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Beschluss vom 30. Oktober 2025, X B 113, 114/24

Steuererklärung und Ausschlussfristen

ECLI:DE:BFH:2025:B.301025.XB113.24.0

BFH X. Senat

FGO § 65 Abs 1 S 1, FGO § 65 Abs 2 S 2, FGO § 79b Abs 1 S 1, FGO § 52a Abs 7 S 1, GG Art 103 Abs 1

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 21. Oktober 2024, Az: 5 K 1006/23

Leitsätze

NV: Die Einreichung einer ordnungsgemäßen Steuererklärung beim Finanzgericht innerhalb der Ausschlussfristen gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2, § 79b Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) reicht nicht nur zur Bezeichnung des Klagebegehrens nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, sondern auch zur Bezeichnung der Beschwer im Sinne des § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO aus, wenn die angegebenen Besteuerungsgrundlagen von denen des angegriffenen Bescheids abweichen; Gleiches gilt bei Wiederholung einer bereits abgegebenen Steuererklärung oder der Einreichung einer geänderten Steuererklärung.

Tenor

Die Verfahren X B 113/24 und X B 114/24 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision in dem Verfahren X B 113/24 wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 21.10.2024 - 5 K 1007/23 aufgehoben, soweit es die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer 2020 betrifft.

Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision in dem Verfahren X B 114/24 wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 21.10.2024 - 5 K 1006/23 aufgehoben, soweit es die Einkommensteuer 2019 betrifft.

Die Sachen werden insoweit an das Sächsische Finanzgericht zu anderweitigen Verhandlungen und Entscheidungen zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten der Beschwerdeverfahren übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legten unter anderem gegen die Einkommensteuerfestsetzungen 2019 und 2020, der Kläger auch gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 2020 Einsprüche ein. Weitere erstinstanzliche Klagegegenstände stehen nicht mehr im Streit.

  2. Für das Jahr 2020 hatten sie keine Steuererklärungen abgegeben. Für das Jahr 2019 ist dies unklar. Das Finanzgericht (FG) hat zwar im Tatbestand ebenfalls formuliert, die Erklärung sei nicht abgegeben worden. Es hat jedoch gleichzeitig ausdrücklich auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen, aus der sich ergibt, dass die Kläger eine "Festsetzung auf der Grundlage erklärter Besteuerungsgrundlagen" angefochten haben, und zwar mit den am 18.05.2022 in authentifizierter Form übermittelten Daten. Zudem hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit Schreiben vom 08.06.2022 die Kläger zu ergänzenden Angaben zu der im Betreff genannten Einkommensteuererklärung 2019 aufgefordert.

  3. Die Kläger begründeten sämtliche Einsprüche nicht. Das FA wies die Einsprüche zurück. Die Kläger erhoben Klagen, die beim FG für das Streitjahr 2019 unter dem Aktenzeichen 5 K 1006/23, für das Streitjahr 2020 unter dem Aktenzeichen 5 K 1007/23 geführt wurden. Sie begründeten die Klagen jedoch zunächst auch nicht.

  4. Das FG forderte die Kläger in beiden Klageverfahren gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Schreiben vom 26.06.2024 auf, binnen eines Monats den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Daneben forderte das FG gemäß § 79b Abs. 1 FGO die Kläger auf, innerhalb dieser Frist die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sie sich beschwert fühlten. Dabei wies es sowohl auf die ausschließende Wirkung der Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO als auch auf die Wirkung des § 79b Abs. 3 FGO hin. In dem Verfahren 5 K 1007/23 waren in dem letztgenannten Hinweis Satzbestandteile so vertauscht, dass der Satz grammatikalisch unsinnig wurde.

  5. Die zugrunde liegenden Verfügungen waren nach den Transfervermerken über die Prüfung der qualifizierten elektronischen Signaturen, die sich in den dem Bundesfinanzhof (BFH) übermittelten elektronischen FG-Akten befinden, von der Berichterstatterin des FG-Senats am 25.06.2024 qualifiziert elektronisch signiert und am Folgetag vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mittels qualifizierter Signatur bestätigt worden. Sie wurden den Klägern am 02.07.2024 mittels elektronischen Empfangsbekenntnisses zugestellt.

