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Beschluss vom 04. Dezember 2025, V B 41/24

Ort der Lieferung bei Lieferung über ein im Inland befindliches Lager; Darlegung einer Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes durch unterlassene Beiladung

ECLI:DE:BFH:2025:B.041225.VB41.24.0

BFH V. Senat

UStG § 3 Abs 6, UStG § 6b, EGRL 112/2006 Art 32, EGRL 112/2006 Art 17a, FGO § 60 Abs 1, FGO § 60 Abs 3, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3, UStG VZ 2010

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 11. Juni 2024, Az: 6 K 1367/20

Leitsätze

1. NV: Es ist nicht klärungsbedürftig, dass auch unionsrechtlich für die Lieferortbestimmung nach Art. 32 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Erwerber bereits bei Beginn der Versendung feststehen muss.

2. NV: Wird im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde gerügt, eine unterlassene Beiladung verletze den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, ist darzulegen, inwieweit das Unterlassen einer Beiladung die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 11.06.2024 - 6 K 1367/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin der X, einer Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz im Königreich Spanien (Spanien) hatte. Die X stellte im Jahr 2010 (Streitjahr) in Spanien Gegenstände her und verkaufte sie über ein inländisches Lager an andere Unternehmer im Inland.

  2. Während die X davon ausging, dass sie eine in Spanien steuerbare, dort steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt habe und ihre beiden Abnehmer (B und F) die Gegenstände im Inland innergemeinschaftlich erworben hätten, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) nach einer Außenprüfung an, die X habe die Gegenstände in das inländische Lager innergemeinschaftlich verbracht. Die Umsatzsteuer auf den dadurch verwirklichten innergemeinschaftlichen Erwerb sei zwar als Vorsteuerbetrag abziehbar. Anschließend habe die X allerdings steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen an B und F im Inland ausgeführt.

  3. Das Finanzgericht (FG) wies die nach einem erfolglos gebliebenen Vorverfahren erhobene Klage unter Berufung auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20.10.2016 - V R 31/15 (BFHE 255, 550, BStBl II 2017, 1076) und vom 16.11.2016 - V R 1/16 (BFHE 256, 542, BStBl II 2017, 1079) mit der Begründung ab, dass bei Beginn der Beförderung in Spanien der konkrete Abnehmer in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) noch nicht festgestanden habe. Es habe zu diesem Zeitpunkt an einem bindenden Kaufvertrag über die zu befördernde Ware gefehlt. Die Revision ließ das FG nicht zu.

  4. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision, mit der sie als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) sowie Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend macht.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind teilweise bereits nicht im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

  2. 1. Im Streitfall ist die Revision nicht im Hinblick auf die erste, von der Klägerin formulierte Rechtsfrage zuzulassen.

  3. a) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, hat der Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen eine hinreichend bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu ist schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13.11.2019 - XI B 119/18, BFH/NV 2020, 367, Rz 8; vom 08.09.2020 - XI B 17/20, BFH/NV 2021, 185, Rz 9, und vom 30.05.2025 - V B 60/23, BFH/NV 2025, 1067, Rz 3). Ist zu einer Rechtsfrage bereits Rechtsprechung vorhanden, hat sich der Beschwerdeführer damit auseinanderzusetzen und zu erörtern, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist oder weshalb sie gegebenenfalls einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (BFH-Beschlüsse vom 31.08.2021 - XI B 33/21, BFH/NV 2022, 247, Rz 9; vom 29.03.2022 - XI B 72/21, BFH/NV 2022, 923, Rz 3, und vom 20.09.2024 - V B 15/23, BFH/NV 2024, 1424, Rz 3). Rechtsfragen, die sich nur stellen könnten, wenn von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird, können in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11.02.2020 - XI B 69, 70/19, BFH/NV 2020, 891, Rz 17; vom 03.02.2021 - XI B 45/20, BFH/NV 2021, 673, Rz 38). Ebenso führen Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13.03.2019 - XI B 97/18, BFH/NV 2019, 711, Rz 9; vom 13.11.2019 - XI B 119/18, BFH/NV 2020, 367, Rz 12, und vom 18.02.2025 - V B 54/23, BFH/NV 2025, 522, Rz 7).

