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Beschluss vom 28. November 2025, X B 33/25

Keine Rückstellung für Nachbetreuungspflichten eines Versicherungsvertreters bei kommissarisch zum Zweck des Tätigens provisionsträchtiger Neuabschlüsse übernommenem Bestand

ECLI:DE:BFH:2025:B.281125.XB33.25.0

BFH X. Senat

EStG § 5 Abs 1 S 1, HGB § 249 Abs 1 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, EStG VZ 2014 , EStG VZ 2015 , EStG VZ 2016

vorgehend FG Köln, 12. Februar 2025, Az: 9 K 1947/21

Leitsätze

1. NV: Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften dürfen in der Bilanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, weil während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wertmäßig ausgleichen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung).

2. NV: Daher darf ein Versicherungsvertreter keine Rückstellung für Erfüllungsrückstand bilden, wenn er einen von einem Dritten aufgebauten Bestand an Versicherungskunden kommissarisch übernimmt, um durch Vermittlung von Neugeschäft in diesem Bestand Abschlussprovisionen zu erzielen. Dies gilt auch dann, wenn er zur Nachbetreuung dieses Bestands verpflichtet ist, ohne hierfür eine Bestandspflegeprovision zu erhalten.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 12.02.2025 - 9 K 1947/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat hinsichtlich der Gewerbesteuermessbeträge der Kläger zu tragen; im Übrigen haben die Kläger die Kosten zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2014 bis 2016 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielte als Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Seinen Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich.

  2. Dem Kläger steht nach dem Vertriebspartnervertrag, den er mit der Vertriebsgesellschaft eines Versicherungsunternehmens abgeschlossen hat, grundsätzlich eine Bestandspflegeprovision zu. Insoweit sah er von der Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands in Bezug auf seine Nachbetreuungspflichten ab.

  3. Zusätzlich hatte der Kläger schon vor den Streitjahren drei andere Kundenstämme kommissarisch und zeitlich befristet übernommen. Auch hier war er zur Betreuung des Bestands verpflichtet. Ausweislich der Nachträge vom 15.12.2015 zum Vertriebspartnervertrag sollte der Kläger hierfür eine Bestandspflegeprovision erhalten; in den Nachträgen Nr. 49 und 51 vom 04.03.2016 wurde ein solcher Anspruch hingegen ausgeschlossen. Aus diesen kommissarisch übernommenen Beständen erzielte der Kläger in allen Streitjahren hohe Abschlussprovisionen für vermittelte Neuverträge.

  4. Der Kläger beschäftigte in seinem Einzelunternehmen keine Arbeitnehmer. Die Bestandspflegetätigkeiten lässt er aufgrund eines Untervertretervertrags vom 02.01.2014 durch eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ‑‑im Folgenden: UG‑‑ mit einem Stammkapital von 100 € ausführen, deren alleiniger Gesellschafter er ist. Die UG beschäftigt den Kläger als Geschäftsführer sowie weitere Angestellte. Der Untervertretervertrag enthält keine Regelungen zu den vom Kläger für die Tätigkeit der UG zu zahlenden Entgelten. Der Kläger leistete in den Streitjahren erhebliche Zahlungen an die UG, die er als Betriebsausgaben erfasste. Ferner bezog er Einnahmen aus der Geschäftsführertätigkeit für die UG.

  5. Der Kläger bildete für die Nachbetreuungspflichten in Bezug auf die kommissarisch übernommenen Bestände Rückstellungen für Erfüllungsrückstand in folgender Höhe:

    2014: 

    9.949 €,

    2015: 

    115.000 €,

    2016: 

    125.000 €.

