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Beschluss vom 19. Mai 2025, VII R 12/23

Tarifierung von Fettsäureethylester aus Fischöl

ECLI:DE:BFH:2025:B.190525.VIIR12.23.0

BFH VII. Senat

KN Pos 1516, KN Kap 38 Anm 1 Buchst b, AEUV Art 267 Abs 3, KN Pos 2106 UPos 9092

vorgehend FG Hamburg, 03. Januar 2022, Az: 4 K 40/18

Leitsätze

1. NV: Eine Ware, die überwiegend aus Fettsäureethylestern besteht, kann nicht als "Fett oder Öl" im Sinne der Pos. 1516 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht werden. Die Pos. 1516 KN setzt voraus, dass es sich ‑‑auch nach einer Um- oder Wiederveresterung‑‑ um Triglyceride, das heißt Ester von Glycerin mit Fettsäuren, handelt (Anschluss an Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022).

2. NV: Fettsäureethylester, die aus tierischem Fett (hier: Fischöl) durch Veresterung mit Ethanol gewonnen wurden, sind in Pos. 2106 KN einzureihen, sofern die Ware objektiv als zur Verwendung in der Herstellung von Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln geeignete Zubereitung zu beurteilen ist.

3. NV: Eine Darreichungsform in Gestalt von Kapseln ist keine Voraussetzung für die Einreihung in Pos. 2106 KN. Das EuGH-Urteil Swiss Caps vom 17.12.2009 - C-410/08 bis C-412/08, EU:C:2009:794 stellt lediglich auf die Verkapselung als ein mögliches Indiz für die Zweckbestimmung ab, nicht als zwingendes Merkmal.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 03.01.2022 - 4 K 40/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich gegen die Erhebung von Zöllen auf die Einfuhr von aus Fischöl gewonnenem Fettsäureethylester.

  2. Am 18.06.2015 meldete die Klägerin … Fässer eines als "Fischöl Omega-3 [K]onzentrat genießbar" bezeichneten Erzeugnisses chilenischen Ursprungs als "tierische Fette und Öle" der Unterpos. 1516 10 90 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) setzte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 23.06.2015 zunächst nicht abschließend einen Präferenzzoll von 0 € fest und ordnete eine Beschaffenheitsbeschau an.

  3. Bei der Einfuhrware handelte es sich um eine klare, hellgelbe, ölige Flüssigkeit, die zu mindestens 93 % aus Ethylestern bestand. Die übrigen Bestandteile umfassten Oligomere, Partialglyceride und weniger als 1 % des Antioxidationsmittels Tocopherol. Die Ware wurde als Rohstoff für Nahrungsergänzungsmittel, kosmetische Produkte sowie in geringem Umfang zur Herstellung von Tiernahrung verwendet.

  4. Die Gewinnung der Ware erfolgte in der Republik Chile (Chile) aus Fischöl, das in seiner natürlichen Form überwiegend aus Triglyceriden (mit dreiwertigem Alkohol veresterte Fettsäuren) besteht. Im Herstellungsprozess wurde das Fischöl zunächst raffiniert, um unerwünschte Gerüche und Verunreinigungen zu entfernen, und anschließend entfärbt. Zur Fraktionierung nach dem Omega-3-Fettsäuregehalt erfolgte eine Umesterung zu Ethylestern. Diese wurde entweder in einem Schritt durch die Reaktion mit Ethanol und einem nicht-organischen Katalysator oder in zwei Schritten durch Spaltung der Triglyceride in freie Fettsäuren und deren erneute Veresterung mit Ethanol durchgeführt. Nach anschließender Fraktionierung wurden die Omega-3-reichen Ethylester isoliert und mit Tocopherol als Antioxidationsmittel versetzt.