  4. b) Die Klägerin hält es insoweit für grundsätzlich bedeutsam, ob Abnehmer im Sinne des § 3 Abs. 6 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nur sein kann, wer zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung eine bestimmte Anzahl an Waren verbindlich gekauft hat, ohne dass ihm das Recht zusteht, den Kaufvertrag einseitig anzupassen, was im Hinblick auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) X vom 18.11.2010 - C-84/09 (EU:C:2010:693) und Fonderie 2A vom 02.10.2014 - C-446/13 (EU:C:2014:2252) in einem Revisionsverfahren durch Vorlage an den EuGH zur Auslegung des Begriffs des Erwerbers im Sinne von Art. 32 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie ‑‑MwStSystRL‑‑) zu klären sei.

  5. c) Es ist ‑‑unabhängig von den an eine Erwerbereigenschaft zu stellenden Anforderungen‑‑ nicht klärungsbedürftig, dass auch unionsrechtlich für die Lieferortbestimmung nach Art. 32 MwStSystRL der Erwerber bereits bei Beginn der Versendung feststehen muss.

  6. aa) Soweit die Beschwerde für ihre Rechtsfrage auf die EuGH-Urteile X vom 18.11.2010 - C-84/09 (EU:C:2010:693) und Fonderie 2A vom 02.10.2014 - C-446/13 (EU:C:2014:2252) verweist, wonach es für eine innergemeinschaftliche Lieferung gegen Entgelt darauf ankomme, ob ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstandes und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Vorgangs gegeben sind, ergibt sich dies bereits aus dem vom EuGH verwendeten Begriff der Lieferung. Dieser erfordert nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Diese Übertragung muss vom Lieferer auf eine Person erfolgen, in der es sich nach der Begrifflichkeit des Art. 32 MwStSystRL um den Erwerber handelt, der in § 3 Abs. 1 und Abs. 6 UStG ohne inhaltliche Abweichung als Abnehmer bezeichnet wird. Verweist der EuGH auf einen Zusammenhang zwischen der Lieferung eines Gegenstandes und der Beförderung desselben Gegenstandes im Rahmen eines kontinuierlichen Ablaufs, muss es sich danach um eine Beförderung an diejenige Person handeln, die als Erwerber die Befähigung erhält, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, mithin um eine Beförderung an den Abnehmer. Steht der Abnehmer nicht fest, fehlt es demgegenüber an einem Zusammenhang zwischen Lieferung und Beförderung. Bestimmt die Beförderung nach Art. 32 MwStSystRL den Ort der Lieferung, muss die Person des Abnehmers zudem bereits zu Beginn der Beförderung feststehen. Da sich die Person des Abnehmers als Leistungsempfänger der Lieferung nach dem der Lieferung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis bestimmt (BFH-Urteil vom 10.12.2020 - V R 7/20, BFHE 272, 177, BStBl II 2022, 528, Rz 28), muss dementsprechend ein derartiges Rechtsverhältnis zu Beginn der Beförderung vorliegen, damit diese ortsbestimmend für die Lieferung sein kann. Dieses muss sich ‑‑entsprechend dem FG-Urteil auf Seite 20, dritter Absatz und entgegen der von der Klägerin vertretenen Rechtsauffassung‑‑ auch auf die Liefermenge beziehen.

  7. bb) Ebendies entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 06.12.2007 - V R 24/05, BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490, unter II.1.b; vom 30.07.2008 - XI R 67/07, BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, unter II.1.; vom 20.10.2016 - V R 31/15, BFHE 255, 550, BStBl II 2017, 1076, Rz 15; vom 16.11.2016 - V R 1/16, BFHE 256, 542, BStBl II 2017, 1079, Rz 23; vgl. auch BFH-Urteile vom 11.03.2020 - XI R 7/18, BFH/NV 2020, 1288, Rz 45, und vom 22.11.2023 - XI R 1/20, BFHE 283, 136, BStBl II 2024, 530, Rz 52), wonach für die Lieferortbestimmung nach § 3 Abs. 6 UStG der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststehen muss, was im Einklang mit Art. 32 MwStSystRL steht (BFH-Urteil vom 20.10.2016 - V R 31/15, BFHE 255, 550, BStBl II 2017, 1076, Rz 15).