  6. Das FG verlängerte die Ausschlussfristen auf Antrag der Kläger bis zum 15.08.2024. Die entsprechenden Verfügungen vom 22.07.2024 hatte die Senatsvorsitzende beim FG mittels Aktenvermerks gezeichnet. Jedoch ist den Akten nicht zu entnehmen, dass sie oder die Berichterstatterin die Verlängerung der Frist qualifiziert elektronisch signiert hätte. Das abgesandte Schreiben ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nur des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle versehen. Eine förmliche Zustellung erfolgte nach Aktenlage nicht.

  7. Am 15.08.2024 reichten die Kläger Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2019 und 2020 sowie eine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2020 nebst weiteren Unterlagen ein. Weitere förmliche Fristen setzte das FG nicht. Zusätzliche Erläuterungen und Unterlagen übermittelten die Kläger auf Aufforderung des FA und des FG kurz vor der mündlichen Verhandlung.

  8. Die zwischenzeitlich zur Einzelrichterin bestellte Berichterstatterin stellte die Verfahren hinsichtlich einiger Streitgegenstände nach Rücknahme ein und erachtete die Klagen hinsichtlich der vorliegend noch im Streit befindlichen Klagegegenstände für unzulässig. Die Kläger hätten innerhalb der Ausschlussfrist keine Tatsachen im Sinne von § 79b Abs. 1 FGO bezeichnet. Allein die Steuererklärungen seien nicht ausreichend. Die kurz vor den mündlichen Verhandlungen eingereichten Klagebegründungen seien nicht mehr zu berücksichtigen. Die Verspätungen seien nicht entschuldigt, hätten dem FA keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und daher die Erledigung der Rechtsstreite verzögert.

  9. Das FG-Urteil vom 21.10.2024 - 5 K 1007/23 wurde den Klägern am 22.10.2024 zugestellt, das FG-Urteil vom 21.10.2024 - 5 K 1006/23 jedoch erst am 06.11.2024.

  10. Die Kläger legten in beiden Verfahren am 22.11.2024 Nichtzulassungsbeschwerden ein. Die Nichtzulassungsbeschwerde betreffend das Verfahren 5 K 1007/23 (Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2020) wurde unter dem Aktenzeichen X B 113/24, die Nichtzulassungsbeschwerde betreffend das Verfahren 5 K 1006/23 (Einkommensteuer 2019) unter dem Aktenzeichen X B 114/24 erfasst. Auf Antrag der Kläger wurden die Beschwerdebegründungsfristen nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO in dem Verfahren X B 113/24 bis zum 23.01.2025, in dem Verfahren X B 114/24 bis zum 07.02.2025 verlängert. Der 22.12.2024 war ein Sonntag. Der 06.01.2025 war am Sitz des BFH ein Feiertag.

  11. Am 22.01.2025 reichten die Kläger unter Angabe der Aktenzeichen X B 113/24 und 5 K 1007/23 sowie des Streitgegenstandes "Einkommensteuer 2020 und Umsatzsteuer 2020" eine Beschwerdebegründung ein. Am 06.02.2025 reichten sie unter Angabe der Aktenzeichen X B 113/24 und 5 K 1006/23 sowie des Streitgegenstandes "Einkommensteuer 2019" eine in weiten Teilen gleiche Beschwerdebegründung ein. Später erläuterten sie, dass sie irrtümlich im Schreiben vom 06.02.2025 das falsche BFH-Aktenzeichen angegeben hätten. Gemeint gewesen sei X B 114/24.

