 in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb von Grundstücken sowie deren Verwaltung. Die Klägerin erwarb durch Vertrag vom ...2014 mehrere in A belegene Grundstücke zum Kaufpreis von ca. ... Mio. €. Übergang von Nutzen und Lasten war der ...2014. Die Klägerin erklärte für das Streitjahr (2014) einen Gewinn aus der Vermietung der Grundstücke von 67.624,60 €. Sie beantragte in der Gewerbesteuererklärung die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in Höhe von 82.308 €. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte die Kürzung nicht, weil die Grundstücke zu Beginn des Erhebungszeitraums noch nicht zum Betriebsvermögen der Gesellschaft gehört hätten. Das FA erließ am 24.06.2016 einen Gewerbesteuermessbescheid, in dem ein Gewinn aus Gewerbebetrieb von 82.394 € ausgewiesen und ein Messbetrag von 2.880 € festgesetzt wurde. Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch. Zur Begründung trug sie vor, sie habe bis zum Lastenwechsel keine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet und sei niemals originär gewerblich tätig gewesen. Sie habe somit ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet.

  2. Der Rechtsbehelf hatte keinen Erfolg, ebenso wenig die anschließend erhobene Klage (Urteil des Finanzgerichts ‑‑FG‑‑ Berlin-Brandenburg vom 11.12.2018 - 8 K 8131/17, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2019, 1221). Zur Begründung führte das FG aus, die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG richte sich nach dem Einheitswert des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes. Maßgebend sei der Einheitswert, der auf den letzten Feststellungszeitpunkt vor dem Ende des Erhebungszeitraums laute. Beim Erwerb eines Grundstücks im Laufe eines Erhebungszeitraums sei daher keine Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG möglich. Da die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG an die Stelle der Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG trete, könne sie nur dann beansprucht werden, wenn eine Kürzung nach der letztgenannten Vorschrift möglich sei. Für das Ergebnis spreche auch der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV), da das Stichtagsprinzip bei Anwendung des § 9 Nr. 1 GewStG ohne Einschränkung gelte.

  3. Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit der Revision. Zur Begründung trägt sie vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Urteil vom 15.03.2000 - I R 17/99 (BFHE 192, 353, BStBl II 2001, 251) entschieden, dass sich das aus § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV ergebende Stichtagsprinzip ausschließlich auf die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG beziehe, nicht jedoch auf die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Auch bei Gesellschaften, die zu Beginn eines Erhebungszeitraums bereits über Grundbesitz verfügten und unterjährig weiteren Grundbesitz hinzukauften, sei unstreitig, dass für die hinzuerworbenen Objekte die erweiterte Kürzung in Anspruch genommen werden könne. Die Muttergesellschaft habe sie ‑‑die Klägerin‑‑ erst unter ihren Vorratsgesellschaften ausgewählt, als klar gewesen sei, welche Gesellschaft den Grundbesitz erwerben solle, sodass zuvor nicht festgestanden habe, für welche Gesellschaft der von der Muttergesellschaft beauftragte Vertreter handeln werde.

  4. Die Klägerin beantragt,
    das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbescheid 2014 vom 24.06.2016 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 28.03.2017 dahingehend zu ändern, dass der Messbetrag auf 0 € herabgesetzt wird.

  5. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

  6. Zur Begründung führt es aus, die Voraussetzungen für die erweiterte Kürzung müssten während des gesamten Erhebungszeitraums vorliegen. Dies sei hier nicht der Fall. Der Erhebungszeitraum habe mit der Eintragung der Klägerin in das Handelsregister begonnen. Die Klägerin habe jedoch erst ab dem ...2014 Grundbesitz verwaltet. Sie sei bereits zuvor tätig gewesen, da sie ihr Vermögen, nämlich die Stammeinlage, verwaltet und den Grundstückserwerb vorbereitet habe. Im Wege der Gegenrüge sei zu beanstanden, dass das FG die tatsächlichen Feststellungen rechtsfehlerhaft getroffen habe.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

  2. Die Revision ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht beanspruchen kann.

  3. 1. Gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung); maßgebend ist der Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes vor dem Ende des Erhebungszeitraums. Stattdessen kann nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, auf Antrag die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags gekürzt werden, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung). Dieser Teil des Gewerbeertrags geht nicht in die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ein und wird so im Ergebnis nicht mit Gewerbesteuer belastet (grundlegend hierzu Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.09.2018 - GrS 2/16, BFHE 263, 225, BStBl II 2019, 262, m.w.N.).

  4. 2. Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ist u.a., dass das Unternehmen "ausschließlich" eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt, abgesehen von den in § 9 Nr. 1 Sätze 2 und 3 GewStG zugelassenen Ausnahmen (Senatsurteil vom 18.12.2019 - III R 36/17, BFHE 267, 406, BStBl II 2020, 405, m.w.N.). Die in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG genannte Verwaltung eigenen Kapitalvermögens ist nur dann unschädlich, wenn sie neben der Verwaltung eigenen Grundbesitzes stattfindet, nicht aber, wenn sie vor Beginn oder nach dem Ende einer begünstigten Grundstücksverwaltung die alleinige Tätigkeit darstellt (Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 10. Aufl., § 9 Nr. 1 Rz 27b, m.w.N.).