  8. Soweit die Beschwerde hiergegen auf die EuGH-Urteile X vom 18.11.2010 - C-84/09 (EU:C:2010:693) und Fonderie 2A vom 02.10.2014 - C-446/13 (EU:C:2014:2252) verweist, hat der BFH diese Rechtsprechung bereits insoweit berücksichtigt, als ein danach für eine Versendungs- oder Beförderungslieferung erforderlicher zeitlicher und sachlicher Zusammenhang als kontinuierlicher Ablauf durch eine von vornherein nur vorübergehende Einlagerung auf kurze Zeit nicht beeinträchtigt wird (BFH-Urteile vom 20.10.2016 - V R 31/15, BFHE 255, 550, BStBl II 2017, 1076, Rz 20; vom 16.11.2016 - V R 1/16, BFHE 256, 542, BStBl II 2017, 1079, Rz 25; vgl. auch BFH-Urteil vom 11.03.2020 - XI R 7/18, BFH/NV 2020, 1288, Rz 45). Die Beschwerde legt im Übrigen auch nicht dar, ob und gegebenenfalls welche Kritik an dieser BFH-Rechtsprechung im Schrifttum geübt wird.

  9. cc) Bestätigt wird die Beurteilung durch das FG zudem durch die erst nach dem Streitjahr in Kraft getretene Neuregelung des Art. 17a MwStSystRL (§ 6b UStG). Nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/1910 des Rates vom 04.12.2018 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems zur Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union 2018, Nr. L 311, 3) bezieht sich die Neuregelung auf einen Sachverhalt, bei dem ‑‑wie im Streitfall‑‑ zum Zeitpunkt der Beförderung der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat der Lieferer bereits die Identität des Erwerbers kennt, an den diese Gegenstände zu einem späteren Zeitpunkt und nach ihrer Ankunft im Bestimmungsmitgliedstaat geliefert werden, aber dies derzeit "zu einer angenommenen Lieferung (im Abgangsmitgliedstaat der Gegenstände) und einem angenommenen innergemeinschaftlichen Erwerb (im Ankunftsmitgliedstaat der Gegenstände), gefolgt von einer 'inländischen' Lieferung im Ankunftsmitgliedstaat" führt, und "erfordert, dass der Lieferer in diesem Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke registriert ist". Die Auffassung des FG entspricht der dort niedergelegten Auffassung des Unionsgesetzgebers, was mit der Beschwerde nicht angesprochen wird.

  10. dd) Im Übrigen geht die Beschwerde nicht der Frage nach, ob ‑‑abweichend von der Auffassung des FG (Urteil S. 21 f.)‑‑ im Hinblick auf das Kriterium der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität (z.B. EuGH-Urteil Apcoa Parking Danmark vom 20.01.2022 - C-90/20, EU:C:2022:37, Rz 38) auch ein "faktisches" Feststehen des Abnehmers in Betracht zu ziehen sein kann (vgl. BFH-Urteile vom 06.12.2007 - V R 24/05, BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490, unter II.1.b; vom 30.07.2008 - XI R 67/07, BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, unter II.1.; vom 20.10.2016 - V R 31/15, BFHE 255, 550, BStBl II 2017, 1076, Rz 15; vom 16.11.2016 - V R 1/16, BFHE 256, 542, BStBl II 2017, 1079, Rz 23 und 24; Heuermann in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 3 Rz 461; Wäger, UStG, 3. Aufl., § 3 Rz 360 zur Lieferung über ein Konsignationslager und zur Neuregelung des § 6b UStG).

  11. d) Zudem fehlt es an Darlegungen, weshalb diese Rechtsfrage im Streitfall klärbar sein soll.

  12. Dessen hätte es schon deshalb bedurft, weil die in der aufgeworfenen Rechtsfrage enthaltene Annahme der Klägerin, dass B und F zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung eine bestimmte Anzahl an Waren verbindlich gekauft hätten, ohne dass ihnen das Recht zugestanden habe, den Kaufvertrag einseitig anzupassen, von den tatsächlichen Feststellungen des FG abweicht. Denn das FG hat auf den Seiten 20 ff. seines Urteils angenommen, dass zwar mit beiden Abnehmern Verträge abgeschlossen wurden, welche die Lieferbeziehungen für bestimmte Gegenstände regelten. Diese vertraglichen Vereinbarungen hätten aber keine konkreten Liefermengen für bestimmte Liefertermine enthalten, sondern nur auf am voraussichtlichen Bedarf bemessene Lieferabrufe verwiesen. Damit habe es bei beiden Abnehmern jeweils an einer vor Beginn der Versendung erfolgten verbindlichen Festlegung auf die Abnahme einer bestimmten Anzahl von Gegenständen gefehlt.

