ECLI:DE:BFH:2025:B.030725.VIIB46.24.0
BFH VII. Senat
FGO § 71 Abs 2, FGO § 76 Abs 1, FGO § 81 Abs 1, FGO § 82, FGO § 116 Abs 6, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, ZPO § 373, HGB § 28, HGB § 128 S 1, GG Art 19 Abs 4
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 22. Februar 2024, Az: 6 K 865/20
Leitsätze
1. NV: Die Mitwirkungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung) fordert von den Beteiligten, Beweisanträge nur zu bestimmten, substantiierten Tatsachenbehauptungen zu stellen. Beweisermittlungs- oder -ausforschungsanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, brauchen vom Finanzgericht regelmäßig nicht befolgt zu werden.
2. NV: Bei dem Zeugenbeweis verlangt § 373 der Zivilprozessordnung vom Beweisantragsteller nicht, den gesamten Inhalt der künftigen Zeugenaussage durch detaillierte Angaben in seinem Beweisantrag vorwegzunehmen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 22.02.2024 - 6 K 865/20 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Mutter der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) unterhielt einen …betrieb. Mit Vertrag vom 30.09.2015 trat die Klägerin in das Unternehmen ihrer Mutter, B, ein. Hierzu gründeten ihre Mutter und sie eine als "B und A GbR …" bezeichnete Gesellschaft (Gesellschaft), die am 01.10.2015 beginnen sollte. Am 30.12.2015 vereinbarten die Gesellschafterinnen in einer "1. Änderung zum Gesellschaftervertrag", dass die Tätigkeit der Gesellschaft erst am 01.01.2016 beginnen sollte. In einer auf den 02.01.2016 datierten "2. Änderung/Ergänzung zum Gesellschaftervertrag" legten die Gesellschafterinnen nieder, es werde "klargestellt, dass bei der Vereinbarung des Gesellschaftervertrages zwischen den Vertragsunterzeichnern Übereinstimmung dazu bestand, dass diese GbR nicht aufzukommen hat für Verpflichtungen, die von Frau [B] vor der Gründung der GbR eingegangen" worden seien. Davon ausgenommen waren lediglich bestimmte Lieferungen und Leistungen aus dem letzten Quartal des Jahres 2015 sowie Leistungen für die Einlösung von Gutscheinen, die in den Vorjahren verkauft worden waren.
Nach dem Inhalt der Vollstreckungsakten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ist die "2. Änderung/Ergänzung zum Gesellschaftervertrag" jedenfalls im Anhang einer E-Mail vom 29.05.2017 dem FA übersandt worden. Ob die zweite Änderungsvereinbarung zudem bereits früher dem FA zur Kenntnis gebracht worden ist, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Aus dem Einzelunternehmen der B bestanden Steuerrückstände. Nachdem zahlreiche Beitreibungsversuche des FA nur in begrenztem Umfang zum Erfolg geführt hatten, nahm das FA die Gesellschaft mit einem ‑‑hier nicht streitgegenständlichen‑‑ Bescheid vom 29.11.2018 gemäß § 28 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) für die Steuerrückstände des Einzelunternehmens in Höhe von … € in Haftung. Die Klägerin trat daraufhin als Gesellschafterin aus der Gesellschaft aus. Weitere Vollstreckungsversuche des FA gegen B als Rechtsnachfolgerin der Gesellschaft blieben wiederum weitestgehend ohne Erfolg. Daraufhin nahm das FA mit dem ‑‑hier streitgegenständlichen‑‑ Bescheid vom 20.08.2019 die Klägerin persönlich in Höhe von … € in Haftung, und zwar als frühere Gesellschafterin der Gesellschaft nach § 128 Satz 1 HGB in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung (a.F.).
Im Rahmen des hiergegen vor dem Finanzgericht (FG) geführten Klageverfahrens beantragte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2024 "zum Beweis der Tatsache, dass sowohl der 1. als auch der 2. Nachtrag zum Gesellschaftsvertrag der GbR dem Finanzamt kurz nach dem 2. Januar 2016 zugeleitet worden sind, die Vernehmung der Frau [B], (…) als Zeugin". Das FG erhob diesen Beweis nicht.
Vielmehr wies das FG mit Urteil vom 22.02.2024 - 6 K 865/20 die Klage ab. Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass nach § 128 Satz 1 HGB a.F. die Gesellschafter einer OHG für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich haften. Dieser Haftung unterliege auch die Klägerin, da sie nach ihrem Eintritt in das Einzelunternehmen ihrer Mutter Gesellschafterin einer OHG geworden sei. Die im Gesellschaftsvertrag als GbR bezeichnete Gesellschaft sei tatsächlich eine OHG im Sinne des § 105 Abs. 1 HGB, da ihr Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet gewesen sei. Die OHG hafte nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 HGB für alle im Betrieb des früheren Einzelunternehmens entstandenen Verbindlichkeiten, da ein Geschäftseintritt im Sinne des § 28 Abs. 1 HGB vorliege.
