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Beschluss vom 14. Mai 2025, XI B 77/24

Keine Anwendung des § 296 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren; Unabhängigkeit der Berichtigung von Umsatzsteuer und Vorsteuerabzug

ECLI:DE:BFH:2025:B.140525.XIB77.24.0

BFH XI. Senat

FGO § 76 Abs 1, FGO § 79b Abs 1, FGO § 79b Abs 3, FGO § 155, ZPO § 296, UStG § 17 Abs 1 S 2, UStG § 17 Abs 2 Nr 1

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 29. Oktober 2024, Az: 1 K 111/20

Leitsätze

1. NV: § 296 der Zivilprozessordnung findet im finanzgerichtlichen Verfahren keine Anwendung.

2. NV: Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger kann auch dann erfolgen, wenn die Umsatzsteuer beim leistenden Unternehmer nicht berichtigt worden ist (Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union World Comm Trading Gfz vom 28.05.2020 - C-684/18, EU:C:2020:403).

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 29.10.2024 - 1 K 111/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

  1. Die Beschwerde ist ‑‑bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit‑‑ jedenfalls unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit sie im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt sind, jedenfalls nicht vor.

  2. 1. Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, der Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils auf Seite 4 der Abschrift sei fehlerhaft, beachtet die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nicht, dass nach § 108 Abs. 1 FGO die Berichtigung binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils beantragt werden kann, wenn der Tatbestand des Urteils andere Unrichtigkeiten oder Unklarheiten als die in § 107 Abs. 1 FGO genannten enthält. Einwendungen gegen die Richtigkeit des Tatbestands sind nicht im Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision zu rügen, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 12.06.2014 - XI B 133/13, BFH/NV 2014, 1560, Rz 16; vom 06.09.2023 - IX B 84/22, BFH/NV 2023, 1314, Rz 16; vom 13.03.2024 - VIII B 4/23, BFH/NV 2024, 685, Rz 35).

  3. 2. Mit dem Vortrag, das Finanzgericht (FG) habe den Vortrag der Klägerin zu § 296 der Zivilprozessordnung (ZPO) übergangen, legt die Klägerin keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar. Die Klägerin beachtet insoweit nicht, dass das finanzgerichtliche Verfahren ‑‑abgesehen vom Fall des § 79b FGO, der hier nicht gegeben ist‑‑ keine Zurückweisung verspäteten Vorbringens kennt (vgl. BFH-Urteil vom 19.09.1985 - VII R 164/84, BFH/NV 1986, 674). Insbesondere sind die Präklusionsvorschriften der ZPO nicht anwendbar (vgl. BFH-Urteile vom 05.03.1970 - IV R 235/68, BFHE 98, 528, BStBl II 1970, 496; vom 26.02.1975 - II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489). Außerdem wäre selbst die Zurückweisung eines im Sinne des § 79b FGO verspäteten Vorbringens nach § 79b Abs. 3 FGO nicht zwingend, sondern in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. BFH-Urteil vom 17.02.2000 - I R 52-55/99, BFHE 191, 207, BStBl II 2000, 354, unter II.2.). All dies ist Folge des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 76 FGO. Das FG muss auch ohne Bestreiten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamts) prüfen, ob der Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen ist.

  4. 3. Soweit die Klägerin dabei behauptet, dass das FG den Rechtsstreit insoweit (das heißt in Bezug auf den Vorsteuerabzug) falsch entschieden habe, legt sie damit keinen Zulassungsgrund dar, sondern stellt die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage, was die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23.03.2021 - XI B 69/20, BFH/NV 2021, 1108, Rz 16; vom 26.04.2023 - X B 102/22, BFH/NV 2023, 824, Rz 18). Nur beiläufig weist der Senat deshalb darauf hin, dass die Berichtigungspflicht beim Leistenden und beim Leistungsempfänger unabhängig voneinander bestehen (vgl. BFH-Beschluss vom 21.04.1987 - V B 73/86, BFH/NV 1987, 604; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union World Comm Trading Gfz vom 28.05.2020 - C-684/18, EU:C:2020:403, Rz 41 und 43).

  5. 4. Die Rüge, das FG habe das rechtliche Gehör der Klägerin dadurch verletzt, dass es die Rechnung #11/18/2 als Scheinrechnung eingestuft hat, greift nicht durch.