  5. Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung (BWZ) kam nach Untersuchung einer Warenprobe zu dem Ergebnis, dass die Ware nicht in Kap. 15 KN einzureihen sei, da sie nicht aus Triglyceriden, sondern aus Fettsäureethylestern bestehe. Die Einfuhrware sei kein chemisch umgewandeltes Fischöl der Pos. 1516 KN, sondern aufgrund ihrer Verwendung als sonstige Lebensmittelzubereitung der Unterpos. 2106 90 92 KN zuzuordnen.

  6. Auf dieser Grundlage und in der Begründung gestützt auf Art. 220 des Zollkodex (ZK) setzte das HZA mit Einfuhrabgabenbescheid vom 13.01.2016 Zoll in Höhe von … € fest und legte der Abgabenberechnung einen Präferenzzollsatz von 8,9 % zugrunde. Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und berief sich auf eine chilenische Zolltarifauskunft vom xx.xx.2013, in der eine vergleichbare Ware in Kap. 15 KN eingereiht worden war. Die Klägerin argumentierte, dass die Einfuhrware unter die Pos. 1516 KN falle, da eine Um- oder Wiederveresterung der Einreihung nicht entgegenstehe. Die Beschränkung der Pos. 1516 KN auf Triglyceride sei aus dem Wortlaut nicht ableitbar.

  7. Die Klägerin widersprach zudem der Einreihung in die Pos. 2106 KN mit der Begründung, dass die Ware zwar hierfür tauglich, aber nicht spezifisch zur menschlichen Ernährung bestimmt sei, sondern als Rohstoff für verschiedene Anwendungen diene. Sie werde überwiegend zur Herstellung pharmazeutischer Produkte verwendet; die Einreihung in die Pos. 2106 KN setze eine eindeutige Bestimmung als Lebensmittelzubereitung voraus.

  8. Hilfsweise machte die Klägerin geltend, dass die Ware in die Unterpos. 3824 90 92 KN für chemische Erzeugnisse einzureihen sei. Die Ware sei kein "Stoff mit Nährwert, von der zum Zubereiten von Lebensmitteln für die menschliche Ernährung verwendeten Art", sodass die Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 38 KN nicht anwendbar sei. Sie verwies zudem auf eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) vom xx.xx.2014, die ein Omega-3-Fettsäuregemisch der Unterpos. 3823 19 10 KN zugeordnet hatte.

  9. Ferner machte die Klägerin geltend, dass sie gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK Vertrauensschutz genieße, da das HZA frühere vergleichbare Zollanmeldungen geprüft und widerspruchslos akzeptiert habe. In den Transport- und Handelsunterlagen sei die Beschaffenheit der Ware (Ethylester) erkennbar gewesen und die Klägerin habe keinen Anlass gehabt, an der bisherigen Tarifierung zu zweifeln.

  10. Mit Einspruchsentscheidung vom 05.03.2018 wies das HZA den Einspruch als unbegründet zurück. Es führte aus, dass die Ware nicht unter die Pos. 1516 KN falle, da sie keine Triglyceride enthalte. Alle Waren des Kap. 15 KN seien Ester von Glycerin mit Fettsäuren (Triglyceride), mit Ausnahme von Walrat und Jojobaöl. Die Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Pos. 1516 würden zur Erklärung der Begriffe "umgeesterte und wiederveresterte" Fette und Öle ausschließlich auf Triglyceride Bezug nehmen. Die benannte chilenische Zolltarifauskunft beziehe sich ebenfalls auf eine aus Triglyceriden bestehende Ware. Die Ware sei mangels Triglyceridstruktur auch kein chemisch modifiziertes Öl der Pos. 1518 KN. Aufgrund ihrer Zusammensetzung als genießbare Fettsäureethylester und ihrer potentiellen Verwendung zur Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln sei sie in die Pos. 2106 KN einzureihen. Die Pos. 3824 KN sei nach Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 38 KN ausgeschlossen.