Dabei sei es nicht zu einem Haftungsausschluss im Sinne des § 28 Abs. 2 HGB gekommen, so das FG. Ein solcher könne nur dann Außenwirkung haben, wenn er unverzüglich nach dem Wechsel des Unternehmensträgers bekannt gemacht worden sei. Im Streitfall sei nach Aktenlage erst Ende Mai 2017 und mithin nicht unverzüglich nach Abschluss der "2. Änderung/ Ergänzung zum Gesellschaftervertrag" vom 02.01.2016 der Haftungsausschluss dem FA mitgeteilt worden. Auch eine in der mündlichen Verhandlung vom Vater der Klägerin behauptete Übergabe der Vereinbarung an das FA am 27.10.2016 wäre nicht unverzüglich und mithin verspätet erfolgt. Eine frühere Übermittlung der zweiten Änderungsvereinbarung habe die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Sie habe nur die bloße Vermutung vorgetragen, dies sei "zeitnah" beziehungsweise "in zeitlicher Nähe zur Gründung" der Gesellschaft "Anfang 2016" erfolgt. Auf explizite Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin keine präzisen Angaben zum Übermittlungszeitpunkt machen können. Ferner sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, den genauen Ablauf der behaupteten "zeitnahen" Zuleitung des Dokuments darzulegen. Der hierzu von ihr gestellte Beweisantrag sei unsubstantiiert, sodass das FG ihm nicht habe nachgehen müssen. Der Beweisantrag habe lediglich auf eine Ausforschung abgezielt. Die Klägerin habe nur bloße Vermutungen zu einer "zeitnahen" Übermittlung der zweiten Ergänzungsvereinbarung vorgetragen. Sie habe diese Übermittlung so ungenau bezeichnet, dass offen bleibe, über welchen Geschehensablauf (Übermittlung welcher Unterlagen zu welchem Zeitpunkt, persönlich oder per Post, per Brief oder Paket) Beweis erhoben werden solle. Die Klägerin habe selbst erklärt, hierüber mit ihrer Mutter gar nicht gesprochen zu haben. Die von ihr zu diesem Geschehensablauf geäußerten Auffassungen und Vermutungen seien unbewiesen geblieben.
Im Übrigen könne sogar eine Aufgabe der zweiten Änderungsvereinbarung zur Post als wahr unterstellt werden, da sich allein hieraus der tatsächliche Zugang beim FA nicht ergebe.
Mit ihrer dagegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) sowie Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Als Verfahrensmangel rügt die Klägerin unter anderem eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht, weil das FG die in der mündlichen Verhandlung beantragte Vernehmung der Zeugin B unterlassen habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Das Urteil des FG beruht auf einem Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht und damit auf einem Verfahrensfehler im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, wie die Klägerin zu Recht rügt.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen und hat die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben. Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Das gilt aber nur in dem Sinne, dass das FG von sich aus auch Beweise erheben kann, die von den Beteiligten nicht angeboten worden sind (BFH-Beschluss vom 22.06.2016 - III B 134/15, Rz 11).
aa) Stellt jedoch ein Verfahrensbeteiligter einen Beweisantrag, ist das FG grundsätzlich verpflichtet, dem Beweisantrag zu entsprechen (BFH-Beschluss vom 14.03.2018 - IV B 46/17, Rz 13). Eine Beweiserhebung kann nur dann unterbleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 20.11.2024 - IX B 77/23, Rz 26; vom 17.04.2024 - X B 61/23, Rz 13 und vom 14.03.2018 - IV B 46/17, Rz 13). Liegen diese Ausnahmetatbestände nicht vor, muss das FG angebotene Beweisunterlagen auch dann entgegennehmen und würdigen, wenn es nicht davon ausgeht, dass diese die im Beweisantrag enthaltene Tatsachenbehauptung bestätigen (BFH-Beschluss vom 20.09.2022 - VIII B 82/21, Rz 4).
bb) Die Mitwirkungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) fordert von den Beteiligten, Beweisanträge nur zu bestimmten, substantiierten Tatsachenbehauptungen zu stellen. Beweisermittlungs- oder -ausforschungsanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, brauchen vom FG regelmäßig nicht befolgt zu werden (BFH-Beschlüsse vom 20.11.2024 - IX B 77/23, Rz 27 und vom 24.09.2013 - XI B 75/12, Rz 14, m.w.N.). Denn das FG muss einem Beweisantrag als Ausforschungsbeweis nicht entsprechen, wenn konkrete entscheidungserhebliche Tatsachen, die Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen, weder vorgetragen noch anderweitig erkennbar sind (BFH-Beschlüsse vom 20.11.2024 - IX B 77/23, Rz 27; vom 14.03.2018 - IV B 46/17, Rz 14 und vom 29.05.2009 - VIII B 205/08, unter II.d aa, m.w.N.).
