ECLI:DE:BFH:2025:U.090425.XR11.21.0
BFH X. Senat
EStG § 2 Abs 4, EStG § 2 Abs 5, EStG § 2 Abs 6, EStG § 10a Abs 2, EStG § 31 S 4, EStG § 32 Abs 6, EStG § 35a, EStG § 84, FGO § 126 Abs 3 S 1 Nr 1, FGO § 90a Abs 1, FGO § 96 Abs 1 S 2, FGO § 121 S 1, FGO § 135 Abs 1, EStG VZ 2015
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 12. Mai 2021, Az: 5 K 18/19
Leitsätze
1. Bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist die Differenz der tariflichen Einkommensteuer, die sich einerseits ohne und andererseits mit Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben ergäbe, mit dem Zulageanspruch zu vergleichen.
2. Ist die Differenz zwischen den genannten tariflichen Einkommensteuerbeträgen höher als der Zulageanspruch, werden die ‑‑auch den Zulageanspruch umfassenden‑‑ Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben abgezogen. Im Gegenzug wird der Zulageanspruch zur Vermeidung einer doppelten Begünstigung bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer hinzugerechnet.
3. Auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ist die tarifliche Einkommensteuer zunächst um Steuerermäßigungen nach § 35a EStG zu mindern (§ 2 Abs. 6 Satz 1 EStG). Erst danach ist der Zulageanspruch hinzuzurechnen (§ 2 Abs. 6 Satz 2 EStG).
4. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG ist dann geboten, wenn zwar der Sonderausgabenabzug auf der Ebene der tariflichen Einkommensteuer günstiger als der Zulageanspruch ist, die festzusetzende Einkommensteuer aber dennoch höher ausfiele als ohne den Sonderausgabenabzug.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 12.05.2021 - 5 K 18/19 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die richtige Berechnungsweise der festzusetzenden Einkommensteuer.
Die einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr 2015 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und erhielt Unterhaltsleistungen. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung machte sie Aufwendungen zur zusätzlichen Altersvorsorge nach § 10a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 1.354 € als Sonderausgaben sowie Steuerermäßigungen nach § 35a EStG in Höhe von insgesamt 515 € geltend.
Bei der Veranlagung ergab die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) vorgenommene Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG, dass der Sonderausgabenabzug ausscheide, weil der Zulageanspruch in Höhe von 154 € günstiger sei. Dabei ermittelte das FA die festzusetzende Einkommensteuer ohne Berücksichtigung der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge. Hierzu minderte es die auf das zu versteuernde Einkommen (zvE) von 12.021 € entfallende tarifliche Einkommensteuer (622 €) um die Steuerermäßigungen (515 €), so dass sich ein Betrag von 107 € ergab, der im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr festgesetzt wurde:
zvE
12.021 €
tarifliche Einkommensteuer darauf
622 €
abzüglich § 35a EStG
515 €
festzusetzende Einkommensteuer
107 €
Denn im Rahmen der vorzunehmenden Vergleichsrechnung unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs hätte sich nach Ansicht des FA eine höhere festzusetzende Einkommensteuer von 154 € ergeben. Ausgehend von einem entsprechend verringerten zvE von 10.667 € (12.021 € ./. 1.354 €) wäre die darauf entfallende tarifliche Einkommensteuer (355 €) zunächst um Steuerermäßigungen nach § 35a EStG (515 €) im höchstmöglichen Umfang (355 €) auf 0 € zu mindern gewesen und nachfolgend um den Anspruch auf Zulage (154 €) zu erhöhen:
Zwischensumme zvE
12.021 €
abzüglich Altersvorsorgebeiträge als SA (§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG)
1.200 €
abzüglich Altersvorsorgezulage als SA (§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG)
154 €
zvE
10.667 €
tarifliche Einkommensteuer darauf
355 €
abzüglich § 35a EStG
[515 €]
(begrenzt auf tarifliche Einkommensteuer)
355 €
Zwischensumme Einkommensteuer
0 €
zuzüglich Altersvorsorgezulage (§ 10a Abs. 2 Satz 1 EStG)
154 €
festzusetzende Einkommensteuer
154 €
Dies wäre im Ergebnis für die Klägerin ungünstiger gewesen.
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt, indem es die Einkommensteuer für 2015 antragsgemäß auf 0 € herabsetzte (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1454).
Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, abweichend vom Ansatz des FA sei bei der Günstigerprüfung die Zulage beziehungsweise der Zulageanspruch mit der Differenz zwischen der tariflichen Einkommensteuer ohne und mit Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgeaufwendungen zu vergleichen. Sofern die steuerliche Entlastung die Zulage übersteige, sei der Sonderausgabenabzug tatsächlich vorzunehmen, die tarifliche Einkommensteuer allerdings gemäß § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG um den Anspruch auf Altersvorsorgezulage zu erhöhen. An diese (um die hinzugerechnete Zulage "erhöhte") tarifliche Einkommensteuer knüpfe § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG begrifflich an, so dass erst nachfolgend Steuerermäßigungen nach § 35a EStG abzuziehen seien.
Ein solches Verständnis der gesetzlichen Vorschriften sei möglich und nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch geboten, nach dem bei zwei möglich erscheinenden Auslegungsvarianten diejenige zu wählen sei, die dem Steuerpflichtigen die größtmögliche Steuerersparnis verschaffe. Durch die Ermittlungsweise des FA werde ein Teil des Steuerermäßigungspotentials nach § 35a EStG ohne erkennbaren Grund nicht ausgeschöpft. Durch die vorrangige Hinzurechnung der Altersvorsorgezulage zur tariflichen Einkommensteuer würden die Altersvorsorgeaufwendungen auch nicht zusätzlich begünstigt. Vielmehr gehe es darum, die Steuerermäßigung soweit wie möglich zu erhalten.
Auf den Streitfall bezogen sei die Steuerminderung durch den Sonderausgabenabzug (622 € ./. 355 € = 267 €) günstiger als die Altersvorsorgezulage (154 €). Dementsprechend sei die tarifliche Einkommensteuer um den Altersvorsorgezulageanspruch zu erhöhen (355 € + 154 € = 509 €; "erhöhte" tarifliche Einkommensteuer). Nach Abzug der Steuerermäßigungen nach § 35a EStG (515 €) betrage die festzusetzende Einkommensteuer 0 €:
Zwischensumme zvE
12.021 €
abzüglich Altersvorsorgebeiträge als SA (§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG)
1.200 €
abzüglich Altersvorsorgezulage als SA (§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG)
154 €
zvE
10.667 €
tarifliche Einkommensteuer darauf
355 €
zuzüglich Altersvorsorgezulage
154 €
erhöhte tarifliche Einkommensteuer (§ 10a Abs. 2 Satz 1 EStG)
509 €
abzüglich § 35a EStG
[515 €]
(begrenzt auf tarifliche Einkommensteuer)
509 €
festzusetzende Einkommensteuer
0 €
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Ansicht des FG gebe § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG die Reihenfolge der Rechenschritte vor, um von der tariflichen zur festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen. Danach seien zuerst alle gesetzlich vorgesehenen Minderungen ‑‑so auch Steuerermäßigungen nach § 35a EStG‑‑ vorzunehmen; erst in einem weiteren Berechnungsschritt seien die in der Vorschrift genannten Berechnungsgrößen hinzuzurechnen. Die Sätze 2 und 3 des § 2 Abs. 6 EStG ergänzten diese Systematik folgerichtig um die Hinzurechnungen infolge der Günstigerprüfungen nach den §§ 10a und 31 EStG.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das FA hat die Einkommensteuer der Klägerin für das Streitjahr mit 107 € zutreffend festgesetzt.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG die Differenz der tariflichen Einkommensteuer, die sich einerseits ohne und andererseits unter Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben ergäbe, mit dem Zulageanspruch zu vergleichen ist (unter 1.). Rechtsfehlerhaft hat es allerdings im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ‑‑entgegen den sich aus § 2 Abs. 6 EStG ergebenden Ermittlungsvorgaben‑‑ nicht die Minderung um die Steuerermäßigungen nach § 35a EStG vor der Hinzurechnung der Altersvorsorgezulage vorgenommen (unter 2.). Ungeachtet des ‑‑bei isolierter Prüfung des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG‑‑ günstigeren Sonderausgabenabzugs hat das FA zu Recht das für den Steuerpflichtigen insgesamt niedrigere steuerliche Ergebnis ohne diesen Abzug festgesetzt (unter 3.).
1. Bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG ist ‑‑wie vom FG zu Recht angenommen‑‑ die Differenz der tariflichen Einkommensteuer, die sich einerseits ohne und andererseits unter Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben ergäbe, mit dem Zulageanspruch zu vergleichen.
a) Gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG können in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherte Altersvorsorgebeiträge (§ 82 EStG) zuzüglich der dafür nach Abschn. XI zustehenden Zulage jährlich bis zu 2.100 € als Sonderausgaben abziehen.