  13. e) Anhaltspunkte dafür, dass die Beurteilung nach dem nationalen Recht von der in Spanien abweicht, da dort von einer entgeltlichen Lieferung anstelle eines innergemeinschaftlichen Verbringens ausgegangen wird, was ebenfalls zu einer Vorlagepflicht führen könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 23.08.2023 - XI R 10/20, BFHE 282, 113, BStBl II 2024, 302, Rz 68; EuGH-Urteile Marcandi vom 05.07.2018 - C-544/16, EU:C:2018:540, Tenor Ziff. 3 und Rz 63 ff.; DuoDecad vom 16.06.2022 - C-596/20, EU:C:2022:474, Rz 35 ff.), sind weder ersichtlich noch dargelegt.

  14. 2. Soweit die Klägerin mit ihrer zweiten Frage eine Vorlagepflicht an den EuGH daraus ableitet, dass der BFH zwar eine notwendige Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) in ständiger Rechtsprechung verneine, aber bisher die Frage, ob der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz bei unionsrechtlich vorgeprägten Sachverhalten (etwa der Anwendung von Gesetzen, die eine Richtlinie umsetzen) nicht eine andere Auslegung erfordere, nicht erörtert habe, fehlt es gleichfalls an hinreichenden Darlegungen.

  15. a) Die Beschwerde macht geltend, die Mitgliedstaaten müssten bei der Durchführung des Unionsrechts die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz beachten. Gerade das Mehrwertsteuerrecht der Union müsse effektiv durchgesetzt werden und nationale Gerichtsverfahren dürften nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräume, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Dabei seien die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde lägen, wie zum Beispiel der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens. Die innergemeinschaftliche Lieferung eines Gegenstandes und sein innergemeinschaftlicher Erwerb seien in Wirklichkeit ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang, so dass Art. 20 Abs. 1 und Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL so auszulegen seien, dass sie dieselbe Bedeutung und dieselbe Reichweite haben. Da die einfache Beiladung in das Ermessen des Gerichts gestellt sei, biete sie nicht die gleiche Sicherheit für die effektive Anwendung des Unionsrechts wie die notwendige Beiladung. Da die Frage, welche Auswirkungen der Effektivitätsgrundsatz auf § 60 Abs. 3 FGO habe, nicht schon einmal Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH gewesen sei, keine gesicherte Rechtsprechung des EuGH existiere, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst sei, kein acte clair vorliege und kein anderes nationales Gericht die Rechtsfrage in demselben nationalen Rechtsstreit vorgelegt habe, lägen die weiteren Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH vor.

  16. b) Insoweit ist allerdings von der Klägerin bereits nicht hinreichend dargelegt, inwieweit das Unterlassen einer (aus Sicht der Klägerin notwendigen) Beiladung von B und F der Klägerin die Ausübung ihrer Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren würde. Die Klägerin hat deren Beiladung nicht beantragt. Die Entscheidung im Rechtsstreit des leistenden Unternehmers, der ‑‑wie hier‑‑ die Steuerfreiheit der in Rede stehenden Lieferung begehrt, gestaltet außerdem nicht selbst unmittelbar die Rechtsverhältnisse des Leistungsempfängers (vgl. BFH-Beschluss vom 22.11.2023 - XI R 1/20, BFHE 283, 136, BStBl II 2024, 530, Rz 25; BFH-Urteil vom 10.12.1998 - V R 58/97, BFH/NV 1999, 987, unter II.3.). Welche Vorteile die Beiladung von B und F für die Klägerin hätte und inwieweit ihr deren Beiladung die Durchsetzung ihrer Rechte erst ermöglichen oder erleichtern würde (und warum sie sie gleichwohl nicht beantragt hat), legt die Beschwerde nicht dar.

  17. 3. Falls die Beschwerde so zu verstehen sein sollte, dass konkludent eine Divergenz zu den von der Klägerin zitierten EuGH-Urteilen X vom 18.11.2010 - C-84/09 (EU:C:2010:693) und Fonderie 2A vom 02.10.2014 - C-446/13 (EU:C:2014:2252) oder anderen Entscheidungen geltend gemacht werden soll, hat die Klägerin nicht ‑‑wie erforderlich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20.09.2024 - V B 15/23, BFH/NV 2024, 1424, Rz 14; vom 14.05.2025 - XI B 77/24, BFH/NV 2025, 1061, Rz 8)‑‑ einen tragenden abstrakten Rechtssatz des angefochtenen Urteils einerseits sowie einen tragenden abstrakten Rechtssatz der angeblichen Divergenzentscheidungen andererseits herausgearbeitet und so gegenübergestellt, dass eine Abweichung erkennbar wird. Auch dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, hat die Klägerin nicht dargelegt.

