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Urteil vom 18. Dezember 2024, I R 39/21

(Zeitliche Voraussetzungen einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte)

ECLI:DE:BFH:2024:U.181224.IR39.21.0

BFH I. Senat

DBA GBR 1964 Art 2 Abs 1 Buchst l, AO § 12, OECDMustAbk Art 5, OECD-MA Art 5, FGO § 118 Abs 2

vorgehend FG München, 15. Juli 2020, Az: 7 K 770/18

Leitsätze

1. Eine "feste" Geschäftseinrichtung setzt in ihrem Zeitbezug grundsätzlich eine Mindestdauer von sechs Monaten voraus (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 28.06.2006 - I R 92/05, BFHE 214, 295, BStBl II 2007, 100). Diese Mindestdauer bezieht sich nicht nur auf die Geschäftseinrichtung, sondern auch auf die unternehmerische Tätigkeit, die in der Geschäftseinrichtung ausgeübt wird. Die Frist ist auch dann nicht eingehalten, wenn sie lediglich durch die Abwicklung eines Unternehmens überschritten wird.

2. Dass ein Unternehmen nur für weniger als sechs Monate besteht und die Tätigkeit dieses Unternehmens vollständig in der Geschäftseinrichtung des Betriebsstättenstaats ausgeübt wird, rechtfertigt keine Ausnahme von der Mindestdauer.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 15.07.2020 - 7 K 770/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten über die abkommensrechtliche Betriebsstätte eines gewerblichen Goldhandels im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Großbritannien).

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnten im Jahr 2007 (Streitjahr) in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Am 18.09.2007 gründeten sie in London nach britischem Recht die beigeladene X, eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer General Partnership (Beteiligungsquoten: 84,5 % [Kläger zu 1.], 14,5 % [Kläger zu 2.] und 1 % [Kläger zu 3.]). Gesellschaftszweck war der Handel, insbesondere mit Edelmetallen, anderen Metallen und anderen Rohstoffen. Die Kläger waren laut Gesellschaftsvertrag zur einstimmigen Geschäftsführung befugt. Am 28.10.2008 wurde der Geschäftsbetrieb der X veräußert. Im Anschluss daran wurde die Gesellschaft aufgelöst.

  3. Am 18.09.2007 vereinbarte X mit dem "Office-Dienstleister" … (Vermieter) ein "Business Centre Service Agreement". Gegenstand des Vertrags war vor allem die Anmietung eines Büros in London mit zwei Arbeitsplätzen für den Zeitraum vom 22.10.2007 bis zum 30.04.2008. Darüber hinaus nahmen die Kläger verschiedene weitere Serviceleistungen in Anspruch (zum Beispiel Sekretariat, Kurierdienst, Überlassung von IT). Außerdem erwarben sie Büromaterial und EDV-Zubehör. Personal wurde nicht eingestellt. Die Kläger hielten sich im Zeitraum 18.09.2007 bis April 2008 abwechselnd und gemeinsam an verschiedenen Tagen in London auf.

  4. Am 30.10.2007 unterzeichneten die Kläger mit …Bank, Zürich (Bank), einen Rahmenkreditvertrag über … US-Dollar für die Gewährung von Darlehen zum Kauf von Gold. Auf dieser Grundlage kam es zum Abschluss von Darlehensverträgen. Zu den der Bank gewährten Sicherheiten gehörten unter anderem das in einem Tresor der Bank für X gelagerte physische Gold sowie Put-Optionen auf Gold.