Ist der Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG für den Steuerpflichtigen günstiger als der Anspruch auf die Zulage nach Abschn. XI, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Zulage. In den anderen Fällen scheidet der Sonderausgabenabzug aus. Die Günstigerprüfung wird von Amts wegen vorgenommen (§ 10a Abs. 2 Sätze 1 bis 3 EStG).
b) Der Vorschrift des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG ist das Erfordernis eines Vergleichs zwischen einer sich aufgrund des "Sonderausgabenabzugs" ergebenden Größe einerseits und dem Zulageanspruch andererseits zu entnehmen.
aa) Der "Anspruch auf die Zulage nach Abschnitt XI" knüpft erkennbar an die §§ 79 ff. EStG an. Für den Anspruch auf die in den §§ 83 ff. EStG geregelte Altersvorsorgezulage (Grundzulage sowie gegebenenfalls Kinderzulage) ergibt sich ein konkreter Wert, der für die Klägerin im Streitjahr 154 € (Anspruch auf Grundzulage) betrug.
bb) Demgegenüber werden, was den "Sonderausgabenabzug" anbelangt, im Gesetz weder die Vergleichsgröße noch die zu ihrer Ermittlung durchzuführenden Schritte näher benannt.
In § 2 EStG findet sich der Sonderausgabenabzug in Abs. 4 der Vorschrift lediglich als Schritt zu der rechnerischen Zwischengröße "Einkommen", welches dann ‑‑vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge‑‑ als zvE die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer bildet (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 1 EStG). Erst Letztere beinhaltet ‑‑durch Anwendung des Einkommensteuertarifs (§ 32a EStG) auf das zvE (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 10.11.2020 - IX R 34/18, BFHE 271, 207, BStBl II 2021, 455, Rz 14)‑‑ einen konkreten Steuerbetrag (vgl. Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 2 Rz 114). Erst ein solcher Steuerbetrag kann einer Differenzberechnung und über diese einem Vergleich mit dem durch die Zulage bewirkten Vorteil zugrunde gelegt werden.
c) Nach Auffassung des Senats ist für die Prüfung, ob der Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG "günstiger" für den Steuerpflichtigen ist, der Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer mit und ohne Sonderausgabenabzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge maßgebend. Erst diese Differenz stellt ‑‑wovon das FG zutreffend ausgegangen ist‑‑ die Größe dar, die mit dem Zulageanspruch zu vergleichen ist (so auch Myßen in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff ‑‑KSM‑‑, EStG, § 10a Rz D 4; so wohl auch BeckOK EStG/Geisenberger, 20. Ed. 01.11.2024, EStG § 10a Rz 154; zustimmend wohl auch Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 44. Aufl., § 10a Rz 25).
aa) Wie im Rahmen der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG bei der Ermittlung der (jeweiligen) tariflichen Einkommensteuer die kindbedingten Freibeträge im Sinne des § 32 Abs. 6 EStG zu behandeln sind, um Wechselwirkungen zwischen den Günstigerprüfungen nach § 10a Abs. 2 EStG und § 31 Satz 4 EStG zu vermeiden (vgl. Myßen in KSM, EStG, § 10a Rz D 13 bis D 15), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn derartige Freibeträge standen der Klägerin im Streitjahr nicht zu.
bb) Dass die Vergleichsgröße der eingangs genannte Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer mit und ohne Sonderausgabenabzug ist, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den Regelungen über die Altersvorsorgezulage und den zusätzlichen Sonderausgabenabzug.
(1) Der Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG ist durch das Altersvermögensgesetz vom 26.06.2001 (BGBl I 2001, 1310) mit Wirkung vom 01.01.2002 eingeführt worden. Der Gesetzgeber wollte eine progressionsunabhängige Altersvorsorgezulage einführen (vgl. Gesetzentwurf vom 14.11.2000, BTDrucks 14/4595, S. 39), damit auch Steuerpflichtige mit einem niedrigeren zu versteuernden Einkommen, denen der Sonderausgabenabzug nicht oder nur in einem geringen Umfang zugutekommt (vgl. Senatsurteil vom 08.07.2015 - X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, Rz 59), eine steuerlich geförderte Altersvorsorge aufbauen können (vgl. Myßen in KSM, EStG, § 79 Rz A 2).
(2) Im Rahmen der Günstigerprüfung ermittelt die Finanzverwaltung von Amts wegen, ob die steuerliche Förderung durch den Sonderausgabenabzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge den Zulageanspruch übersteigt, die dem Steuerpflichtigen dann ‑‑im übersteigenden Umfang‑‑ zugutekommt (vgl. auch Senatsurteil vom 19.01.2022 - X R 32/20, BFHE 276, 9, BStBl II 2022, 617, Rz 21).