  12. Die Kläger machen in beiden Nichtzulassungsbeschwerden Verfahrensmängel geltend. Sie rügen zum einen die Verletzung rechtlichen Gehörs durch Erlass eines Prozess- statt eines Sachurteils wegen unrichtiger Anwendung der Präklusionsvorschriften. Die Richterin habe die Anordnung nicht mit vollständigem Namen und nicht elektronisch signiert. Zudem sei in dem Verfahren 5 K 1007/23 die Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung nach § 79b Abs. 3 FGO unverständlich. Sie rügen zum anderen Sachaufklärungsmängel, da die Angaben unstreitig oder die Fragen bis zur mündlichen Verhandlung aufklärbar gewesen seien und das FG auf etwaige Bedenken bereits vor der mündlichen Verhandlung hätte hinweisen müssen.

  13. Das FA tritt den Beschwerden entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Beschwerden haben Erfolg. Das FG hat rechtliches Gehör verletzt, indem es Prozessurteile erlassen hat statt Sachentscheidungen zu treffen. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Rechtsstreite zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

  2. 1. Beide Nichtzulassungsbeschwerden sind zulässig erhoben und fristgerecht innerhalb der um einen Monat verlängerten Frist nach § 116 Abs. 3 Satz 1, 4 FGO in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise begründet worden.

  3. a) Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Frist ist unabhängig von der Beschwerdefrist mit zwei Monaten ab Zustellung zu berechnen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16.10.2003 - XI B 95/02, BFHE 203, 407, BStBl II 2004, 26, unter II.2., und vom 07.01.2015 - V B 70/14, BFH/NV 2015, 516, Rz 9).

  4. Die Begründungsfrist kann ‑‑wie hier‑‑ auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO). Ob bei einer Fristverlängerung nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO eine Frist von insgesamt drei Monaten ab Zustellung zu berechnen ist oder ob, so wie es den die Frist verlängernden Schreiben des BFH zugrunde lag, die einmonatige Verlängerung an das Datum des Ablaufs der ursprünglichen zweimonatigen Frist anknüpft, lässt der Senat ausdrücklich offen. Abgesehen davon, dass den Klägern nach Erhalt eines entsprechenden Schreibens Vertrauensschutz zukommen dürfte, wären die jeweiligen Begründungsschriftsätze aber auch fristgerecht, wenn die nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO verlängerte Frist mit drei Monaten ab Zustellung zu berechnen wäre.

  5. aa) Soweit es das Verfahren X B 113/24 betrifft (Zustellung des FG-Urteils am 22.10.2024), wäre eine mit insgesamt drei Monaten berechnete Frist am 22.01.2025, einem Mittwoch, abgelaufen. An diesem Tag ist die Beschwerdebegründung eingegangen.

  6. bb) Soweit es das Verfahren X B 114/24 betrifft (Zustellung des FG-Urteils am 06.11.2024), wäre eine mit insgesamt drei Monaten berechnete Frist am 06.02.2025, einem Donnerstag, abgelaufen. Auch in diesem Verfahren haben die Kläger jedenfalls fristgerecht an diesem Tage die Beschwerdebegründung beim BFH eingereicht. Unschädlich ist, dass die Beschwerdebegründung das Aktenzeichen X B 113/24 auswies. Da sie daneben nicht nur das Aktenzeichen des FG-Urteils 5 K 1006/23 enthielt, sondern im Betreff auch auf die Einkommensteuer 2019 abstellte, war klar erkennbar, dass es sich um einen Irrtum und um die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Aktenzeichen X B 114/24 handelte. Das gilt erst recht, als die Begründung sich zum erheblichen Teil mit der bereits am 22.01.2025 in dem Verfahren X B 113/24 eingereichten Begründung deckt und für eine Wiederholung des bereits Vorgetragenen kein Anlass bestand.

  7. b) Die Kläger machen in ihren Beschwerdebegründungen geltend, das FG habe zu Unrecht durch Prozessurteil über ihre Klagen entschieden, und begründen dies knapp, aber deutlich. Damit machen sie gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, § 119 Nr. 3 FGO den Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) geltend. Dieser Vortrag genügt den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Ob etwaige Fehler bei der Beurteilung der Verzögerung im Sinne des § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO Sachaufklärungsmängel wären, ist nicht entscheidend.