  5. In der Folge tätigte X mit der Bank Goldgeschäfte sowohl in physischer als auch in verbriefter Form für eigene Rechnung. Hierzu unterhielt X bei der Bank ein Anlagekonto für Edelmetalle. X kaufte am 13.12.2007 … Barren physisches Gold zu jeweils … oz für insgesamt … US-Dollar, die sie am 03.01.2008 für insgesamt … US-Dollar wieder veräußerte. Außerdem kaufte sie ab 31.10.2007 bis zum 03.01.2008 Gold in verbriefter Form, das sie bis zum 08.01.2008 vollständig veräußerte. Darüber hinaus schloss X im Zeitraum vom 31.10.2007 bis zum 08.01.2008 zur Sicherung mehrere Optionsgeschäfte (sogenannte Plain-Vanilla-Optionen) ab, die zum 15.01.2008 verfielen, sowie im November und Dezember 2007 insgesamt vier Devisen-Swap-Geschäfte. Am 03.04.2008 und am 25.06.2008 kam es zum Abschluss von insgesamt vier Devisen-Kassa-Geschäften. Am 03.04.2008 kaufte X … oz Gold in verbriefter Form (Mindestmenge für ein Kaufgeschäft), die sie am 21.05.2008 wieder veräußerte.

  6. Für den Zeitraum 18.09.2007 bis 05.04.2008 gab X in Großbritannien eine Steuererklärung ab. In Deutschland reichte sie für das Streitjahr eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfreien Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein (§ 180 Abs. 5 Nr. 1 der Abgabenordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung ‑‑AO‑‑). Aus dem Goldhandel seien negative "Einkünfte gemäß § 4 Abs. 3 EStG" in Höhe von … € erzielt worden, die entsprechend der Beteiligungsquoten der Kläger zu einem negativen Progressionsvorbehalt gemäß § 32b des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) führten.

  7. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ am 10.05.2011 einen negativen Feststellungsbescheid, in dem die beantragte Feststellung abgelehnt wurde. Einspruch und Klage blieben erfolglos (Finanzgericht ‑‑FG‑‑ München, Urteil vom 29.06.2015 - 7 K 928/13, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2015, 1931).

  8. Im Revisionsverfahren hat der Senat die Sache wegen des Fehlens der notwendigen Beiladung der X durch Urteil vom 27.09.2017 - I R 62/15 (BFH/NV 2018, 620) an das FG zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang blieb die Klage aber ebenfalls erfolglos. Das FG ging in seinem Urteil vom 15.07.2020 - 7 K 770/18 (EFG 2020, 1679) zwar davon aus, dass X einen gewerblichen Goldhandel betrieben habe. Die daraus erzielten Einkünfte könnten aber keiner in Großbritannien belegenen Betriebsstätte zugeordnet werden. X habe in Großbritannien nicht über eine hinreichend verstetigte feste Geschäftseinrichtung verfügt.

  9. Die Kläger rügen mit ihrer Revision die Verletzung sowohl formellen als auch materiellen Rechts. Sie beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG München zurückzuverweisen.

  10. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

  11. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

  12. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängel waren auch Grundlage eines Antrags auf Berichtigung des Tatbestands nach § 108 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 08.09.2020 überwiegend abgelehnt und lediglich die Angaben zur Laufzeit der Darlehen korrigiert. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das FG den Tatbestand wegen offenbarer Unrichtigkeiten nach § 107 Abs. 1 FGO geändert.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat rechtsfehlerfrei dahin erkannt, dass die über die X erzielten Einkünfte nicht Gegenstand einer gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind; es liegen wegen fehlender ausländischer Betriebsstätte keine Einkünfte vor, die nach einem DBA von der inländischen Bemessungsgrundlage auszunehmen sind.

  2. 1. Auf Grundlage der Feststellungen des FG erzielten die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Kläger im Streitjahr gewerbliche Einkünfte aus einem über die X ausgeübten Goldhandel (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 EStG). Abkommensrechtlich handelt es sich hierbei um gewerbliche Unternehmensgewinne im Sinne des Art. III des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26.11.1964 (BGBl II 1966, 359, BStBl I 1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23.03.1970 (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) ‑‑DBA-Großbritannien 1964/1970‑‑. Da zwischen den Beteiligten insoweit kein Streit mehr besteht, wird von weiteren Ausführungen abgesehen.