(a) Dabei knüpft die in § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. auch § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG) vorgesehene Rechtsfolge auf der Ebene der tariflichen Einkommensteuer an: Erfolgt aufgrund der Günstigerprüfung ein Sonderausgabenabzug, erhöht sich die "unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs ermittelte tarifliche Einkommensteuer" um den Anspruch auf Zulage.
(b) Durch diese Hinzurechnung des Zulageanspruchs wird erreicht, dass dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nur die über den Zulageanspruch hinausgehende Steuerermäßigung gewährt wird und keine Doppelförderung der Altersvorsorgebeiträge erfolgt (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 05.10.2023, BStBl I 2023, 1726, Rz 106). Die Zulage wirkt insoweit wie eine Vorauszahlung auf den sich aus dem Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG ergebenden Steuervorteil (vgl. Hahner in Bordewin/Brandt, § 10a EStG Rz 83; Brandis/Heuermann/Vogel, § 79 EStG Rz 2).
cc) Das FA hat sich im Rahmen des Revisionsverfahrens insoweit der vom FG vertretenen ‑‑und vom erkennenden Senat für zutreffend erachteten‑‑ Vorgehensweise bei der Günstigerprüfung angeschlossen. Dem BMF-Schreiben vom 05.10.2023, BStBl I 2023, 1726 ist nichts Abweichendes zu entnehmen.
d) Nach Maßgabe dessen hat das FG rechtsfehlerfrei ermittelt, dass der Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben im Streitfall zu einer um 267 € niedrigeren tariflichen Einkommensteuer führen würde als ohne den Sonderausgabenabzug. Da dieser sich durch den Sonderausgabenabzug ergebende steuerliche Vorteil den Zulageanspruch (154 €) um 113 € übersteigt, wäre als Ergebnis der Günstigerprüfung gemäß § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich der Sonderausgabenabzug vorzunehmen und der Zulageanspruch hinzuzurechnen. Dennoch hat das FA aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls zutreffend von einem Sonderausgabenabzug abgesehen (vgl. unter 3.).
2. Im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer hat das FG in rechtsfehlerhafter Weise ‑‑entgegen den sich aus § 2 Abs. 6 EStG ergebenden Ermittlungsvorgaben‑‑ nicht die Minderung um die Steuerermäßigungen nach § 35a EStG vor der Hinzurechnung der Altersvorsorgezulage vorgenommen.
a) Gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG ist die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um den Unterschiedsbetrag nach § 32c Abs. 1 Satz 2, die anzurechnenden ausländischen Steuern und die Steuerermäßigungen, vermehrt um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4, die Steuer nach § 34c Abs. 5 und den Zuschlag nach § 3 Abs. 4 Satz 2 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes (…), die festzusetzende Einkommensteuer. Für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ist der Anspruch auf Zulage nach Abschn. XI der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte in den Fällen des § 10a Abs. 2 um Sonderausgaben nach § 10a Abs. 1 gemindert wurde (vgl. § 2 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 EStG).
b) Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG werden ‑‑ausgehend von der tariflichen Einkommensteuer‑‑ zunächst bestimmte Minderungen ("vermindert") und erst danach bestimmte Mehrungen ("vermehrt") vorgenommen.
c) Diese Unterteilung in zwei Berechnungsschritte bildet nach zutreffender Auffassung des FA die grundlegende Systematik des Gesetzes (vgl. auch Bodden in Korn, § 2 EStG Rz 258).
aa) In § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG wird die Reihenfolge der erforderlichen Rechenschritte festgeschrieben, um von der tariflichen Einkommensteuer zu der festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen (vgl. BFH-Beschluss vom 28.04.2020 - VI R 54/17, BFHE 269, 15, BStBl II 2020, 544, Rz 17; vgl. auch Brandis/Heuermann/Ratschow, § 2 EStG Rz 182, der darauf hinweist, dass § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG hingegen nicht in jeder Hinsicht regele, in welcher Reihenfolge die abzuziehenden Steuerermäßigungen zu berücksichtigen seien).
bb) In diese Systematik fügt sich § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG ein.
(1) Inhaltlich orientiert sich die Regelung eng an § 10a Abs. 2 EStG, indem sie die in § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG vorgesehene Rechtsfolge eines positiven Ergebnisses der Günstigerprüfung, die Hinzurechnung des Zulageanspruchs aufgreift und ihr ‑‑darin liegt die eigentliche Bedeutung des § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG‑‑ eine bestimmte Stelle im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer zuweist: Danach wird das nach § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG ermittelte Ergebnis nachfolgend durch die spezielle Mehrung um den Zulageanspruch (Satz 2) verändert.