  8. 2. Das FG hat zu Unrecht durch Prozessurteile entschieden.

  9. Ob das FG zum 15.08.2024 wirksame Fristen nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO (Ausschlussfrist) und nach § 79b Abs. 1 FGO gesetzt hat, lässt der Senat offen (unten a). Jedenfalls haben die Kläger innerhalb dieser Frist nicht nur den Gegenstand des Klagebegehrens im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ordnungsgemäß bezeichnet (unten b), sondern auch die erforderlichen Tatsachen im Sinne des § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO angegeben (unten c). Die Klagen sind auch nicht mangels Beschwer unzulässig (unten d).

  10. a) Der Senat lässt dahingestellt, ob die Fristen zum 15.08.2024, die bei fruchtlosem Verstreichen zur Unzulässigkeit der Klage hätten führen können, wirksam gesetzt wurden.

  11. aa) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage unter anderem den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Fehlt es daran, kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter dem Kläger nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO für die erforderliche Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Verstreicht die formal wirksam gesetzte Ausschlussfrist, ohne dass der Gegenstand des Klagebegehrens angegeben ist, wird die Klage unheilbar unzulässig (vgl. BFH-Beschluss vom 15.11.2021 - VIII B 2/21, BFH/NV 2022, 239, Rz 20).

  12. bb) Ferner kann nach § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO der Vorsitzende oder der Berichterstatter dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Nach § 79b Abs. 1 Satz 2 FGO kann diese Fristsetzung mit der Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO verbunden werden. Gemäß § 79b Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach § 79b Abs. 1 FGO gesetzten Frist vorgebracht werden, unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung eröffnet die Versäumung der Frist nach § 79b Abs. 1 FGO dem FG ebenfalls die Möglichkeit, die Klage als unzulässig zu behandeln (Senatsbeschlüsse vom 08.03.1995 - X B 243, 244/94, BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417, und vom 30.07.1998 - X B 23/98, BFH/NV 1999, 205; BFH-Beschlüsse vom 21.06.2002 - VII S 14/02 (PKH), BFH/NV 2002, 1465, und vom 28.06.2017 - III B 90/16, BFH/NV 2017, 1324, Rz 10).

  13. Die Frist nach § 79b Abs. 1 FGO ist von der Frist nach § 79b Abs. 2 FGO zu unterscheiden. Nach dieser Vorschrift kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen (Nr. 1) oder Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen oder elektronische Dokumente zu übermitteln (Nr. 2), soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist. Die Versäumung einer nach § 79b Abs. 2 FGO gesetzten Frist betrifft allein die Ebene der Begründetheit (vgl. Senatsbeschluss vom 30.07.1998 - X B 23/98, BFH/NV 1999, 205).

  14. cc) Das FG hat entsprechende Verfügungen mit Fristsetzungen gefertigt. Der Senat hegt aber Zweifel an der Wirksamkeit der Fristsetzungen, weil zwar die ersten Fristsetzungen, nicht aber die Fristverlängerungen durch den zuständigen Richter signiert und im Übrigen auch nicht zugestellt wurden.

  15. (1) Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO ist, dass die in der Gerichtsakte befindliche Urschrift der Verfügung vom zuständigen Berufsrichter mit vollem Namen (ohne Paraphe) unterschrieben ist und eine Abschrift förmlich zugestellt wird (BFH-Beschlüsse vom 25.01.2016 - VII B 97/15, BFH/NV 2016, 764, Rz 6, und vom 13.03.2024 - VIII B 129/22, BFH/NV 2024, 536, Rz 6). Im Fall der elektronischen Aktenführung ist das elektronische Dokument der richterlichen Verfügung über die Ausschlussfrist nach § 52a Abs. 7 Satz 1 FGO mit einer elektronischen Signatur an Stelle der Unterschrift des zuständigen Richters zu versehen (BFH-Urteil vom 10.07.2025 - III R 25/24, BFH/NV 2025, 1310, Rz 25, m.w.N.). Auch für die Fristen nach § 79b FGO gilt sowohl das Unterschriftserfordernis (BFH-Beschluss vom 09.07.2018 - VI B 113/17, BFH/NV 2018, 1153, Rz 6) als auch das Zustellerfordernis (BFH-Urteil vom 24.06.1999 - V R 1/99, BFH/NV 1999, 1616, unter II.3.). An die Stelle der manuellen Unterschrift tritt bei elektronischer Aktenführung ebenfalls die elektronische Signatur.