  3. 2. Diese Einkünfte sind nicht einer Betriebsstätte in Großbritannien zuzuordnen und deshalb auch nicht nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a DBA-Großbritannien 1964/1970 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 EStG von der inländischen Besteuerung unter Progressionsvorbehalt freizustellen. Es fehlt an einer in Großbritannien belegenen Betriebsstätte im Sinne des Art. II Abs. 1 Buchst. l DBA-Großbritannien 1964/1970.

  4. a) Eine Betriebsstätte ist nach Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. i DBA-Großbritannien 1964/1970 eine feste Geschäftseinrichtung, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Nach Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. ii und iii DBA-Großbritannien 1964/1970 gelten als Betriebsstätte insbesondere ein Ort der Leitung oder eine Geschäftsstelle, nicht aber ‑‑unter anderem‑‑ das Unterhalten einer festen Geschäftseinrichtung ausschließlich zur Werbung, zur Erteilung von Auskünften, zur wissenschaftlichen Forschung oder zur Ausübung ähnlicher Tätigkeiten, die für das Unternehmen vorbereitender Art sind oder eine Hilfstätigkeit darstellen.

  5. Eine feste Geschäftseinrichtung liegt vor, wenn sich bei einer Gesamtwürdigung der in Wechselwirkung zueinanderstehenden Merkmale der zeitlichen und örtlichen Festigkeit der Geschäftseinrichtung sowie der dauerhaften Verfügungsmacht des Unternehmens über diese Geschäftseinrichtung eine ausreichende Verwurzelung des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ergibt (zu weiteren Einzelheiten s. das Senatsurteil vom 18.12.2024 - I R 47/21, m.w.N., zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

  6. b) Hinsichtlich der zeitlichen Voraussetzungen einer "festen" Geschäftseinrichtung ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass grundsätzlich eine Mindestdauer von sechs Monaten überschritten sein muss.

  7. Der Senat ist bereits in der Vergangenheit von einer solchen Mindestdauer ausgegangen (z.B. Senatsurteil vom 28.06.2006 - I R 92/05, BFHE 214, 295, BStBl II 2007, 100, m.w.N.; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 24.12.1999, Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, BStBl I 1999, 1076, Tz. 1.2.1.1; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 37a; Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Art. 5 (2014) Rz 56). Hieran wird weiterhin festgehalten, da in der Regel erst nach sechs Monaten eine ausreichend intensive Bindung zum Betriebsstättenstaat entsteht, die es rechtfertigt, abkommensrechtlich nach Art. III Abs. 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 nicht mehr ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats anzunehmen, sondern die Schwelle zu einem Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaats zu überschreiten.

  8. Dagegen ist für die teilweise in der Literatur vertretene Mindestdauer von zwölf Monaten (Züger in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1998, S. 56 f.) im DBA-Großbritannien 1964/1970 kein ausreichender Anhaltspunkt erkennbar. Dass für den Sonderfall einer Montagebetriebsstätte in Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. ii Doppelbuchst. gg DBA-Großbritannien 1964/1970 ausdrücklich eine Frist von zwölf Monaten geregelt ist, spricht gerade gegen die Übertragung einer solchen Frist auf sämtliche andere Betriebsstätten (Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 33).

  9. c) Darüber hinaus ist das FG ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass sich die Frist von sechs Monaten nicht nur auf die Dauer der Anmietung des Büroraums bezieht, sondern auch auf die unternehmerische Tätigkeit, die in der festen Geschäftseinrichtung ausgeübt wird (vgl. auch Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 32).

  10. Eine Betriebsstätte setzt nach Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. i DBA-Großbritannien 1964/1970 kumulativ sowohl eine feste Geschäftseinrichtung als auch eine unternehmerische Tätigkeit voraus, die in dieser Geschäftseinrichtung ausgeübt wird (vgl. auch Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 56 f.). Durch die Verwendung des Begriffs "Geschäfts"einrichtung wird zwischen diesen Merkmalen eine besondere Verknüpfung hergestellt. In der Folge müssen die zeitlichen Voraussetzungen nicht nur für die Geschäftseinrichtung, sondern auch für die unternehmerische Tätigkeit erfüllt sein. Besonders deutlich wird dies unter Berücksichtigung der englischen Fassung der DBA, da hier der Begriff "Betriebsstätte" als "permanent establishment" bezeichnet wird (Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 32). Dadurch bezieht sich das zeitliche Kriterium der Dauerhaftigkeit schon begrifflich auf die gesamten Voraussetzungen einer Betriebsstätte.