Die maßgebliche Grundlage hierfür ist § 82 FGO i.V.m. § 373 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑ (BFH-Beschluss vom 16.05.2013 - X B 131/12, Rz 21). Gemäß § 373 ZPO wird der Zeugenbeweis durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten.
b) Nach diesen Maßstäben liegt der von der Klägerin gerügte Verfahrensverstoß, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es B nicht als Zeugin vernommen habe, vor.
Der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, "zum Beweis der Tatsache, dass sowohl der 1. als auch der 2. Nachtrag zum Gesellschaftsvertrag der GbR dem Finanzamt kurz nach dem 2. Januar 2016 zugeleitet worden sind, (…) Frau [B] (…) als Zeugin" zu vernehmen, ist für die Sachentscheidung erheblich und entgegen der Auffassung des FG nicht unsubstantiiert.
aa) Für die Entscheidung des Rechtsstreits war die von der Klägerin gestellte Beweisfrage nach dem für die Prüfung eines Verfahrensmangels maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG erheblich. Denn die Vorinstanz ist in ihrem Urteil davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der Inhaftungnahme der Klägerin im Wesentlichen davon abhängt, ob ein Haftungsausschluss im Sinne des § 28 Abs. 2 HGB eingreift. Nach dieser Vorschrift ist eine ‑‑von der in § 28 Abs. 1 Satz 1 HGB vorgesehenen Haftungsfolge‑‑ abweichende Vereinbarung einem Dritten gegenüber nur wirksam, wenn sie in das Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht oder von einem Gesellschafter dem Dritten mitgeteilt worden ist. Mangels Eintragung in das Handelsregister kam es im Streitfall nach Ansicht des FG entscheidend darauf an, ob die "2. Änderung/ Ergänzung zum Gesellschaftervertrag" der Gesellschaft, welche eine solche Haftungsbeschränkung zugunsten der Klägerin enthielt, dem Dritten ‑‑hier dem FA‑‑ hinreichend zeitnah mitgeteilt worden ist.
bb) Der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag ist nicht unsubstantiiert.
(1) Der von der Klägerin gestellte Beweisantrag benennt konkrete entscheidungserhebliche Tatsachen im Sinne des § 373 ZPO, die Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen. Diese Tatsachen beziehen sich exakt auf die Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 2 HGB.
Denn der Beweisantrag bezieht sich auf den "2. Nachtrag zum Gesellschaftsvertrag der GbR", der einen Haftungsausschluss im Sinne des § 28 Abs. 2 HGB enthielt. Der Antrag benennt als zu beweisende Tatsache, dass der Nachtrag "dem Finanzamt kurz nach dem 2. Januar 2016 zugeleitet worden" sei. Damit benennt er eine Mitteilung an einen Dritten im Sinne des § 28 Abs. 2 HGB. Zudem bezeichnet der Beweisantrag auch ein Beweismittel im Sinne des § 373 ZPO, nämlich die Vernehmung der mit ladungsfähiger Anschrift bezeichneten Zeugin B.
(2) Das FG hat die Ablehnung der Beweiserhebung zu Unrecht darauf gestützt, die Klägerin habe keine präzisen Angaben zum Übermittlungszeitpunkt machen können und sei nicht in der Lage gewesen, den genauen Ablauf der behaupteten "zeitnahen" Zuleitung des Dokuments darzulegen.
§ 373 ZPO verlangt vom Beweisantragsteller nicht, den gesamten Inhalt der künftigen Zeugenaussage durch detaillierte Angaben in seinem Beweisantrag vorwegzunehmen (BFH-Beschluss vom 16.05.2013 - X B 131/12, Rz 26; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 76 Rz 32). Derartige Anforderungen könnte der Beweisantragsteller regelmäßig nur dann erfüllen, wenn er den Zeugen noch vor dessen Benennung intensiv befragen würde; damit liefe er aber gerade Gefahr, dass ihm dieses Verhalten als Versuch der Zeugenbeeinflussung ausgelegt und die Zeugenaussage damit für das Gericht entwertet würde (BFH-Beschluss vom 16.05.2013 - X B 131/12, Rz 26).
