ECLI:DE:BFH:2025:B.180625.IIB27.24.0
BFH II. Senat
FGO § 79a Abs 3, FGO § 79a Abs 4, FGO § 126 Abs 3 S 1 Nr 2, GG Art 101 Abs 1 S 2
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 13. März 2024, Az: 2 K 138/16
Leitsätze
NV: Ein im ersten Rechtsgang erklärtes Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats gemäß § 79a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung gilt für das Verfahren vor dem Finanzgericht nach einer Zurückverweisung durch den Bundesfinanzhof im zweiten Rechtsgang nicht fort.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 13.03.2024 - 2 K 138/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Im Jahr 2013 erwarb die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) aufgrund einer Teilerbauseinandersetzung unter anderem drei landwirtschaftlich genutzte Flurstücke in … Nach einer Einschätzung dieser Flurstücke als Acker-Grünland (Wechselland) durch den Schätzungsausschuss des für die Bodenschätzung zuständigen Finanzamts im Jahr 1938 beantragte die Klägerin im Rahmen einer Nachschätzung nach § 11 des Bodenschätzungsgesetzes die Einstufung der Flächen als Grünlandflächen. Die gegen die Ablehnung des Antrags erhobene Klage erklärten die Beteiligten übereinstimmend für erledigt, nachdem sich der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) verpflichtet hatte, eine Nachschätzung zu veranlassen. Im Jahr 2016 stellte das FA fest, das Schätzungsergebnis aus 1938 werde nicht geändert, und wies auch den dagegen eingelegten Einspruch der Klägerin zurück.
Die hiergegen erhobene Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin anstelle des Senats entschied, blieb erfolglos. Mit Urteil vom 01.09.2021 - II R 7/19 (BFHE 274, 239, BStBl II 2022, 298) hob der Bundesfinanzhof (BFH) die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) auf und verwies das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Im zweiten Rechtsgang wies der 2. Senat des FG die Klage mit Urteil vom 13.03.2024 - 2 K 138/16 erneut ab und ließ die Revision gegen seine Entscheidung nicht zu.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde. Sie macht geltend, die Revision sei gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, weil das im zweiten Rechtsgang ergangene FG-Urteil verfahrensfehlerhaft sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Revision ist nicht wegen der von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
1. Ohne Erfolg bleibt die Rüge der Klägerin, das FG sei bei seiner Entscheidung im zweiten Rechtszug nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil das angefochtene Urteil nicht durch die im ersten Rechtszug bestellte Einzelrichterin gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO, sondern durch den Senat gefällt worden sei.
a) Gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Gesetzlicher Richter ist auch der sogenannte konsentierte Einzelrichter gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO, der im Einverständnis mit den Beteiligten anstelle des Senats entscheiden kann. Das von den Beteiligten erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter schließt eine Entscheidung des Senats jedoch nicht aus, denn auch nach Abgabe der Einverständniserklärungen durch die Beteiligten ist grundsätzlich weiterhin der Senat der gesetzliche Richter (BFH-Urteil vom 18.08.2005 - VI R 7/03, BFH/NV 2006, 271). Auf Grund des bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 79a Abs. 3 und 4 FGO dem Vorsitzenden beziehungsweise dem Berichterstatter eingeräumten und nach pflichtgemäßem Ermessen auszuübenden Wahlrechts wird seine alleinige Entscheidungszuständigkeit erst dann begründet, wenn er sein Ermessen abschließend dahin ausgeübt hat, den Rechtsstreit als Einzelrichter zu entscheiden (BFH-Beschluss vom 09.07.2003 - IX B 34/03, BFHE 202, 408, BStBl II 2003, 858, unter II.3.).
b) In den Fällen der Aufhebung und Zurückverweisung durch den BFH wirkt ein von den Beteiligten im ersten Rechtsgang erklärtes Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden beziehungsweise Berichterstatter gemäß § 79a Abs. 3, 4 FGO nicht für den zweiten Rechtsgang fort. Das Einverständnis der Beteiligten gilt grundsätzlich nur für die konkrete Prozessrechtslage und damit jedenfalls nur bis zur instanzabschließenden Sachentscheidung. Durch die Aufhebung und Zurückverweisung wird das Verfahren in diejenige Lage versetzt, in der sie sich vor Erlass des aufgehobenen Urteils befand, und fällt daher wieder beim Vollsenat an (vgl. BFH-Beschluss vom 26.10.1998 - I R 22/98, BFHE 187, 206, BStBl II 1999, 60, unter II.1.b; vgl. auch BFH-Beschluss vom 27.10.2003 - III B 19/03, BFH/NV 2004, 504, unter II.1.c; ebenso Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 79a Rz 26; Krumm in Tipke/Kruse, § 126 FGO Rz 40; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79a FGO Rz 117; Stalbold in Gosch, AO § 79a Rz 67).
c) Danach stellt die Entscheidung im zweiten Rechtsgang durch den Vollsenat des FG keinen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Nach der Aufhebung des FG-Urteils durch den BFH (vgl. BFH-Urteil vom 01.09.2021 - II R 7/19, BFHE 274, 239, BStBl II 2022, 298) galten die im ersten Rechtsgang abgegebenen Einverständniserklärungen der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin angesichts der veränderten Prozessrechtslage nicht für das erneute Verfahren vor dem FG fort. Weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die Beteiligten das nach § 79a Abs. 3, 4 FGO erforderliche Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin auch im zweiten Rechtsgang ausgesprochen haben. Selbst wenn dies unterstellt würde, blieb hinsichtlich der abschließenden Entscheidung weiterhin der Senat des FG der gesetzliche Richter, denn es sind aus dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Berichterstatterin ihr Ermessen abschließend dahin ausgeübt hätte, den Rechtsstreit auch im zweiten Rechtsgang als Einzelrichterin zu entscheiden. Vielmehr hatte der Senatsvorsitzende bereits mit Verfügung vom 06.01.2023 die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung "vor dem Senat" gegenüber der Klägerin angekündigt.