Diese Auslegung, nach welcher § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG ein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt (a.A. Brandis/Heuermann/Ratschow, § 2 EStG Rz 181: Deklaratorische Regelung; ebenso Musil in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 2 EStG Rz 882), führt zu einem in sich stimmigen gesetzlichen System und vermeidet, dass die Norm keinen Anwendungsbereich hat und überflüssig wäre (vgl. zu diesem Auslegungsgrundsatz Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2012 - 7 C 1.12, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, 431, Rz 34).
(2) Diesen systematischen Ansatz vertritt ‑‑soweit ersichtlich‑‑ auch der III. Senat des BFH hinsichtlich der Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG.
(a) Nach dieser Vorschrift werden für den Fall, dass die durch die kindbedingten Freibeträge bewirkte Steuerminderung größer als der Anspruch auf Kindergeld ist, die Freibeträge zum Abzug gebracht; im Gegenzug wird der Anspruch auf Kindergeld der tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet.
(b) Diese Hinzurechnung hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 6 Satz 3 EStG ‑‑nach den Sätzen 1 und 2 der Vorschrift‑‑ verortet.
(c) Dementsprechend bildet nach Auffassung des III. Senats des BFH die Hinzurechnung des Kindergelds "den letzten Schritt" auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer (vgl. Urteil vom 14.04.2021 - III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 38).
(d) Der vorstehenden Entscheidung liegt ebenfalls das vom erkennenden Senat geteilte Verständnis der Gesetzessystematik in § 2 Abs. 6 EStG zugrunde.
Dies zeigt sich in der weiteren Aussage des III. Senats des BFH, dass die Hinzurechnung des Kindergelds keinen Einfluss auf etwaige, "vorher zu berücksichtigende Steuerermäßigungen" habe (vgl. Urteil vom 14.04.2021 - III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 38; kritisch dazu Selder, juris PraxisReport Steuerrecht 47/2021, Anm. 4, unter C.II., wonach der BFH die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung im Schema zu R 2 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien bestätige, obwohl die Annahme einer anderen Reihenfolge nicht ausgeschlossen gewesen wäre).
(3) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die BFH-Rechtsprechung zur Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG auf die Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG im Hinblick auf die Berechnungsreihenfolge übertragbar.
Das FA hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass ‑‑gesetzestechnisch‑‑ die Mechanismen beider Günstigerprüfungen vergleichbar seien (vgl. auch BeckOK EStG/Geisenberger, 20. Ed. 01.11.2024, EStG § 10a Rz 153).
So ist zunächst der jeweilige Anspruch (auf Altersvorsorgezulage beziehungsweise auf Kindergeld) mit der möglichen steuermindernden Wirkung des Abzugs berücksichtigungsfähiger Beträge (Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge beziehungsweise kindbedingte Freibeträge) zu vergleichen. Ergibt dieser Vergleich einen übersteigenden Steuervorteil, werden einerseits die berücksichtigungsfähigen Beträge tatsächlich zum Abzug gebracht, andererseits wird nachfolgend bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer der jeweilige Anspruch zur Vermeidung einer doppelten steuerlichen Entlastung hinzugerechnet (vgl. Urteil vom 14.04.2021 - III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 39, zur Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG).
d) Dem sich aus Wortlaut und Systematik ergebenden Verständnis stehen die historische und teleologische Auslegung der in Rede stehenden § 10a Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG nicht entgegen.
aa) Aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Ansicht der Klägerin, der Gesetzgeber habe es zulassen wollen, dass Steuerermäßigungen nach der Hinzurechnung des Zulageanspruchs abgezogen werden können.
(1) Die Beteiligten weisen übereinstimmend auf den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum Altersvermögensgesetz hin, welchen sie jedoch konträr deuten. So sei in dem neu geschaffenen Abzugstatbestand des § 10a EStG (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2022 - X R 32/20, BFHE 276, 9, BStBl II 2022, 617, Rz 16) die Hinzurechnung des Zulageanspruchs ursprünglich auf Ebene der "festzusetzenden" Einkommensteuer vorgesehen gewesen (vgl. § 10a Abs. 7 Satz 1 EStG i.d.F. des ersten Gesetzesentwurfs; BTDrucks 14/4595, S. 25), nachfolgend aber bewusst auf der Ebene der ermittelten "tariflichen" Einkommensteuer verortet worden (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 24.01.2001, BTDrucks 14/5146, S. 123).