  11. Die Klägerin erhob fristgerecht Klage vor dem Finanzgericht (FG). Sie machte ergänzend geltend, dass die Rechtbank Noord-Holland mit Urteil vom 03.12.2018 - HAA 17/904 eine vergleichbare Waren betreffende niederländische vZTA aufgehoben und die Ware in die Pos. 1516 KN eingereiht habe. Zudem sei die Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 der Kommission vom 24.09.2019 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2019, Nr. L 251, 1) ‑‑Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661‑‑, mit der die europäische Kommission vergleichbare Waren in die Pos. 2106 KN eingereiht habe, zeitlich nicht anwendbar und zudem rechtswidrig, da sie den Wortlaut der Pos. 1516 KN unzulässig einschränke.

  12. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Einfuhrware nicht unter die Pos. 1516 KN falle, da sie keine Triglyceride enthalte. Fette und Öle würden chemisch als Triglyceride definiert. Ethylester seien chemisch demgegenüber keine Fette und Öle. Die Ware sei vielmehr als Lebensmittelzubereitung in die Unterpos. 2106 90 92 KN einzureihen, da sie grundsätzlich zur menschlichen Ernährung geeignet sei. Die Pos. 3824 KN sei aufgrund der Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 38 KN ausgeschlossen. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin im Streitfall nicht berufen, da das HZA die ursprünglichen Zollanmeldungen ausdrücklich nicht abschließend geprüft habe.

  13. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihre Argumentation, dass Kap. 15 KN die vom HZA behauptete Beschränkung auf Triglyceride nicht enthalte und somit die Einfuhrware als umgeesterte oder wiederveresterte Ware ‑‑im dortigen Positionswortlaut ausdrücklich vorgesehene chemische Verarbeitungsschritte‑‑ von der Pos. 1516 KN erfasst sei. Die eingeführte Ware basiere auf Fischöl und damit einem Fett oder Öl im Sinne von ErlHS 14.0 zu Kap. 15. Die in der Pos. 1516 KN genannten chemischen Vorgänge sowohl der Wiederveresterung als auch der Umesterung beschrieben zutreffend das Verfahren zur Herstellung der streitgegenständlichen Waren. Die Ester der Fischöle in Form der Triglyceride würden unter Verwendung von Alkohol und einem nicht-organischen Katalysator zu Ethylestern umgewandelt. Eine Wiederveresterung beschreibe den Vorgang der Veresterung im Hinblick auf solche Stoffe, die bereits zuvor als Ester vorgelegen hätten. Die von der Vorinstanz herangezogene Auslegung, wonach am Ende eines solchen Herstellungsprozesses erneut Triglyceride vorliegen müssten, sei nicht mit dem Wortlaut der Kombinierten Nomenklatur ‑‑dessen Reichweite durch die Erläuterungen sowohl zum Harmonisierten System als auch zur Kombinierten Nomenklatur nicht eingeschränkt werden dürfte‑‑ vereinbar. Denn dieser spreche nicht nur die Fette und Öle selbst, sondern auch die Erzeugnisse an, die aus den vorgenannten physikalischen und chemischen Verfahren resultierten.

  14. Ferner widerspricht die Klägerin der Einreihung in die Pos. 2106 KN, da es sich bei Omega-3-Fettsäureethylester nicht um eine Lebensmittelzubereitung, sondern um einen industriellen Rohstoff handle, der nicht eindeutig zur menschlichen Ernährung bestimmt, sondern für mehrere Verwendungszwecke offen sei. Sie verweist auf das Fehlen einer dosierten Aufmachung (Versand als Bulkware in Fässern) und die fehlende konkrete Zweckbestimmung zum Zeitpunkt der Einfuhr.