2. Die Klägerin macht auch zu Unrecht geltend, das FG habe eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch ihr rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO).
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet den Beteiligten das Recht, sich vor der Entscheidung des Gerichts zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage ausreichend äußern zu können. Das Gericht verletzt daher das Recht auf Gehör, wenn es sein Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte stützt, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem vorherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten. Art. 103 Abs. 1 GG schützt daher die Beteiligten davor, von bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkten überrascht zu werden, die dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12.06.2020 - II B 46/19, BFH/NV 2020, 1273, Rz 19, m.w.N.).
b) Danach liegt im Streitfall kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vor. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe in der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2024 nicht zu erkennen gegeben, dass es seine Entscheidung in wesentlichen Punkten auf die Ausführungen des angehörten amtlichen Bodenschätzers stützen werde, genügt dies nicht zur Annahme einer Überraschungsentscheidung. Die Frage der gemeinüblichen Nutzung als Ackerland oder Grünland ist vom FG nicht erst im Endurteil in das Verfahren eingebracht worden, sondern war ‑‑wie die Klägerin in der Beschwerdebegründung selbst vorbringt‑‑ auch vorher schon Gegenstand der wechselseitigen Erörterungen, insbesondere auch der Anhörung des amtlichen Bodenschätzers in der mündlichen Verhandlung. Eine Überraschungsentscheidung liegt auch nicht darin, dass das FG, wie die Klägerin meint, vor Erlass der Endentscheidung darauf hätte hinweisen müssen, dass es zu der Überzeugung gelangt sei, nur die Ackernutzung entspreche der natürlichen Ertragsfähigkeit der streitigen Flächen. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 02.08.2013 - II B 111/12, BFH/NV 2014, 383 und vom 25.05.2000 - VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235, jeweils m.w.N.).
3. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler der unzureichenden Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) liegt ebenfalls nicht vor.
a) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO). Zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht hat das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Dabei hat es unabhängig von den Beweisanträgen der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO) im Zweifel auch von sich aus Beweise zu erheben. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt jedenfalls vor, wenn das Gericht Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt, deren Ermittlung sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14.01.2025 - X B 72/23, BFH/NV 2025, 387 und vom 23.10.2006 - III B 5/06, BFH/NV 2007, 458, m.w.N.).
b) Danach hat das FG im Streitfall nicht gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verstoßen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG die für die Durchführung einer Nachschätzung erforderlichen Feststellungen getroffen. Das FG hat in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, die von der Klägerin geltend gemachte nachhaltige Änderung der Nutzungsart gegenüber der Ersteinschätzung aus dem Jahr 1938 liege nicht vor, weil bereits die Bodenschätzung im Jahr 1938 die Nutzungsart "Ackerland" angenommen habe (vgl. S. 24 der Entscheidungsgründe) und die Ackernutzung auch zum einschlägigen Beurteilungszeitpunkt 01.01.2014 der gemeinüblichen Bewirtschaftung entsprochen habe (vgl. S. 26 ff. der Entscheidungsgründe). Hierbei hat sich das FG auf die Ausführungen des amtlichen Bodenschätzers gestützt, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Es ist deshalb nicht ersichtlich, aus welchen Gründen sich dem FG ein weiterer Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Frage der natürlichen Ertragsfähigkeit der streitigen Flächen aufdrängen musste.
4. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe gegen § 126 Abs. 5 FGO verstoßen, weil es seiner Entscheidung nicht die rechtliche Beurteilung des Senats in seinem Urteil vom 01.09.2021 - II R 7/19 (BFHE 274, 239, BStBl II 2022, 298) zugrunde gelegt habe, liegt der geltend gemachte Verfahrensfehler (vgl. hierzu: BFH-Beschluss vom 20.02.1991 - II B 85/90, BFH/NV 1992, 43) nicht vor.
Der Senat hatte das Urteil des FG im ersten Rechtsgang aufgehoben, da dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen zu der der natürlichen Ertragsfähigkeit entsprechenden gemeinüblichen Bewirtschaftung entnommen werden könnten, so dass die Rechtmäßigkeit der Bodenschätzung nicht beurteilt werden könne (vgl. BFH-Urteil vom 01.09.2021 - II R 7/19, BFHE 274, 239, BStBl II 2022, 298, Rz 9). Das FG hat sich in seiner im zweiten Rechtsgang ergangenen Entscheidung mit dieser Vorgabe des Senats befasst und die erforderlichen Feststellungen zur gemeinüblichen Bewirtschaftung der streitigen Flächen nachgeholt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das FG auch nicht von der Rechtsauffassung des Senats abgewichen, dass aus der tatsächlichen Nutzung der streitigen Flächen nicht geschlossen werden könne, dass kein Wechselland mehr, sondern absolutes Ackerland vorliege (vgl. BFH-Urteil vom 01.09.2021 - II R 7/19, BFHE 274, 239, BStBl II 2022, 298, Rz 9). Das FG hat diese rechtliche Beurteilung seiner Entscheidung zugrunde gelegt, indem es ausgeführt hat, zur Feststellung der Nutzungsart sei auf die gemeinübliche Bewirtschaftung abzustellen, die ihrerseits der natürlichen Ertragsfähigkeit entsprechen müsse, während die tatsächliche Nutzung des einzelnen Flurstücks für die Feststellung der Nutzungsart nicht maßgebend sei.
5. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.