(2) Dem erkennenden Senat erschließt sich nicht, inwieweit diese Änderung des Normtextes als Beleg für die Ansicht der Klägerin gewertet werden könnte. Aus der angeführten Gesetzeshistorie ergibt sich allein, dass die Hinzurechnung des Zulageanspruchs im Berechnungsschema "vorgezogen" und nunmehr die tarifliche Einkommensteuer betreffen sollte. Eine Aussage des ‑‑von der Klägerin unterstellten‑‑ Inhalts, dass dies mit dem Ziel erfolgt wäre, eine Verrechnung mit Steuerermäßigungen zu ermöglichen, lässt sich, soweit ersichtlich, den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.
Die hier entscheidende Frage, an welcher Stelle auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer der Abzug von Steuerermäßigungen einerseits und die Hinzurechnung des Zulageanspruchs andererseits vorzunehmen ist, wird damit nicht beantwortet.
(3) Vielmehr hatte der veränderte Normtext des § 10a EStG ein Bedürfnis zur Regelung des Standorts der Hinzurechnung im Rahmen der Berechnungsvorschrift des § 2 Abs. 6 EStG ausgelöst. Für einen entsprechenden Regelungswillen des Gesetzgebers spricht der Umstand, dass mit der vorgeschlagenen Verschiebung der Hinzurechnung des Zulageanspruchs auf die Ebene der "tariflichen" Einkommensteuer im damaligen Gesetzgebungsverfahren zugleich empfohlen wurde, für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer den bisherigen Satz 2 in § 2 Abs. 6 EStG durch zwei neue Sätze ‑‑die Hinzurechnung des Zulageanspruchs (Satz 2) und die Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs (Satz 3)‑‑ zu ersetzen (vgl. BTDrucks 14/5146, S. 115); diese Ausgestaltung entspricht der heute geltenden Regelung.
bb) Sinn und Zweck der in Rede stehenden Vorschriften gebieten kein von Wortlaut und Systematik abweichendes Verständnis.
(1) Die in § 10a Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG für den Fall des günstigeren Sonderausgabenabzugs angeordnete Hinzurechnung des Anspruchs auf Altersvorsorgezulage dient der Vermeidung einer Doppelbegünstigung des Steuerpflichtigen (vgl. Brandis/Heuermann/Ratschow, § 2 EStG Rz 181; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 44. Aufl., § 10a Rz 27; Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 2 Rz 117), da in den ‑‑steuerlich bereits als Sonderausgaben berücksichtigten‑‑ Beiträgen zur zusätzlichen Altersvorsorge der Anspruch auf Altersvorsorgezulage enthalten ist (vgl. § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG).
(2) Inwieweit diese Zielrichtung der Hinzurechnung des Zulageanspruchs der hier angenommenen Reihenfolge der Berechnungsschritte entgegenstehen soll, ist für den erkennenden Senat nicht ersichtlich. Insbesondere bleibt unverständlich, weshalb ‑‑wie die Klägerin annimmt‑‑ der Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge einerseits und die Hinzurechnung des Zulageanspruchs andererseits ‑‑über einen normativen Zusammenhang hinaus‑‑ eine untrennbare "mathematische" Einheit bilden sollten.
(3) Dem Ansatz der Klägerin in diesem Zusammenhang ist nicht zu folgen.
(a) Ihrer Auffassung nach ist bei der Auslegung zentral der Zweck der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG in den Blick zu nehmen, welcher darauf gerichtet sei, den steuerlichen Vorteil, der sich durch den Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge über den Zulageanspruch hinaus ergebe, dem Steuerpflichtigen im höchstmöglichen Umfang zukommen zu lassen. Im Hinblick darauf befürwortet sie die vorrangige Hinzurechnung des Zulageanspruchs und erst nachfolgend den Abzug der Steuerermäßigungen nach § 35a EStG, da sich die Steuerermäßigungen bei dieser Reihenfolge weitergehend zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkten.
(b) Diese Erwägungen können angesichts der Vorgaben des § 2 Abs. 6 EStG nicht durchgreifen. Mithilfe einer bloß allgemeinen Zielvorstellung ‑‑der Erhaltung beziehungsweise Nutzung eines größtmöglichen Steuerminderungspotentials‑‑ können gesetzlich klar festgelegte Schritte zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer nicht überspielt werden.
(c) Im Übrigen trifft es auch der Sache nach nicht zu, dass der Klägerin infolge der vom Senat befürworteten Auslegung steuerliche Vorteile gerade aus dem Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge verlorengingen.
Das FA hat nämlich im Rahmen der Günstigerprüfung unter anderem eine Berechnung unter Abzug der Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben vorgenommen und ist dabei fehlerfrei zu einem niedrigeren zvE von 10.667 € (12.021 € ./. 1.354 €) gelangt. Der Sonderausgabenabzug erfolgte demnach ungeschmälert, im Gegenzug war ‑‑wie gesetzlich angeordnet‑‑ der Zulageanspruch hinzuzurechnen.