  15. Hilfsweise regt sie eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an.

  16. Die Klägerin beantragt,

            

    1.    

    das FG-Urteil vom 03.01.2022 - 4 K 40/18 aufzuheben;

            

    2.    

    das HZA zu verurteilen, den Einfuhrabgabenbescheid vom 13.01.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2018 dahingehend abzuändern, dass die Einfuhrabgaben auf 0 € festgesetzt werden;

            

    3.    

    hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen;

            

    4.    

    dem HZA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

  17. Das HZA beantragt sinngemäß,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

  18. Es schließt sich den Ausführungen des FG an.

  19. Nachdem der EuGH während der Anhängigkeit des vorliegenden Revisionsverfahrens mit Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022 entschieden hatte, dass Fischöl, das in Form von Ethylestern vorliegt und durch Veresterung von Fettsäuren mit Ethanol gewonnen wurde, nicht unter die Pos. 1516 KN i.d.F. der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602 der Kommission vom 11.10.2018 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABlEU 2018, Nr. L 273, 1) fällt und dass keine Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 bestehen, hat das HZA sein Vorbringen dahingehend ergänzt, dass dieses Ergebnis der vom FG vertretenen Einreihungsauffassung entspreche.

  20. Die Klägerin ist dem entgegengetreten und hält an ihrer Revisionsbegründung fest. Die in dem EuGH-Verfahren Golden Omega C-388/23 streitgegenständliche Ware ("Fish Oil EE 1050") unterscheide sich sowohl in ihrer chemischen Zusammensetzung (insbesondere hinsichtlich der Anteile der Fettsäuren Eicosapentaensäure ‑‑EPA‑‑ und Docosahexaensäure ‑‑DHA‑‑) als auch im Herstellungsprozess von der hier streitgegenständlichen Ware ("…").

Entscheidungsgründe

II.

  1. 1. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Der Senat hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 09.04.2025 unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

  2. 2. Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das angefochtene Urteil des FG entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das HZA hat die streitgegenständliche Ware zutreffend in die Pos. 2106 KN, Codenummer 2106 90 92 60 9 eingereiht und anknüpfend an diese Tarifierung den streitgegenständlichen Präferenzzoll in Höhe von 8,9 % erhoben. Die Ware fällt nicht unter die Pos. 1516 KN. Denn sie besteht aus Fettsäureethylestern und nicht aus Triglyceriden. Vertrauensschutz steht der Nacherhebung nicht entgegen.

  3. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Einfuhrabgabenbescheids ist Art. 201 Abs. 1 Buchst. a ZK i.V.m. der Verordnung (EU) Nr. 978/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 732/2008 des Rates (ABlEU 2012, Nr. L 303, 1) ‑‑Verordnung (EU) Nr. 978/2012‑‑.

  4. aa) Die Zollschuld ist gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a ZK durch die Überführung der Ware in den zollrechtlich freien Verkehr entstanden. Da die streitgegenständliche Einfuhr vor dem 01.05.2016 erfolgte, richtet sich die Festsetzung der Zollschuld nach den materiellrechtlichen Vorschriften des Zollkodex und nicht nach denen des Zollkodex der Union (vgl. zur zeitlichen Abgrenzung Senatsurteil vom 19.10.2021 - VII R 27/19, Rz 15). Entgegen der Angabe im angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid vom 13.01.2016 liegt kein Fall der nachträglichen buchmäßigen Erfassung gemäß Art. 220 ZK vor, da die ursprüngliche Abgabenfestsetzung im Einfuhrabgabenbescheid vom 23.06.2015 nicht abschließend erfolgte, sondern angesichts der ausstehenden Stellungnahme des BWZ unter dem Vorbehalt der abschließenden Zollbehandlung stand. Die Angabe einer unzutreffenden Rechtsgrundlage im Bescheid führt nicht zu dessen Rechtswidrigkeit, sofern ‑‑wie im vorliegenden Fall‑‑ die tatbestandlichen Voraussetzungen der einschlägigen Vorschrift erfüllt sind.