  11. d) Ausgehend von den Feststellungen des FG, wonach die unternehmerische Tätigkeit (Goldhandel) nicht für eine Dauer von mehr als sechs Monaten geplant war und auch tatsächlich schon Mitte Januar 2008 geendet hat, ist die grundsätzliche Mindestdauer von sechs Monaten im Streitfall nicht erfüllt und die Annahme einer Betriebsstätte in Großbritannien damit ausgeschlossen.

  12. Ob für den Beginn der Frist bereits auf den Abschluss des Mietvertrags am 18.09.2007 oder erst auf den im Mietvertrag genannten Zeitpunkt 22.10.2007 abzustellen ist (und welche Bedeutung für diesen Zeitraum die Nutzung eines "virtual office" vor dem 22.10.2007 zukommt), kann unter diesen Umständen offengelassen werden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob auf die voraussichtliche (so Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 37a; Fresch/Strunk in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, Art. 5 Rz 54) oder (nur) auf die tatsächliche (so wohl Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 37) Dauer der unternehmerischen Tätigkeit abzustellen ist. Die Mindestdauer von sechs Monaten wird auf Grundlage der Feststellungen des FG in jedem Fall unterschritten.

  13. e) Das FG hat weiterhin zu Recht entschieden, dass eine Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Streitfalls keine Ausnahme von der 6-Monats-Frist rechtfertigt.

  14. aa) Dass die unternehmerische Tätigkeit eines nur für weniger als sechs Monate bestehenden Unternehmens (hier: Goldhandel) vollständig in der Geschäftseinrichtung des Betriebsstättenstaats (hier: angemieteter Büroraum in London) ausgeübt wird, reicht hierfür nicht aus (kritisch auch Görl/Gradl in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 5 Rz 36; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Aufl., Rz 2.144; Eckl, Internationales Steuerrecht ‑‑IStR‑‑ 2009, 510, 511; Ronge, IStR 2013, 266, 268). Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 37a; wohl auch Haase in Haase, AStG/DBA, 4. Aufl., Art. 5 MA Rz 75), die insbesondere auf Tz. 30 des OECD-Musterkommentars 2017 zu Art. 5 des OECD-Musterabkommens (in der im Streitjahr geltenden Fassung: Tz. 6 OECD-Musterkommentar 2005) verweist, ist abzulehnen.

  15. Abgesehen davon, dass es zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA-Großbritannien 1964/1970 noch keinen OECD-Musterkommentar gab und dieser ohnehin keine Bindungswirkung im Finanzprozess entfaltet (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 05.12.2023 - I R 42/20, BFHE 283, 94), hat Deutschland insoweit (s. Tz. 45.8 OECD-Musterkommentar 2005 und Tz. 179 OECD-Musterkommentar 2017) einen Vorbehalt aufgenommen (vgl. zur Wirkung eines solchen Vorbehalts auch Senatsurteil vom 13.04.2022 - I R 1/19, BFHE 277, 137, BStBl II 2023, 16, m.w.N.). Im Übrigen ist eine entsprechende Ausnahme von der Mindestdauer bereits deshalb abzulehnen, weil die Intensität einer Verwurzelung im Betriebsstättenstaat nicht davon abhängen kann, ob und in welchem Umfang auch unternehmerische Tätigkeiten in anderen Staaten ausgeübt werden. Letztlich ist die Verwurzelung im Betriebsstättenstaat allein an den dortigen Umständen zu messen. Nur so kann bestimmt werden, ob abkommensrechtlich die Schwelle zum Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaats überschritten ist oder ob es beim Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats bleibt.