  18. 4. Die gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

  19. a) Aus der Rüge, das FG habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, indem es die vermeintliche Einschätzung eines Abnehmers in einem Schreiben an die Steuerfahndung vom 20.10.2015 übernommen habe, ohne die für die Auskunft verantwortlichen Personen H und M (beide Mitarbeiter des steuerlichen Beraters des Abnehmers) in der mündlichen Verhandlung als Zeugen zu befragen, ergibt sich kein Verstoß der Vorinstanz gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO.

  20. aa) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung. Es kann insbesondere Augenschein einnehmen, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernehmen und Urkunden heranziehen (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO).

  21. Beweisbedürftig sind Tatsachen, aber nicht Werturteile oder rechtliche Schlussfolgerungen (vgl. Krumm in Tipke/Kruse, § 91 FGO Rz 5; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 91 FGO Rz 12; s.a. BFH-Urteil vom 23.10.2014 - V R 23/13, BFHE 247, 480, BStBl II 2015, 313, Rz 29; BFH-Beschluss vom 31.01.2008 - VII B 88/07, BFH/NV 2008, 991, unter 6.).

  22. bb) Danach liegt keine Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor.

  23. Bei ihrer Rüge berücksichtigt die Beschwerde nicht, dass das FG den Inhalt der Behördenakten berücksichtigen darf und muss (vgl. BFH-Beschluss vom 05.08.2022 - VI B 65/21, BFH/NV 2022, 1185, Rz 7 f.). Es durfte und musste daher den Inhalt des Schreibens zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen.

  24. Mit ihrem Vortrag bestreitet die Klägerin auch nicht die Tatsache, dass die vom FG in seinem Urteil zitierten Ausführungen in dem Schreiben an die Steuerfahndung enthalten sind, sondern beanstandet die Schlussfolgerung des FG, dass die rechtliche Auffassung, die der Abnehmer darin geäußert hat, tatsächlich rechtlich zutreffend sei. Im Kern richtet sich das Vorbringen der Klägerin daher gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das FG, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist und der Prüfung des BFH als Verfahrensfehler im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich entzogen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 09.09.2013 - III B 26/13, BFH/NV 2014, 46; vom 31.01.2019 - VIII B 41/18, BFH/NV 2019, 702).

  25. cc) Im Hinblick darauf, dass die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ein verzichtbarer Verfahrensmangel ist (vgl. BFH-Beschluss vom 18.10.2023 - XI R 22/20, BFH/NV 2024, 182, Rz 26), legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, warum sie insoweit ihr Rügerecht nicht verloren hat.

  26. Die Klägerin trägt zwar vor, dieser Verfahrensfehler sei für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen. Woraus sich die mangelnde Vorhersehbarkeit ergeben soll, erläutert sie allerdings nicht. Die Klägerin konnte erkennen, dass das FG keine Zeugen geladen hatte. Außerdem war die Frage, ob bei Beginn der Beförderung die Abnehmer feststanden, eine der streitigen Kernfragen des Verfahrens. Inwiefern es für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen sein soll, dass sich das FG der Auffassung des FA und des Abnehmers (vertreten durch seine steuerlichen Berater), es habe zu diesem Zeitpunkt noch keine verbindliche Bestellung vorgelegen, anschließen könnte, ist nicht erkennbar.

  27. Gleichwohl hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls nicht beantragt, H und M als Zeugen zu vernehmen, und nicht gerügt, dass das FG die beiden Personen nicht als Zeugen hört, wobei für den Senat aus dem Vortrag der Klägerin auch nicht erkennbar ist, zu welchen Tatsachen (nicht Rechtsfragen) sie hätten unmittelbar gehört werden sollen.

  28. b) Als ebenfalls nicht durchgreifend erweist sich die Rüge, aufgrund der Übernahme der rechtlichen Beurteilung der Abnehmer sei die Entscheidung des FG nicht mit Gründen versehen.

  29. aa) An dieser Rüge ist zwar im Ausgangspunkt richtig, dass das FG die relevanten Rechtsfragen des nationalen Rechts selbst entscheiden muss. Rechtliche Schlussfolgerungen, die nicht ausländisches Recht betreffen, sind nicht beweisbedürftig, so dass das FG selbst begründen musste, warum es davon ausgeht, dass nach den geschlossenen Vereinbarungen der X mit B und F die Abnehmer zu Beginn der Beförderung noch nicht feststanden. Allein der Umstand, dass ein Vertragspartner der X angegeben hat, er habe aus seiner Sicht zunächst noch keine verbindliche Bestellung vorgenommen, bedeutet nicht, dass dessen Einschätzung objektiv rechtlich zutreffend wäre.