  16. (2) Zwar hatte die Berichterstatterin beim FG die ersten Fristsetzungen vom 26.06.2024 qualifiziert elektronisch signiert. Diese wurden auch zugestellt. Ob der sprachlich defekte Hinweis auf die Folgen der Fristversäumung für das Jahr 2020 zu einer Unwirksamkeit bereits der ersten Fristsetzung führt, erscheint dem Senat nicht zweifelsfrei.

  17. Über die Verlängerung der Fristen existieren nach Aktenlage aber nur einfache Verfügungen der Vorsitzenden, keine elektronischen Signaturen. Zustellungen wurden auch nicht bewirkt.

  18. b) Das FG hat zu Recht seine Entscheidung nicht darauf gestützt, dass die Fristen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO versäumt worden wären, denn das Klagebegehren war in beiden Verfahren bis zum 15.08.2024 bezeichnet.

  19. aa) Der Gegenstand des Klagebegehrens im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO kann bei Klagen, die Schätzungsbescheide betreffen, grundsätzlich durch Hinweis auf nach Erlass der angefochtenen Bescheide eingereichte Steuererklärungen bezeichnet werden. Der Kläger muss dabei deutlich erkennen lassen, dass er die Änderung des auf einer Schätzung beruhenden Steuerbescheids entsprechend seinen Angaben in den eingereichten Steuererklärungen begehrt (vgl. nur BFH-Urteil vom 17.02.2000 - I R 119/97, BFH/NV 2000, 972, unter II.3.b, m.w.N.). Ist bereits eine Steuererklärung eingereicht, genügt der Hinweis auf diese Steuererklärung, wenn das FA nicht in allen Punkten erklärungsgemäß veranlagt hat. Denselben Zweck erfüllt eine geänderte Steuererklärung. In beiden Fällen bekundet der Kläger, dass er die Veranlagung so begehrt wie es den in dieser jüngsten Steuererklärung angegebenen Besteuerungsgrundlagen im Einzelnen entspricht. Das ist ein klar definiertes Klagebegehren.

  20. bb) Für das Streitjahr 2020 hatten die Kläger am 15.08.2024 erstmals eine Steuererklärung eingereicht, womit sie das Klagebegehren bezeichnet haben. Für das Streitjahr 2019 ist zwar unklar, ob es sich um eine erstmalige Steuererklärung handelte. Die Einspruchsentscheidung sowie das Schreiben des FA vom 08.06.2022 sprechen dagegen. Im Ergebnis kommt es darauf nicht an, da die Kläger mit dieser Erklärung eine von der bisherigen abweichende Festsetzung begehrten.

  21. c) Beide Klagen sind auch nicht wegen fruchtlosen Ablaufs der Frist nach § 79b Abs. 1 FGO unzulässig. Mit der Abgabe der erstmaligen oder für das Jahr 2019 möglicherweise erneuerten oder geänderten Steuererklärung hatten die Kläger den Anforderungen auch des § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO genügt.

  22. aa) "Tatsachen" zur Beschwer im Sinne des § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO sind nicht schon durch die pauschale Benennung von Streitkomplexen angegeben, sondern erst, wenn dem FG so viele sachverhaltsmäßige Erläuterungen gegeben worden sind, dass es die Streitpunkte wenigstens in ihren Grundzügen erkennen kann. Das FG muss in die Lage versetzt werden, gegebenenfalls in der zweiten Stufe der Klagekonkretisierung nach § 79b Abs. 2 FGO bei "bestimmten Vorgängen" nähere Sachverhaltserläuterungen ‑‑durch nunmehr speziellere Tatsachenangaben‑‑ zu verlangen. Die Streitkomplexe müssen bis zur Erkennbarkeit "bestimmter Vorgänge" erläutert werden (Senatsbeschluss vom 08.03.1995 - X B 243, 244/94, BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417).