  16. Dies widerspricht auch nicht dem bei der Abgrenzung des Betriebsstättenbegriffs sachimmanenten Gedanken, betriebsstättenlose Einkünfte beziehungsweise sogenanntes floating income grundsätzlich zu vermeiden. In den hierzu ergangenen Entscheidungen (Senatsurteil vom 19.12.2007 - I R 19/06, BFHE 220, 160, BStBl II 2010, 398; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.01.2017 - IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456; vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2020 - 5 K 3305/17, juris, Rz 73) ging es maßgeblich um die Zuordnung von Einkünften, wenn zumindest an einem Ort eine Betriebsstätte besteht. Sofern ‑‑wie im Streitfall‑‑ überhaupt keine Betriebsstätte vorhanden ist, muss und kann nach der abkommensrechtlichen Systematik auf die Grundregel des Art. III Abs. 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 zurückgegriffen werden, wonach das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat zusteht.

  17. Darüber hinaus besteht auch kein Widerspruch zum Senatsurteil vom 26.02.2014 - I R 56/12 (BFHE 245, 143, BStBl II 2014, 703). Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung den Betriebsausgabenabzug für den Gründungsaufwand einer festen Einrichtung in einem ausländischen DBA-Staat auch dann abgelehnt, wenn die Errichtung der festen Einrichtung letztlich scheitert. Dem lag jedoch ein vom Streitfall abweichender Sachverhalt zugrunde, da die dortige Errichtung der festen Einrichtung auf einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ausgerichtet war.

  18. bb) Dass die Abwicklung des für kürzere Zeit bestehenden Unternehmens über die 6-Monats-Frist hinausgegangen ist, rechtfertigt ebenfalls keine Ausnahme.

  19. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die nach dem 15.01.2008 ausgeübten Tätigkeiten ‑‑wie vom FG angenommen‑‑ als Hilfstätigkeiten im Sinne des Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. iii Doppelbuchst. ee DBA-Großbritannien 1964/1970 zu qualifizieren sind. Vielmehr ist entscheidend, dass ein bereits eingestelltes Unternehmen grundsätzlich nicht allein dadurch eine Betriebsstätte begründen kann, dass seine Abwicklung eine längere Zeit in Anspruch nimmt. Solche Abwicklungstätigkeiten tragen in der Regel nicht mehr zur Verwurzelung des Unternehmens im Betriebsstättenstaat bei, da sie gerade nicht auf einen Verbleib, sondern auf ein Verlassen des Betriebsstättenstaats gerichtet sind.

  20. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn im Rahmen einer Abwicklung noch singuläre Geschäfte mit Dritten getätigt werden, die vom ursprünglichen Geschäftszweck gedeckt sind (wie im Streitfall insbesondere der Ankauf einer Mindestmenge von Gold am 03.04.2008). Allerdings bleibt es der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten, ob wegen der Art und des Umfangs dieser Geschäfte letztlich von einer Fortführung der ursprünglichen unternehmerischen Tätigkeit auszugehen ist (vgl. allgemein Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 52). In diesem Fall könnten die Tätigkeiten zu einer weiteren Verwurzelung im Betriebsstättenstaat beitragen, zumal auch andere Unterbrechungen der unternehmerischen Tätigkeit für die Berechnung der 6-Monats-Frist unschädlich sein können (vgl. hierzu Senatsurteil vom 28.06.2006 - I R 92/05, BFHE 214, 295, BStBl II 2007, 100; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 58; ähnlich auch Haase in Haase, AStG/DBA, 4. Aufl., Art. 5 MA Rz 76). Das FG hat die konkreten Umstände des Streitfalls jedoch dahin gewürdigt, dass der ursprüngliche Goldhandel der X nicht fortgeführt worden ist und hierzu vor allem auf das geringe wirtschaftliche Volumen abgestellt.

