ECLI:DE:BFH:2025:B.090925.VIIIR9.25.0
BFH VIII. Senat
FGO § 120 Abs 2, FGO § 56, ZPO § 85 Abs 2
Leitsätze
NV: Eine unverschuldete Versäumung der Revisionsbegründungsfrist liegt nicht vor, wenn der mit der Bearbeitung des Falls betraute Berufsträger am Tag des Fristablaufs tätig wird, den Ablauf der Frist bei der Bearbeitung nicht prüft und es deshalb unterlässt, an diesem Tag noch mögliche fristwahrende Handlungen auszuführen.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des ... vom ... - ... wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Reichweite von § 20 Abs. 9 des Einkommensteuergesetzes.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2020 (Streitjahr) mit Urteil vom ... unter Zulassung der Revision abgewiesen. Das FG-Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, einer Sozietät, am 15.04.2025 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellt.
Die Klägerin legte form- und fristgerecht Revision ein, ohne diese zu diesem Zeitpunkt zu begründen.
Die Geschäftsstelle des zuständigen VIII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) machte die Klägerin mit Schreiben vom 17.06.2025 darauf aufmerksam, dass die Frist zur Begründung der Revision nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am Montag, den 16.06.2025, abgelaufen sei. Sie wies auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO hin. Das Schreiben wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20.06.2025 zugestellt.
Die Revisionsbegründung (Schriftsatz vom 17.06.2025) ging am 18.06.2025 beim BFH ein.
Mit Schriftsatz vom 08.07.2025, eingegangen beim BFH am selben Tag, beantragte die Klägerin die Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist. Zur Begründung lässt die Klägerin ausführen, bei der Ermittlung der maßgeblichen Frist sei dem Sekretariat ihrer Prozessbevollmächtigten ein Fehler unterlaufen und die Revisionsbegründungsfrist auf den 16.07.2025 errechnet worden. Unabhängig hiervon habe der für den Rechtsstreit intern zuständige Berufsträger A, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, geplant gehabt, die Revisionsbegründung am 12.06.2025 oder 13.06.2025 einzureichen. A habe am 11.06.2026 einen Fahrradunfall gehabt. Der Unfall sei zwar glimpflich ausgegangen, wegen des hohen Folgepotentials sei A aber "einige Tage außer 'Gefecht'" gesetzt gewesen. Die Revisionsbegründung habe A am Montag, den 16.06.2025, bearbeitet und am folgenden Tag, dem 17.06.2025, eingereicht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Klägerin hat die Revision nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet (s. 1.). Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist gemäß § 56 FGO ist ihr nicht zu gewähren (s. 2.).
1. Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 173 der Zivilprozessordnung (ZPO) am 15.04.2025 wirksam zugestellt (vgl. BFH-Beschluss vom 03.06.2025 - VIII R 16/23). Im Streitfall endete die zweimonatige Revisionsbegründungsfrist nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO am Montag, dem 16.06.2025. Der am 18.06.2025 beim BFH eingegangene Begründungsschriftsatz wurde daher nicht fristgerecht übermittelt.
2. Der Klägerin ist nicht gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Sie muss sich die verschuldete verspätete Einreichung der Revisionsbegründung durch ihre Prozessbevollmächtigte zurechnen lassen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision beträgt die Frist einen Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
b) Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass sie an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kein Verschulden getroffen hat. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die unrichtige Fristberechnung durch das Sekretariat ihrer Prozessbevollmächtigten (s. aa) als auch den Fahrradunfall des A (s. bb).
aa) Es ist bereits ein eigenes Verschulden des für die Prozessbevollmächtigte der Klägerin tätigen Berufsträgers A zu bejahen. Auf die Frage, ob das vorgetragene Versäumnis einer Büroangestellten der Prozessbevollmächtigten entschuldbar war, kommt es danach nicht mehr an.