  5. bb) Die Höhe des streitgegenständlichen Präferenzzolles von 8,9 % für Waren der Codenummer 2106 90 92 60 9 beruht ‑‑was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist und daher keiner weiteren Erörterung bedarf‑‑ auf der Verordnung (EU) Nr. 978/2012. Die Erhebung von Präferenzzöllen für Importe aus Chile im Jahr 2015 basiert dabei auf dem im Jahr 2003 in Kraft getretenen Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Chile andererseits (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. L 352, 3).

  6. b) Der streitgegenständliche Einfuhrabgabenbescheid vom 13.01.2016 und die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung vom 05.03.2018 gründen dabei zutreffend auf der Einreihung der Ware in die Codenummer 2106 90 92 60 9.

  7. aa) Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung ist ‑‑vorbehaltlich der Anwendbarkeit einer Einreihungsverordnung‑‑ im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der Kombinierten Nomenklatur und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Die Erläuterungen sowohl zum Harmonisierten System als auch zur Kombinierten Nomenklatur sind demgegenüber zwar nicht verbindlich, aber wichtige Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten. Sie können wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (EuGH-Urteil Mikrotīkls vom 20.10.2022 - C-542/21, EU:C:2022:814, Rz 22 f., m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung). Auch Avise der Weltzollorganisation, mit denen Waren in das Harmonisierte System eingereiht werden, liefern ‑‑obwohl sie rechtlich nicht verbindlich sind‑‑ wichtige Hinweise zur Auslegung der einzelnen Positionen der Kombinierten Nomenklatur (EuGH-Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022, Rz 45).

  8. bb) Die vom FG bestätigte finanzbehördliche Einreihung der Ware in die Pos. 2106 KN ist zutreffend.

  9. (1) Pos. 2106 KN umfasst gemäß ihrem Wortlaut "Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen". Die streitgegenständliche Ware wird vorwiegend als Rohstoff für Nahrungsergänzungsmittel, pharmazeutische Produkte oder Tierfutter genutzt. Soweit die Klägerin vor diesem Hintergrund argumentiert, dass ihre Ware nicht spezifisch und unmittelbar zur menschlichen Ernährung bestimmt sei, sondern als Rohstoff für verschiedene Industriezweige verwendet werde, hindert dies eine Einreihung in die Pos. 2106 KN nicht. Die ErlHS zu Pos. 2106 stellen ausdrücklich klar, dass die Bestimmung eines Erzeugnisses zur Ernährung des Menschen nicht zwingend voraussetzt, dass das Produkt unmittelbar verzehrfähig sein und ausschließlich in der Lebensmittelindustrie verwendet werden muss (vgl. ErlHS 12.1 und 17.0 zu Pos. 2106). Pos. 2106 KN erfasst vielmehr auch nicht verzehrfertige Vorprodukte, die in der Lebensmittel-, Futtermittel- oder Pharmaindustrie weiterverarbeitet werden können. So sind in den Erläuterungen zum Harmonisierten System diverse Stoffe aufgeführt, die als Zutaten für die Lebensmittel- oder Nahrungsergänzungsmittelindustrie bestimmt sind.

  10. (2) Ferner scheitert die Einreihung des streitgegenständlichen Fischöls in die Pos. 2106 KN nicht daran, dass es sich noch nicht in einer zur Einnahme durch den Menschen bestimmten Kapsel befand. Zwar hat der EuGH im Urteil Swiss Caps vom 17.12.2009 - C-410/08 bis C-412/08, EU:C:2009:794, Rz 32 und 36 für die Einreihung von Omega-3-Kapseln in die Pos. 2106 KN auch auf die Darreichungsform als Kapseln abgestellt, die einen deutlichen Hinweis auf die Funktion als Nahrungsergänzungsmittel liefere. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ausschließlich verkapselte oder dosierte Erzeugnisse unter diese Position fallen können. Vielmehr war die Kapselhülle in jenem Fall lediglich ein weiteres maßgebliches Kriterium für die Tarifierung, nicht jedoch eine zwingende Voraussetzung für eine Einreihung in die Pos. 2106 KN. Die vorliegend streitgegenständliche Ware weist indes ‑‑wie oben ausgeführt‑‑ bereits aufgrund ihrer Zusammensetzung und ihrer vorgesehenen Verwendung die objektiven Merkmale auf, die für eine Einreihung in die Pos. 2106 KN sprechen.