  21. 3. Der Senat ist nach § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächliche Würdigung des FG zur geplanten und tatsächlichen Dauer des Unternehmens gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Würdigung widerspricht weder Denkgesetzen noch allgemeinen Erfahrungssätzen. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

  22. a) Das FG hat weder gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen noch folgt ein Verfahrensmangel aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO (Entscheidung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten).

  23. aa) Die Kläger rügen insoweit, dass aus der Befristung der Goldoptionen bis zum 15.01.2008 nicht auf eine "bewusste" Befristung des Goldhandels geschlossen werden könne, da für die von X vereinbarten sogenannten Plain-Vanilla-Optionen keine andere Laufzeit möglich gewesen sei. Außerdem sei das FG unzutreffend von einer Befristung des Mietvertrags bis zum 30.04.2008 ausgegangen, obwohl es ohne Kündigung zu einer automatischen Verlängerung gekommen wäre. Es widerspreche zudem der Logik, aus einem bis zum 30.04.2008 laufenden Vertrag auf eine Einstellung des Goldhandels zum 15.01.2008 zu schließen. Das Argument des FG, die Kläger hätten sich ab dem 15.01.2008 aus anderen Gründen in London aufgehalten, sei eine unzutreffende Unterstellung, für die sich aus den Akten kein Ansatzpunkt ergebe. Dem protokollierten Klägervortrag in der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2020 sei ebenfalls keine Beendigung des Goldhandels zum 15.01.2008 zu entnehmen, da dort nur von dem Erliegen des Geschäfts mit der Bank, aber nicht von einem Erliegen ab dem 15.01.2008 gesprochen worden sei. Auch die auf Grundlage einer Marktbeobachtung getroffene Entscheidung, kein Handelsgeschäft abzuschließen, gehöre zur aktiven Tätigkeit eines Goldhändlers. Schließlich habe das FG nicht den Vortrag der Kläger berücksichtigt, noch im April und Mai 2008 den Versuch unternommen zu haben, zur Weiterführung des Goldgeschäfts einen Goldhändler in Südafrika zu erwerben sowie nach dem 15.01.2008 Rechnungen für Servicedienstleistungen erhalten und Zinserträge erzielt zu haben. Dass die mit der Bank vereinbarten Darlehen nicht auf 14 Tage befristet gewesen seien, habe das FG im Rahmen seines Beschlusses vom 08.09.2020 zur Tatbestandsberichtigung gemäß § 107 FGO berücksichtigt und könne deshalb ebenfalls nicht für eine Befristung des gewerblichen Goldhandels der X sprechen.

  24. bb) Zwar hat sich das FG im Rahmen seiner Gesamtwürdigung auch auf vertragliche Regelungen und Umstände gestützt, die nicht zwingend für eine nur kurzfristige Ausrichtung des Goldhandels bis Januar 2008 und dessen tatsächliche Einstellung ab dem 15.01.2008 sprechen. Die Würdigung durch das FG bleibt aber zumindest möglich und ist frei von Widersprüchen. Darüber hinaus hat das FG alle wesentlichen Umstände des Streitfalls in seine Würdigung einbezogen (vgl. hierzu allgemein BFH-Urteile vom 20.05.2010 - VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl II 2010, 1069; vom 23.08.2023 - X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397), ohne dass sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.

  25. Soweit es den Mietvertrag betrifft, geht es dem FG im Ausgangspunkt erkennbar nur darum, dass überhaupt ein Endtermin innerhalb von circa sechs Monaten nach der Anmietung vereinbart war. Deshalb liegt auch kein Widerspruch vor, wenn später unter Berücksichtigung weiterer Tatsachen von einer voraussichtlichen Beendigung des Unternehmens schon im Januar 2008 ausgegangen wird.

  26. Hinsichtlich der Optionen stellt das FG allein darauf ab, dass diesen Optionen eine Verfallsfrist zum 15.01.2008 zugrunde lag. Ob die Vereinbarung einer anderen Frist bei den gewählten Plain-Vanilla-Optionen möglich gewesen wäre, spielte für das FG erkennbar keine Rolle. Im Übrigen haben die Kläger die Möglichkeit einer anderen Frist in ihrer Revisionsbegründung selbst eingeräumt, auch wenn eine solche Option lediglich in anderer und unrentabler Form möglich gewesen sein soll.