Sobald in einer Sache das Stadium der Fachbearbeitung erreicht ist, können sich etwaige Büroversehen grundsätzlich nicht mehr auswirken beziehungsweise trotz gegebenenfalls ordnungsgemäßer Büroorganisation eine Fristversäumung nicht entschuldigen. Denn mit der Vorlage einer Fristsache trifft den verantwortlichen Berufsträger die volle Verantwortung für die fristgerechte Bearbeitung. Er hat deshalb den Ablauf einer Rechtsmittelbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt (vgl. BFH-Beschluss vom 02.08.2024 - X B 9/24, BFH/NV 2024, 1192, Rz 21). Die Notwendigkeit einer Überprüfung drängt sich auch dann auf, wenn aus der subjektiven Sicht des bearbeitenden Berufsträgers zum Zeitpunkt der Bearbeitung der Ablauf der Frist nicht unmittelbar bevorsteht.
Nach diesen Grundsätzen hat der in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin für die Bearbeitung der Streitsache zuständige Berufsträger A die Fristversäumung selbst verursacht. Die von ihm unterzeichnete Revisionsbegründung trägt das Datum vom 17.06.2025. Nach den Einlassungen der Klägerin war A am 16.06.2025, das heißt am Tag des Fristablaufs, mit der Bearbeitung der Revisionsbegründung beschäftigt. Er hätte daher bei der Bearbeitung der Streitsache auch die Dauer der Frist zur Begründung der Revision selbst prüfen müssen. Am 16.06.2025, dem Tag des Fristablaufs, hätte er die von ihm dargelegte fälschliche Berechnung und Eintragung der Revisionsbegründungsfrist durch das Sekretariat aufdecken und noch fristwahrend tätig werden können, zum Beispiel durch einen Fristverlängerungsantrag.
Da der Klägerin das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), kommt es nicht mehr darauf an, ob ein Büroversehen vorliegt und die Klägerin sich für dieses exkulpieren könnte.
bb) Die Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist hat auch nicht deswegen zu erfolgen, weil die Klägerin aufgrund einer Erkrankung des A unverschuldet daran gehindert war, die Begründungfrist einzuhalten.
aaa) Eine als Entschuldigungsgrund geltend gemachte Erkrankung des Prozessbevollmächtigten ist nur dann als schuldlose Verhinderung zu behandeln, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwer ist, dass es für den Prozessbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16.03.2005 - X R 8/04, BFH/NV 2005, 1341; vom 13.10.2006 - XI R 4/06, BFH/NV 2007, 253).
Die Klägerin trägt bereits nicht substantiiert zur Schwere der Erkrankung des sachbearbeitenden Berufsträgers A vor. Ihr Vortrag, der Fahrradunfall des A am 11.06.2025 sei zwar glimpflich ausgegangen, A sei danach aber "einige Tage außer 'Gefecht'" gesetzt gewesen, ist nicht ausreichend und legt eine schwere Erkrankung jedenfalls zum Zeitpunkt des Fristablaufs nicht nahe. Zudem trägt die Klägerin selbst vor, A habe am Tag des Fristablaufs an der Revisionsbegründung gearbeitet, ohne gesundheitliche Einschränkungen des A an diesem Tag vorzubringen.
bbb) Selbst wenn man von der Darlegung und Glaubhaftmachung einer hinreichend schweren Erkrankung des sachbearbeitenden Berufsträgers A ausgehen wollte, könnte dies dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Denn ein schlüssiger Wiedereinsetzungsantrag hätte im Streitfall die Darlegung einer geeigneten Notfall-Vorsorge erfasst, die auch bei einer unvorhersehbaren Verhinderung des Prozessbevollmächtigten die Funktionsfähigkeit des Büros, insbesondere die Überwachung der Fristsachen, gewährleistet (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.12.2019 - VIII R 19/17, BFH/NV 2020, 375, Rz 8; vom 10.05.2013 - II R 5/13, BFH/NV 2013, 1428, Rz 9). Ist ein Mitglied einer Sozietät arbeitsunfähig erkrankt, obliegt es dem beziehungsweise einem anderen Sozietätsmitglied, Fristen zu überwachen und einzuhalten (vgl. BFH-Beschluss vom 12.01.2023 - IX S 15/22, BFH/NV 2023, 269, Rz 4). Zu alledem trägt die Klägerin nichts vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.