  11. (3) Die Einreihung in die Pos. 2106 KN wird des Weiteren auch gestützt durch die Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661, die eine vergleichbare Ware ‑‑nämlich ein aus Fischöl hergestelltes Fettsäureethylester-Gemisch‑‑ ausdrücklich der Pos. 2106 KN zuordnet. Der EuGH hat im Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022, Rz 52 und 53 bestätigt, dass die Durchführungsverordnung (EU) 2019/1661 rechtswirksam ist und keine unzulässige Erweiterung der Positionen der Kombinierten Nomenklatur darstellt.

  12. (4) Ferner ergibt sich aus den vom Ausschuss für das Harmonisierte System angenommenen Einreihungsavisen 02.0 zu Unterpos. 1516 10 ‑‑Einreihungsavis 1‑‑ und 55.0 zu Unterpos. 2106 90 ‑‑Einreihungsavis 36‑‑, dass nur wiederveresterte Triglyceride unter Pos. 1516 KN fallen, während Fettsäureethylester der Pos. 2106 KN zuzuordnen sind. Der EuGH hat im Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022, Rz 44 bestätigt, dass diese Einreihungsavise maßgebliche Hinweise für die zutreffende Tarifierung darstellen.

  13. (5) Die seitens der Klägerin hilfsweise auf eine Einreihung in Kap. 38 KN (chemische Erzeugnisse) und somit gegen eine Tarifierung als Lebensmittelzubereitung gerichtete Argumentation verfängt nicht. Dies scheitert an Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 38 KN, wonach Erzeugnisse mit Nährwert, von der zum Zubereiten von Lebensmitteln verwendeten Art, von Kap. 38 KN ausgeschlossen sind. Dass die entsprechend verwendeten streitgegenständlichen Waren einen Nährwert haben, hat das FG für den Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO). Die seitens der Klägerin erwähnte vZTA vom xx.xx.2014 betraf keine Fettsäureethylester, sondern ein Omega-3-Fettsäuregemisch und damit keine vergleichbaren Waren.

  14. (6) Die Einfuhrware wird sodann, was das FG zutreffend bestätigt hat, von der Codenummer 2106 90 92 60 9 "andere" erfasst. Da hinsichtlich der Unterpositionen zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, sieht der Senat insofern von weiteren Ausführungen ab.

  15. cc) Die streitgegenständliche Ware fällt entgegen der Auffassung der Revision nicht unter die ‑‑vom Wortlaut grundsätzlich in Betracht kommende‑‑ Pos. 1516 KN, da sie keine Triglyceride enthält.

  16. (1) Die Pos. 1516 KN umfasst in der im Streitfall geltenden Fassung "tierische und pflanzliche Fette und Öle sowie deren Fraktionen, ganz oder teilweise hydriert, umgeestert, wiederverestert oder elaidiniert, auch raffiniert, jedoch nicht weiterverarbeitet". Wie der EuGH in seinem Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022, Rz 38 entschieden hat, ist ein charakteristisches Merkmal von Fetten und Ölen im Sinne von Kap. 15 KN, dass sie hauptsächlich aus Estern von Glycerin mit Fettsäuren (Triglyceriden) bestehen. Fette und Öle im Sinne von Kap. 15 des Zolltarifs sind in diesem Zusammenhang ‑‑von bestimmten dort genannten und hier ersichtlich nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen‑‑ Ester von Glycerin mit Fettsäuren (ErlHS 14.0 zu Kap. 15). Eine Ware, die überwiegend aus Ethylestern besteht ‑‑wie sowohl im genannten EuGH-Verfahren Golden Omega C-388/23 als auch bei der vorliegenden Ware festgestellt‑‑, erfüllt diese Definition nicht und kann daher nicht in Pos. 1516 KN eingereiht werden (EuGH-Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022, Rz 38).