  6. Die Kläger erklärten in allen Streitjahren Verluste aus dem Einzelunternehmen.

  7. Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Auffassung, die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen für Erfüllungsrückstand seien nicht erfüllt. Die Tätigkeit des Klägers im Einzelunternehmen erlaube keine Rückstellungsbildung, da die eigene Arbeitsleistung des Unternehmers nicht rückstellungsfähig sei. Die Zahlungen an die UG seien ebenfalls nicht rückstellungsfähig, weil ihnen weder Verträge noch Rechnungen zugrunde lägen und sie daher ohne Rechtsgrund geleistet würden.

  8. Die Einsprüche der Kläger gegen die entsprechend geänderten Bescheide über die Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag für die Streitjahre blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage in einem im Rechtsmittelverfahren nicht mehr streitigen Punkt statt, wies sie in Bezug auf die Rückstellungen für Erfüllungsrückstand aber ab. Es fehle bereits an einem Erfüllungsrückstand, so dass es nicht mehr darauf ankomme, dass der Kläger die Betreuungsleistungen durch die UG habe erbringen lassen. Das Verhältnis zwischen den bereits erhaltenen Leistungen und der vom Kläger zu erbringenden Gegenleistung sei nicht gestört. Die vom Kläger eingegangene Verpflichtung zur Betreuung der kommissarisch übernommenen Vertragsbestände sei nicht Teil der Gegenleistung für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Provisionsansprüche. Für den übernommenen Vertragsbestand habe er keine Ansprüche auf Abschlussprovisionen. Der finanzielle Ausgleich für die Übernahme dieser Bestände habe darin bestanden, provisionsauslösende Neuabschlüsse vermitteln zu können. Die Nachbetreuung dieser Verträge stehe aber nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zu ursprünglichen Abschlussprovisionen.

  9. Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts.

  10. Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist ‑‑bei Zweifeln daran, ob die gesetzlichen Darlegungserfordernisse des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überhaupt erfüllt sind‑‑ jedenfalls unbegründet.

  2. 1. Dies gilt zunächst, soweit die Kläger sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) berufen.

  3. a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschlüsse vom 12.02.2019 - X B 90/18, BFH/NV 2019, 513, Rz 10, und vom 05.11.2020 - X B 50/20, BFH/NV 2021, 290, Rz 7).

  4. b) Die Kläger formulieren die Rechtsfrage, ob die Eingehung eines bewussten Verlusts im Zusammenhang mit der übernommenen Nachbetreuungspflicht die Bildung einer Rückstellung rechtfertigt. Ergänzend fragen die Kläger, ob der Unternehmer eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands für das einzelne Geschäft nur dann bilden dürfe, wenn er innerhalb dieses konkreten Geschäfts auch eine Gegenleistung erhalten habe, oder auch dann, wenn er den Erfüllungsrückstand autonom durch Übernahme der Nachbetreuungspflicht begründe. Sie tragen vor, der einzige Zweck der Übernahme der Betreuungspflicht liege darin, über den Zugang zu den Kundendaten neues Geschäft und damit Gewinn zu erzielen. Der Unternehmer gehe derartige Verpflichtungen nur dann ein, wenn er insgesamt einen Gewinn erwarte.

  5. c) Der Senat hat schon erhebliche Zweifel, ob die Kläger damit überhaupt den gesetzlichen Darlegungsanforderungen genügt haben. Denn sie gehen auf die ‑‑im vorinstanzlichen Urteil zutreffend zitierte‑‑ sehr umfangreiche und ausdifferenzierte höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere zu Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstands im Allgemeinen, aber auch zu Rückstellungen wegen der Nachbetreuungspflichten von Versicherungsvertretern im Besonderen nicht ein. Vielmehr zitiert die Beschwerdebegründung nicht eine einzige Rechtsprechungs-Fundstelle. Sie begnügt sich mit dem Zitat einer einzigen, alten und ‑‑wie die Kläger selbst ausführen‑‑ überholten Fundstelle aus der Literatur (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5 Rz 457), in der zudem das Gegenteil der von den Klägern für zutreffend gehaltenen Auffassung vertreten wird.