  27. Die Würdigung des FG zu den Äußerungen des Klägers zu 1. zum Zeitpunkt des "Erliegens" des Geschäfts ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Laut Protokoll der mündlichen Verhandlung bezog sich diese Äußerung auf ein Gespräch mit der Bank am 15.01.2008, in dem die Bank den Klägern mitteilte, dass die Finanzierungskonditionen nicht mehr aufrechterhalten werden könnten. Wenn das FG aus dieser zeitlichen Zäsur ‑‑und aus dem Fehlen substantiierter Angaben zu Art und Zeitpunkt der neuen Finanzierungskonditionen‑‑ den Schluss zieht, dass die unternehmerische Tätigkeit bereits zum 15.01.2008 eingestellt worden war, ist dies zumindest möglich und damit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

  28. Die Würdigung des FG steht auch nicht im Widerspruch zu den Geschäften, die nach dem 15.01.2008 geschlossen wurden. Insbesondere der Vortrag des Klägers zu 1. zum Gegenstand des Unternehmens (laut Protokoll der mündlichen Verhandlung großvolumige Goldtransaktionen von "mindestens … Dollar") führt dazu, dass die Würdigung des FG, es handele sich dabei um Maßnahmen im Rahmen der Abwicklung des bereits eingestellten Unternehmens und nicht um eine Fortführung der ursprünglichen Geschäftstätigkeit, zumindest möglich ist. Im Übrigen hat das FG die Suche nach anderen Geldgebern ausdrücklich in seine Würdigung einbezogen.

  29. Im Kern geht der Vortrag der Kläger dahin, dass das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung nach ihrer Auffassung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen. Dies führt aber weder zu einem Verfahrensfehler noch zu einer Ausnahme von der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des FG nach § 118 Abs. 2 FGO.

  30. b) Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 96 Abs. 2 FGO berufen. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Argumentation mit einer Befristung der Optionen bis zum 15.01.2008 und dem im Mietvertrag vereinbarten Zeitpunkt 30.04.2008 als auch im Hinblick auf die vom FG angenommenen Gründe für den Aufenthalt der Kläger in London.

  31. Insofern ist zu berücksichtigen, dass sowohl die örtliche als auch die zeitliche Verfestigung der unternehmerischen Tätigkeit in London schon vor der Entscheidung des FG im Rahmen des Austauschs der unterschiedlichen Rechtsansichten der Beteiligten eine erhebliche Rolle spielten. Dies gilt auch für die zeitliche Grenze von sechs Monaten als Voraussetzung für eine abkommensrechtliche Betriebsstätte (vgl. Schreiben des FA vom 07.11.2018, Bl. 72 ff. der FG-Akte Bd. I). Die Kläger konnten hierzu umfassend vortragen und haben diese Möglichkeit auch tatsächlich genutzt.

  32. Dass das FG in diesem Zusammenhang eine umfassende Würdigung vornehmen und hierfür insbesondere vertragliche Fristen und die Anwesenheiten der Kläger in London einbeziehen würde, konnte für die Beteiligten nicht überraschend sein. Insofern hätten die Kläger von sich aus substantiierte Ausführungen zum tatsächlichen Zeitpunkt eines (späteren) Entschlusses über die Beendigung des Unternehmens machen müssen (einschließlich substantiierter Angaben zum Zeitpunkt der tatsächlichen Kündigung des Mietvertrags unter Beachtung etwaiger Kündigungsfristen). Auch die Anwesenheit der Kläger in London war sowohl Gegenstand der vorinstanzlichen Schriftsätze als auch der mündlichen Verhandlung.

  33. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (§ 139 Abs. 4 FGO); dies folgt schon daraus, dass die Beigeladene im Verfahren keine eigenen Anträge gestellt und damit kein Kostenrisiko getragen hat.

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