Ein steuerlicher Nachteil resultierte bei dieser Berechnungsweise allein daraus, dass die Steuerermäßigungen nach § 35a EStG nicht in vollem Umfang (515 €), sondern nur im (höchstmöglichen) Umfang von 355 €, bis zur Minderung der tariflichen Einkommensteuer auf 0 €, abgezogen werden konnten; dadurch konnte ein Steuerermäßigungsvolumen im Umfang von 160 € (515 € ./. 355 €) nicht berücksichtigt werden.
(4) Der vorstehend angesprochene ‑‑hier aufgrund der geringen Einkünfte der Klägerin zum Tragen kommende‑‑ Effekt der (endgültigen) Nichtberücksichtigung eines bei Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nach § 35a EStG nicht ausgeschöpften Anrechnungsüberhangs ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt.
(a) Denn weder die Festsetzung einer negativen Einkommensteuer in Höhe des nicht ausgeschöpften Ermäßigungsbetrags noch die Feststellung eines rück- oder vortragsfähigen Anrechnungsüberhangs nach § 35a EStG sind gesetzlich vorgesehen; verfassungsrechtlich ist dies nicht zu beanstanden (vgl. BFH-Urteil vom 29.01.2009 - VI R 44/08, BFHE 224, 261, BStBl II 2009, 411, unter II.1.b und II.2.b aa; Bode in KSM, EStG, § 35a Rz A 7).
(b) Die Steuerermäßigung nach § 35a EStG geht nicht als negative Rechengröße in die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ein. Dies gilt auch dann, wenn sich durch die Vermehrung dieses (negativen) Betrags durch die "veranlagte" Einkommensteuer auf Kapitalvermögen oder andere Hinzurechnungsgrößen eine positive festzusetzende Einkommensteuer ergibt. Denn negative Rechengrößen kennt das Einkommensteuerrecht im Rahmen der Ermittlung der Steuer anders als bei der Ermittlung der Einkünfte nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 28.04.2020 - VI R 54/17, BFHE 269, 15, BStBl II 2020, 544, Rz 17).
e) Nach dem Vorstehenden bildet daher die Hinzurechnung des Anspruchs auf Altersvorsorgezulage nach § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG den "vorletzten" Schritt auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer (vgl. BFH-Urteil 14.04.2021 - III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 38, für die Hinzurechnung des Kindergelds; HHR/Musil, § 2 EStG Rz 2 Tabelle 3, Zeile 17, 18).
f) Nach Maßgabe dieser Grundsätze erweist sich die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer durch das FG als rechtsfehlerhaft.
Abweichend von ihrer Berechnungsweise hätte die Vorinstanz ‑‑ausgehend vom günstigeren Sonderausgabenabzug‑‑ die tarifliche Einkommensteuer (355 €) zunächst gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG um Steuerermäßigungen nach § 35a EStG bis auf 0 € mindern müssen und erst nachfolgend gemäß § 2 Abs. 6 Satz 2 den Zulageanspruch (154 €) hinzurechnen dürfen. Insoweit entsprach die Ermittlung durch das FA der bestehenden Rechtslage.
3. Ungeachtet des ‑‑bei isolierter Prüfung nach § 10a Abs. 2 EStG‑‑ günstigeren Sonderausgabenabzugs hat das FA zu Recht das für den Steuerpflichtigen insgesamt niedrigere steuerliche Ergebnis ohne diesen Abzug festgesetzt.
a) Zwar ergibt ‑‑wie oben dargelegt‑‑ die Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG, dass die durch den Sonderausgabenabzug bewirkte steuerliche Entlastung vorliegend höher als der Zulageanspruch ist.
b) Die für diesen Fall gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge einer Hinzurechnung des Zulageanspruchs würde aber ‑‑aufgrund der nach den Umständen nur eingeschränkt möglichen Berücksichtigung der Steuerermäßigungen nach § 35a EStG‑‑ zu einer höheren festzusetzenden Einkommensteuer führen (154 €) als bei Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ohne Sonderausgabenabzug, jedoch unter vollständigem Abzug der Steuerermäßigungen (107 €).
c) Das FA hat daher zu Recht ‑‑dem Zweck der Günstigerprüfung entsprechend‑‑ das für den Steuerpflichtigen insgesamt günstigere steuerliche Ergebnis festgesetzt.