  17. (2) Die streitgegenständliche Ware besteht zu 93 % aus Fettsäureethylestern. Sie ist somit chemisch von den unter Pos. 1516 KN erfassten Fetten und Ölen zu unterscheiden, da sie nicht mehr die Struktur von Triglyceriden aufweist. Diese chemische Eigenschaft ist nach der genannten EuGH-Entscheidung Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022 entscheidend für die Frage der zolltariflichen Einreihung in die Pos. 1516 KN.

  18. (3) Die Argumentation der Klägerin, wonach die Begriffe "Umesterung" und "Wiederveresterung" in Pos. 1516 KN auch eine Veresterung mit Ethanol umfassen, wurde vom EuGH ausdrücklich zurückgewiesen. Im Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022, Rz 43 hat der EuGH klargestellt, dass Umesterung oder Wiederveresterung im Sinne von Pos. 1516 KN stets zu Triglyceriden führen müssen. Der EuGH erklärte ausdrücklich, eine Ware, die nach der Veresterung hauptsächlich aus Ethylestern bestehe, könne daher nicht unter die Pos. 1516 KN fallen. Die von der Klägerin eingeführte Ware wurde in Ethylester umgewandelt, sodass die seitens der Klägerin begehrte Einreihung in die Pos. 1516 KN nach der in dieser Aussage eindeutigen Rechtsprechung des EuGH ausgeschlossen ist. Zwar entfalten EuGH-Urteile nur im Ausgangsverfahren eine unmittelbare Bindungswirkung inter partes (dazu Senatsurteil vom 11.02.2003 - VII R 1/01, unter 2.a der Gründe; aus jüngerer Zeit auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 06.09.2023 - I R 35/20, BFHE 282, 252, BStBl II 2025, 436, Rz 18), doch folgt daraus nicht, dass sie für andere Verfahren unbeachtlich wären. Vielmehr sind EuGH-Urteile als verbindliche Auslegung des Unionsrechts heranzuziehen, da nur dies eine einheitliche Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten sicherstellt. Der Senat hat daher vorliegend die tragenden Erwägungen des EuGH zur Einreihung der Ware zu berücksichtigen und könnte hiervon nur absehen, wenn besondere, vom EuGH-Urteil Golden Omega vom 12.12.2024 - C-388/23, EU:C:2024:1022 abweichende ‑‑hier angesichts des jeweils dominierenden Fettsäureethylestergehalts nicht ersichtliche‑‑ Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigten. Eine eigenständige Entscheidung nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entbindet nicht von der Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH-Urteil Grossmania vom 10.03.2022 - C-177/20, EU:C:2022:175, Rz 42).

  19. c) Ein Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK besteht ungeachtet der Nennung des Art. 220 ZK als Rechtsgrundlage im angefochtenen Bescheid vom 13.01.2016 bereits deshalb nicht, weil die angefochtene Einfuhrabgabenfestsetzung nicht auf einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung nach Art. 220 Abs. 1 ZK beruht. Überdies entfiele in Fällen der nicht abschließenden Abgabenfestsetzung, in denen eine Überprüfung ersichtlich eine andere rechtliche Beurteilung zur Folge haben kann, ohnehin ein entsprechender Vertrauensschutz im Sinne dieser Vorschrift (Witte/Alexander, Zollkodex, 6. Aufl., Vorbemerkungen zu Art. 220 und Art. 221 Rz 13).

  20. 3. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Die Rechtslage ist aus den oben genannten Gründen durch die aufgezeigte Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 55).

  21. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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