Entgegen der Auffassung des FG kann zur Stellung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Zeugen, bei dem es um die Übermittlung eines Dokuments an das FA geht, daher nicht gefordert werden, den genauen Geschehensablauf der Übermittlung (Übermittlung welcher Unterlagen zu welchem Zeitpunkt, persönlich oder per Post, per Brief oder Paket) zu bezeichnen. Ebenso wenig kann, wie es das FG meinte, von dem Beweisantragsteller verlangt werden, dass dieser zum Ausdruck bringt, mit dem benannten Zeugen zuvor über die Zeugenaussage gesprochen zu haben. Denn dadurch würde der Antragsteller gezwungen, den Beweiswert seines Beweismittels selbst zu entwerten, was dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes widerspräche.
Zudem kann entgegen der Auffassung des FG ein Beweisantrag nicht mit dem Argument abgelehnt werden, der Antragsteller habe seine zu dem fraglichen Geschehensablauf geäußerten Vermutungen nicht bewiesen. Denn der Beweis einer Tatsache ist das Ziel der Beweisaufnahme, nicht deren Voraussetzung. Insofern handelt es sich auch nicht um einen Ausforschungsbeweis. Denn darunter sind Beweisermittlungsanträge zu verstehen, die so unbestimmt sind, dass erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, zu denen dann in einem weiteren Schritt der eigentliche Beweis zu erheben ist. Dies betrifft Tatsachenbehauptungen, die ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aus der Luft gegriffen, ins Blaue hinein, also erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden sind (BFH-Beschluss vom 23.02.2018 - X B 65/17, Rz 30, m.w.N.). Zwar erscheint es durchaus zweifelhaft, ob die Tatsachenbehauptung, die Mutter der Klägerin habe die 2. Änderung zum Gesellschaftervertrag zeitnah dem FA zugeleitet, auf greifbaren Anhaltspunkten basiert. Allerdings würde die beantragte Zeugeneinvernehmung der Mutter nicht erst die entscheidungserhebliche Tatsache selbst aufdecken, sondern könnte vielmehr direkt Beweis für die behauptete Tatsache erbringen. Das genügt für einen substantiierten Beweisantrag.
(3) Hiergegen kann das FA nicht mit Erfolg einwenden, die Klägerin habe die ihr bekannten Umstände auch deshalb nicht hinreichend dargelegt, weil ihr in der mündlichen Verhandlung anwesender Vater zunächst gemeint habe, er selbst habe das fragliche Dokument am 27.10.2016 übergeben oder eingereicht, später in der Verhandlung dann aber die Vermutung geäußert, die Mutter könnte das Dokument dem FA zugeleitet haben. Zum einen ist es denkbar, dass das fragliche Dokument dem FA mehrfach übersandt worden ist. Zum anderen obliegt es dem FG, vor dem Hintergrund des klägerischen Vorbringens das Ergebnis einer Beweisaufnahme zu würdigen.
cc) Das FG durfte auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrunterstellung nicht von der beantragten Beweisaufnahme absehen.
Das FG hat sich zu Unrecht darauf berufen, eine Aufgabe der zweiten Änderungsvereinbarung zur Post könne sogar als wahr unterstellt werden, da sich allein hieraus der tatsächliche Zugang beim FA nicht ergebe. Denn Gegenstand des Beweisantrags war nicht der Versand der Änderungsvereinbarung, sondern dessen Zugang beim FA.
c) Die Klägerin hat auch ihr Rügerecht nicht verloren.
Zwar ist die Verletzung der aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO folgenden Sachaufklärungspflicht ein verzichtbarer Verfahrensmangel (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 ZPO), bei dem das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren geht, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge (BFH-Beschluss vom 18.06.2008 - V B 173/07, BFH/NV 2008, 1690, unter 3.b cc der Gründe). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat den fraglichen Beweisantrag jedoch in der mündlichen Verhandlung selbst gestellt. Damit hat er auf die Beweiserhebung nicht verzichtet.
2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG den beantragten Zeugenbeweis zu erheben haben.
Von Bedeutung wird in diesem Zusammenhang auch der Einwand der Klägerin sein, die gesamte Steuerakte der Gesellschaft zur Steuernummer … habe bislang nicht vorgelegen und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die zweite Änderungsvereinbarung zum Gesellschaftervertrag in den allgemeinen Steuerakten der Gesellschaft vorhanden gewesen und zu einem hinreichend frühen Zeitpunkt übergeben worden sei. Die gesamte Steuerakte der Gesellschaft wird daher im zweiten Rechtsgang beizuziehen sein, da Akten, welche die der Haftung zugrunde liegenden Steuern betreffen, im Klageverfahren wegen der Haftung zu den nach § 71 Abs. 2 FGO zu übermittelnden Akten gehören.
3. Da das Urteil der Vorinstanz bereits aufgrund eines Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, muss auf das weitere Vorbringen der Klägerin nicht im Einzelnen eingegangen werden.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.