aa) Insoweit hält der erkennende Senat eine entsprechende teleologische Reduktion des § 10a Abs. 2 EStG für geboten.
bb) Eine teleologische Reduktion zielt darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Gegenüber einer vom Wortlaut einer Rechtsnorm abweichenden Auslegung ist allerdings besondere Zurückhaltung geboten; sie kann nur in Betracht kommen, wenn die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde. Dagegen ist es nicht Aufgabe einer lückenfüllenden Interpretation ‑‑zu der auch die teleologische Reduktion gehört‑‑, rechtspolitische Fehler zu korrigieren, das heißt, das Gesetz zu verbessern, obwohl es sich ‑‑gemessen an seinem Zweck‑‑ noch nicht als planwidrig unvollständig oder zu weitgehend erweist (vgl. BFH-Urteile vom 12.06.2018 - VIII R 14/15, BFHE 262, 66, BStBl II 2018, 755, Rz 32, m.w.N. und vom 14.05.2019 - VIII R 20/16, BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586, Rz 28).
cc) Nach Maßgabe dessen ist eine teleologische Reduktion des § 10a Abs. 2 EStG dahin vorzunehmen, dass ein Sonderausgabenabzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge nicht vorzunehmen ist, wenn die festzusetzende Einkommensteuer ‑‑nach Hinzurechnung der Zulage‑‑ im Falle des Sonderausgabenabzugs höher ausfiele als ohne einen solchen Abzug.
Denn es wäre sinnwidrig, wenn gerade die uneingeschränkte Anwendung des § 10a Abs. 2 EStG, der nur im Falle eines steuerlichen "günstiger" wirkenden Sonderausgabenabzugs eine Hinzurechnung des Zulageanspruchs ‑‑zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung‑‑ vorsieht und ansonsten unterbleibt, bei einer Gesamtbetrachtung sogar zu einem steuerlichen Nachteil beim Steuerpflichtigen führen würde.
Der Gesetzgeber geht bei der Günstigerprüfung erkennbar davon aus, für den Fall, dass sich durch den Sonderausgabenabzug ein den Zulageanspruch übersteigender Steuervorteil auf der Ebene der tariflichen Einkommensteuer errechnet, wirke sich dieser auch bei der festzusetzenden Einkommensteuer entsprechend vorteilhaft aus. Seiner Vorstellung nach kann sich durch die "Günstigerprüfung" allenfalls eine steuerliche Besserstellung, jedoch niemals eine Schlechterstellung ergeben.
Damit wäre es unvereinbar, die in § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG genannte Rechtsfolge eines im Ergebnis nicht "günstiger" wirkenden Sonderausgabenabzugs auch bei vorliegendem Sachverhalt eingreifen zu lassen. In diesem Fall scheidet vielmehr ein Sonderausgabenabzug aus (vgl. Satz 2 der Vorschrift).
dd) Allein dieses Ergebnis vermeidet auch eine sinnwidrige Anwendung des § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG.
(1) Danach stellt das Finanzamt im Fall des Abs. 2 Satz 1 ‑‑also des günstigeren Sonderausgabenabzugs‑‑ die über den Zulageanspruch nach Abschn. XI hinausgehende Steuerermäßigung gesondert fest und teilt diese der zentralen Stelle (§ 81 EStG) mit, also der Deutschen Rentenversicherung Bund (Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen ‑‑ZfA‑‑).
(2) Die nach dieser Vorschrift vorzunehmende gesonderte Feststellung der über den Zulageanspruch hinausgehenden Steuerermäßigung und Mitteilung gegenüber der ZfA dient dem Zweck, dass bei einer späteren schädlichen Verwendung des aufgebauten Altersvorsorgevermögens die bis dahin gewährte Förderung durch Zulage und Sonderausgabenabzug auf verfahrensrechtlich einfache Weise wieder rückgängig gemacht werden kann (vgl. Hahner in Bordewin/Brandt, § 10a EStG Rz 99).
(3) Auch insoweit erschiene es widersinnig, einen im Ergebnis steuerlich nachteiligen Sonderausgabenabzug durchzuführen und damit den Steuerpflichtigen grundlos dem Risiko einer späteren Rückforderung auszusetzen.
ee) Schließlich wird auch der Steuerpflichtige den Sonderausgabenabzug in der Anlage AV in der Erwartung beantragen, es könne sich bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG zumindest kein steuerlich nachteiliges Ergebnis für ihn ergeben. Andernfalls hätte er von seinem Wahlrecht (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2022 - X R 32/20, BFHE 276, 9, BStBl II 2022, 617, Rz 12 ff.) keinen solchen Gebrauch gemacht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.