  23. (1) Die Abgabe einer ordnungsgemäßen Steuererklärung reicht nicht nur zur Bezeichnung des Klagebegehrens nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, sondern auch zur Bezeichnung der Beschwer im Sinne des § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO aus, wenn die angegebenen Besteuerungsgrundlagen von denen des angegriffenen Bescheids abweichen. Das gilt auch, wenn eine bereits abgegebene Steuererklärung wiederholt oder eine geänderte Steuererklärung eingereicht wird.

  24. Eine Steuererklärung geht über die lediglich pauschale Bezeichnung von Streitkomplexen hinaus. Dies ergibt sich bereits aus ihrer Rechtsnatur. Eine Steuererklärung ist eine formalisierte Auskunft des Steuerpflichtigen oder seines Vertreters, die dem FA die Festsetzung der Steuer oder die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ermöglichen soll und in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheids führt. Ein Steuerpflichtiger hat eine Steuererklärung ordnungsgemäß abgegeben, wenn er dem FA die gesetzlich formalisierte Auskunft über den Besteuerungstatbestand und seine Bemessungsgrundlage in einer Weise erteilt, dass dieses die Steuer festsetzen beziehungsweise die Besteuerungsgrundlagen feststellen kann (vgl. nur BFH-Beschluss vom 22.05.2006 - VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808, unter B.IV.2.b aa). Mit der Steuererklärung bringt der Kläger zum Ausdruck, dass er sich insoweit beschwert fühlt, als der angegriffene Bescheid von dem Inhalt der Steuererklärung abweicht. Das gilt unabhängig davon, wie viele einzelne Besteuerungsgrundlagen dies betrifft.

  25. (2) Die weitere Erläuterung und Vorlage von Nachweisen ist für die Angabe der Tatsachen, die die Beschwer im Sinne von § 79b Abs. 1 FGO begründen, nicht erforderlich. Es handelt sich vielmehr um Tatsachen, Beweismittel, Urkunden, bewegliche Sachen oder elektronische Dokumente, die Gegenstand einer Frist nach § 79b Abs. 2 FGO sein können.

  26. (3) Soweit das FG den Senatsbeschluss vom 08.03.1995 - X B 243, 244/94 (BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417) augenscheinlich weitergehend interpretiert hat, beruht dies auf einem Missverständnis.

  27. bb) Nach diesen Maßstäben hatten die Kläger in beiden Verfahren durch Einreichung von Steuererklärungen ihren Verpflichtungen aus § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO genügt. Darüber hinausgehende Anforderungen hätte das FG im weiteren Verlauf des Verfahrens möglicherweise zum Gegenstand einer Frist nach § 79b Abs. 2 FGO machen können, dies aber nicht getan.

  28. d) Die Klagen bezüglich der Einkommensteuerfestsetzungen 2019 und 2020 sind auch nicht deshalb wegen fehlender Beschwer unzulässig gewesen, weil die Probeberechnungen des FA höhere Einkommensteuern ergaben als mit den angefochtenen Bescheiden festgesetzt. In diesen Berechnungen fehlten eine Reihe von steuermindernden Positionen, die die Kläger geltend gemacht hatten, namentlich die wegen der Frage der Gewinnerzielungsabsicht streitigen Verluste des Klägers in Höhe von 18.005 € im Jahre 2019 und von 18.869 € im Jahre 2020 im Hinblick auf die Betriebsverpachtung mit der X UG (haftungsbeschränkt). Der Ansatz dieser Verluste zuzüglich der weiteren streitigen Aufwendungen hätte geringere Einkommensteuern in beiden Streitjahren zur Folge als bisher festgesetzt.

  29. 3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung hat der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

  30. 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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