  5. a) Der Begriff der Ausschließlichkeit ist gleichermaßen qualitativ, quantitativ sowie zeitlich zu verstehen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.07.1999 - I B 5/99, BFH/NV 2000, 79, sowie vom 14.04.2000 - I B 104/99, BFH/NV 2000, 1497; BFH-Urteile vom 19.10.2010 - I R 1/10, BFH/NV 2011, 841; vom 26.02.2014 - I R 47/13 , BFH/NV 2014, 1395, sowie vom 26.02.2014 - I R 6/13, BFH/NV 2014, 1400; Güroff in Glanegger/Güroff, a.a.O., § 9 Nr. 1 Rz 23; Wagner in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 2019, § 9 Nr. 1 Rz 79; Brandis/Heuermann/Gosch, § 9 GewStG Rz 69).

  6. b) In zeitlicher Hinsicht hat dies zur Folge, dass der Unternehmer während des gesamten Erhebungszeitraums der gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG begünstigten Tätigkeit nachgehen muss. Dies folgt aus dem Wesen der Gewerbesteuer als Jahressteuer (BFH-Urteile vom 29.03.1973 - I R 199/72, BFHE 109, 138, BStBl II 1973, 563; in BFH/NV 2014, 1395, und in BFH/NV 2014, 1400, und Senatsurteil in BFHE 267, 406, BStBl II 2020, 405; Brandis/Heuermann/Gosch, a.a.O., Rz 76). Die erweiterte Kürzung kann nicht zeitanteilig gewährt werden (Güroff in Glanegger/Güroff, a.a.O., § 9 Nr. 1 Rz 23c; Roser in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 9 Nr. 1 Rz 131). Am Erfordernis einer ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes fehlt es daher, wenn ein Unternehmer das letzte oder einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert und danach nur noch anderweitige Tätigkeiten ausübt (BFH-Urteil vom 20.01.1982 - I R 201/78, BFHE 135, 327, BStBl II 1982, 477; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 79, und in BFH/NV 2000, 1497; BFH-Urteile vom 19.12.2007 - I R 46/07, BFH/NV 2008, 930, unter II.3.; in BFH/NV 2011, 841; in BFH/NV 2014, 1395, sowie in BFH/NV 2014, 1400; ebenso Wagner in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, a.a.O., Rz 82). Eine "technisch bedingte" Ausnahme wird bei einer Veräußerung zum 31.12., 23:59 Uhr, zugelassen (BFH-Urteil vom 11.08.2004 - I R 89/03, BFHE 207, 40, BStBl II 2004, 1080).

  7. 3. Für den Streitfall bedeuten diese Grundsätze, dass die Klägerin die erweiterte Kürzung nicht beanspruchen kann, weil sie nicht während des gesamten Erhebungszeitraums i.S. von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG tätig war. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht der Klägerin und der (abgekürzte) Erhebungszeitraum (§ 14 Satz 3 GewStG) begannen am ...2014, dem Tag der Eintragung in das Handelsregister (Brandis/Heuermann/Drüen, § 2 GewStG Rz 241). Danach galt die gesamte Tätigkeit der Klägerin als Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG). In der Zeit bis zum ...2014 befasste sich die Klägerin jedoch nach ihrem eigenen Vortrag nicht mit der Verwaltung oder Nutzung von Grundbesitz; Gegenteiliges lässt sich auch den Feststellungen des FG nicht entnehmen. Damit scheidet eine erweiterte Kürzung aus. Denn ebenso wenig, wie das Erfordernis der Ausschließlichkeit gewahrt ist, wenn sich ein Unternehmen nach dem Verkauf des letzten oder einzigen Grundstücks bis zum Ende des Erhebungszeitraums nicht mehr mit der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes befasst, ist es erfüllt, wenn in dem Unternehmen im Laufe eines Erhebungszeitraums erstmals eine solche Tätigkeit ausgeübt wird.

  8. 4. Die vom FG in den Vordergrund gestellte Frage, ob die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG deshalb nicht erfüllt sind, weil der Grundbesitz nicht zum 01.01.2014 zum Betriebsvermögen der ‑‑damals noch nicht existierenden‑‑ Klägerin gehört hatte, ist demnach nicht entscheidungserheblich. In § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV ist bestimmt, dass für die Frage, ob und inwieweit Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehört, der Stand zu Beginn des Kalenderjahres maßgeblich ist (Stichtagsprinzip). Das FG hat jedoch selbst auf das BFH-Urteil in BFHE 192, 353, BStBl II 2001, 251 hingewiesen. Darin hat der BFH entschieden, dass sich § 20 Abs. 1 GewStDV lediglich auf die pauschale Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG bezieht, nicht aber auf die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG (später offengelassen in BFH/NV 2011, 841).

  9. 5. Eine pauschale Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG scheidet aus, da zum 01.01.2014 für die erst im Streitjahr 2014 gegründete Klägerin naturgemäß noch keine Einheitswerte von Grundstücken festgestellt worden waren.

  10. 6. Auf die vom FA als Gegenrüge erhobene Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an, da die Revision bereits auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts zurückzuweisen ist.

  11. 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.

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