  30. bb) Soweit die Klägerin allerdings daraus in Bezug auf die Subsumtion des FG ableitet, das FG habe seine Auffassung, dass es bei Beginn der Versendung nach Deutschland an einem rechtsgeschäftlich verbindlich feststehenden Abnehmer gefehlt habe, unter Verstoß gegen die Begründungspflicht (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO) nicht begründet, trifft dies nicht zu.

  31. (1) Das FG muss nicht auf alle Einzelheiten des Sachverhalts und auf jede von den Beteiligten angestellte Erwägung näher eingehen (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.2018 - XI R 32/17, BFH/NV 2019, 280, Rz 22; BFH-Beschluss vom 28.08.2023 - V B 44/22, BFHE 282, 67, Rz 11). Eine zu kurze, lücken- oder fehlerhafte Urteilsbegründung ist kein Verfahrensfehler im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 6 FGO (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 10.01.2024 - XI B 13/22, BFH/NV 2024, 401, Rz 14; vom 13.08.2024 - VIII B 59/23, BFH/NV 2024, 1327, Rz 17). Nicht ausreichend für einen Verfahrensfehler ist auch, dass die Urteilsbegründung nicht den Erwartungen eines Beteiligten entspricht, (aus seiner Sicht) nicht überzeugend oder äußerst knapp gehalten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11.12.2013 - XI B 33/13, BFH/NV 2014, 714, Rz 17; vom 26.11.2024 - VIII B 79/23, BFH/NV 2025, 176, Rz 32). Es liegt kein Verfahrensfehler vor, wenn noch zu erkennen ist, welche Feststellungen und Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 21.07.2017 - X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447; vom 17.08.2020 - II B 32/20, BFH/NV 2021, 31, Rz 11; vom 23.03.2021 - XI B 69/20, BFH/NV 2021, 1108, Rz 34; vom 28.04.2025 - V B 1/24, BFH/NV 2025, 1048, Rz 13).

  32. (2) Danach hat das FG seine Begründungspflicht nicht verletzt. Die tatsächliche Würdigung des FG beruht insoweit nicht nur auf dem Schreiben vom 20.10.2015, sondern auf weiteren, vom FG im Tatbestand seines Urteils wiedergegebenen Feststellungen zum Inhalt der Verträge und der "…", die erst ein bis zwei Tage vorher an die Klägerin übermittelt wurden. Dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Abnehmer nur aus eigenen wirtschaftlichen Interessen keine verbindlichen Bestellungen einräumen wollten, wie die Klägerin geltend macht, bestätigt eher die Richtigkeit der Auffassung des FG und widerspricht ihr jedenfalls nicht. Dass das FG erst die Lieferabrufe der Abnehmer als insoweit maßgeblich angesehen hat, entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. BFH-Urteil vom 20.10.2016 - V R 31/15, BFHE 255, 550, BStBl II 2017, 1076, Rz 23 und Rz 3). Aus diesem Grund scheidet im Übrigen auch das Vorliegen eines qualifizierten Rechtsfehlers, der zur Zulassung der Revision führen könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 07.04.2025 - V B 7/24, BFH/NV 2025, 710, Rz 32 ff.), aus.

  33. cc) Dass die Auffassung des Abnehmers (zunächst) widersprüchlich war, weil er einerseits von unverbindlichen Bestellungen ausging und andererseits die Einstufung als innergemeinschaftliche Lieferungen an ihn zunächst für zutreffend erachtete, mag zutreffen, stellt aber keinen Verfahrensfehler des FG dar. Die ggf. bestehende anfängliche Widersprüchlichkeit mag dazu geführt haben, dass der Abnehmer diesen Widerspruch, nachdem er ihn erkannt hatte, dadurch beseitigt hat, dass er ab Mai 2010 die Lieferungen an ihn, den Abnehmer, als steuerpflichtig ansah, entsprechende Gutschriften erteilte und die Klägerin entsprechende Steuererklärungen abgab (FG-Urteil, S. 6 oben). Welcher entscheidungserhebliche Unterschied ab Mai 2010 aus Sicht der Klägerin insoweit bestehen soll, ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht, so dass sich auch die Klägerin widersprüchlich verhält, wenn sie für die Zeit bis einschließlich April 2010 als unrichtig ansieht, was sie seit Mai 2010 selbst so erklärt hat.

  34. 5. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne weitere Begründung und ohne weitergehende Darstellung des Sachverhalts.

  35. 6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

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