  6. d) Selbst wenn die Darlegungsanforderungen erfüllt sein sollten, wäre die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, weil die Entscheidung des FG nicht nur offensichtlich zutreffend ist, sondern auch in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht.

  7. aa) Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften dürfen in der Bilanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, weil während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wertmäßig ausgleichen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. grundlegend Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23.06.1997 - GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, unter B.I.3.; aus jüngerer Zeit BFH-Urteil vom 13.09.2023 - XI R 20/20, BFHE 282, 260, BStBl II 2024, 252, Rz 25, m.w.N.). Ob eine Leistung als Entgelt (Gegenleistung) zu beurteilen und bei der Saldierung von Aufwendungen und Erträgen aus dem schwebenden Geschäft zu berücksichtigen ist, bestimmt sich im Bilanzrecht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. In die Prüfung, ob sich Aufwendungen und Erträge ausgeglichen gegenüberstehen, sind deshalb nicht nur die final miteinander verknüpften Hauptleistungspflichten aus dem gegenseitigen Vertrag, also die Leistungen im Rahmen des schuldrechtlichen Synallagmas, einzubeziehen, sondern auch alle Nebenleistungen und sonstigen wirtschaftlichen Vorteile, die nach dem Inhalt des Vertrages oder nach den Vorstellungen beider Vertragspartner (subjektive Geschäftsgrundlage) eine Gegenleistung für die vereinbarte Sachleistung darstellen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23.06.1997 - GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, unter B.II.2.).

  8. bb) Letztlich begehren die Kläger, sofort mit der kommissarischen Übernahme der Bestände gewinnmindernd eine Rückstellung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs) einbuchen zu können. Ein solcher sofortiger Verlustausweis würde dem wirtschaftlichen Gehalt dieses Vorgangs aber nicht gerecht. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger diese ‑‑von einem Dritten aufgebauten und daher für den Übernehmer einen gewissen Wert verkörpernden‑‑ Bestände kommissarisch übernommen, um darin provisionsauslösende Abschlüsse zu erzielen. Dieses Ziel hat der Kläger auch tatsächlich erreicht. Nach der vorstehend unter aa angeführten Rechtsprechung ist daher zu vermuten, dass die beiderseitigen Vertragspflichten im Zeitpunkt der kommissarischen Übernahme der Bestände ausgeglichen sind, die künftigen Aufwendungen des Klägers für die Nachbetreuung von bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Verträgen also durch die Geschäftschance aufgewogen werden, die darin liegt, dass der Kläger Neuverträge vermitteln und so künftige Erträge aus Abschlussprovisionen aus den nicht von ihm aufgebauten Beständen erzielen kann. Diese Geschäftschance besteht so lange wie auch die Nachbetreuungspflicht besteht und steht ihr somit auch zeitlich nicht versetzt gegenüber. Konkrete Tatsachen, die die Vermutung wirtschaftlich ausgeglichener wechselseitiger Rechte und Pflichten aus dem Vertrag widerlegen könnten, haben die Kläger nicht vorgetragen. Im Gegenteil haben sie in der Beschwerdebegründung ausdrücklich formuliert, ein Unternehmer gehe derartige Verpflichtungen nur ein, wenn er aus dem Geschäft insgesamt einen Gewinn erwarte. Die Annahme eines Erfüllungsrückstands des Klägers liegt damit fern.

  9. 2. Bei dem Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) handelt es sich um einen speziellen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Für seine Darlegung gelten daher regelmäßig dieselben Anforderungen, die an eine auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützte Beschwerdebegründung zu stellen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 10.03.2023 - X B 70/22, BFH/NV 2023, 719, Rz 20, m.w.N.). Da das Vorbringen der Kläger insoweit über ihren Vortrag zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinaus geht, kann eine Revisionszulassung im Streitfall auch nicht auf das Erfordernis einer Rechtsfortbildung gestützt werden.

  10. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

  11. 4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

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