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Beschluss vom 18. November 2025, VIII S 16/25

Zulässigkeit eines Antrags nach § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO

ECLI:DE:BFH:2025:B.181125.VIIIS16.25.0

BFH VIII. Senat

FGO § 86 Abs 3

Leitsätze

NV: Die Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs im In-Camera-Verfahren, dass das Finanzgericht (FG) die Entscheidungserheblichkeit der fraglichen Akten geprüft und bejaht hat, ist dann nicht gegeben, wenn das FG sich dahingehend einlässt, dass es die ‑‑vom Finanzamt konkret dargelegten‑‑ Verweigerungsgründe für naheliegend halte.

Tenor

Der Antrag des Klägers nach § 86 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung wird als unzulässig verworfen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten im finanzgerichtlichen Verfahren … um das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung.

  2. Das Finanzgericht (FG) hat mit Verfügung vom 03.03.2025 den Beklagten und Antragsgegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) aufgefordert, die Betriebsprüfungs(BP)-Akten beziehungsweise BP-Handakten der A Ltd. sowie der B GmbH für die Streitjahre vorzulegen. Nach erfolgter Akteneinsicht hat der Kläger und Antragsteller (Kläger) mit Schriftsatz vom 23.04.2025 beantragt, Akteneinsicht in folgende aus den BP-Akten ausgeheftete Blätter zu erhalten:BP-Akte A Ltd.: Bl. … bis …BP-Akte B GmbH: Bl. … bis … sowie … bis …

  3. Das FA hat mit Schreiben vom 28.05.2025 die Vorlage der benannten Aktenteile unter Verweis auf § 30 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) verweigert und wie folgt begründet: Bei den Bl. … bis … der BP-Akte A Ltd. handele es sich um umsatzsteuerliche Abfragen und einen Mietvertrag. Die Unterlagen seien für den Streitfall nicht relevant. Bei den Bl. … bis … der BP-Akte B GmbH handele es sich um Feststellungen der BP, die nur die B GmbH beträfen und nicht den Kläger. Zudem handele es sich um Lohnabrechnungen anderer, die für den Streitfall nicht relevant seien. Bei den Bl. … bis … der BP-Akte B GmbH handele es sich um eine Teilnehmerliste einer Firmenveranstaltung, die für den Streitfall nicht relevant sei.

  4. Mit Verfügung vom 03.06.2025 hat das FG dem Kläger mitgeteilt, dass das Gericht an die Weigerung des FA zur Vorlage der verbleibenden Aktenstücke gebunden sei, wobei es die Verweigerungsgründe für naheliegend halte. Sollte der Kläger seinen Antrag auf Akteneinsicht aufrechterhalten wollen, müsse er beim Bundesfinanzhof (BFH) einen Antrag nach § 86 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stellen. Mit Schreiben vom 03.07.2025 beantragte der vertretene Kläger gegenüber dem FG, die Sache gemäß § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO dem BFH mit dem Antrag zur Entscheidung vorzulegen, dass die Verweigerung der vollständigen Akteneinsicht nicht rechtmäßig sei. Das FG hat den Antrag des Klägers dem BFH vorgelegt.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Der Antrag nach § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Durchführung eines In-Camera-Verfahrens ist unzulässig.

  2. 1. a) Nach § 86 Abs. 1 FGO sind Behörden unter anderem zur Vorlage von Urkunden und Akten verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) geschützte Verhältnisse Dritter unbefugt offenbart werden. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift kann die Vorlage von Urkunden oder Akten verweigert werden, wenn die Vorgänge aus bestimmten Gründen geheim gehalten werden müssen. Der BFH stellt gemäß § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Antrag eines Beteiligten in den Fällen der Abs. 1 und 2 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten rechtmäßig ist.

  3. b) Der Antrag auf Durchführung eines In-Camera-Verfahrens ist ‑‑wie geschehen‑‑ nicht beim BFH, sondern beim FG als dem "Gericht der Hauptsache" zu stellen (§ 86 Abs. 3 Satz 2 FGO).

  4. c) Die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags nach § 86 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass das FG im finanzgerichtlichen Verfahren die Vorlage der betreffenden Unterlagen konkret angeordnet hatte und die ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Aufforderung nachzukommen (vgl. BFH-Beschluss vom 09.12.2020 - II S 11/20, BFH/NV 2021, 532, Rz 8, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind gegeben.

  5. d) Des Weiteren muss das FG die Entscheidungserheblichkeit der fraglichen Akten geprüft und bejaht haben (vgl. BFH-Beschluss vom 09.12.2020 - II S 11/20, BFH/NV 2021, 532, Rz 10, m.w.N.). Voraussetzung einer Feststellung im Sinne von § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO ist zudem, dass das FG, wenn es im Rahmen eines bei ihm anhängigen Verfahrens Steuerakten vom Finanzamt anfordert und diese nicht vollständig vorgelegt werden, weiterhin, das heißt auch noch zum Zeitpunkt der erstrebten Entscheidung des BFH, auf der lückenlosen Vorlage besteht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25.02.2014 - V B 60/12, BFHE 244, 234, BStBl II 2014, 478, Rz 6; vom 18.09.2007 - III S 31/07, BFH/NV 2008, 83, unter II.2.a).

  6. e) Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Das FG hat die Entscheidungserheblichkeit der Akten nicht bejaht oder offengelassen, sondern sich vielmehr dahingehend eingelassen, dass es die ‑‑vom FA konkret dargelegten‑‑ Verweigerungsgründe für naheliegend halte. Zudem hat das FG hiermit zu erkennen gegeben, dass es auf der lückenlosen Vorlage der streitigen Aktenbestandteile nicht weiter bestanden hat.

  7. 2. Einer Beiladung der obersten Aufsichtsbehörde nach § 86 Abs. 3 Satz 4 FGO bedarf es nicht, wenn ‑‑wie hier‑‑ der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO unzulässig ist und die Interessen der obersten Aufsichtsbehörde daher nicht betroffen sein können (vgl. BFH-Beschluss vom 09.12.2020 - II S 11/20, BFH/NV 2021, 532, Rz 12, m.w.N.).

  8. 3. Das Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO ist jedenfalls dann, wenn ‑‑wie hier‑‑ der Antrag erfolglos geblieben ist, ein unselbständiges Zwischenverfahren, so dass es keiner eigenständigen Kostenentscheidung bedarf (vgl. BFH-Beschluss vom 09.12.2020 - II S 11/20, BFH/NV 2021, 532, Rz 13, m.w.N.; Hartmann in Gosch, FGO § 86 Rz 66; a.A. noch BFH-Beschluss vom 15.10.2009 - X S 9/09, BFH/NV 2010, 54, für den Fall der Erledigung des Antragsverfahrens).

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