  6. a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑ und § 96 Abs. 2 FGO) verlangt von dem erkennenden Gericht vornehmlich, dass es die Beteiligten über den Verfahrensstoff informiert, ihnen Gelegenheit zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 02.04.2014 - XI B 2/14, BFH/NV 2014, 1049, Rz 8; vom 30.06.2020 - XI S 11/20, BFH/NV 2021, 26, Rz 6). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11.02.2011 - XI S 1/11, BFH/NV 2011, 829; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2014 - 1 BvR 1126/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2014, 441, Rz 29). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.11.2013 - XI B 9/13, BFH/NV 2014, 373, Rz 11; vom 20.11.2024 - IX B 77/23, BFH/NV 2025, 171, Rz 33). Ein Anspruch darauf, dass das Gericht einen Beteiligten "erhört", sich also seinen rechtlichen Ansichten oder seiner Sachverhaltswürdigung anschließt, ergibt sich aus dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs hingegen nicht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14.11.2022 - XI B 106/21, BFH/NV 2023, 140, Rz 16; vom 25.10.2023 - XI B 25/23, BFH/NV 2024, 30, Rz 17).

  7. b) Ausgehend davon liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vor. Die Beschwerde wendet sich insoweit gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG und beanstandet, dass das FG sie, die Klägerin, mit ihrem Vortrag nicht erhört hat. Dies wird vom Gehörsanspruch indes nicht umfasst (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14.11.2022 - XI B 106/21, BFH/NV 2023, 140, Rz 16; vom 08.05.2024 - VII B 5/23, BFH/NV 2024, 923, Rz 23). Wird die Tatsachen- und Beweiswürdigung angegriffen, so handelt es sich grundsätzlich um die Rüge eines materiell-rechtlichen Fehlers, die die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20.04.2021 - XI B 39/20, BFH/NV 2021, 1209, Rz 26; vom 07.03.2025 - XI B 25/24, BFH/NV 2025, 529, Rz 10).

  8. 5. Soweit die Beschwerde dahin gehend verstanden werden kann, dass sie eine Divergenz der Vorentscheidung von den auf S. 18 f. der Beschwerdebegründung genannten Entscheidungen rügt, hat sie nicht, was hierfür erforderlich gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25.01.2022 - XI B 60/20, Rz 4; vom 12.07.2023 - XI B 1/23, BFH/NV 2023, 1201, Rz 13), tragende abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits herausgearbeitet und einander so gegenübergestellt, dass die behauptete Abweichung erkennbar wird; außerdem ist nicht dargelegt, dass dem Streitfall ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt wie den angeblichen Divergenzentscheidungen.

  9. 6. Mit ihrem abschließenden Vortrag rügt die Klägerin auch in Bezug auf die Nichtanerkennung des Vorliegens einer Leistung gegen Entgelt zwischen der Klägerin und Herrn Rechtsanwalt T, dass das FG den Rechtsstreit (auch) insoweit falsch entschieden habe. Dies vermag die Zulassung der Revision aus den unter 3. genannten Gründen nicht zu rechtfertigen.

  10. 7. Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

  11. a) Das FG hat die Klage insoweit abgewiesen, weil es aufgrund der Gesamtumstände des Streitfalles unter Berücksichtigung der Näheverhältnisse zwischen den handelnden Personen angenommen hat, dass die Geschäftsführerin der Klägerin nicht gegen Entgelt (in der Terminologie des FG: als Privatperson) für T tätig geworden sei und hierfür kein Entgelt erwartet habe. Diese tatsächliche Würdigung ist (insbesondere auch unter Berücksichtigung des jahrelangen Vergessens der Vereinbarung vom 29.12.2010 und damit der tatsächlichen Nichtdurchführung, die sich an der Nichterteilung von Rechnungen zeigt) möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und würde den Senat in einem gedachten Revisionsverfahren binden (§ 118 Abs. 2 FGO), was bereits im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 03.02.2021 - XI B 45/20, BFH/NV 2021, 673, Rz 25; vom 10.01.2024 - XI B 117/22, BFH/NV 2024, 394, Rz 7).

  12. b) Auf den Umstand, wann bei anderer Beurteilung die Umsatzsteuer bei der Klägerin aufgrund der "Verrechnungen" entstanden sein könnte und ob hinsichtlich des noch nicht durch "Verrechnung" vereinnahmten Teils ein gedachter Vorsteuerabzug beim Kläger zu berichtigen sein könnte (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 12.07.2023 - XI R 5/21, BFHE 282, 22, BStBl II 2024, 887, Rz 44 und 45, m.w.N.), kommt es nicht an.

  13. 8. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von der Wiedergabe des Tatbestands sowie einer weiteren Begründung ab.

  14. 9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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